Die Angst vor dem anderen wächst
26. Januar 2015
Im Tanzquartier präsentierte die Choreografin und Tänzerin im Jänner ihr neuestes Werk „Symposium“. Eine Arbeit, in der die Zusehenden mit einer Reihe von unterschiedlichen Szenen konfrontiert werden, die teils zum Mitmachen, aber vor allem zum Mitdenken anregen. Das Gespräch fand einen Tag nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo statt.
Michaela Preiner
Portrait Elisabeth B. Tambwe
Foto: ()

Elisabeth Bakambamba Tambwe  wurde in Kinshasa geboren und kam als Kind mit ihren Eltern nach Frankreich. Sie studierte Bildende Kunst, arbeitete im Objektbereich und wechselte ihr Metier, weil sie das Publikum in ihre Räume und Installationen miteinbeziehen wollte. Im Tanzquartier präsentierte die Choreografin und Tänzerin im Jänner ihr neuestes Werk „Symposium“. Eine Arbeit, in der die Zusehenden mit einer Reihe von unterschiedlichen Szenen konfrontiert werden, die teils zum Mitmachen, aber vor allem zum Mitdenken anregen. Das Gespräch fand einen Tag nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo statt.

Die Künstlerin bedankt sich zu Beginn unseres Treffens dafür, dass wir das Interview in Französisch aufnehmen. Und unversehens beginnt das Gespräch, ohne konkrete Fragestellung, mit vollem Tempo. Französisch sei zwar nicht ihre Muttersprache, aber sie musste die Sprache rasch lernen, um sich zu integrieren, beginnt die Choreografin ihre Erläuterungen. 

„Man spricht in Frankreich zwar von Integration, aber eigentlich ist das eher eine Assimilierung denn eine Integration. Man muss sich vom System richtiggehend „verdauen“ lassen. Es geht dabei darum, dass man in der Masse verschwindet und so auch besser kontrollierbar wird. Es ist viel mehr so, dass man versucht, die vorhandenen Unterschiede zu nivellieren. Wo bleibt aber da die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?“ Mich irritiert, dass Frankreich die Unterschiede der einzelnen Völkergruppen nicht wahrnimmt, denn das ist ja der eigentliche Reichtum einer Gesellschaft. Das Ausland blickt auf Frankreich und sagt, wie toll dass doch ist, wie viele unterschiedliche Ethnien dort leben und wie gut das funktioniert. In Wahrheit gibt es diese pluralistische Gesellschaft aber gar nicht, weil die Integration gar nicht stattfindet. Was jetzt in der Gesellschaft passiert, ist auch charakteristisch. Es gab früher organisierte Bewegungen, die hauptsächlich arabischen Ursprungs waren. Heute gibt es viele kleine Gruppierungen, die nach und nach ins Leben gerufen werden und sogar faschistische Organisationen schwarzafrikanischen Ursprungs. Das gab es früher nicht. Das ist eigentlich der Ausdruck der Unzufriedenheit, die immer größer wird. Die Leute haben einfach genug und die Menschen wollen auf diese Weise ihre Unzufriedenheit äußern. Sie sagen jetzt: Wir haben unsere Rolle, unser Ausgesperrtsein wohl verstanden, aber was können wir jetzt machen? Um weiter zu kommen, werden gewisse Klischees einfach beibehalten. Man ist jetzt in einer ganz absurden Situation. Denken Sie an die Menschen, die wir jetzt gerade verloren haben, das ist ganz unglaublich. Cabut, Wolinski, alle diese Leute. Das waren Menschen, die haben meine Jugend begleitet. Sie sind immer gegen den Extremismus aufgetreten, gegen die Front Nationale, gegen den Islam und nun sind sie getötet worden. Das ist schrecklich.

Das hat auch mich als Journalistin extrem getroffen, betroffen gemacht.

Seit dem Krieg in Algerien gab es keine vergleichbare Situation. Ich verstehe nicht, wie es so weit kommen konnte. Hier wiederholt sich die Geschichte. Man kennt die Konsequenzen, aber die Menschen sind wie Schafe, die immer dasselbe machen, sie haben aus der Geschichte nichts gelernt. Das ist eine Kritik an Europa, aber eine ganz spezielle an Frankreich. Ich schaue ja auch, was in Afrika los ist. Der Kongo hat Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Der Kolonialismus und die Diktatur haben sich auf das Denken der Menschen ausgewirkt. Man muss erst einmal wieder den Geist entkolonialisieren, bevor man die Körper in eine Autonomie entlassen kann. Erst muss der Geist die Freiheit suchen, dann ist man erst fähig, sich seinen eigenen Freiraum zu schaffen. Man spricht jetzt oft vom afrikanischen Kommunitarismus. Aber tatsächlich herrscht ein unglaublicher Individualismus. Die Leute haben unglaublich Angst, dass es ihnen an etwas fehlt. Man kümmert sich reflexartig zuerst einmal um seine eigene Familie. Und wenn was überbleibt, dann schaut man weiter.

Sie haben in Ihren Arbeiten immer politische Momente. Sie haben auf der Bühne bei „Symposion“ eine Riesenschlange gezeigt, die ein schwarzes Tier verschlang und dabei einen Teil eines Textes von Sarkozy lesen lassen, der wirklich ganz unglaublich ist und den ich vorher nicht kannte. So etwas ist für mich ein explizit politisches Zeichen.

Ich weiß nicht, ob das wirklich der richtige Begriff ist. Ich selbst fühle mich nicht politisch. Mein Gefühl bringt mich dazu nachzudenken, wie es um die Beziehung zu den anderen Menschen steht. Ich sehe, dass die Angst vor dem anderen wächst und dass diese Angst über die Grenzen der Hautfarbe hinausgeht. Eine Angst vor dem anderen, der anders ist als man selbst. Diese Angst wird von den Medien noch kultiviert. Aber eigentlich müsste man gerade den Reichtum dieser Unterschiede erkennen. Gerade diese Unterschiede erlauben eine Dynamik und eine Vielfalt und bedeuten einen Zugewinn. Wenn man einmal zu einer Integration kommt und diese Unterschiede zulässt, dann kann man eine Gemeinschaft bilden. Wenn man aber den anderen dazu zwingt, im selben Rhythmus zu funktionieren wie man selbst, dann reduziert man die Kapazität des anderen einfach und macht sie zunichte. Dann hat man eine Art von Marionette vor sich. Das funktioniert einfach nicht. Es ist wichtig, dem anderen Freiraum zu geben, seinem Rhythmus auch Freiraum zu geben. Ich glaube, das ist wichtig.

Man hat dein Eindruck, dass Sie Ihren Tänzerinnen und Tänzern tatsächlich einen eigenen Rhythmus und eine große Freiheit zugestehen. Kann man das mit der Arbeit vergleichen, die auch Robyn Orlin pflegt, mit der Sie ja auch zusammengearbeitet haben?

Elisabeth Tambwe erweist sich im ersten Teil des Abends als wahre Zelt-Meisterin. (Foto: Thomas Lachambre)

Elisabeth Tambwe im Stück „In a world of butterflies it takes balls to be a caterpillar … some thougts of falling …“ (Foto: Thomas Lachambre)

Das ist etwas anderes. Ich werde Ihnen erzählen, wie ich arbeite und wie ich mit Robyn zusammenarbeite. Ich habe eine klare Struktur im Kopf, die es gilt zu destrukturieren, neu zu artikulieren, um eine andere zu rekonstruieren. Ich glaube, dass es nicht nur eine Art und Weise gibt ein Stück zu sehen und zu interpretieren. Normalerweise sind alle Rituale dazu da, eine Performance zu kreieren. Ich versuche aber eine Modifikation. Ich versuche alle Schubladen wegzulassen. Natürlich sprechen wir in Symposium von Freiheit. Aber das heißt nicht, dass man machen kann, was man will. Wenn das so wäre, dann käme diese Freiheit nicht zustande. Es ist ein richtiges Ballett der Körper, das hier kreiert wurde, das ist auch die Schwierigkeit  des Stückes. Eigentlich wollten wir bei jenem Stadium beginnen, das sich vor der Show ereignet, vor dem großen Moment. Vor diesem großen Moment passieren Fehler. Wenn man dem Publikum zu Beginn schon die Plätze zuweist, dann funktioniert das nicht. Deshalb kann es sich zu Beginn  mit den Performern auf der Bühne kreuzen. Auf der einen Seite arbeitet einer in einem Kostüm, auf der anderen Seite kommt einer im Trainingsanzug, ein Techniker marschiert über die Bühne, überprüft etwas. Es war wichtig, dass die Techniker nicht zu Performern werden, sondern dass sie tatsächlich Techniker bleiben sollten, welche verschiedene Elemente während der Show wieder an ihren Platz bringen. Das war wichtig, deswegen haben wir mit ihnen nicht gespielt. Zusammen haben die Performenden überlegt, haben wir verschiedene Improvisationen ausprobiert, die dann festgehalten, sie bereinigt, je nachdem, was ich in der Szene zeigen wollte.

Bei Robyn ist das anders. Sie gibt ihren Tänzern viel mehr Freiheit, da wird einem richtig schwindlig dabei. Robyn hat eine Idee und arbeitet viel mit den einzelnen Personen. Es gibt dann eine Diskussion, die dann auch auf der Bühne präsent ist. Zum Schluss findet sie einen goldenen Mittelweg, der dann im Endeffekt präsentiert wird. Man hat bei ihr das Gefühl, als ob das Stück das zur Aufführung kommt, von uns wäre. Wenn ich für Robyn performe, performe ich nicht für sie. Es ist dann auch meine Arbeit. Sie sagt: Ich gebe dir die Freiheit – was machst du daraus? Robyn möchte immer, dass man Stellung bezieht. Und es geht bei ihr auch immer um eine Rangordnung. Vielleicht hängt das mit Robyns Geschichte in Südafrika zusammen. Robyn gibt die Freiheit, sagt aber auch: Passt auf, das kann euch auch von innen heraus verschlingen. Einige Tänzer, die mit ihr gearbeitet haben, haben ein überdimensioniertes Ego gehabt und haben gedacht, sie wären der Ursprung von allem gewesen. Aber man muss aufpassen. Zwischen der Position des Tänzers und des Choreografen gibt es einen Unterschied. Als Tänzer bringt man Elemente auf die Bühne mit. Obwohl man aber Ideen mit auf die Bühne bringt und miteinander diskutiert, bleibt man trotz allem ein Instrument.  Es kann aber auch eine Beziehung zum Choreografen geben, die von Anfang an klar ist, bei der man als Co-Autor mitarbeitet. Je besser man seine eigene Position versteht, umso mehr Freiheit hat man, glaube ich. Wenn das nicht der Fall ist, kommt es sehr schnell zu Frustrationen. Und das spürt man schnell im Werk selbst.

Robyn hat mir die Möglichkeit gegeben, die afrikanische Materie auf eine andere Art und Weise zu sehen und das mit meinen Erfahrungen in der europäischen Kultur zu verbinden und darzustellen. Robyn kommt aus Südafrika, wo es eine starke ethnische Durchmischung gibt und ich hatte bei ihr die Möglichkeit zu sehen, wie man auch mit schwarzem Humor etwas zum Ausdruck bringen kann. Für mich war das sehr wichtig, weil das manches Mal auch erlaubt, über schwierige und schmerzhafte Themen zu sprechen, aber auf einer anderen Ebene, auf der man die Nachricht dann übermittelt.

Was sind das für Themen?

Die Negierung an sich, das Verstecken. Aber auch die Negierung Afrikas. Die Rede von Sarkozy, die ich in meinem letzten Stück zum Teil zitiere, ist etwas, was man so gar nicht zeigen kann. Das war für mich die obszönste Art und Weise, über Afrika zu sprechen.  Darin werden nur Klischees aufrechterhalten und die Idee des Fortschritts komplett begraben. (Anm: Sarkozy hielt 2007 in Dakar eine Rede, gespickt mit kolonialistischem Gedankengut des 19. Jhdts., die in Afrika großes Entsetzen auslöste) Ich glaube, dahinter steht der Wille, den anderen gar nicht richtig anzusehen und ihn nicht zu achten. Auf diese Art und Weise kommt man zu dieser Sprache. Wie kann man sagen, dass es schade ist, dass Afrika nicht in die Geschichte eingegangen ist? Wie kann man 2007 so etwas sagen! Obwohl Frankreich eine Geschichte mit vielen afrikanischen Ländern hatte. Afrika war während der beiden Weltkriege präsent, in großen, historischen Momenten. Afrika hatte Teil an großen Veränderungen, an der Revolution. Viele afrikanische Wissenschaftler haben auch an Forschungen teilgenommen. Wenn man so spricht, wie Sarkozy es tat, annulliert man diese Teilhabe und macht sie mit ein paar Wörtern zunichte. Was bedeutet das für die jetzige Generation? Sie wird einfach entwertet. Die ganze Pluralität wird negiert und eine Hierarchie wieder aufgebaut, in der Afrika nur einen Platz ganz weit unten einnimmt. Wenn man so etwas hört, dann haben die Menschen Mühe, ein Selbstwertgefühl zu kreieren. Das macht Angst. Deshalb sind die Leute auch unzufrieden. Viele leben in Frankreich und Europa und haben dort ihren Alltag. Sie sind glücklich darüber und leben wie die anderen auch. Das Bild, das aber weitergegeben wird von Afrika und den Afrikanern, zum Beispiel im Kino, ist nie wertsteigernd, sondern ganz im Gegenteil. Man kultiviert das Bild von einem kindlichen und naiven schwarzen Körper.  Man nimmt dem Afrikaner jede Art von Gedanken und reduziert ihn auf einen Körper. Einen Körper, den man manipulieren kann. Und man projiziert auf ihn, was man projizieren will. Seine eigene Angst, seine Wahnvorstellungen und so weiter.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie in Österreich freier sind?

Was die Freiheit in Österreich betrifft, diese Frage bringt mich jetzt aus dem Gleichgewicht. Als ich nach Österreich kam, habe ich die Leute als sehr kalt und distanziert empfunden. Ich habe sehr schnell verstanden, dass es hier eigentlich um eine totale Unkenntnis des anderen geht. Österreich hatte ja keine Kolonien, aber es gibt hier andererseits auch nicht dieses Schubladendenken. Europa möchte heute aber im übertragenen Sinne lauter Schubladen bauen. Alles organisiert bekommen. Ich wurde in Österreich als Künstlerin wahrgenommen und nicht als Afrikanerin. Ich bin aber etwas verwirrt, wenn ich hier auf afrikanische Themen reduziert werde. Ich glaube aber, dass meine Arbeit darüber hinaus geht. Mir geht es darum, wie man ein Volumen in den Raum setzt. Meine Arbeit hat etwas Skulpturales. Es geht um die Beziehung zueinander, die unterschiedlichen Standpunkte. Nicht um die Beziehung von Schwarz und Weiß, sondern ich möchte über dieses Bild hinausgehen, es ersetzen. Ich frage mich, warum es sofort um eine soziale Fragestellung geht, wenn ein schwarzer Körper auf die Bühne kommt. Die Leute können da offenbar nicht über ihren Tellerrand hinaussehen. Hinter meinen Arbeiten steckt aber ein künstlerisches Programm. Ich kreiere das Stück, bringe meine Geschichte ein, manipuliere die Körper. Von Anfang an inkludiere ich das Publikum, aber auf eine aktive Art und Weise.

Ist es schwer, mit dem Publikum zu arbeiten?

Nein, die Schwierigkeit steckt nur am Beginn. Wenn man glaubt, mit dem Publikum gemeinsam etwas entdecken und kreieren zu können, stellt man fest, dass das nur ein Phantasma ist. Man hat zu Beginn ja keine Liebesbeziehung zum Publikum. Man braucht ein wenig Zeit, man muss sich gegenseitig beschnuppern.

Hängt die Reaktion nur vom Publikum ab, kann diese auch unterschiedlich ausfallen?

Das hängt auch von uns ab. Am ersten Abend lief der Beginn eher ruhig und schüchtern ab. Am zweiten Tag war man schon unbefangener. Auch weil man einiges vom ersten Tag verstanden hat und gewusst hat, dass man einiges ändern kann. Das sind oft nur ganz kleine Dinge.

Sie haben Bildende Kunst studiert. Wie sind Sie zum Tanz gekommen, wann haben Sie sich entschieden als Choreografin zu arbeiten?

Ich habe mich immer mit dem Volumen und dem Raum beschäftigt. Ich habe viel mit der Idee gearbeitet, wie man einen Raum organisch darstellen kann. Wie man ein Volumen schaffen kann, das den Raum ausfüllt. Bis in jede kleinste Ecke. Meine Arbeit zielt darauf ab, die ideale Form zu finden, um den Raum absolut auszufüllen. Ich kreierte als bildende Künstlerin Volumen, die man verändern konnte. Mobile Skulpturen, die jedes Mal auf verschiedene Art und Weise artikuliert wurden. Ich wollte die Decke und den Fußboden miteinander in Verbindung bringen. Und ich wollte das Publikum, die Zusehenden, zum Tanzen bringen. Ich wollte, dass sie z.B. etwas ganz Kleines ansehen, dass sie die Augen zumachen, auf allen Vieren marschieren. Ich hatte eine konische Form gebaut, die innen dunkel war, in die man hineingehen konnte. Das war eine Arbeit, die sich sehr auf den jeweils anderen konzentrierte. Nach und nach wollte ich mich selbst mit einbringen, wollte, dass die Zusehenden tanzen. Ich habe Kurse genommen, um selbst mehr zu tanzen. Ich habe zuerst mit klassischem Tanz begonnen, da ich meinte, dass der klassische Tanz eine sehr wichtige Stellung hätte. Als ich aber in dem Kurs war, hat man mir zu verstehen gegeben, dass ich dort komplett fehl am Platz sei. Ich entsprach niveaumäßig überhaupt nicht und für Anfänger gab es keinen Kurs. Dann kam ich zum Modern Jazz. Das hat mir überhaupt nicht gefallen, die Absicht, die dahinter stand gefiel mir nicht.

Sie waren auf der Suche.

Ja, ich wollte mich einfach bewegen, sehen, was zum Beispiel mit der Hand passiert, mit dem Körper arbeiten, ihn modulieren. Und eines Tages habe ich mit einem super Schlagzeuger gesprochen, der afrikanische Percussionsinstrumente spielte und der in einer afro-kubanischen Band arbeitete. Er hat mir vorgeschlagen, mir den afrikanischen Tanz anzusehen. Das war in Belgien, da waren viele Leute. Und es war super, außer dass ich komplett steif war. Ich stand wie ein Stock immer auf den Zehenspitzen und hatte meine Füße nie wirklich am Boden. Ich, die ich mit klassischem Tanz nichts am Hut habe! Das war so eigenartig, dass die Menschen, die da waren, mich angestarrt haben, wenn ich mit ein oder zwei anderen getanzt habe. Sie meinten, das sei ja gar nicht möglich, dass sich eine Afrikanerin nicht bewegen könne. Das war eine richtige Blamage und ich habe mich geschämt. Aber ich beschloss, dort zu bleiben und den Kurs fertig zu machen und es war mir egal, ob ich mich dabei lächerlich machte. Es war sehr, sehr schwer. Aber ich habe es geschafft. Ich habe verschiedene Ateliers gestartet, mit Kindern, mit Jugendlichen. Ich war mit einer Truppe in Belgien unterwegs, dann in Italien und nach und nach begannen die Leute mit mir zu arbeiten weil sie mit mir als Person arbeiten wollten. Sicher auch weil ich groß bin, Afrikanerin etc. etc. So kam ich immer mehr in den zeitgenössischen Tanz. Aber mich hat nicht so sehr die Handschrift des zeitgenössischen Tanzes interessiert. Mich hat mehr interessiert, wie der Körper funktioniert. Wie man ihn deartikulieren kann. Ich wusste, dass ich auf diese Art und Weise eine eigene Handschrift kreieren konnte. Wenn ich mir eine Schule angeeignet hätte, dann hätte ich mich selbst verloren. Ich konnte aber etwas aus der plastischen Kunst einbringen.

Der Körper und der Raum sind für Sie das Wesentliche schlechthin.

Ja, der Körper ist wesentlich, weil er viel zum Ausdruck bringt. Man spricht sehr viel von dem, was man nicht sagt und was man zu verstecken, zu verschleiern oder zu umgehen versucht. Aber in Wirklichkeit bringt der Körper immer auch das zum Ausdruck, was man verstecken möchte. Auf irgendeine Art und Weise kommt das immer zum Ausdruck. Manchmal auch auf eine perverse Art und Weise. Wenn man so sehr versucht, etwas zu verstecken, kann es manchmal sogar ganz pervers zum Ausdruck, an die Oberfläche kommen. Das ist so, als ob der Körper leck wäre und das zu Versteckende durchschwitzt. Oder man hat die Entscheidung getroffen, sich selbst im Spiegel anzusehen und sich die Frage zu stellen, wer man eigentlich selbst ist. Das ist der schwierigste Moment überhaupt. Vor allem, wenn man dreißig vierzig Jahre lang das vermieden hat. Wenn man diese Entscheidung trifft, alles offen legen möchte, wenn man ein neues Leben beginnen will, das ist dann der schwierigste Moment. Aber wenn dann alles rauskommt, dann ist das wie eine totale Befreiung des Körpers. Obwohl das der schwierigste Moment ist, setze ich das fast mit einem Orgasmus gleich. Man kann das auf unterschiedliche Art rauswerfen und losbringen. Manchmal ist das richtig Scheiße, manchmal ist es wie ein negatives Gepäck, das man mit sich trägt. Eine Last unserer Eltern oder der Geschichte, ein negatives Erbe. Manchmal muss man dieses Gepäck einfach aufmachen und ausleeren. Wenn man das schon macht, dann ist es gut, dass man dieses Gewicht positiv nützt, und einen Sockel draus macht. Scheiße zu Gold machen, könnte man sagen. Schließlich ist das ja auch seine eigene Vergangenheit, die man da öffnet und auf die man schaut. Aber erst auf diesem Sockel kann man sich selbst richtig aufbauen. Was man darauf aufbaut, das erhebt sich dann auch im übertragenen Sinn des Wortes. Weil sich das auf emotioneller Ebene erhebt. Weil man dann einen philosophischen Bezug zum Leben bekommt.

Was sind Ihre neuen Projekte?

Ich hoffe, dass das Stück auf Tournee gehen kann. Noch ist nichts sicher. Ich warte auf die Bestätigungen. Wenn nicht, dann arbeite ich einfach weiter. Ich arbeite an einem Theaterstück, in einem Tanzraum, füge alle Elemente hinzu, die ich liebe. Ob das Musik ist, oder der Körper, der in Bewegung ist und dann geht es auch wieder um Strukturen. Wie schaut man auf ein Stück? Diese Idee, die ich auch in Symposium hatte, möchte ich hier noch erweitern. Auch im neuen Stück möchte ich die Pluralität der Performer wieder zeigen. Es geht immer darum, dass man in sich selbst, um sich selbst und mit sich selbst arbeitet. Ich werde mich mit Themen beschäftigen, die mich seit Jahren nicht in Ruhe lassen und die mich verfolgen, so wie zum Beispiel die Skulptur. Und eine Arbeit mit Robyn ist auch geplant.

Haben sie das Gefühl, dass das Publikum mit Symposion Schwierigkeiten des Verstehens hat?

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Adriana Cubides in Elisabeth B. Tambwes Stück „Symposion“ (Foto: Christopher Ohmeyer)

Man kann in dem Stück viel sehen. Als ich das Stück zusammengesetzt habe wollte ich eine Erzählung verhindern, ich wollte es dem Publikum auch nicht bequem machen. Ich wollte keine Frustration bereiten, vielmehr eine Stimmung kreieren, in der Fragen entstehen können. Es ist vergleichbar mit dem Prinzip der Masturbation. Ich versuche das mit den Sesseln zu zeigen. Man versucht, an einen gewissen Punkt zu gelangen, man weiß, dass wird dann ganz toll sein, aber man erreicht das nicht wirklich. Man muss eine Szene nach der anderen sehen, um dann zum Schlusspunkt gelangen zu können. Wenn ich die einzelnen Szenen weiterentwickelt hätte, dann hätte ich vielleicht fünf Stücke bekommen. Für jede Szene ein Stück. So war das Timing so ausgelegt, dass es gerade ausreichte, um eine Frage stellen zu können. Die Dramaturgie entwickelt sich rund um die Idee. Es geht zuerst darum, den Raum zur Fragestellung zu öffnen. Den andern einzuladen, versuchen, ihn hinzusetzen. Alle Personen müssen eingeführt werden. Wie in einem Filmdurchlauf. Alle gehen vorbei, als ob sie gecastet würden. Und schließlich landet man bei der Sarkozy Rede. Einer Rede, die so obszön ist, dass das ja überhaupt gar nicht geht. So etwas kann man nicht sagen. Das Publikum könnte erwarten, dass man nun die Idee dahinter weiterentwickelt. Aber das kann ich nicht. Das Prinzip ist, dass die Szenen nacheinander einfach weiterlaufen. Es geht nicht darum, das Publikum zu beruhigen und ihm Sicherheit zu geben, aber in den einzelnen Szenen arbeite ich sehr stark mit Emotionen und Gefühlen. Ästhetisch habe ich mich an die 80er Jahre angelehnt. Die Musik war sehr sinnlich und emotional aufgeladen und auch die Jungen heute hören wieder diese Musik. Sie erzählt manches Mal von Verzweiflung und einiges darin ist ja wirklich auch sehr roh. Dann gibt es auch tänzerische Elemente des Modern Jazz, der vom Ursprung her auf dem afrikanischen Tanz basiert. Ich wollte von den Tänzern das herausholen, was ihnen im zeitgenössischen Tanz amputiert wurde. Ich möchte all das in das Stück bringen, das versteckt ist, all das, was keiner wissen will. Das Publikum, das einmal in seinem Sessel sitzt, möchte gleich die Show haben. Aber ich gebe die Pornohefte aus, um zu zeigen, die kannst du dir einstweilen einmal ansehen, denn wir sind eigentlich noch nicht so weit. Man kommt ja auch nicht gleich zu einem Orgasmus. Das muss sich entwickeln. Man masturbiert ein wenig usw. bis sich alles nach und nach entwickelt. Ich habe zwei Jahre an dem Stück gearbeitet. Deswegen hat es verschiedene Schichten. Es hat für mich auch etwas mit dem Kunstmarkt an sich zu tun. Heute haben die Leute unglaubliche Angst, ein Risiko einzugehen. Am besten ist es, wenn die Stücke ein gewisses Format haben. Auch wenn Stücke unkonventionell beginnen, muss im Verlauf irgendwann der große Knall kommen. Dann muss der Choreograf zeigen, war er wirklich kann. Immer muss man einen Beweis abliefern, aber ich habe nichts zu beweisen, überhaupt nichts. Das war glaube ich nicht so klar. Ich habe eine Freundin gefragt, ob ich Bilder projizieren soll. Bilder von schwarzen Wissenschaftlern, von Aristokraten, von Schwarzen, die im Mittelalter durch Europa gereist sind. Weil die Referenzen, die immer wieder kommen, Klischees über Afrika sind, Afrika zur Zeit der Kolonisation und der Sklaverei beschreiben. Die Leute wissen gar nicht, dass es zuvor schwarze Aristokraten gab, dass es Komponisten gab. Es gab vor Mozart z.B. Chevalier St. George, einen Schwarzen, der komponierte. Warum nannte man Mozart nicht „den weißen Chevalier St. George?“ Mozart und er kannten sich, weil er der Lehrer von Marie Antoinette war und ein Revolutionär. Solche Bilder wollte ich eigentlich projizieren. Aber die Antwort meiner Freundin war kategorisch: Elisabeth, du hast ja nichts zu beweisen. Warum möchtest du beweisen, dass die Schwarzen auch Franzosen sind? Aber so denke ich. Mein Denken ist einfach vielfältig. Ich denke nicht stromlinienförmig. Ich bin nicht nur Choreografin und Tänzerin. Ich habe Kinder. Während ich koche, schreibe ich meine Projekte. Mein Mann möchte gleichzeitig, dass ich das und das mache. Dann habe ich meine Familie im Kongo, um die ich mich kümmere. Wir sind einfach komplett vielfältig angelegt. Warum sollen wir das zurückhalten und unterdrücken? Nur weil es dann komplex wird und schwerer verständlich? Und weil die Komplexität schlecht zu verkaufen ist? Ja, vielleicht ist das Stück ein wenig schwierig, aber gleichzeitig auch toll für jene, die mit ihrem Gehirn nicht masturbieren, die sich auf die Szenen einlassen können und ihre Gefühle zulassen können.

Würden Sie sich als Philosophin bezeichnen, die sich Gedanken rund um den Tanz macht?

Oh, nein, nein! Ich denke viel, weil ich etwas mache. Wenn man nichts macht, muss man auch nichts denken. Etwas zu machen bedeutet für mich nicht nur, Dingen einen Platz zuweisen. Man macht etwas, wenn man die Notwendigkeit dafür spürt. Wenn man diese Notwendigkeit nicht sieht, dann wird es auf der Bühne leer. Ganz leer. Aber über die Leere zu sprechen kann wiederum auch viel bedeuten. Es gibt Menschen, die das können. Andere scheitern dran, weil es zu geschwätzig wird.

Möchten Sie den Leserinnen und Lesern gerne etwas mitteilen?

Da bin ich jetzt überfragt, muss kurz nachdenken. Ja, wenn ich an die Pornographie denke, dann frage ich mich, warum es möglich ist, pornographische Zeitschriften, mit einem für mich unglaublich gewalttätigen Inhalt, einfach überall auf der Straße zu kaufen. Warum aber darf man das nicht öffentlich machen, nicht darüber diskutieren? Warum dürfen wir das nicht überall affichieren, wenn es dabei doch um die Ausbeutung von Menschen geht? Das ist ein Beispiel für eine Negation, ein Zudecken. Meine Kinder sind Afro-Europäer, die hier aufwachsen und hier die afrikanische Seite nicht um sich haben. Aber diesen Teil von ihnen zu negieren und zu unterdrücken, würde bedeuten, ihn zu verleugnen. Damit macht man sie aber noch verwundbarer. Das wären ja dann ganz verlorene Kinder. Viele Kinder, die Eltern aus unterschiedlichen Kulturen haben, haben es schwer, ihren Platz zu finden. Aber eigentlich müsste man zwischen diesen beiden Polen spielen können. Sie sind weder das eine, noch das andere – aber das, was sie sind, hat eine unglaubliche Kraft. Wenn man diese Schwarz-Weiß-Mischung so auffasst, dass ein Teil stark und der andere Teil schwach ist, dann stimmt das nicht. Aus diesem Grund ist die positive Vorstellung wichtig, ist es wichtig, welche Bilder man vermittelt.

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