Die fröhliche Perspektivenlosigkeit

Wie oder was schreibt man über ein Stück, das schon mehrfach im Netz gut rezensiert wurde? Lässt man es fallen und denkt sich – nö, nachschreiben mag ich nich!
Oder stellt man sich der Herausforderung? Angesichts des fulminanten Theaterabends, den Oliver Kluck mit seinem Stück „Das Prinzip Meese“ dem Wiener Publikum im Schauspielhaus  bescherte, wäre es jedoch beinahe beleidigend, nicht doch noch seinen eigenen Senf dazuzugeben und dabei gleichzeitig für eine weitere Netzverbreitung zu sorgen.
Und verdient hat er es sich ja. Der Autor, Jahrgang 1980, der mittlerweile im deutschsprachigen Raum mehrfach für Furore sorgte. Und den Österreich offenbar ganz besonders liebt. Das Schauspielhaus in Graz hat ihn für die Spielzeit 2011/12 gleich für 3 Stücke verpflichtet, im Kasino am Schwarzenbergplatz des Burgtheaters gelangte erst im Dezember seine „Froschfotzenlederfabrik“ zur Uraufführung und nun holte sich auch das Theater in der Porzellangasse ein Werk, das mehrfach ausgezeichnet wurde.

Anika Baumann und Michael Kammerer zu Gast im Schauspielhaus Wien (Foto: (c) Thomas Aurin)

„Das Prinzip Meese“ ist alles andere als ein den Kulturbetrieb und seine Protagonisten kritisierendes oder erläuterndes Stück, wie man vielleicht fälschlicherweise dem Titel entnehmen könnte. Vielmehr bietet es ein Feuerwerk an sprachlichen Eskapaden, das auch das noch so langweiligste und anödendste Hartz-IV-Leben mit geistreichem Humor aufpeppt und so beinahe lustvoll erscheinen lässt. Anika Baumann und Michael Klammer spielen Anika und Michael – eine Frau und einen Mann – die ihrer Jugend entwachsen aber dennoch nicht erwachsen geworden sind. Sie treten nicht wirklich in einen Dialog, sondern erzählen das, was sie zu erzählen haben, direkt dem Publikum. Flapsig, rasant, witzig, aber auch berührend machen sie klar, dass ein Element in ihrem Leben dasselbe von Kindesbeinen an bestimmte: Das Fernsehen. Was als Ratespiel mit dem Publikum beginnt – eingeschlossen einer fulminaten Persiflage auf den Trailer der Serie Baywatch – endet herzergreifend mit der inniglichen Bitte Anikas an Michael, doch mit ihr zu spielen. Innerhalb weniger Augenblicke mutierte sie dafür zum Kleinkind, das angesichts des Fernsehkonsums ihrer Umwelt die direkte Ansprache vermisst und daran zu verkümmern droht. Das Funktionieren dieser Szene – wie auch vieler anderer – verdankt die Inszenierung aber nicht ausschließlich dem Text von Kluck, sondern in großem Maße der schauspielerischen Leistung von Baumann und Klammer und der Regie von Antú Romero Nunes. Ohne eine Leerlaufsekunde spielen die beiden, als ob sie um ihr Leben spielten. Und gerade in jenem Moment, in welchem ihnen der Autor die Verknüpfung ihres Schauspielerdaseins mit jenem des Publikums vorschreibt, beginnt die Qualität ein ganz klein wenig zu wackeln. Denn Michael Klammer kann sich noch so über eine rassistische Bemerkung seiner Partnerin erregen und dem Publikum drohen ob dessen Lachens die Bühne zu verlassen – ab nimmt ihm diese Drohung niemand. Der Text bleibt da brillant, wo er in der bewussten Repräsentanz des Theaters verweilt und wird kurioserweise dort glitschig, wo er versucht, damit zu brechen und das Publikum zu provozieren.

Gut gelungen sind hingegen die Austrizismen, egal ob sie sich auf Thomas Bernhard, Friederike Mayröcker oder die aktuellen Plakate der FPÖ beziehen. Darin geht es eben nicht um eine persönliche Befindlichkeit, die das p.t. Publikum gefälligst zu respektieren hat, sondern um eine mehr als berechtigte Anklage, die gegen eine von vielen geduldete xenophobe Stimmungsmacherei auftritt.

An dieser Stelle ginge es nunmehr darum, all jene Teile zusammenzufassen, die den Abend weiter rhythmisierten. Ich sollte wohl noch über die Lächerlichkeit einer Schulfaufführung berichten, die erst im Rückblick darauf so richtig zutage tritt oder Anikas Raserei, die vergeblich versucht, das träge Publikum zur Revolution aufzurufen. Ich sollte wohl über all jene Charaktere schreiben, die sich kurz vorstellten und die Aussichtslosigkeit ihrer Nicht-Karrieren skizzierten, die ihre unbezahlten Praktikumsstellen, ihre Gelegenheitsjobs oder ihren Hartz-IV-Bezug kurz thematisierten. Und ich sollte daraus vor allem eine Klammer machen. Eine Klammer, die das Stück letztendlich zusammenfasst, beschreibt und kategorisiert. Das aber würde wohl diesen Text ins Glitschige – wenn nicht gar ins Kitschige ziehen und der Intention Klucks entgegenarbeiten. Denn „Das Prinzip Meese“ lebt aus seinen vollkommenen Fragmenten, aus seinen Antworten, zu denen keine Fragen gestellt wurden und aus seiner beruhigenden Perspektivenlosigkeit. Es lebt von der Aneinanderreihung des geistreich-Banalen, und der Nichtinfragestellung des in der Realität ständig Infragezustellenden. Es lebt vom tiefsinnigen Klamauk und der ausgesprochenen Unaussprechlichkeit von Zuständen, die zumindest viele junge Kreative bereits als Alltag erleben. Perspektivenlosigkeit, die nur durch Humor und Übersprungshandlungen erträglich wird und durch rauschhaften Medienkonsum. Fazit: Brillant und banal zugleich – eine gelungene Zusammenfassung des Meese-Prinzips und ein weiterer pointierter Beitrag zum Generalthema des Schauspielhauses in dieser Spielzeit, in der man den zeitgenössischen Facetten der Arbeit nachspürt.

Zusatzempfehlung: Kluck im Auge behalten!

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