Diese Frau hat einen langen Atem!

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Nicole Mitchell (c) Mathieu Schoenahl


Am 28. Januar erlebte Straßburg eine Jazzpremiere der besonderen Art. Das aus den USA stammende Indigo Trio unter der Leitung von Nicole Mitchell hatte zum ersten Mal den Franzosen Michel Edelin zu einer Kooperation eingeladen. Nicole Mitchell, Komponistin und klassisch ausgebildete Flötistin, arbeitet seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Formationen im Jazzbereich. Im Indigo Trio performt sie mit dem Präzisionswunder Hamid Drake am Schlagzeug sowie dem Bassisten Harrison Bankhead, der bis in die kleinsten Fingerspitzen mit Musik vollgepumpt scheint. Mit dem Jazzflötisten Michel Edelin erarbeiteten sie gemeinsam ein Programm, dass vor Ort in Straßburg nicht nur zur Premiere gelangte, sondern auch auf CD eingespielt wurde.

Die Aufführung fand im Pôle-Sud statt, in welchem das Publikum einer unglaublich farbenreichen und zugleich parlierenden Musik zuhören konnte, die sicherlich niemandes Wünsche offenließ. Von Free-Jazz, über Ethno-Zitate und Easy-listening aber nicht easy-spielbar, bis hin zu pulsierend-verdichteten Rhythmen, die sich im Handumdrehen von einer ganz anderen Seite zeigten, cruisten die Vier durch das weitverzweigte Flussdelta ihrer meist eigenen Jazzkompositionen, ohne dabei auch nur einmal ins Schlingern zu gelangen. Mit Michel Edelin fand Nicole Mitchell einen kongenialen Widerpart. Jeder ließ dem anderen Zeit zur Entfaltung, beide brachten sich punktgenau in Duettpassagen ein – beinahe schon klassisch überhöht – jeder von ihnen machte klar, worin seine bzw. ihre eigene Stärke lag. Was Mitchell anlangt, so kann man sie unumwunden als Frau mit dem langen Atem bezeichnen. In ihrer eigenen Komposition „Wind current“, in welcher sie über dem Bassgrundgerüst ihre Stimme aufbaut, wurde dies mehr als deutlich. Alleine schon die Vorstellung, selbst mit so wenig Atemholen auskommen zu müssen, wie sie es während ihres Spieles vorexerzierte, ließ einen schwindlig werden. Zusätzlich unterstützt sie ihr Instrument gerne noch mit ihrer eigenen Stimme, bläst und singt zugleich einige Töne der Melodie mit, was dem Klang einen ganz neuen Ausdruck gibt. Voller und vor allem viel lebendiger klingt auf diese Weise ihre Musik, eröffnet neue Räume, lässt weiter hören, denken und fühlen.

Edelin hingegen brillierte vor allem in den raschen und fingerbrecherischen Partien, in welchen er mit dem Bass sich auf eine wilde Jagd einließ, so wie im Titel „Top secret“. Bei dessen Ankündigung meinte die sympathische Künstlerin lachend, dass es jetzt eigentlich kein Geheimnis mehr sei. Nach der wilden Fahrt im offenen Roller-coaster, bei dem einem der Wind frontal ins Gesicht blies, übernahm die zarte Frau im golddurchwirkten, eleganten, indisch inspirierten Gehrock die Führung und stimmte eine ganz andere Färbung an als die ihres Flötenpartners. Ätherische, flatternde Geschöpfe ließ sie vor den geistigen Augen auferstehen, um schließlich an Harrison Bankhead am Bass zu übergeben, der in seiner unglaublich virtuosen Spieltechnik das Geschehen, wie schon zu Anfang der Komposition, maßgeblich bestimmte. Mitchell zeigte hier nicht nur ihr solistisches, sondern vor allem ihr kompositorisches Können, das aufgrund der gut durchdachten Ausgewogenheit allen Interpreten genügend Platz zur Entfaltung bot.

In“ Flute and Drum“ – einem der Höhepunkte des Konzertes – zeigten die drei Musiker und Mitchell, welch hohes kreatives Potenzial in ihnen steckt. Die Gemeinschaftskomposition aller, bei der Hamid Drake auf einer großen Daf einen herrlichen dunklen und samtigen Teppich ausbreitete, entführte in einen dicht besiedelten Regenwald, bei dem einzelne kleine Regenschauer die Erde benetzten, bunte Kolibris aufgeschreckt wurden und Schmetterlinge die Lüfte belebten. Alles theoretische Gefasel wäre hier völlig fehl am Platze und könnte den sensibel aufgebauten Klangraum in keiner Weise wiedergeben. Musik, die derartige Bilder evoziert, sollte nicht theoretisch totgeschrieben werden. Was Hamid Drake vor allem auszeichnet, ist seine unglaubliche Bandbreite der Rhythmen, die er im Minutentakt abzuwechseln weiß und darüber hinaus sein unglaubliches Gespür für eine fein eingesetzte Dynamik, die sich niemals in den Vordergrund drängt, wenn es darum geht, zu unterstreichen, zu umspielen und auszuschmücken.

Ein Quartett aus hervorragenden Solisten, die noch dazu überaus großen Spaß am gemeinsamen Musizieren haben. Ein schöner Abend, von dem man sich Fortsetzungen wünscht und auch gespannt auf die Einspielung sein kann!

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