Alles auf die Bühne!

Alles auf die Bühne!

Elisabeth Ritonja

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13.

Januar 2015

Elisabeth Tambwe fordert ihr Publikum auf, hinter die Kulissen zu schauen. Sie möchte vorgefasste Meinungen im Kopf aufbrechen, eventuelles Schubladendenken zerstören und bietet den Menschen dabei die Möglichkeit, eine ganze Reihe an neuen Erfahrungen zu machen.

„Symposion“ von Elisabeth B. Tambwe wurde im Tanzquartier Wien uraufgeführt. Ein Lehrstück über vorgefasste Meinungen und versteckte Realitäten

Bei vielen Menschen aus dem Publikum herrscht erst einmal Irritation. Die Sitzreihen sind mit Bändern abgesperrt, der Weg führt nicht in einen bequemen Stuhl, in dem man sich zurücklehnt und abwartet, was passiert. Vielmehr findet man sich unversehens mitten auf der Bühne. Gemeinsam mit Bühnentechnikern, Adriana Cubides, Radek Hewelt und Elisabeth B. Tambwe.

Letztgenannte liebt es, das Geschehen rund um eine Tanzperformance zu hinterfragen, zu dekonstruieren und Erwartungshaltungen des Publikums zu brechen.

Wer nicht krampfhaft nach zusammenhängenden Inhalten sucht, wird belohnt

In ihrem neuesten Stück „Symposium“, das im Tanzquartier Wien uraufgeführt wurde, kommen all jene auf ihre Kosten, die sich rasch von vorgefassten Ideen im Kopf, was denn Tanztheater sei, befreien können. Eine Sensation folgt der nächsten, einen roten Faden vermisst nur der, der ihn krampfhaft zu suchen beginnt. Da bezaubert und verblüfft gleich zu Beginn die zarte Cubides mit einer furiosen Choreografie mit, auf und unter einer kleinen Stehleiter. Wie sie mit ihr verwächst, über die Bühne hoppelt, sich mithilfe eines T-Shirts an sie bindet, ist sehenswert. Gut, dass man nahe neben ihr stehen kann. Während sie an ihrer akrobatischen Einlage arbeitet, stopft sich Radek Hewelt eine Unmenge an Papier in sein Kostüm. Bald sieht er aus wie ein Muskelprotz, der sich ungeachtet einer Verletzungsgefahr wild in allen möglichen Positionen auf den Boden wirft. Tambwe ist damit beschäftigt, das Publikum zu platzieren und mit einzelnen ein kurzes Gespräch zu führen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist klar: Das was hier zu sehen ist und noch sein wird, hat nur bedingt mit den herkömmlichen Gesetzen eines Tanzabends zu tun. Elisabeth B. Tambwe, geboren im Kongo, aufgewachsen in Frankreich, lebt und arbeitet seit einigen Jahren in Wien. Mit Robyn Orlin oder Faustin Lyniekula, um nur zwei Bekannte aus der Tanzszene zu nennen, hat die resolute Tänzerin und Choreografin schon zusammengearbeitet. Auftritte in Frankreich, Belgien, Holland und Österreich hat sie bereits absolviert. In „Symposium“ zeigt sie zu Beginn eine Situation, in der das Ensemble für einen Auftritt eigentlich noch gar nicht bereit ist. Diese Situation hält durchgehend an. Zwar dürfen die Zusehenden nach einer Zeit doch auf den Stühlen Platz nehmen, das heißt aber nicht, dass sie dort auch in Ruhe gelassen werden.

Tambwe fordert von ihren Tänzerinnen und Tänzern Einsatz bis zur Verausgabung. Besonders in jener Szenerie, in welcher sie ihre eigene Profession kräftig aufs Korn nimmt. Schneller, schneller, intensiver, intensiver feuert sie die beiden Agierenden an und treibt sie von links nach rechts immer wieder und wieder über die Bühne. „Brich in Tränen aus“ verlangt sie von Hewelt, der nicht mehr als ein betroffenes Gesicht zu machen imstande ist. Dabei bekommt man einen Eindruck davon, wie sehr die Ausbeutung im Tanzbetrieb zur Realität geworden ist. Zählt man das klassische Ballett dazu, dann sollte man nicht vergessen, dass diese Ausbeutung immer ein Teil des Betriebes war. Tambwe macht jedoch sichtbar, was tunlichst kaschiert wird.

Tambwe, Tänzerin und Choreografin zwischen den Welten, kritisiert mit eindrucksvollen Bildern und Aktionen

Das gelingt ihr auch mit der Verteilung von Porno-Heften aus den 80er Jahren. In jedes einzelne hat sie zu den masturbierenden Protagonistinnen Sprechblasen montiert, auf denen eine Rede von Nicholas Sarkozy nachzulesen ist. Gehalten 2007 in Dakar, ist sie laut Tambwe genauso pervers, wie die Abbildungen in den Heften selbst. Shit zu shit sozusagen und tatsächlich stockt einem der Atem, beginnt man alleine schon die ersten Zeilen dieses unsäglichen Pamphlets zu lesen. Mehr Imperialismusgehabe, Kulturchauvinismus und westliche Überheblichkeit ist kaum möglich. Auf einer Leinwand verschlingt eine Boa Constrictor in unglaublicher Geschwindigkeit ein schwarzes Tier. Eine grauenhafte und einprägsame Metapher, die weit über diesen Abend im Kopf bleibt. Zeigen, was normalerweise versteckt wird, könnte man als ein Motto aus dem Abend filtern. Ob es das gemeinsame Betrachten von Pornoheften ist, wie es das Publikum tut, nachdem es diese ausgehändigt bekommen hat, ob es stilisierte Masturbationen sind oder ob es der kontinuierliche Aufbau eines Objektes ist, das erst ganz zum Schluss für wenige Minuten zum Einsatz kommt.

Die Zurschaustellung des Zustandes der Hoffnungslosigkeit und Desillusionierung, in die sich Hewelt vor einem Mikrofon begibt, oder der Schlussauftritt von Cubides, in welchem sie nackt hüpfend dem Publikum von ihren Erfahrungen in diesem Zustand berichtet – es sind immer Aktionen, die nicht nur unerwartet auftreten, sondern teilweise auch solche, die eine gehörige Portion Mut brauchen, um sie darzustellen. Oder auch eine gehörige Portion Kreativität. Das lässt sich ganz einfach mit der Frage an sich selbst verifizieren, wie man selbst denn Hoffnungslosigkeit dargestellt hätte. Nicolâs Spencer, Spezialist im Bauen von „komplizierten, ungewöhnlichen und unpraktischen Maschinen“, wie man aus dem Programmheft entnehmen kann, schuf während des Abends ständig sichtbar, eine große, aus verschiedenen Holzbalken zusammenmontierte Skulptur. Darin wurden alle möglichen Versatzstücke aus den verschiedenen Szenerien mit verwoben, ein sichtbares Amalgam, das vergängliche Bewegung und Aktion konserviert.

Elisabeth Tambwe fordert ihr Publikum auf, hinter die Kulissen zu schauen. Sie möchte vorgefasste Meinungen im Kopf aufbrechen, eventuelles Schubladendenken zerstören und bietet den Menschen dabei die Möglichkeit, eine ganze Reihe an neuen Erfahrungen zu machen. DenTransfer außerhalb des Kulturbetriebes – die Möglichkeit, Menschen ohne Ressentiments und unvoreingenommen zu begegnen – muss letztendlich jede und jeder für sich selbst bewältigen.

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