Ein schlafender Gott ist so gut wie ein toter

„Geronnene Interessenslage“ von Clemens Mädge am Schauspielhaus in Wien

Drei Figuren – zwei Frauen und ein Mann – begeben sich, eine nach der anderen, langsam hinter einen großen Neonlichtrahmen. Unter ihren Sakkos und Röcken stecken sie in schwarzen Ganzkörperanzügen, die auch ihre Gesichter bedecken. Davor nimmt ein Mann in gebückter Haltung mit herabhängenden Armen Aufstellung. An der Wand taucht der Schatten eines überdimensionalen Sensenmannes auf. Der Tod trägt im Stück „Geronnene Interessenslage“ von Clemens Mädge allerdings den Namen Anna. Zugleich ist er/sie die Frau von Otto und Otto ist Gott. Der befindet sich allerdings in einem Dauerschlaf. Selbst zwar nie sichtbar, sind seine sägend-knarzenden Schnarchgeräusche jedoch ab und zu hörbar. Welchen Einfluss hat aber Gott auf unser Leben, wenn er nichts anderes tut, als nach der Erschaffung dieser Welt eben diese sein zu lassen und den Rest der Arbeit auf seine Frau abzuwälzen?

Der 1983 in Lüneburg geborene Dramatiker, der mit diesem Stück das Hans-Gratzer-Stipendium am Schauspielhaus gewann, geht dieser Frage nicht wirklich nach. Vielmehr bemüht er nach dem Intro mit seiner Gottesschlafidee vor allem Nietzsches Nihilismus. Seine Figuren, zu Beginn durch die Kostüme völlig entpersonalisiert, drehen sich im Laufe der Vorstellung in ihren eigenen Gedankengebäuden beständig im Kreis. Die völlige Absenz von Liebe und die Durchdrungenheit der Gestalten von absoluter Sinnlosigkeit bestimmen den Abend von Anfang bis zum Schluss. Ein schlafender Gott ist so gut wie ein toter.

Tolle schauspielerische Leistungen

In der Regie von Robert Borgmann, der auch für die exzellente Ausstattung zuständig ist, bilden Myriam Schröder als versoffene Popmusikerin Gratsche und Nicola Kirsch als Grundschullehrerin Matuschka einen wunderbaren Widerpart. Beinahe immer zugedröhnt die eine, ständig auf der Suche nach einem besseren Leben die andere, gelingt es dennoch keiner, aus ihrer tristen Lebenssituation auszubrechen. Genau werden ihre Situationen nicht umschrieben, außer dass man von Gratsche weiß, dass sie sich jeden Abend fallen lässt, um von einem anderen Mann aufgehoben zu werden. Aus Matuschka dagegen bricht nach ihrem anfänglich zur Schau getragenen Lebenswillen plötzlich die Selbstpeinigung hervor. Ein Entschuldigungsschwall gegen alle hält so lange an, bis sie letzten Endes mundtot gemacht wird.

Steffen Höld spielt Ewgenij Goldwasser, einen pensionierten Literaturprofessor, der nur mehr marionettengleich und gramgebückt unter der Last seines Wissens dahinvegetiert und das Geschehen rund um ihn aus seiner Sicht kommentiert. Gideon Maoz ist sein viriler Gegenspieler namens Paul. Darin schlüpft er in unterschiedliche Kostüme – ganz „situationselastisch“ könnte man einen amtierenden österreichischen Minister zitieren und sorgt schauspielerisch exzellent für die an diesem Abend selten gestreuten Lacher. 

Mit Margarethe Tiesel holte sich das Haus eine bereits international bekannte Schauspielerin als Gottes Frau Anna auf die Bühne. In Ulrich Seidls Kinofilm Paradies: Liebe verkörperte sie die Hauptrolle Teresa, schaffte damit ihren Durchbruch im Film und wurde bei der Vergabe des Österreichischen Filmpreises 2013 als beste Schauspielerin geehrt. In ihrer Rolle am Schauspielhaus glänzt sie durch ihre starke, wenngleich altersgebrechliche Präsenz. Ganz zu Beginn ist es ihre Klage an Gott „so viel Mühe, so viel Arbeit – Otto was haben wir uns nur dabei gedacht?“, die gleich einem Epilog in das Geschehen einleitet. Mit wirren grauen Haaren, einem schlurfenden Gang und ihrer weißen Schminke mit blutrotem Joker-Mund ist sie schließlich nicht einmal mehr in der Lage, ihre eigene Bestimmung der Lebenserlösung auszuüben. Selbst Gottes Prophezeiung von der Lebenszeit der Menschen muss sie desillusioniert als falsch anerkennen.

Die Schwärze und Leere der Bühne spiegelt die seelischen Zustände

Auf der Bühne stellt Robert Borgmann ein großes Neonquadrat als Sinnbild einer rational ausgerichteten Welt einem großen Neonkreuz gegenüber. Die rechte Bühnenhälfte wird teilweise durch einen roten Samtvorhang abgetrennt. Nichts Lebendiges lenkt von der schwarzen Tristesse ab. Der zweite Teil des roten Vorganges liegt wie unachtsam hingeworfen am Boden und markiert zu Beginn durch eine geschickte Lichttechnik Gott, sowie später Matuschkas Leichentuch.

Clemens Mädge ist kein Erzähler. Er stattet seine Figuren nicht mit der Möglichkeit aus, sich im Laufe des Abends psychologisch zu entwickeln. Vielmehr präsentiert er in seinem Stück einen erbärmlichen Istzustand dieser Welt, den seine Protagonisten und Protagonistinnen verkörpern. Auch der Zufall trägt nicht zur Erheiterung und Lebensverschönerung bei. Vielmehr kracht er – zuerst in Zeitlupe, schließlich aber unter Getöse – in Form eines riesigen schwarzen Paketes, das zuvor bühnenmittig auf einer Palette abgestellt und im Laufe des Abends unter die Decke hochgezogen wurde, todbringend auf Herrn Goldwasser herab. Der Autor setzt dem Publikum eine Gesellschaft vor, die, enthoben jeder Zeit und jedes Ortes, diese Welt nur als Zumutung empfindet. Als eine Zwischenstation, die Mädge mit Worten von Bertold Brecht aus den Buckower Elegien beschreibt: „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.“ Ein sperriges Stück, das wenige Zwischentöne zulässt und den Eindruck hinterlässt, als ob man sich in einem neuen Aufguss einer nihilistischen Theaterlehrstunde befände. Was bleibt, sind tolle schauspielerische Leistungen und eine Regie, die herausholt, was herauszuholen ist, wenngleich einige Längen vor allem in der ersten Hälfte des Abends die Lust der Teilhabe etwas mindern.

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