Je besser der Leser, umso besser ist das Buch!
24. Mai 2014
Anlässlich der Aufführung von „Drei Mal Verstand zu verkaufen“ im Hundsturm in der Reihe „Die Besten aus dem Osten“ des Volkstheaters trat Andrea Grill mit einer kurzen Einführung in das Stück vor das Publikum. Ermächtigt dazu war sie aufgrund der Übersetzung des Textes vom Albanischen ins Deutsche. Anlass genug, um sich mit der vielseitig Begabten, […]
Michaela Preiner
Portraitfoto der Schriftstellerin Andrea Grill aus Wien im Winter
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Anlässlich der Aufführung von „Drei Mal Verstand zu verkaufen“ im Hundsturm in der Reihe „Die Besten aus dem Osten“ des Volkstheaters trat Andrea Grill mit einer kurzen Einführung in das Stück vor das Publikum. Ermächtigt dazu war sie aufgrund der Übersetzung des Textes vom Albanischen ins Deutsche. Anlass genug, um sich mit der vielseitig Begabten, die auch als promovierte Biologin arbeitet, zu treffen und Fragen zu ihrem Albanienbezug aber auch ihrer Arbeit als Autorin zu stellen.

Schön, dass es uns gelungen ist, zwischen ihren vielen Reisen einen Termin für dieses Gespräch zu finden.

Ich nehme mir immer vor weniger unterwegs zu sein, aber das gelingt mir leider doch selten.

Sie treten als Biologin, Übersetzerin und Autorin in unterschiedlichen Arbeitsdisziplinen an. Wo liegt denn eigentlich Ihr Hauptinteresse?

Eindeutig beim Schreiben. Und das war auch schon immer so. Ich habe schon als Kind geschrieben.  Allerdings würde mir die Biologie fehlen, wenn ich sie nicht hätte. Freiwillig würde ich mich davon nicht trennen. Die Arbeitsverhältnisse sind dort aber genauso prekär wie in der Kunst. Ich habe immer Forschungsprojekte gehabt und muss immer wieder neue Projekte einreichen, wenn ich weiter forschen will. Allerdings habe ich das Gefühl, in der Wissenschaft wird objektiver beurteilt als z.B. bei Literaturpreisen oder -stipendien. Und man bekommt die Projekte für eine längere Zeit.

Ich habe Sie zum ersten Mal anlässlich der Aufführung des Stückes „Tri mendje ne ankand“ des albanischen Autors Ferdinand Hysi kennengelernt. Dabei erzählten Sie, dass es nur ungefähr 8 Millionen Menschen gibt, die Albanisch sprechen. Wie kamen Sie dazu, vom Albanischen ins Deutsche zu übersetzen?

Das war eigentlich ein Zufall. Ich habe mit 16 Jahren angefangen, Albanisch zu lernen. Ich hatte Freunde, die als Flüchtlinge nach Österreich gekommen waren. Als Schülerin durfte ich dann mit ihnen in den Ferien nach Albanien mitfahren. Das war sehr aufregend für mich. Die Öffnung von Albanien war noch nicht lange her, vom Land wusste man wenig. Mein Vater besaß allerdings ein Buch darüber. Das erweckte in mir eine Neugier und Faszination. Ich hatte außerdem immer schon ein Faible für den Mittelmeerraum. Ich bin im Salzkammergut aufgewachsen, und dachte mir als Kind immer, woanders müsse es sicher besser sein, wärmer, interessanter, freundlicher, fröhlicher. Die Reise nach Albanien war dann ein einschneidendes Erlebnis für mich. Es war zu Beginn der 90er Jahre und ich hatte das Gefühl, etwas bewegen zu können, gemeinsam mit allen jungen Albanern, die sich nach der Diktatur ein besseres Leben wünschten – 17 war ja ein ideales Alter dafür. Heute gehört diese Erfahrung zu meinem Leben, ich wüsste nicht, wie sich das ohne diese Reise entwickelt hätte. In Albanien machte ich auch meine ersten Bekanntschaften mit Schriftstellern. Leute, die ich heute übersetze, mit denen bin ich „aufgewachsen“. Wie z.B. Albana Shala. Ich habe einen Lyrikband von ihr ins Holländische übersetzt. Wir hatten uns gut angefreundet, sie zog dann nach Holland, und als ich für meine Doktorarbeit auch dorthin zog, hat sich die Freundschaft vertieft.

Es gibt in Österreich wahrscheinlich wenige, die Literatur aus dem Albanischen ins Deutsche übersetzen?

Ja, das stimmt. Ich habe einiges fürs Volkstheater übersetzt. Grundsätzlich übersetzte ich nur dann, wenn die Stücke tatsächlich aufgeführt werden. In Albanien gibt es mittlerweile viele Menschen, die schreiben und die übersetzt werden wollen. Ich mache das aber nur, wenn die Übersetzung auch wirklich veröffentlicht wird oder das Stück aufgeführt.

Gibt es etwas, das Sie gerne übersetzen würden und bisher – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht übersetzen konnten?

Ja, es gibt den Autor Visar Zhiti, den möchte ich sehr gerne übersetzen, allerdings findet sich bis jetzt leider kein Verlag. Er wird als Prototyp eines albanischen Gefängnisliteraten angesehen, was aber nur teilweise stimmt. Er verwendet aber diese Typisierung auch selbst als Strategie. Ich finde, dass das seinem Werk in gewisser Hinsicht etwas wegnimmt. Ingeborg Bachmann wird auch immer in der Opferrolle gegenüber ihrer Männern gesehen. Das finde ich schade, denn das war ja nur ein kleiner Teil von ihr. Visar ist ein hochbegabter Lyriker, der einen schönen Roman geschrieben hat.

Ich habe selbst vor erst kurzer Zeit bei einer Ausstellungseröffnung im Nationalmuseum in Tirana erlebt, dass die Künstler dort besonders aufmerksam jedes einzelne Bild eines jungen Künstlers betrachteten und mit ihm dann darüber sprachen. So, als wäre die dort gezeigte Abstraktion für sie noch überhaupt nicht gang und gäbe. Ist die albanische Literatur nach Ihrer Einschätzung schon im Hier und Jetzt des westlichen Literaturbetriebes angekommen?

In irgendeiner Art und Weise ist Albanien tatsächlich hängen geblieben. Warum das so ist, weiß ich nicht. Die von Ihnen beschriebene Begeisterung ist auch in der Literatur da. Einer meiner Romane, Tränenlachen, wurde ins Albanische übersetzt, und als er in Tirana präsentiert wurde, hat das unglaubliches Aufsehen erregt. Das Fernsehen war da und das Buch war zwei Tage lang in aller Munde. Bei uns schert das niemanden, wenn ein neuer Roman erscheint. Dort aber kamen alle bekannten Schriftsteller zur Präsentation. Wobei man sagen muss, dass es in Albanien tatsächlich nur wenige Schriftsteller gibt, die vom Schreiben leben. Die meisten haben auch einen zweiten Beruf. Vielleicht ist deshalb die Leidenschaft fürs Literarische, für Lesungen, umso größer.
Manche leben auch vom Geld ihrer Kinder, die das aus dem Ausland schicken.

Ist es für Sie beim Übersetzen hilfreich, dass Sie selbst literarisch tätig sind?

Ja, auf alle Fälle. Man lernt dabei auch viel fürs eigene Schreiben. Der Inhalt beim Übersetzen ist ja schon da. Man könnte das mit dem Klettern vergleichen, wo die Griffe bei den viel begangenen Routen ja auch schon vorhanden sind. Da geht es dann darum, wie gut man diese nutzt, wie sportlich man an die Sache herangeht. Beim eigenen Schreiben muss man auch noch den eigenen Berg erfinden.

Sind bei Ihnen Lyrik und Prosa gleichberechtigt oder gibt es Präferenzen?

Eigentlich sind sie gleichberechtigt. Früher habe ich mich gar nicht so damit beschäftigt, welche literarische Form ich verwenden möchte. Ich achte beim Schreiben selbst nicht wirklich auf die Form, das Erzählen steht im Vordergrund. Wobei ich gleichzeitig hinzufügen möchte, dass Inhalt und Form ganz untrennbar miteinander verbunden sind. Man zieht ja auch zum Schifahren einen Schianzug an und keinen Bikini.

Sie haben einige Theaterstücke übersetzt. Schreiben Sie selbst auch welche?

Ich habe erst letztes Jahr eines geschrieben. Das wird heuer am 14. Juni in der Montessorischule in Grödig in Salzburg von einer Theatergruppe aufgeführt. Darin geht es um einen jungen Wissenschafter, der einen part-time-Job hat.

Steht da Autobiographisches dahinter?

Nein, nicht wirklich, er ist auch ein ganz anderer Typ als ich. Es spielt aber in einem Milieu, das normalerweise im Theater nicht vorkommt. Ich habe das Stück auch schon großen Bühnen angeboten aber ganz unterschiedliche Gründe kommuniziert bekommen, warum es nicht aufzuführen ist. Der eine war, dass die Leute das nicht sehen wollten, der andere, dass zu viele Personen daran beteiligt seien, wieder andere erklärten mir, es seien zu wenig Personen. Es gibt immer Gründe, um abzusagen. Für die Schulaufführung habe ich ein paar Sachen vom Urtext geändert. Da wollten viele Leute mitspielen also hab ich noch einige Sätze zum Ursprungstext dazugeschrieben, den Text in gewisser Weise für die Schüler adaptiert. Jetzt hat ein Verlag Interesse, es als Buch herauszubringen. Da wird es wieder ein bisschen geändert werden. Ich habe früher schon einmal ein Hörspiel geschrieben. Jetzt wollte ich einmal ein Theaterstück versuchen. Da ist die Schule für mich so etwas wie ein Versuchsfeld. um auszuprobieren, wie es funktioniert.

Wie kann man sich eigentlich einen Arbeitstag von Ihnen vorstellen?

Ich arbeite an einem Tag oft an mehreren Dingen. Mit der Zeit hat sich herauskristallisiert, dass meine produktivsten Zeiten zwischen 10 und 2 Uhr sowohl am Vormittag als auch in der Nacht sind. Es ist ja bekannt, dass viele Autoren in der Nacht schreiben, nicht nur, weil es da so schön ruhig ist. Man hat nicht das Gefühl, etwas zu versäumen.

Welche Themen sind Ihnen beim Schreiben wichtig, was möchten Sie gerne unbedingt kommunizieren?

Die Themen kommen aus der eigenen Lebensgeschichte. Ein Grundthema ist das Überwinden von Grenzen oder: wie beeinflusst einen der Ort an dem man geboren ist? Man wünscht sich als Künstler und als Mensch, dass jeder frei ist. Aber das ist nicht so. Das hängt nur mit Glück und Zufall zusammen. Ich suche immer danach, wie das denn gehen könnte, frei zu sein. Eines der konkreten Probleme sind die Nationalstaaten. Meine Generation hat den Fall des Eisernen Vorhanges erlebt. Deswegen bin ich der Meinung, dass uns dieses Thema interessieren sollte. Ein anderes Thema ist, wie Menschen miteinander umgehen. Eigentlich möchten sich Menschen so gerne verstehen. Aber trotz unserer komplexen Sprache und obwohl wir den ganzen Tag reden funktioniert das oft nicht. Ich habe in meinen Texten oft Tiere und sogar Pflanzen als Protagonisten, Wesen, die nicht reden können.

Das hängt mit Ihren Erfahrungen als Biologin zusammen.

Ja, da überschneiden sich meine Interessen. Die Literatur ist ebenfalls eine Möglichkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse auszudrücken oder über sie nachzudenken. Die technischen Entwicklungen in der Biologie gehen so rasant, dass ich sogar als Wissenschafterin Mühe habe, mit den neuesten Erkenntnissen Schritt zu halten. Die Suche nach der Wahrheit, die in der Forschung oben anstehen sollte, ist oft gar nicht mehr möglich. Heute muss für jedes Projekt vorrangig Geld eingetrieben werden und Geldeintreiben und die Suche nach Wahrheit widersprechen sich eigentlich.

Gibt es etwas, das sie gefragt werden wollen oder etwas, das sie noch nie gefragt wurden?

Das ist eine gute Frage – komisch, dass ich darauf nicht sofort eine Antwort habe. Doch, Musik vielleicht! Ich liebe Musik, in den letzten Jahren vor allem klassische. Die Klaviertrios von Haydn beispielsweise die ich sehr häufig höre.

Können Sie beim Schreiben auch Musik hören?

Ja, wenn ich die Musik schon kenne, wie eben die genannten Klaviertrios. Mit neun CDs kommt man eigentlich gut durch den Tag. Ich könnte keine Opern oder etwas Aufwühlendes hören. Haydn kenne ich gut, der versetzt mich in eine angenehme Stimmung.

Gibt es eigentlich Momente, in denen Sie nicht schreiben können?

Wenn ich mit Leuten zusammen bin. Das finde ich übrigens schade.

Ist ihr Schreibprozess ein fließender oder eher ein oftmalig korrigierender?

Ich korrigiere sehr häufig, schreibe selten etwas in einem Zug herunter. Beim Korrigieren geht es dann besonders um die Form. Bei meinen ersten Skizzen bin ich damit beschäftigt herauszufinden, was ich überhaupt schreiben will. Für mich bedeutet Schreiben zugleich Nachdenken. Ich kann mich nicht einfach hinsetzen und „nur nachdenken“. Ich weiß zu Beginn nicht, wie sich ein Roman entwickeln wird. Ich habe eigentlich nur ein Grundthema und kenne die Atmosphäre, in der die Geschichte beginnt. Ich glaube, ich hätte gar keine Lust mehr zu schreiben, wenn ich schon von Beginn an wissen würde, wie das alles ausgeht.

Ist Schreiben bei Ihnen so etwas wie eine Entdeckungsreise im eigenen Kopf?

Ja. Das Ergebnis ist im besten Sinn manches Mal überraschend. Ich bin mir auch nicht sicher, woher die Einfälle wirklich kommen. Beim Analysieren komme ich mir dann wie ein Fremder gegenüber dem eigenen Text vor. Bei manchem verstehe ich, wie ich darauf kam. Anderes hat wieder etwas Unerklärliches, fast Metaphysisches. Auf alle Fälle ist das, was ich schreibe, gescheiter als das, was ich rede. Diese Erfahrung habe ich auch im Gespräch mit anderen Schriftstellern gemacht. Wenn ich jemanden treffe, dessen Werk ich richtig verehre, kommt es oft vor, dass wir uns dann im direkten Gespräch wenig zu sagen haben, auch wenn ich ihre Bücher so liebe.

Gibt es für Sie so etwas wie den idealen Leser, die ideale Leserin?

Es ist ja so, dass sich der Leser ins Buch miteinbringt. Das habe ich z.B. auch bei Borges gelesen. Man soll den Leser nicht unterschätzen. Je besser der Leser, umso besser ist das Buch! Vielleicht wird es in Zukunft sogar so sein, dass man sich um den Leser reißt. Das wäre ein Science-fiction-Stoff. Ich höre oft: „Um Gottes willen, wer soll denn das alles lesen?“ Vor allem auch von Literaturprofis.

Gibt es ein literarisches Zukunftsprojekt?

Ja, es ist ein Roman, an dem ich seit Jahren schreibe. Ich möchte im Laufe dieses Jahres damit fertig werden. In diesem Roman mache ich erstmals das, was jeder von mir erwartet. Ich verarbeite darin das, was ich als Biologin weiß.

Bevorzugen Sie selbst eines Ihrer bisher veröffentlichten Bücher?

Ja, meinen letzten Lyrikband, „Safari, innere Wildnis“. Er ist momentan das wichtigste Buch für mich.

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