Keine Angst vor Kitsch
18. April 2015
Simon Mayer erzählt über seine Motivation, das Thema Heimat und Volkstanz neu zu bearbeiten. Vor allem die "heilende" Wirkung empfindet er als wichtigen Aspekt des Volkstanzes.
Michaela Preiner
Simon Mayer zum Interview bei European Cultural News
Foto: ()

Interview mit Simon Mayer nach seinem Auftritt im Brut mit „Sons of Sissy“

Wart ihr überrascht, dass das neue Stück beim Publikum so gut angekommen ist?

Es hat einen Tag vor der Premiere einen Moment gegeben, da hab ich gewusst: Jetzt wird`s. Dass wir dann bei der Premiere 6 Mal für den Applaus rauskommen mussten, damit hab ich nicht gerechnet.

Es sind ja nicht alle, die mitgemacht haben, ausgebildete Tänzer.

Nein, Matteo Haitzmann ist Volksmusiker, macht auch Experimentelles und studiert seit diesem Jahr an der Bildenden „Performancekunst“. Mit Patrick Redl und Manuel Wagner war ich schon in der Ballettschule beim Staatsopernballett. Sie sind beide, wie ich auch, Musikanten. Wir unterscheiden aber mittlerweile klar zwischen den professionellen Musikern, die das auch studiert haben, und uns Musikanten.

Was war der Ausgangspunkt für die Produktion?

Das, was wir als Basismaterial hernehmen, ist nichts Volkstümliches, sondern es ist Volkstanz und Volksmusik. Für Mattheo käme es einer Rufschädigung gleich wenn man sagen würde, dass er volkstümliche Musik macht. Das ist ja etwas anderes.

Im Stück kam viel von der Instrumentalisierung der Volksmusik und des Volkstanzes durch die Nazis durch.

Ja, das stimmt, das war auch unsere Intention. Als Werkzeug, damit die Transformation zustande kommt vom Basismaterial über das kurzfristige Entfremden und dann Lösen von dem Altballast, nehme ich das Ritual her. Gewisse energetische oder spirituelle Werkzeuge, um dies auf einer tieferen Ebene zu lösen. Es ist vergleichbar mit einer Person, die zum Energetiker geht. In dem Fall tragen wir den Volkstanz quasi zum Energetiker und bringen das Anliegen vor: „Ich bin der Volkstanz oder die Volksmusik, kannst du mir nicht helfen, mit ein paar Prozessen einiges zu lösen? Etwas lösen, was ich in der Vergangenheit an Traumen durchgemacht habe.“ Es gibt im Volkstanz und in der Volksmusik so viele schöne Elemente, die den Leuten so viel Freude machen und auch heilend sind. Je mehr man in die Geschichte des Volkstanzes zurückgeht, umso mehr kommt von der rituellen Idee und der heilsamen Aspekte zum Vorschein.

Wolltet ihr durch das Stück den Volkstanz in einen anderen Status überführen?

 (Foto: Anna Hein)

(Foto: Anna Hein)

Ja, aber wir sind im Moment noch nicht ganz dort. Wir sind noch am Austesten, auf der Bühne haben wir noch nicht die Freiheit, die wir dazu auch brauchen. Jetzt schauen wir zum Beispiel gerade darauf, welches Publikum lacht wann. In Wien lacht man mehr, in Zürich zum Beispiel weniger. Jetzt war einmal Premiere, Zürich, Mannheim und Dornbirn folgen schon fix.

Das Thema ist ja eines, das auf den deutschsprachigen Raum zutrifft. Würde das auch in anderen Ländern vom Verstehen her funktionieren?

Mittlerweile weiß ich, dass es auch dort funktioniert. SunBengSitting, das Stück davor, in dem es um eine ähnliche Thematik geht, war schon in Europa auf Tournee. Ich hab total gute und interessante Reaktionen darauf gehabt. Egal ob in Norwegen, Deutschland oder Slowenien. Überall gibt es Bilder, die die Leute im Kopf haben. Auch wenn es nur die Referenz von „sound of music“ ist. Je nachdem mit welcher Referenz man an das Stück geht, liest man es anders. Mit „sound of music“ liest man es anders als wenn man sagen kann: Ja, ich kenne die ganze Nazivergangenheit. Aber auch „sound of music“ gehört einmal aufgelöst. Ich habe den Film jetzt vor ein paar Wochen einmal gesehen und mir gedacht: Ja, eigentlich ist das eine ähnliche Transformation. Auch da ist die Nazigeschichte drinnen und es ist Kitsch. Aber ich denke mir: Keine Angst vor Kitsch!

Was ist deine Hauptmotivation, dass du immer wieder auf das Thema Heimat und Volkstanz und Volksmusik zurückkommst?

Antwort hier hören:

 

Ihr werdet dann in einigen Passagen auch frei, geht weg vom herkömmlichen Formenkanon.

Ja, das mag vielleicht auch aussehen als würden wir uns über den Volkstanz lustig machen. Aber das macht der Volkstanz an sich ja auch schon. In der Volkstanzgruppe erfinden wir immer wieder neue Formen in denen wir uns auch über andere Tänze lustig machen. Interessant ist ja auch, dass es Elemente gibt wie zum Beispiel einen Sprung, den hab ich bei Ultima Vez gesehen. Und dann komm ich in die Volkstanzgruppe und dort machen die den gleichen Sprung. Das finde ich sehr interessant. Ich höre auch immer wieder, dass wir uns über Volkstanz lustig machen würden, aber nicht von den Kollegen aus der Volkstanzgruppe selbst. Als sie bei der letzten Produktion zugeschaut haben, haben sie gesagt: Wow, so haben wir das ja eigentlich noch gar nie gesehen. Und das freut mich total, denn das ist genau das, was ich will. Etwas von einer anderen Perspektive aus auch zu hinterfragen. Viele von ihnen wissen auch gar nicht, dass das auch mit der Nazivergangenheit was zu tun hat.

Ist die Zeit für eine Aufarbeitung ideal oder notwendig?

Ja, mir kommt vor, dass nun endlich einmal der Abstand zu der Zeit da ist. Es kommen viele junge Volksmusikgruppen die schöne Musik machen und das nicht mit allem möglichem anderen vermischen. Genauso ist es mit dem Volkstanzen. Das interessiert wieder mehr Leute. Es gibt einen „organic dancefloor“ in Wien, die solche Sachen machen. Die jüngere Generation kann das jetzt aus einem anderen Blickwinkel sehen. Es so nehmen, wie es vielleicht ursprünglich auch gemeint war. Dass es aus einer gewissen Lebensfreude heraus gemacht wird. Für mich hat es auf einer tieferen Ebene auch eine total heilsame Wirkung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vieles vom Tanz niedergeschrieben und die Leute haben das dann gelernt. Das wird dann irgendwann einmal problematisch, weil es dann nur mehr um die Form geht. Dann gibt es auf einmal Schuhplattelwettbewerbe, die nennen sich dann sogar Gaupreisplatteln.

Wie definierst du den Begriff von Heimat?

Im Sinne von zu sich selbst kommen, aber eher ritual- und meditationsbezogen. Grad wenn man viel unterwegs ist, muss man die Heimat in sich finden und nicht woanders.

Simon Mayer tanzt SunBengSitting

Simon Mayer „SunBengSitting“ (Foto: Anna Hein)

Das Thema des Nackt-Tanzens beschäftigt dich ja auch immer.

Ja, vor allem dann, wenn es um Uniformität geht. Einerseits sind wir dabei uniform und gehen in etwas Militärisches hinein, andererseits sind vier nackte Körper auch wieder individuell. Jeder hat seinen eigenen Körperbau, seine eigene Physis. Es ist nicht nur das Befreien von den Trachten und der Altlast, sondern auch das Befreien von gewissen Bildern, die man um das Thema hat.

Gibt es schon Pläne für ein neues Stück?

Ja, ich möchte gern mit dem Material aus SunBengSitting und Sons of Sissy etwas für viele Leute machen. Für eine große Gruppe. Eine Art Volkstanzmassenritual. Und dann gibt es noch Ideen, aber nichts Konkretes für ein- oder zwei Bühnenstücke.

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