Martin Kippenberger dankt der Putzfrau

In den letzten beiden Tagen verbreitete sich eine kurze Nachricht wie ein Lauffeuer in die Print- und Onlineredaktionen dieser Welt, obwohl die Nachricht aus dem Bereich Kultur stammte: Putzfrau scheuert Kunstwerk weg!

Hinter dieser Schlagzeile steht die übereifrige Aktion einer Putzfrau im Ostwall Museum in Dortmund. Dort hat sie Kalkflecken in einer Plastikwanne, die sich unter einem Holzgestell, das mitten im Ausstellungsraum aufgestellt war, einfach weggeputzt. Schmutz im Museum – wo gibt´s denn so was! Das Ungute daran war nur, dass es sich dabei um ein Kunstwerk von Martin Kippenberger gehandelt hatte. Eine Installation im Raum, die genauso, wie sie dort stand, vom Künstler einst konzipiert worden war.

Der Vorfall wird landauf, landab, wie eine kuriose Anekdote gehandelt, die schenkelklopfend weiter erzählt wird und sich wie bei der stillen Post m Lauffeuer verbreitet. Ob im Büro in der Kaffeepause, beim Stammtisch am Abend oder – hier passt sich das Umfeld sogar dem Sujet an  – während, vor oder nach Ausstellungseröffnungen. Martin Kippenbergers Werk „Wenn´s anfängt durch die Decke zu tropfen“ sorgt so völlig unbeabsichtigt global für Furore. Oder doch nicht völlig unbeabsichtigt? Kippenbergers Ursprungsintention kommt der Aktion sicherlich sehr, sehr nahe, denn viele Werke in seinem Schaffen waren darauf angelegt zu provozieren. Provozieren im Sinne der Hinterfragung von Kunst, deren Rezeption und Wert, deren Originalität und deren Absolution durch den Künstler selbst.

Wenn ich mir – gestatten Sie mir diesen Ausflug ganz kurz – eine ideale Gesellschaft vorstelle, dann bedürfte es keiner Argumente und keiner Gegenbeispiele, wenn es darum geht, die Kunst, Künstlerinnen und Künstler zu verteidigen. Denn in dieser, meiner idealen Gesellschaft besäßen die Menschen einfach weniger Neid und Hass, weniger Kurzsichtigkeit und weniger Prinzipientreue, weniger Anhänglichkeit an die gute alte Zeit, in der alles viel besser war. In dieser friedvollen Umgebung  hätten die Menschen mehr Bereitschaft aufeinander zuzugehen, gegenseitig Meinungen auszutauschen, mehr zu fragen und über Antworten auch nachzudenken – mit anderen und viel kürzeren Worten: In meiner Idealwelt wären die Menschen offener und toleranter Andersdenkenden gegenüber.

Allerdings wäre in einer solchen Gesellschaft dieser Artikel gar nicht notwendig. In dieser sozialen Struktur, die getragen ist von Freude am Erfolg der anderen und nicht an deren Misserfolg hätte es gar keinen Sinn gehabt, die unglückliche Putzfrau an die Weltöffentlichkeit zu zerren. Dann wäre ihr Missgeschick eines von abertausenden, das jeden Tag im Zuge von Reinigungsarbeiten vorkommt und damit nicht eines einzigen müden Wortes wert.

Da es diese Idealgesellschaft aber niemals gab und auch niemals geben wird, sind Artikel wie dieser hier notwendig – nicht um einen Graben zu jenen zu bauen, die anders denken als ich. Sondern viel mehr, um aufzuzeigen, dass man diesen Graben getrost zuschütten kann, denn er ist eine Stolperfalle für das alltägliche Miteinander, das auch ganz ohne Parteinahme für oder gegen Kunst nur durch eine große Portion Toleranz möglich ist.

Replik von Duchamps Fountain

Replik von Duchamps Fountain im Musée Maillol, Paris - Foto: (c) Micha L. Rieser

Kehren wir wieder zurück zu Kippenbergers Kunstzugang, der die Provokation nicht ausschloss. Mit dieser bewussten sozialen  Attitüde stand Kippenberger ja bei Weitem nicht am Beginn dieser kunsthistorischen Entwicklung. Der „Fountain“ von Marcel Duchamp markierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Beginn jenes Prozesses, den viele mit dem Verfall der Kunst schlechthin betiteln. Andere wiederum halten diesen als einen der genialsten Einfälle in der Kunstgeschichte. Duchamp ging es darum, die Urheberschaft eines Kunstwerkes komplett neu zu definieren und alles zu einem Kunstwerk zu erklären, was an Objekthaftem auf dieser Welt existiert. Er reichte ein industriell gefertigtes Urinal, das er mit einem pseudonymen Monogramm versah, bei der Society of Independent Artist in N.Y. für eine Ausstellung ein. Mit diesem Akt sowie dem Setzen des  Monogrammes auf dem Objekt im Jahre 1917 gelang Duchamp tatsächlich ein Coup. Obwohl die Ausstellung so illustre Namen wie Brancusi oder Picasso aufwies, ging sie ausgerechnet durch ein Werk in die Kunstgeschichte ein, das dort gar nicht gezeigt wurde. Denn Duchamps Einreichung wurde vom Gremium abgelehnt.

Fragt man in diesem Zusammenhang unbedarfte, soll heißen in der Kunstgeschichte nicht bewanderte Mitmenschen, was sie von Kippenbergers Kunst halten, so erhält man meist dieselbe Antwort, die Duchamp schon bei der Einreichung seines Urinals erhalten hat. „Das soll Kunst sein?!“ Der Akt, ein Objekt wie das Urinal oder die aus „armen“ Materialien hergestellte Installation von Kippenberger  auszustellen, wird zuallererst als reine Provokation empfunden. Als eine Veräppelung, um es noch höflich auszudrücken, des werten Ausstellungspublikums, das ja eigentlich deswegen in eine Ausstellung geht, um sich von schönen Dingen erbauen zu lassen.

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