Martin Kippenberger dankt der Putzfrau

„Das gesunde Volksempfinden“ wie es oft so verheerend zitiert wird, unterstellt Kippenberger – bleiben wir beim aktuellen Anlassfall –  dass er ganz bewusst in die Provokationskiste gegriffen hat, um mit seiner Arbeit Aufmerksamkeit und – nicht zu vergessen – Geld zu generieren. Denn, so weiß man in der Zwischenzeit auch, Kippenbergers Arbeit wird mit einem Marktwert von 800.000,– Euro beziffert. Im Wissen um den vermeintlichen Wert des Kunstwerkes fühlen sich die Schlagzeilenkonsumenten gleich zweifach betrogen.  Nicht nur, dass etwas, das für sie völlig unverständlich ist, durch das Ausstellen in einem Museum mit einem Kunstnimbus versehen wird, sondern man kann damit offenbar auch noch Preise erzielen, die so astronomisch sind, dass viele normalbürgerliche Leben gar nicht ausreichen würden, um eine derartige Summe überhaupt zu erwirtschaften. Zugegeben: Diese Erniedrigung, wenn man sie denn als solche empfindet, schmerzt. Zeigt sie doch, dass es offenkundig Menschen, ja Künstler wie Kippenberger gibt, die erstens mehr vom Kunstbetrieb verstehen als die Kunstbanausen selbst und zweitens aus diesem Wissen auch noch richtig Kapital schlagen können. Und das noch dazu mit Dingen, die bei vielen zuhause zumindest als Einzelkomponenten in der Garage oder im Keller stehen. So fragen sich die Menschen also worin der Unterschied zwischen ihrem Gerümpel und jener Installation besteht, die sich im Museum befindet.  Vielmehr, sie fragen sich das nicht wirklich, sie stellen nur fest und greifen sich an den Kopf, warum so etwas überhaupt in einer Ausstellung gezeigt wird.

Aber hier sage ich STOPP: Meine sehr geehrten Damen und Herren, STOPP!

Lassen Sie mich, so emotionsfrei ich es überhaupt nur in der Lage bin zu tun, kurz erklären, was es mit Kunstwerken wie dem „Fountain“ oder „Wenn´s anfängt durch die Decke zu tropfen“ auf sich hat, ohne hier eine große kunsthistorische Abhandlung zu schreiben. Oder besser gesagt: Lassen Sie mich erklären, warum Sie mit ihrer kategorischen Ablehnung gegenüber zeitgenössischer Kunst nicht nur die Gefühle von Menschen verletzen, sondern letztendlich auch demokratiepolitisch mehr als fragwürdig agieren.

Wie Sie sicherlich wissen, gibt es in der Zwischenzeit hunderte, tausende, ja abertausende Kunstwerke, die weltweit in Galerien und Museen gezeigt werden und die von den wenigsten Menschen in irgendeiner Art und Weise auch nur ansatzweise verstanden werden. Und dennoch werden diese Ausstellungen besucht, werden Artikel über diese Kunstwerke geschrieben und kaufen Museen einen – zugegebenermaßen  – winzigen Teil dieser Kunstproduktion auch an. Das bedeutet also dass, wenn Sie auch nur ein klein wenig über die Thematik nachdenken würden, auch wenn Sie gar nichts von Kunst verstehen, zu gewissen logischen Schlüssen kommen müssten. Zum Beispiel zu jenem, dass es sich bei der zeitgenössischen bildenden Kunst offensichtlich um einen Teilbereich unseres sozialen und ökonomischen Lebens handelt, der einen gewissen Wert repräsentiert, obwohl und von dem eben viele überhaupt keine Ahnung haben. Wenn man von etwas überhaupt keine Ahnung hat und damit konfrontiert wird – egal ob es sich um Bildende Kunst, Literatur, Tanz, Musik oder schlichtweg eine neue Idee handelt, die Althergebrachtes von einem neuen Blickwinkel aus betrachtet und auch einmal vom Sockel stoßen kann – gibt es zwei grundsätzliche Reaktionen von Menschen. Die einen lehnen das Neue grundsätzlich ab, stört es doch das bisher so schön Vertraute, den Habitus, den man sich zugelegt hatte, die Erklärungsmodelle, die man kannte! Die anderen hingegen werden neugierig und beginnen zu hinterfragen: Was ist das denn? In welchem Zusammenhang ist denn dieses Neue entstanden? Was war denn die Idee dahinter und warum tue ich mir schwer, dieses Neue hier zu verstehen?

Menschen, die zur zweiten Kategorie gehören, haben es im zeitgenössischen Kunstbetrieb auf alle Fälle viel leichter sich zu orientieren. Denn  ihnen eröffnet sich zumindest die Chance, Neues zu erfahren, dazuzulernen, ihren Horizont zu erweitern. Sie könnten, wenn sie sich auch nur ein klein wenig Mühe geben – um zurückzukehren zu Marcel Duchamp und Martin Kippenberger – zum Beispiel erfahren, dass es nun schon seit beinahe 100 Jahren möglich ist, ein Objekt als Kunstwerk zu definieren auch wenn dieses keinerlei ästhetische Kriterien erfüllt, nicht als Artefakt geschaffen oder schlichtweg auch schon mal als Klamauk angelegt wurde. Um noch ein klein wenig mehr Aufklärungsarbeit hier zu leisten, denn schließlich habe ich mir zum Ziel gesetzt, sie mit diesem Artikel auch ein wenig kunstschlauer zu machen, sei auch noch Joseph Beuys erwähnt, dem es ja ähnlich erging wie Martin Kippenberger. Besser gesagt durften gleich zwei seiner Werke erleben, was es heißt, dem Putzwahn zum Opfer zu fallen.  Doch über den Einsatz von Materialien wie Fett, welche bis dahin in den Kunstbetrieb keine Aufnahme gefunden hatten, fügte Beuys – mehr als 50 Jahre nach Duchamps revolutionärem  Kunstansatz der Kunstgeschichte noch einen weiteren Aspekt hinzu. Nämlich seinen sozial erweiterten Kunstbegriff, in welchem er menschliches Handeln, das im sozialen Umfeld stattfindet, ebenso zur Kunstproduktion zählte wie die Herstellung von Kunstwerken selbst. Nun war plötzlich – was so hier nur verkürzt und ungenau wiedergegeben werden kann – nicht nur jedes Objekt ausstellungswürdig, sondern auch noch jeder Mensch ein Künstler!

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