Neues im Alten

Ein Konzert des Saxfest Wien mit Überraschungen

Sonntagabend ist nicht gerade der präferierte Ausgehtermin für ein Konzert. Dennoch haben die Veranstalter vom Saxfest Wien sich diesen Termin ausgesucht und am 2. März in der Ruprechtskirche – dem ältesten Gotteshaus der Stadt – das zweite Konzert ihres Festivals angesetzt. Und das war gut so. Nicht nur dass der – zugegebenermaßen nicht allzu große Raum – bis auf den letzten Platz besetzt war, sondern die hereinbrechende Nacht wurde durch musikalische Erlebnisse der besonderen Art so markiert, dass man die Eindrücke gut mit nach Hause mitnehmen konnte, die dann auch am Ende des Wochenendes ganz für sich stehen bleiben konnten.

li. Simon Širec ein Allrounder am Saxophon, re. Pieter Pellens (Foto: Eleonora Turco)

li. Simon Širec ein Allrounder am Saxophon, re. Pieter Pellens (Foto: Eleonora Turco)

Mit dem Titel „Loops“ verwies der „Verein Vienna Saxophonic Orchestra“ unter der künstlerischen Leitung von Lars Mlekusch auf eine Zusammenstellung, in der das Thema der Wiederholung von „Schleifen“ eine Wichtigkeit beigemessen wurde. Gleich zu Beginn ließ sich Pieter Pellens in zwei Kompositionen von Tom Johnson (*1939) fallen. Kientzy Loops, so das erste Stück, das für den Saxophonisten Daniel Kientzy geschrieben wurde, ertönte in seiner Grundstruktur vom Band, über die oder besser neben die Pellens seine eigenen freien Interpretationen über die Töne GFBDEFGD setzte. Die zu Beginn des Stückes etwas zu leise angesetzte Interpretation, der die Bandstimme hörbar überlegen war, nahm mit Fortgang der Komposition an Stärke zu, so dass die beiden Stimmen relativ bald gleichwertig erschienen. Interessant dennoch, wie sehr die Loops vom Band von den live eingespielten unterschieden werden konnten. In „La tortue de mer“ – der „Meeresschildkröte“ ertönte ein mächtiges Bass-Saxophon. 2004 wurde das Stück auf der CD „Kientzy Plays Johnson“ die im Label Pogus erschien bereits aufgenommen. Walter Robotka schrieb dazu in der Rezension: „La Tortue de Mer“ basiert auf der Arbeit des Mathematikers Marc Chemillier, der sich mit den Sandzeichnungen eines Stammes im südlichen Pazifik beschäftigt. Deren „Schildkrötenmuster“ bestehen aus 103 Drehungen einer einzigen Linie, die von Tom Johnson in musikalische Sprache übersetzt wurden. Pieter Pellens ließ dieses mächtige urtümliche Tier gemächlich beeindruckend durch die Apsis des Kirchenraumes kriechen und setzte als Schlusspunkt seines Auftrittes ein krasses Gegenstück nämlich Bruno Madernas „Serenata per un satellite“ das ursprünglich für Kammerorchester geschrieben wurde. Der bereits mehrfach ausgezeichnete belgische Musiker absolviert derzeit eine postgraduale Ausbildung bei Lars Mlekusch.

Das Duo Aliada mit Michal Knot am Saxophon und Bogdan Laketic am Akkordeon folgte mit Alexander Kaisers (*1985) „Through my veins“. Dabei waren die Musiker einzig von den kleinen Steckleuchten erhellt, die an ihren Notenpulten montiert worden waren. Das Stück, welches Kaiser dem Duo widmete, erlebte bereits im Dezember 2013 seine Ausstrahlung in Ö1. Die Interpretation in der Ruprechtskirche war für diesen Abend auch für jene, die das Werk schon im Dezember gehört hatten, sicher eine enorme Bereicherung. Aliada gewann mit diesem Stück den 12. Fidelio-Wettbewerb in der Kategorie „Spezial“ aber selbst wenn man keine dieser Informationen abrufbar hatte, war klar, dass hier ein richtiges Kleinod zur Aufführung gelangte. Wobei „Kleinod“ eigentlich der falsche Ausdruck ist und nur insofern passt, als er etwas bezeichnet, das sehr wertvoll ist. Tatsächlich gestalteten die beiden das Werk in einer düsteren, geheimnisvollen Stimmung, in der die beiden Instrumente zu menschlichen Organen mutierten. Das Stück verweist auf die unterschiedlichen Ebenen der Trauerbewältigung und kulminiert mit wildem Gebrüll, das den heftigen Verlustschmerz wie durch eine heftige Eruption los werden möchte. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die musikalische Innenschau in den menschlichen Körper im Zeittrend zu liegen scheint. Erst im vergangenen Sommer wurde die Komposition „veins III“ des jungen Daniel Hochreiter anlässlich des Eröffnungskonzertes des Festivals „100 Jahre Österreichischer Komponistenbund“ aufgeführt. Kompositorisch völlig anders aufgebaut, verfolgt es aber gleichfalls die Idee im weitesten Sinne organische Phänomene musikalisch zu kommunizieren.

Mit Simon Širec (*1987) erlebte der Abend seinen absoluten Höhepunkt. Der in Slowenien geborene Musiker, einer der Fidelio-Preisträger von 2011, ist ein absoluter Allrounder auf dem Saxophon und erkundet es sozusagen bis in die allerkleinsten Ritzen. Dabei scheut er sich nicht, es auch als Perkussionsinstrument einzusetzen oder während seines Spiels seine Stimme miteinzubringen. Mit „Viva Napoli“ und „next“ brachte er zwei Eigenkompositionen zu Gehör, bei denen er sogar den Eindruck vermittelte, von einer Band begleitet zu werden. Seine ausgefeilte Atemtechnik aber noch viel mehr seine immense Identifikation mit dem Instrument und eine überbordende Spielfreude macht ihn zu einem „Bobby McFerrin“ des Saxophons. Stand in „Viva Napoli“ die jazzige Komponente im Vordergrund, waren es in „next“ wesentlich experimentellere Töne, die er dem Saxophon entrang – und das, wohlgemerkt auf große Strecken hin ohne Mundstück. Unterlegt war das Werk zusätzlich mit elektronischen Einspielungen, die sowohl musikalisch geprägt waren als auch unterschiedliche Geräuschkulissen bereithielten. Nicht enden wollender Applaus zeigte Sirec, dass er mit seiner ganz persönlichen Spielweise das Publikum richtig in den Bann ziehen konnte.

Es war der umsichtigen Konzertaufstellung zu danken, dass der letzte Programmpunkt nach diesem furiosen Auftritt ebenfalls noch spannend war, ja sogar eine große Überraschung bereithielt. „Saxony“ von James Tenney (*1934-2006) wurde 1978 von ihm für ein Saxophon und Band komponiert, kann aber auch als „Zufallskanon“ für jegliche Instrumentierung aufgeführt werden. In der Ruprechtskirche positionierte sich das ensemble.konsax.wien – sichtbar in der Apsis – und begann damit ausgehend von einem Grundton eine Klangkathedrale aufzubauen, in der sich nach einer meditativen Einleitung auf die Obertöne Sopransaxophone aufsetzten. Diese waren am Chor positioniert, was eine unglaubliche Klangfülle ergab. Da mutierten im Kopf diese Saxophone schon einmal zu den Trompeten von Jericho, wobei man sich den Fall der Stadtmauern lebhaftest vorstellen konnte. Mit diesem Auftritt gab das junge Ensemble ein mehr als kräftiges Lebenszeichen von sich und schuf zugleich ein erinnerungswürdiges Gemeinschaftserlebnis, das sowohl den Ausführenden als auch dem Publikum im Gedächtnis bleiben wird.

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