Heiteres Beruferaten – was macht eine Registrarin oder ein Registrar?

Heiteres Beruferaten – was macht eine Registrarin oder ein Registrar?

In einer Fernsehsendung aus den 60er Jahren, die sich „Was bin ich“ nannte, mussten die Vertreter einer Berufsgruppe eine bestimmte, typische Handbewegung machen. Warum sich Registrarinnen und Registrare damit schwer tun, erfahren Sie in diesem Artikel.

Es gibt Berufe im Museumsbereich, die kennt jeder. An der Spitze steht natürlich die Direktion. Eine Ebene darunter kommen dann die Kuratoren und Kuratorinnen. Dann gibt es noch technisches Personal und Leute in den Sekretariaten. Nicht zu vergessen jene Menschen, die in den Restaurierwerkstätten arbeiten und wieder andere, die für die Katalogproduktion zuständig sind. Marketing muss auch sein, Personalverantwortliche ebenso. In der PR-Abteilung sollten die Kommunikationsgenies sitzen und Wachpersonal ist in den Ausstellungsräumen permanent präsent. Auch Putztrupps sind ein Muss. Staub auf Gemälden und Skulpturen wird zwar von den Restauratorinnen und Restauratoren entfernt, aber auf Böden, Fenstern und Türen macht er sich auch nicht gut. Große Museen arbeiten mit Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittlern zusammen und dürfen sich auch eine eigene Bibliothek mit zugehörigem Personal leisten. Und dann gibt es noch eine Berufsgruppe, die bislang in der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht bekannt ist. Das sind die Registrarinnen und Registrare.

Würde man auf der Straße nach diesem Berufsbild fragen, man würde Staunen auslösen, Unkenntnis ernten oder die Auskunft bekommen, dass diese Damen und Herren wohl in einer Behörde Schriftstücke verwalten würden. Und tatsächlich wird die Berufsbezeichnung auch für jene Personen verwendet, die in einer Registratur für die Akten zuständig sind. Sie geben Acht, dass die richtigen Akten ausgegeben und wieder eingestellt werden, kurz ihre Verwaltung eine Ordnung hat. Im Museum kümmern sich die Registrarinnen und Registrare aber nicht nur um Akten. Die gehören zwar auch dazu, aber im Fokus stehen die Kunstwerke selbst. Neben den Restauratorinnen und Restauratoren sind sie es, die direkt mit den Werken zu tun haben. Dabei deckt ihr Aufgabengebiet eine große Bandbreite von unterschiedlichsten Tätigkeiten ab.

Ganz vorne auf dieser Liste steht der Leihverkehr. Etwas, womit das Publikum so gut wie nie in Berührung kommt. Außer man denkt an die großen, High-Tech-Lkw, die vor und nach einer Ausstellung bei den Museen vorfahren. Ihre Beschriftung lässt meist rückschließen, dass sie hoch sensibles Transportgut geladen haben. Es sind meist Holz- oder Aluminiumkisten, in denen die fragile Fracht steckt. Und bereits für diese Auswahl sind die Registrarinnen und Registrare zuständig. Auch dafür, wie das kostbare Gut darin verpackt wird. In Absprache mit dem Restaurierungsteam sind sie es, die mit den spezialisierten Frächtern kommunizieren und ihnen alles Wissenswertes über die Leihgeber und den Leihnehmer zukommen lassen. Das bedeutet, dass schon lange vor der tatsächlichen Ausstellung mit der Arbeit dafür begonnen werden muss. Stehen die Leihgeber fest, müssen Leihverträge ausgestellt, mit Versicherungen und auch den Speditionen Kontakt aufgenommen werden. Kostenvoranschläge werden eingeholt und verglichen. Und je nach Jobbeschreibung erweitert sich hier der Zuständigkeitsbereich von der kompletten Vorbereitung und Ausstellungsplanung bis hin zum Ausstellungsmanagement. Neben der schon kurz erwähnten Transportabwicklung gehört hier auch die gesamte Kommunikation und Korrespondenz, die Abklärung der Versicherung und der größte Brocken – das Management des Aufstellungsauf- und –abbaus dazu.

 

Kisten beim Ausstellungsaufbau (c) Christiane Rainer

Kisten beim Ausstellungsaufbau (c) Christiane Rainer

Bei wichtigen Leihgaben wird sogar das Museum verlassen und mit den Leihgaben selbst die Reise angetreten. Dann verwandeln sich die Damen und Herren zu sogenannten Kurieren. Sie überwachen dabei den Transport live. Zuerst bei der Abholung, dann wieder bei der Zurückstellung. Das bedeutet in großen Institutionen zugleich auch große und weite Reisen. Flugangst oder Bedenken, mit einem LKW mitzufahren, sollte man in diesem Beruf also nicht haben. Und wer einen nine-to-five-Job sucht, ist hier auch nicht wirklich gut aufgehoben. Denn LKW fahren schon vor 8 und auch nach 17 Uhr und Flugzeuge sind permanent rund um den Globus unterwegs.

Da das Ausstellungsbusiness mittlerweile ein internationales ist, wird selbstverständlich von Fremdsprachenkenntnissen ausgegangen. Englisch Minimum. Spanisch, Italienisch, Französisch, Niederländisch schadet auch nicht. Je mehr, umso besser. Aber mit Englisch, das auch das Fachenglisch einschließt, das in dieser Branche benötigt wird, kommt man schon weit.

Registrarinnen und Registrare müssen über den jeweiligen Aufenthaltsort der Objekte Bescheid wissen. Ob ein Stück gerade im Leihverkehr außer Haus, oder doch im Depot zu finden ist, sollte auf Anfrage innerhalb weniger Augenblicke klar sein. Dass es eigene Zollformalitäten gibt und staatliche Ausfuhrbestimmugen, die eingehalten werden müssen, auch das gehört zum weit gesteckten Wissensgebiet. Man könnte einen Vergleich mit Bibliothekaren von historischen Bibliotheken anstellen, nur dass sich die „registrars“, wie sie im Englischen heißen, nicht um die Verwaltung von Büchern, sondern von Kunstwerken kümmern. Das wesentlich vielfältigere Aufgabengebiet ergibt sich aus der unterschiedlichen Beschaffenheit der Objekte und dem Ausstellungsbetrieb selbst. Denn von klitzekleinen, kaum sichtbaren, bis zu tonnenschweren Schaustücken reicht die Bandbreite in diesem Sektor. So kommt, fragt man bei den zuständigen Damen und Herren nach den Tücken ihres Berufes, auch meist die Antwort, dass man flexibel sein muss, denn keine Ausstellung sei wie die andere. Bei jeder gäbe es neue Herausforderungen zu meistern und – wie es Lisa Ortner-Kreil vom Bank Austria Kunstforum formulierte: „Das Prinzip „Backe, backe Kuchen…wir machen eine Ausstellung“, funktioniert nicht.“ Sie wurde erst vor Kurzem von der Position einer Registrarin in die einer Kuratorin erhoben und spricht aus Erfahrung: „Der Rohstoff, mit dem wir arbeiten, ist der wertvollste der Welt und in diesem Job kann und darf es keinen Autopiloten geben. Es geht auch darum, verantwortungsvolle Entscheidungen „on the spot“ zu treffen; immer in Hinblick auf eine sinnvolle Verschränkung von inhaltlicher Relevanz und ökonomischer Machbarkeit.“

Damit spricht sie einen Punkt an, mit dem auch das Spannungsfeld des Berufes gut umrissen ist. Zwar wird bei jeder Ausstellung versucht, das Optimum an Bedingungen, sowohl beim Transport als auch schließlich im Museum selbst, zu gewährleisten. Es kann aber auch vorkommen, dass sich ein Kunstwerk als zu teuer für das Ausstellungsbudget herausstellt. Das hängt dann meist mit der Verpackung, dem Transport aber auch der Versicherung zusammen. Auch das muss dann an die Ausstellungsverantwortlichen kommuniziert werden.

Je kleiner ein Museum, umso vielfältiger gestaltet sich der Aufgabenbereich. Andrea Domanig von der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste muss verschiedene Agenden bearbeiten. Sie ist Kuratorin, leitet die Digitalisierung der Sammlung und ist nicht zuletzt auch Registrarin. Viel mehr ist eigentlich nicht möglich. Christiane Rainer wiederum arbeitet freiberuflich. Als Selbständige wird sie gerne in Abteilungen gerufen, die eine temporäre Vakanz aufweisen. Aber sie arbeitet auch als eigenständige Ausstellungsmacherin und ist dann in diesem Fall von der Idee über die Planung bis hin zur Ausführung für alles zuständig.

So sehr auf der einen Seite die Vielseitigkeit der Beschäftigung steht, die für die meisten so interessant ist, so sind es auf der anderen Seite die administrativen Aufgaben, die ganz schön ermüdend sein können. Elendslange Listen schreiben, die Klärung von Rechten, Verhandlungen mit Versicherungen, die Pflege der Datenbank, wenn man hunderte ähnliche Objekte zu verwalten hat und sogar unkooperative Leihgeber stehen als richtige Herausforderungen auf der Kehrseite der Medaille. Da leuchtet ein, dass man ein Charakter- und Arbeitsprofil aufweisen sollte, das mit Genauigkeit, Ruhe und Gelassenheit, mit der Fähigkeit strukturiert zu arbeiten und mit Flexibilität aufwarten kann. Ungenauigkeit und Unzuverlässigkeit sind laut Else Prünster aus dem Leopoldmuseum unbrauchbar.

Sie plauderte in der Recherche zu diesem Artikel ein wenig aus der Schule und nannte als tolle Erlebnisse das Kennenlernen von Künstlerinnen und Künstlern genauso wie einst die Aufregungen rund um den geschlossenen Channel nach England oder den wetterbedingten Widrigkeiten während eines Transportes, der rasche Entscheidungen erforderte.

Museum word cloud concept

Museum word cloud concept

Eine Ausbildung gibt es bislang noch nicht. Aber Vereine wie das ARC, das Austrian Registrars Committee, in dem sich viele Registrarinnen und Registrare österreichischer Museen und Sammlungen, aber auch Museen und Transportunternehmen zusammengeschlossen haben, sehen zumindest eine Mitwirkung an einem eigenen Berufsbild als ihr Ziel an. Von Vorteil ist es jedoch, wenn man ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Bereich Archiv-, Bibliotheks-, Informationswissenschaft, Museologie, Archäologie, Kunstwissenschaft oder Kunstgeschichte, oder dem jeweiligen museumsspezifischen Fachgebiet vorweisen kann. Die Aufgabenbereiche können in diesem Beruf je nach Arbeitsstelle sehr differieren.

Das ARC richtet im Juni 2016 in Österreich die European Registrars Conference aus. Eine fachspezifische Veranstaltung, zu der Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt in der Hofburg erwartet werden. Der Austausch mit ihnen steht auf der Wunschliste der Registrarinnen ganz oben. Von andern lernen, sich vernetzen, ist ein wichtiger Punkt, der von allen, die in diesem Beruf arbeiten, angesprochen wird. Wenn Sie diesen Artikel bis hierher aufmerksam gelesen haben, wird es Ihnen nicht entgangen sein, dass plötzlich nur von weiblichen Registrarinnen die Rede ist. Tatsächlich ist es so, dass die Männer in der Minderheit agieren. Und das weltweit. Woran das liegt, darüber mag man spekulieren. Auf alle Fälle ist diesem Umstand sogar ein eigener Tagesordnungspunkt auf der Konferenz gewidmet.

Auch wenn sich vieles glänzend und aufregend anhört, so gibt es doch noch einen Wermutstropfen, der bei dieser Berufsverkostung ein wenig bitter schmeckt: „Das Sozialprestige dieser Funktion ist innerhalb der teils sehr hierarchisch gewachsenen Gefüge von Museen leider immer noch nicht gut. Registrars werden zum Teil als kleines Rädchen gesehen – „füllen eh nur bestehende Verträge aus“, so Christiane Rainer, eine der treibenden Kräfte des ARC. Gefragt, ob Sie diesen Beruf dann jungen Leuten nicht empfehlen würde, relativiert sie: „Davon würde ich mich nicht abschrecken lassen, denn das ist im Wandel begriffen.“ Einen Baustein dazu soll nicht zuletzt auch die Konferenz im Juni dieses Jahres leisten. Sicherlich kommt es bei der Wertschätzung ganz auf die jeweilige Institution an. Else Prünster ist mit ihren Aufgaben im Leopoldmuseum sehr zufrieden. „Wenn man eine Leidenschaft für Kunst hegt, ist dies ein Traumjob“, schwärmt sie von ihrer Arbeit und ergänzt, dass sie ein langfristiges Ziel verfolgt, das sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen uneingeschränkt teilt: „Sammlungsobjekte und Sammlungen für die Zukunft zu erhalten und zu bewahren.“ Von dieser Warte aus gesehen, kann man allen, die in diesem Job arbeiten, gratulieren, denn es gibt wenige Berufe, die mit mehr Sinn aufgeladen sind wie der einer Registrarin oder eines Registrars.

Warum sich diese Damen und Herren schwer tun, eine repräsentative Handbewegung zur Erkennung ihres Berufes zu machen, kann man verstehen. Oder wüßten sie eine?

Weitere Infos und Auskünfte finden Sie auf der Homepage des ARC. Informationen zur internationalen Konferenz gibt`s hier.

Dem Viktor tät´s gfalln!

Dem Viktor tät´s gfalln!

Am 26. März 2015, dem 110. Geburtstag von Viktor Frankl, eröffnet in der Mariannengasse 1 das Viktor Frankl Museum. Ein Ort der Begegnung, aber auch der Kontemplation an dem es Antworten zu den großen Lebensfragen des Menschen gibt.

Die schöne, alte Jugendstiltüre schließt leise. Im kleinen, aber hellen Raum wird man vom Geruch frischer Farbe sofort überwältigt. An der Wand zwei Stellagen mit Büchern von und über Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. „Ich muss mir nicht alles von mir selber gefallen lassen“ ist auf einer Postkarte, die zum Verkauf aufliegt, abgedruckt. Einer von vielen Aussprüchen des Psychotherapeuten, der nach Freud und Adler, von dem er hochkant hinausgeworfen wurde, die sogenannte Dritte Wiener Schule der Psychotherapie begründete.

Ihm zu Ehren, aber noch viel mehr, um ein breites Publikum mit seinen Ideen bekannt zu machen, wurde nun in der Mariannengasse 1 ein kleines, aber feines Museum eröffnet. Im ersten Stock, direkt neben der Wohnung des weltberühmten Therapeuten, in dem heute noch seine 90jährige Witwe wohnt. Knappe 90 Quadratmeter misst das Museum in dem man zwar auch einige persönliche Gegenstände von Frankl, wie ein Brillenetui samt Brille und einige Autographen sehen kann. Aber die Präsentation seiner Geschichte steht dabei nicht im Vordergrund. Die beiden Schwestern, Heidemarie Zürner und Johanna Schechner, gründeten bereits 2004 im Rahmen einer gemeinnützigen Bildungseinrichtung mit Schwerpunkt Öffentlichkeitsarbeit schon im selben Stockwerk das Viktor Frankl Zentrum. In diesem nehmen jährlich ungefähr 10.000 Interessierte an Workshops, Vorträgen und Seminaren teil – immerhin 4.000 davon Jugendliche. Angespornt von der Idee, Frankls Lebenswerk so vielen Menschen wie nur möglich nahe zu bringen, nutzten die beiden Damen vor einem knappen Jahr die Gunst der Stunde. Als die Wohnung leer wurde, beschlossen sie, diese für ein Museum zu adaptieren in dem vor allem eines im Vordergrund steht: Die persönliche Auseinandersetzung mit Frankls Leitsätzen und die Suche nach dem eigenen Lebenssinn. Sinn (er)leben ist das Motto des Zentrums, aber auch der neu eröffneten Location.

Helles Grün – die Farbe der Hoffnung und, ganz praktisch gedacht, auch die Farbe, die bisher für das Corporate Identity des Zentrums stand, aber auch warmes Orange, die Lieblingsfarbe von Frankl, sind in den Räumen vorherrschend. Ziehen sich als breite Streifen über die Wände oder akzentuieren Sitzgelegenheiten. Im zweiten Zimmer ist Frankls Life-Line hoch oben an den Wänden skizziert. Von seiner Geburt bis zu seinem Tod sind die wichtigsten Stationen aufgeführt. Darunter findet man schwenkbare Schautafeln, schick aus Glas und Metall. Auf deren Vorderseite sind Lebensfragen zu lesen und, schwenkt man auf die Rückseite – gibt es Antworten dazu.

Johanna Schechner, selbst Logotherapeutin, erklärt die Intention dieses neuen Ortes mit einer Einladung an alle Menschen, die sich nicht nur für Frankl selbst interessieren, sondern die sich in ihrem Leben Fragen stellen, zu deren Beantwortung man ihnen hier eine Hilfestellung anbieten kann. Viktor Frankl bezeichnete sein Werk im Gegensatz zu Siegmund Freuds Tiefenpsychologie als Höhenpsychologie. Als ein Hilfsmittel, mit dem der Mensch über sich hinauswachsen könne. Und tatsächlich muss man unweigerlich im nächsten kleinen Durchgangsraum den Kopf heben. Obwohl es am Boden so viel zu lesen gibt. Der „Boden des Schicksals“ versinnbildlicht das, was unsere Vergangenheit ausmacht. Das, woher wir kommen und was wir bisher geworden sind. Aber die Worte an der Wand zeigen, dass jeder Mensch unabhängig davon frei in seinem Sein und seinen Entscheidungen ist. Die architektonische und grafische Umsetzung oblag Clemens Dus und Kai Stania. Trotz eines sehr geringen Budgets gelang es den beiden mit viel Einfühlungsvermögen aber auch Intelligenz ein Konzept durchzuziehen, das die Neugier der Menschen erweckt und Möglichkeiten bietet, die Gedanken schweifen zu lassen.

Wie zum Beispiel auch im „Restaurant zum guten Geist“ – einem kleinen Bibliotheksraum, in dem Frankl-Ausgaben aus vieler Herren Länder zu finden sind, in die man sich vor Ort vertiefen kann. „Wir erlebten schon im Zentrum, wie sehr sich Menschen, die aus anderen Ländern kommen, über Bücher in ihrer eigenen Sprache freuen“ begründet Heidemarie Zürner das breitgefächerte sprachliche Angebot und man merkt während der Führung, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester durchführte, wie viel Herzblut sie in diese Aufgabe stecken.

Im größte Raum darf man sich dann so richtig auf Entdeckungsreise begeben. Hinter verschlossenen, weißen Kästen, die in Brusthöhe an der Wand hängen und die unterschiedlich groß sind, verbirgt sich vieles, mit dem man in Interaktion treten kann. Wie zum Beispiel jene Anordnung von bunten Holzbausteinen, die einen einmal in Gang gesetzten Leidensweg simulieren. Da braucht es ein aktives Eingreifen, um diese fortlaufende Kette des Schmerzes zu unterbrechen. Mit so einfachen, aber sehr anschaulichen Mitteln erreicht man die sinnliche Erfahrung von psychologisch-theoretischem Gedankengut.

In einem weiteren kleinen Schrein ist die Projektion einer Holzskulptur zu sehen, die einen nackten Mann zeigt, an dessen Rücken eine große Feuerzunge lodert. Es ist jene Figur, die sich Viktor Frankl bei einem Antiquitätenhändler kaufte und die in seinem Schlafzimmer stand. „Jeden Morgen und jeden Abend fiel sein Blick darauf“, erzählte seine Frau Eleonore den Ausstellungsgestaltern bei ihrem ersten Rundganges durch das neue Museum. „Dem Viktor tät´s g´fallen!“, waren ihre anerkennenden Schlussworte.

Der gemeinnützige Verein, der sowohl das Zentrum als auch das Museum betreibt, hofft, dass es viele Menschen anspricht und als Auslöser dient, die Suche nach dem eigenen Sinn des Lebens entweder zu beginnen oder Fragen darauf sogar vor Ort direkt zu erhalten.

Link: Viktor Frankl Zentrum und Viktor Frankl Museum

Ganz und gar nicht lächerlich

Ganz und gar nicht lächerlich

Was würden Sie mit einem Drucker machen, der 80 cm breite, endlose Bahnen bedrucken kann, wie ihn Architekten verwenden? „JR“, wie sich der französische Künstler nennt (JR steht für Juste Ridicule, übersetzt etwa mit „Einfach Lächerlich“) druckt darauf seine überdimensionalen Portrait-Fotos, die er an den verschiedenen Brennpunkten in der Welt aufgenommen hat und plakatiert damit Wände, Häuserfassaden oder Mauern.

Ein paar Beispiele: Drei Geistliche (ein Rabbi, ein Priester und ein Imam) machen lustige Grimassen, während JR auf den Auslöser drückt. Er klebt die Bilder an die Mauer in Jerusalem. Ein vorbeifahrender Autofahrer versteht die Welt nicht mehr. Lustige Bilder an einer eher traurigen Mauer – wie soll das zusammen passen? „Genau“, antwortet der Pfarrer der vom Autofahrer auf einem der Bilder erkannt wird, und ergänzt „es ist absurd. Genauso wie diese Mauer, die mehr Probleme als Lösungen schafft.“ Beide stimmen überein und verabschieden sich lachend. Das Gespräch dauert gefühlt keine 20 Sekunden. Zum Glück hatte ich meine Scheu vor dem iPhone-ähnlichen Multi-Media-Guide überwunden. Und so konnte ich fasziniert dieser und anderen Geschichten rund um die Foto-Aktionen lauschen, während ich die überdimensionalen Fotos betrachtete. Zugegeben, man kann sich die Ausstellung im Friedet Burda Museum auch ohne Kopfhörer anschauen. Aber dann wäre sie doch nur halb so viel wert. Für 4 Euro gibt es zahlreiche Hintergrundinformationen, Videos und Interviews zu sehen / hören. Ein paar Fragen bleiben dennoch unbeantwortet: Warum versteckt sich der Künstler hinter „JR“ ? Warum hat er damals den Fotoapparat mit dem alles anfing, den er angeblich in einer Pariser U-Bahn gefunden hat, nicht als Fundsache abgegeben? Warum erfahren wir nicht mehr über die Lebensläufe der Menschen, die JR portraitiert hat? Angesichts der großen Themen, die JR behandelt, vermutlich kleinliche Fragen.

Ein paar Beispiele: Wenn er das Bild einer Großmutter eines ermordeten Jugendlichen aus Brasilien auf eine große Treppe klebt – der Junge gehörte zu einer dreiköpfigen Bande, die von der Polizei aufgegriffen und einfach in eine anderen Gegend freigelassen wurde, wo eine befeindete Jugendbande ihn und die anderen beiden tötete.

Oder Portraits von Menschen wie du und ich. Jeweils zwei Personen, die den gleichen Beruf haben, nur einer anderen Religion angehören: Muslime und Juden. Auf der Straße diskutierten Menschengruppen, wer welcher Religion angehört… als ob das noch wichtig ist.

JR´s Bilder und Aktionen kann man noch bis Ende Juni in Baden-Baden auf sich wirken lassen. Ein faszinierendes Werk. Danke Burda.

Mehr Infos unter: https://www.museum-frieder-burda.de/JR.1060.0.html

Zeitgenössische, französische Kunst satt

Zeitgenössische, französische Kunst satt

10 Jahre Marcel-Duchamp-Preis in Frankreich

le continent africain Photo adagp Paris 2010

Thomas Hirschhorn, Die 5 Kontinente : der afrikanische Kontinent, 1999, Holz, Alupapier, Silberpapier, verschiedene Materialien, 180x 220 cm, Sammlung Jean Brolly, Paris. Photo : D.R. © Adagp, Paris 2010

Das MAMCS, Musée d´art moderne et contemporain de Strasbourg, ist immer einen Besuch wert. Bis zum 13. Februar kann man sich bei der aktuellen Ausstellung einen wunderbaren Überblick über die französische, zeitgenössische Kunstszene verschaffen. Und dies ist eigentlich auf eine Privatinitiative zurückzuführen, was umso bemerkenswerter ist. Urheber der Ausstellung „De leur temps 3“ oder , wie es die Organisatoren übersetzten „Zeitgeist 3“ ist die ADIAF, ein 1994 gegründeter Verein, der sich um die Verbreitung zeitgenössischer französischer Kunst kümmert. In ihm haben sich mehr als 300 Kunstsammler zusammengeschlossen, die nun seit 10 Jahren alljährlich den sogenannten „Prix Marcel Duchamp“ vergeben. Die Werke für diesen Kunstpreis werden von den Mitgliedern der ADIAF eingereicht und die Sieger daraus von einer fachkundigen Jury gewählt.

Die Ausstellung, die sich auf zwei Kunstszentren aufteilt, nämlich dem Museum in Straßburg und dem FRAC in Sélestat, ist bislang die dritte große, welche die ADIAF in Museen platziert hat. In den Jahren zuvor zeigte bereits einmal das Musée des Beaux-Arts in Tourcoing, sowie das Museum in Grenoble eine Schau der jungen, sammlungswürdigen Szene. In diesem Jahr nun werden insgesamt 150 Werke von 42 Künstlerinnen und Künstlern präsentiert, 7 davon sind auch mit Arbeiten in Sélestat vertreten. Wer beide Ausstellungen gesehen hat, versteht die sinnhafte Verschränkung, die den Kuratorinnen und Kuratoren sehr gut gelungen ist.

Skulpturen, Installationen und Fotoarbeiten machen den Hauptteil der Kunstwerke aus, dahinter kommen zahlenmäßig Videos, sowie ganz zum Schluss die Malerei, die nur mehr einen verschwindend kleinen Prozentsatz der gezeigten Werke ausmacht. Ein typisches Zeichen auch für die zeitgenössische Kunstszene, die offenbar die Malerei nach wie vor als ein Medium in der Krise versteht. Der große Umfang der Arbeiten ließ in Straßburg eine Unterteilung in verschiedene thematische Bereiche zu. „Zeitzeugen“, „Vergänglichkeit des Vergänglichen“, „Auf der anderen Seite des Spiegels“, „Raumeroberungen“, „Erbstücke“, „Anleitungen zum Leben“ sowie „Städte und Architektur“ sind die einzelnen Abteilungen aussagekräftig übertitelt. Einige der Künstler haben bereits internationale Anerkennung erlangt, allen voran der Schweizer Thomas Hirschhorn, der jedoch in Paris lebt, oder aber auch Wang Du, der nach dem Massaker am Tian`anmen Platz nach Paris übersiedelte. Sowohl Hirschhorn als auch Wang Du sind mit ihren Arbeiten im Themenbereich „Zeitzeugen“ angesiedelt. Wang Du´s hingeworfene und zerknüllte Businesszeitung, im Großformat hyperrealistisch nachempfunden, steht im krassen Gegensatz zu seiner Skulptur „Reliquie Veronica Bland“, jenem naturalistisch-expressionistischen Brustportrait, das auf einem einfachen Sperrholzsockel sitzt und an jene Frau erinnert, die in England erfolgreich als erste gegen rauchende Kollegen klagte. Hirschhorns Reliefkollagen der fünf Kontinente, in welchen Alufolie als Grundmaterial diente, stellen gerade in der Gegenüberstellung zu Wang Du in ihrer trashig-poppigen Aussage einen bedenkenswerten Kontrast dar. Auf der einen Seite Perfektion, um das Gefühl eines hochwertigen Kunstwerkes zu vermitteln, auf der anderen Seite bei Hirschhorn ein glitzerndes, materielles Understatement, das bewusst als Konsumkritik eingesetzt wird und als solche auch so verstanden werden soll.

Ein interessanter Themenbereich wurde mit „Erbstücke“ übertitelt und enthält Arbeiten von Künstlern, die sich plakativ oder auch subtil mit der kunsthistorischen Vergangenheit auseinandersetzen. Mathieu Merciers „Etagères“ sind hier zu nennen, schwarze Regale, mit blauen, roten und gelben Objekten darin, die unverzüglich den Bezug zu Piet Mondrians Arbeiten assoziieren. Gleich daneben, nur für aufmerksame Besucher zu sehen, weil im Durchgang an der Decke angebracht, winkt uns ein bunter Stab von Sâadane Afif entgegen, mit einem unüberhörbaren Echo zu den Arbeiten des zu jung verstorbenen Andre Cadere. Viel weiter zurück greift Stéphane Calais mit seinem „L´Herbier d´Etretat“. In seinen freien Pflanzenassoziationen, akkurat mit zarten, schwarzen Linien ausgeführt und zu einem großen Ensemble zusammengefügt, schwingen jene naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen nach, die im 17. Jahrhundert in Holzschnitten zusammengefasst, als Lehrwerke die europäischen Gelehrtenstuben erreichten.

lecontact

Philippe Ramette, Exploration rationnelle des fonds sous-marins : le contact, 2006, Farbfotografie, 150×120 cm ou 100×80 cm, collection particulière © Philippe Ramette © Adagp, Paris 2010

Richard Vauguet mit seinem Tischtennistisch, an welchem er mit Bällen den Verlauf der Ballkurven optisch nachvollziehbar gemacht hat, Michel Blazy, der mit Hundekuchen und Schweinsohren ein menschliches Skelett nachgebaut hat, Nicolas Moulin, dessen photographisch- fantastische Architekturlandschaften die Betrachter irritieren sind weitere Künstler, die zu Recht in der Ausstellung vertreten sind. Gilles Barbier, Olivier Balnckart, Céleste Boursier-Mougenot, Philippe Ramette ebenso, obwohl die Nennung hier nur eine willkürliche ist, um die Bandbreite der gezeigten Werke kurz aufzulisten. Die Reihe lässt sich noch fortsetzen.

Im ersten Stock gibt es auf Anhieb ein absolutes Aha-Erlebnis. Hier nämlich fügt sich dem Betrachter optisch das Werk von Felice Varini zusammen, das zuvor nur partiell, wenn überhaupt, wahrgenommen wurde. Der geborene Schweizer, der in Frankreich lebt, hat sich vor allem durch seine illusionistischen, großflächigen, perspektivischen Arbeiten im Raum einen Namen gemacht. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie, wie er sagt, meist nur von einem einzigen, optimalen Standpunkt aus in ihrer Gänze erkennbar werden. Varinis Arbeit besticht nicht nur durch die intelligente und zugleich einzigartige Nutzung des Raumes, zu der auch ein großes Stück Rechenarbeit gehört, sondern vor allem auch durch eine ganz subtile Metaebene, die sich erst nach und nach erschließt. Sitzt man nämlich im Erdgeschoss des Museums und richtet seinen Blick in die Höhe, sind nur vereinzelte, rote, geometrische Formen zu erkennen, die keinerlei logischen Zusammenhalt ergeben. Schnell vergisst man diese Eindrücke und wandert durch die Säle, um ganz unterwartet dann im ersten Stockwerk wieder auf die roten Versatzstücke zu gelangen. Dieses Mal jedoch zeigt sich die Geometrie – ein rotes Trapez, in dem eine rote Ellipse eingeschrieben ist, in ihrer ganzen Schönheit. Varinis „Ellipse im Trapez“ erfüllt alle Kriterien, die ein großes Kunstwerk ausmachen. Nicht nur, dass es technisch mit einer Präzision ausgeführt wurde, die in der zeitgenössischen Kunst nicht oft zu finden ist. Der auf den ersten Blick so einleuchtende Plakatismus, der ja häufig bei Konkreter Kunst als erstes ins Auge sticht, erhält bei längerem Nachdenken eine philosophische Tiefe, die schier unauslotbar scheint. Die beschränkte Sicht des Menschen auf sein Sein und auf die Zusammenhänge in der Welt gibt als übergeordnete Idee hierzu reichlich Gesprächsstoff angesichts dieses großartigen Kunstwerkes. Längst ist der philosophische Diskurs im Gange, dass der Mensch gar nicht fähig sei, sich ein umfassendes Bild der Realität zu machen – aus vielerlei Gründen. Varinis „Skulptur“ veranschaulicht diese Gedanken aufs Beste. Ganz abgesehen von den wissenschaftlichen Forschungen, die das Große und Ganze in seine kleinsten fassbaren Teilchen zerlegen und die daraus gewonnen Erkenntnisse dennoch nicht die Grundfragen der Menschheit beantworten können. Das Werk beeindruckt dermaßen, dass es verwundert, das der Künstler bis auf die Biennale in Venedig 1988 noch auf keiner größeren Schau zu sehen war. Ein Zeichen, dass sich Konkrete Kunst nur innerhalb eines sehr kleinen Zeitfenster großer Beliebtheit erfreute – wie man an Varinis Beispiel sehen kann sehr zu Unrecht. Besonders erstaunlich ist auch die Tatsache, dass sich die Arbeit in ihrem Original in Privatbesitz befindet, was gleichzeitig bedeutet, dass richtige Kunstsammler sich auch dadurch auszeichnen, dass sie nicht davor zurückscheuen, große Eingriffe in ihren Lebensraum durchführen zu lassen. Und Varinis Arbeit ist wahrlich ein großer Eingriff, den man auf den Abbildungen im Katalog gut nachvollziehen kann.

Wer genug Zeit hat und sich der Videokunst im ersten Stock widmet, erlebt einen spannenden Krimi von Camille Henrot, in welchem eine nur durch einen weißen Grafismus kenntlich gemachte Frau um ihr Leben läuft, oder Filme von Dominique Gonzalez-Foerster, die mit Vertrautem wie der Installation eines Schlafzimmers neben einem Video, gedreht in einer asiatischen Großstadt ebenso lockt, wie mit gesellschaftlichen Massenphänomenen am Strand, aufgenommen von einem erhabenen Standpunkt aus.

drumandbass

Mathieu Mercier, Drum and bass D-32351, 2004, étagères, papier, enveloppes, bac, 93,5x168x20 cm, collection Klara et Rémy Barbe, Genève. Photo : D.R. © Adagp, Paris 2010

Auch wenn man den puren kapitalistischen Ansatz, den die ADIAF mit ihrer Arbeit verfolgt, spöttisch oder argwöhnisch betrachtet – immerhin werden die Kunstwerke der Sammler ja durch jede Museumsausstellung mehr wert – ist dennoch nicht von der Hand zu weisen, dass das Engagement der Kunstliebhaber sich aufgrund der klugen Aktionen nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Künstler in mehrfacher Hinsicht auszahlen. Wenn diese ein Werk verkaufen, das anschließend nicht im privaten Wohnzimmer zu verstauben droht, sondern durch eine aktive Kulturpolitik auch einem größeren Publikum bekannt wird, kann man von einer absoluten Win-win-Situation sprechen, die auch Vorbildcharakter für die Sammlerszene in Deutschland haben könnte.

Was bei dieser Ausstellung auch klar wird, ist, dass einige zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ihrem Werk heute keine durchgehend wiedererkennbare Handschrift verpassen. Ein Umstand, der seit der Konkreten Kunst, der Minimal Art und der Konzeptkunst zwar schon auf dem Tisch lag, heute aber eine erweiterte Ausformung dadurch erfährt, dass die Kunstschaffenden sich aus allen Kunstbereichen querbeet bedienen und sich für die jeweilige Aussage, die jeweilige Infragestellung einfach das dazupassende Medium und die dazupassende Form suchen, ohne auf Erkennbarkeit zu pochen. Was hier bleibt, ist ein Kunstwerk, das für sich alleine steht, die Urheberschaft beinahe schon verleugnet, oder diese nur mehr von einem kleinen, eingeweihten Zirkel erkennbar ist. Ein Phänomen, das sich erst dann wieder auflöst, wenn die einzelnen Werke in das allgemeine Gedächtnis übergehen, sich dort verankern und mit den jeweiligen Namen versehen werden. Ein Prozess, der Zeit benötigt, der aber auch einige dieser Künstlerinnen und Künstler in Vergessenheit geraten lässt, wenn sie in den kommenden Jahren auf wichtigen Ausstellungen nicht mit einer ständigen, namentlichen Präsenz vertreten sein werden.

Wer Lust auf mehr hat, dem sei die Parallelausstellung im FRAC in Sélestat empfohlen. Ein Ausflug dorthin lohnt sich allemal und eines vorweg: Die dort präsentierten Kunstwerke gehen unter die Haut!

Welten aus PapierDes mondes de papier

Welten aus PapierDes mondes de papier

grenouille

Der Frosch auf dem Ball, R. Ackermann, zwischen 1906 und 1918, Chromolithographie, 129 x 58 cm. Straßburg, Cabinet des Estampes et des Dessins. (c) Photo : M.Bertola

Der volkstümliche Bilderreigen aus Wissembourg

Ein grimmig dreinblickender Chinese mit offenem Mund, ein Gorilla mit einem Zylinder in der Hand, Heiligenbildchen mit Goldverbrämung, ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, der Ausbruch des Mont Pelée auf Martinique im Jahre 1902 aber auch die Köpfe von Osterhasen und Weihnachtsmännern – all das und noch viel mehr ist derzeit auf bunten Papierbögen in der Galerie Heitz im Palais Rohan in Straßburg zu sehen. Bei der Ausstellung „Welten aus Papier – die Weißenburger Bilderbogen“, die in Zusammenarbeit mit dem Elsässischen Museum gestaltet wurde, kann man sich mit einem speziellen Kapitel der elsässischen Volkskultur vertraut machen. Nämlich der Produktion der Firma Wentzel, die im Jahre 1839 in Weißenburg – auf Französisch Wissembourg – gegründet worden war. Die Firma Wentzel zählte im 19. Jahrhundert zu einer der führenden Firmen auf dem Gebiet des Farblithodruckes und versorgte große Teile Europas mit ihren Erzeugnissen. Durch ein Depot in Paris gelangten die bunten Papierbögen nach ganz Frankreich, aber auch in den Süden, bis nach Arabien. Vom Elsass aus wurde der Osten Europas bis hin nach Polen versorgt. Erst 100 Jahre nach ihrer Gründung stellte das Unternehmen seine Produktion ein, nach einer wechselvollen Geschichte, die durch die ebenso wechselvolle des Elsass selbst gekennzeichnet war.

gare

Bahnhof, Fr. Wentzel, zwischen 1865 und 1869, Farblithographie, 30,5 x 45,2 cm. Straßburg, Elsässisches Museum (c) Photo : M.Bertola

Bis in das Kriegsjahr 1870, in welchem das Elsass von den Deutschen erobert worden war, produzierte Wentzel seine Produkte fast ausschließlich zweisprachig, da die elsässische Kundschaft Deutsch las und schrieb. Zu Beginn hauptsächlich mit der Verbreitung von religiösen Motiven beschäftigt, erkannten die Unternehmer rasch, dass das Geschäft mit den Kindern ein mindestens gleich lukratives war. Spiele, kleine Puppen, Theaterkulissen und auch optische Bilderbögen wurden zu Hunderttausenden durch fahrende Händler, aber auch in Buchläden verkauft. Wentzel trug jedoch nicht nur zur Erbauung der Bevölkerung, sondern auch ganz im staatstragenden Sinne, zu deren Bildung bei. In geschichtlichen Serien brachte man das Leben von legendären Romanhelden aber auch biblischen Geschichten anschaulich unter das Volk. Auch die Konterfeis der großen französischen Republikaner bis hin zum Papst fanden Eingang in die Wohnstuben, die damals noch lange nicht mit einem Fernseher ausgestattet waren.

Dass die Menschen im Elsass schon damals unterschiedlicher religiöser Herkunft waren, zeigt die Wentzel´ sche Produktion ebenso deutlich. Neben den christlichen Motiven, das Herz Jesu oder die leidende Jungfrau zum Beispiel, gab es auch lutheranische wie eine Abbildung der großen Reformatoren Martin Luther, Philipp Melanchton, Johannes Calvin, Ulrich Zwingli und Jan Hus, jüdische wie z.B. Moses und die Gesetzestafeln und sogar Suren aus dem Koran, die wohl auf Bestellung aus dem Ausland angefertigt worden waren. Wentzel druckte alles, was geschäftlichen Erfolg versprach.

Das Unternehmen gehörte damals zu den fünf wichtigsten auf dem Kontinent und stand in scharfer Konkurrenz zu seinen Mitbewerbern. Die Abwerbung von Fachkräften hatte oftmals gerichtliche Nachspiele, eine Kooperation unter den verschiedenen Firmen war zur damaligen Zeit jedoch gänzlich ausgeschlossen. Jedes Blatt musste im 19.Jahrhundert noch der Zensur vorgelegt werden, eine Verbreitung staatsgefährdender Ideen war dadurch gänzlich ausgeschlossen.

Der Gang durch die Ausstellung lässt gute Rückschlüsse auf die noch beschauliche Verbreitung von Neuigkeiten zu, denn das Feuer in der Pariser Oper im Jahre 1887, oder der Aufstand der Hereros 1904 in Deutsch-Westafrika benötigte mindestens wenige Wochen zur Verbreitung im ganzen Land. Die lebensgroßen, aus vier Bögen zusammengesetzten Darstellungen von Damen, Jägern, Hofnarren, Rittern, Kartenfiguren und allerlei mehr, zierten viele Gaststätten und die ersten Vereinslokale, die sich damit ein modernes, optisches Image verpassten.

„Welten aus Papier“ bietet einen Gang in die Geschichte des 19. und frühren 20. Jahrhunderts. In jene Zeit, in der Bildmaterial noch rar, die Fantasie dafür umso gefragter war.

Näheres unter: https://www.musees.strasbourg.eu

grenouille

Grenouille pour jeu de balle, R. Ackermann, entre 1906 et 1918, chromolithographie, 129 x 58 cm. Strasbourg, Cabinet des Estampes et des Dessins. (c) Photo : M.Bertola

L’imagerie populaire de Wissembourg

Un chinois à la bouche ouverte et au regard méchant, un gorille avec un haut de forme à la main, une image sainte avec un cadre doré, un jeu de société, l’éruption du Mont Pelé qui a eu lieu à la Martinique en 1902, mais aussi des têtes de lapins de pâques et des pères Noël : On peut admirer tout ceci et encore davantage sur de grandes feuilles de papier multicolores à la galerie Heitz au Palais Rohan à Strasbourg. Grâce à l’exposition «Des mondes en papier – l’imagerie populaire» organisée en collaboration avec le musée alsacien, le visiteur a l’occasion de se familiariser avec un chapitre particulier de la culture populaire alsacienne: les travaux de l’entreprise Wentzel, fondée en 1839 à Wissembourg. Au 19e siècle, cette entreprise fut l’une des plus importantes pour l’impression des lithographies en couleur. Ses produits furent distribués dans toute l’Europe. En transitant par un dépôt à Paris, les feuillets étaient livrés dans toute la France, mais également plus au sud, jusqu’en Arabie Saoudite. L’Alsace fut le point de départ pour les cargaisons destinées à l’est européen, jusqu’à la Pologne.
Après une histoire riche en changements, aussi riche en changements que l’histoire même de l’Alsace, l’entreprise a cessé son activité cent ans après sa création.

gare

Gare de chemin de fer, Fr. Wentzel, entre 1865 et 1869, lithographie colorée, 30,5 x 45,2 cm. Strasbourg, Musée Alsacien (c) Photo : M.Bertola

Jusqu’en 1870, l’année où l’Alsace fut conquise par les Allemands, la production de Wentzel fut pratiquement 100 % bilingue, car la clientèle alsacienne savait lire et écrire l’allemand. Si à ses débuts l’entreprise se consacra essentiellement à la diffusion de motifs religieux, ses dirigeants comprirent très vite que les affaires avec les enfants étaient au moins aussi lucratives. Des jeux, de petites poupées, des coulisses de théâtre et des feuillets d’images «optiques » furent distribués par des représentants itinérants et également par l’intermédiaire des librairies. Mais Wentzel n’a pas seulement diverti la population. L’entreprise a également contribué à son instruction, tout en soutenant le pouvoir en place. Sous forme de séries historiques on a fait connaître de façon imagée la vie de héros de romans légendaires à la population. Les portraits des grandes figures républicaines et même le pape ont trouvé leur chemin dans les foyers où à l’époque la télévision ne faisait pas partie du décor.

La production de l’entreprise Wentzel était la preuve que déjà à cette époque les alsaciens avaient différentes confessions: en plus des motifs chrétiens comme le cœur Jésus ou la vierge Marie, on pouvait y trouver des motifs luthériens comme les portraits des grands réformateurs Martin Luther, Philippe Melanchton, Jean Calvin, Ulrich Zwingli et Jean Hus. Des images juives, comme Moïse et les 10 commandements et même des sourates du Coran étaient également imprimées. Ces derniers étaient sans doute des commandes venant de l’étranger. Wentzel imprimait tout ce qui pouvait rapporter de l’argent.

A cette époque, l’entreprise faisait partie des cinq sociétés les plus importantes sur le continent. La concurrence dans le secteur était rude. Débaucher des collaborateurs qualifiés était un acte qui était souvent suivi par une action en justice, une collaboration entre les différentes entreprises était en ce temps-là totalement exclue.
Au 19e siècle, chaque feuillet était soumis à la censure de façon à empêcher toute diffusion d’idées qui auraient pu porter atteinte à la sécurité de l’Etat.

La promenade à travers l’exposition permet d’apprendre au sujet de la diffusion des événements par l’image: des évènements comme l’incendie de l’opéra de Paris en 1887, ou alors la rébellion des Hereros en 1904 en Afrique de l’ouest allemand nécessitaient au moins quelques semaines pour faire le tour du pays.

Les images à taille réelle représentant de belles dames, des chasseurs, des fous du roi, des chevaliers, des cartes de jeux et tant d’autres sujets composés de 4 feuillets, servaient à décorer les murs des petits bistrots et des brasseries associatives. De cette façon, ces dernières ont réussi à se fabriquer une image moderne et porteuse de message.

« Des mondes de papier » c’est une promenade à travers l’histoire du 19e et du début du 20e siècle. Une époque, où les images étaient encore rares mais l’imagination d’autant plus fertile.

Vous trouvez plus d’information en suivant le lien suivant :

https://www.musees.strasbourg.eu
Texte traduit de l’allemand par Andrea Isker

Pin It on Pinterest