von Michaela Preiner | Jun 7, 2015 | Theater, Wiener Festwochen
Ivo van Hove fasste Shakespeares Königsdramen Heinrich V, Heinrich VI und Richard III in „King of Wars“ für einen Abend bei den Wiener Festwochen zusammen. Eine 5-stündige Publikumsherausforderung, spannend, opulent, atemlos und nicht zuletzt auch voyeuristisch. Große Bilder, durch die sich die Hauptcharaktere erklären, aber überraschenderweise wenig Zeitkritisches.
George, William, Charles, die Queen – ein Schwarz-Weiß-Foto jeder einzelnen Person erscheint auf der großen Projektionsfläche zu Beginn des Abends über der Bühne. Unter den Konterfeis sind zeichenhafte Statthalter für deren Regentschaft angebracht: Außer bei Elisabeth stehen bei den drei Erstgenannten Fragezeichen, sowohl für den Beginn als auch für das Ende ihrer Regierungsperiode. In rascher Abfolge läuft die Präsentation historisch zurück zu Heinrich V. Aber es ist sein Vater, Heinrich IV, der live in der ersten Großaufnahme auf der Leinwand zu sehen ist. Er liegt mit nacktem Oberkörper in einem weißen Bett. Wie es nach ihm noch viele andere tun werden. Sein Sohn, Henry V, ist an seiner Seite.
Ein historischer Stoff in einer zeitgeistigen Umgebung
Der niederländische Regisseur Ivo van Hove gastierte mit der Toneelgroep aus Amsterdam mit „King of Wars“ bei den Wiener Festwochen. Dabei handelt es sich um eine höchst aufwendige Produktion. Nicht nur die Anzahl der Ensemblemitglieder, sondern auch eine wahre Armada an IT-Leuten sitzt dafür an einem Dutzend Bildschirmen in einer Reihe inmitten des Publikums, um das Geschehen auf der Bühne mit Live-Projektionen und Videos zu ergänzen. Jene Menschen nicht mitgerechnet, die in der Regiekabine selbst noch am Werken sind.
Jan Versveyveld, der das Bühnenbild verantwortet, Eric Sleichim, Musik, und Tal Yarden, Video, müssen in einem Atemzug mit dem Regisseur genannt werden. Denn jeder Einzelne von ihnen hat maßgeblich Anteil am Gelingen dieser Inszenierung. Es gibt kaum eine Minute, die Sleichim nicht dazu nutzt, das Geschehen musikalisch zu unterfüttern. Dabei verwendet er sowohl Live-Auftritte von einem Posaunenquartett und einem Countertenor als auch zuvor Eingespieltes. Zeitgenössisches vermischt sich mit Renaissancemusik, Disco- und Loungeklänge schaffen eine starke Verbindung ins Hier und Heute. Sakrales trifft auf spannungsgeladene Soundräume, das Ticken einer Uhr verwandelt sich in das Tropfen von Wasser. Selten hatte Musik in einer Theaterproduktion, die Shakespeares Texte heranzieht, einen so großen Stellenwert. Und selten war sie so großartig wie hier.
Versveyveld holte sich von Churchills „war room“ seine Inspiration. Die verschiedenen Könige, die in diesem Stück auftreten, nutzen alle denselben Raum. Zwar verändert er sich bei jeder neu erzählten Geschichte durch andere Requisiten, bleibt aber in der Grundkonzeption derselbe. Drei Ausgänge führen in angrenzende, weiße, kahle Gänge. Die Ereignisse darin werden mittels einer Steadycam, aber auch zuvor aufgenommener Takes, auf die große Leinwand projiziert. Eine Herausforderung für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die zwischen den Medien Film und Theater beständig wechseln müssen.
Die drei Königsdramen werden oft in einer Abfolge auf die Bühne gebracht. Van Hove setzt das Geschehen aber in die Jetzt-Zeit, wobei er sich dennoch relativ eng an Shakespeares Textvorgabe hält. An wenigen Stellen blitzt sogar sein Versmaß auf, an anderen wiederum lässt er einen zeitgenössischen Jargon zu, um eine stärkere Identifikation mit den Personen zu erreichen.
Businessanzüge mit Maßhemden und Krawatten sind Standard. Der Kardinal ist als solcher nur durch einen Kollar erkennbar. Die Damen – Prinzessinnen und Königinnen präsentieren sich in noblem Businessoutfit. Hosenanzüge, weich fallende Blusen oder schicke, aber niemals aufreizende Kleider.
Der „war room“ ist bei Heinich V und seinem Sohn noch mit Radarschirmen ausgestattet. Erst Richard III, braucht diese Hilfsmittel nicht mehr. Sein Feind ist nicht mehr Frankreich, sondern die eigene Familie, die er erbarmungslos nach und nach ausrottet, um an die Macht zu gelangen.
Der Regisseur legt viel Wert auf eine zeitgeistige Verankerung, allerdings rührt er die großen Erzählstränge von Shakespeare dabei nicht an. Der Krieg Heinrichs V mit Frankreich bleibt der historische Krieg mit all seinen Einzelheiten, welche die mittelalterliche Strategie damals mit sich brachte. Die Verhandlungen über das Brautgeld der Prinzessin Margaret, die von Heinrich VI als Ehefrau begehrt wird, haben nichts mit Abfertigungsgesprächen von Managerinnen des 21. Jahrhunderts zu tun. Und auch die Umsetzung der Machtansprüche Richards III wird nicht zeitgeistig umgedeutet.
Nur die Tötungsmittel sind zum Teil unserer Zeit angepasst. Zwar wird noch eigenhändig erwürgt, aber häufig kommen Giftspritzen und -injektionen zum Einsatz, um die Widersacher loszuwerden. Gnadenlos hält die Kamera bei diesem Geschehen auf die geschundenen Körper, sodass einige Sensible ihre Blicke senken müssen. Aber die herrschende Klasse und ihre Speichellecker müssen sich nicht wie heute mit globalen Wirtschaftsfragen oder dem Druck des Shareholder-Values abplagen. Sie sind nur damit beschäftigt, ihr Reich zu vergrößern und sich selbst an der Macht zu erhalten. Da hilft auch eine kleine, eingeschobene Lachnummer nichts, bei der Richard mithilfe von drei Telefonen Barack, Angela und Putin anruft.
-
-
Krünungszermonie in „King of Wars“ bei den Wiener Festwochen (Foto: Jan Versweyveld)
-
-
Eelco Smits in Kings of War (Foto: Jan Versweyveld)
-
-
„King of Wars“ bei den Wiener Festwochen (Foto: Jan Versweyveld)
-
-
„King of Wars“ bei den Wiener Festwochen (Foto: Jan Versweyveld)
Der heile Moment am roten Teppich
Viermal wird ein roter Teppich für eine Krönungszeremonie ausgerollt. Viermal die Insignien wie Krone und Hermelin aus einem stets sichtbaren, gläsernen Arzneischrank geholt. Jedes Mal ertönen die Posaunen, aber an der Klangfarbe lässt sich ablesen, ob England gute oder schlechte Zeiten bevorstehen. Es sind jene seltenen Augenblicke, in welchen die Herrscher außerhalb einer Zeit stehen, in der sie permanent agieren müssen. Heile Momente, dennoch zukunftsschwanger aufgeladen. Die Charakterisierung der Figuren gelingt in jedem einzelnen Fall dank der hohen schauspielerischen Leistungen bestens. Heinrich V, jener über die Franzosen siegreiche König, kann sein Glück nach der Schlacht nicht fassen. Zu groß war die Übermacht des Gegners, als dass er sich zuvor selbst einen Sieg eingeräumt hätte. Die Verblüffung steht Ramsey Nasr förmlich ins Gesicht geschrieben. Er rangiert in der Sympathieskala an diesem Abend ganz weit oben. Wie fast alle anderen Schauspielerinnen und Schauspieler, schlüpft er noch in eine weitere Rolle und überzeugt dabei durch seine große Wandlungsfähigkeit. Auch seine Ansprache kurz vor der Schlacht, ein schwerer Text, der das Publikum selten wirklich packt, gelingt ihm völlig glaubwürdig und bringt ihm zusätzliche Sympathiewerte ein.
Schauspielerische Leistungen der Sonderklasse
Eelco Smits als sein Sohn Heinrich VI brilliert durch seine ausgefeilte Mimik und sein linkisches Gehabe. Ganz nah an der Kamera blickt das Publikum in ein zögerliches, teilweise dummes, fast autistisches Gesicht. Er lässt keinen Zweifel an der Unfähigkeit seiner Regentschaft und schläft wie ein Maturant im gestreiften Pyjama, selig zugedeckt alleine in seinem Bett, während seine Frau Margaret (Janni Goslinga) seinem Getreuen und Widersacher Suffolk mit einem Blow-Job beglückt. Elektrisierend wirkt der junge Mann in jener Szene, in der er von Schmerz übermannt, sich auf dem Boden wälzt, um den Tod seines Onkels zu beklagen. Was wie eine kindische Aktion beginnt, endet als körperlicher und geistiger Ausbruch, der höchste Empathie hervorruft. Eine Herde von Schafen, eingepfercht in die weißen Bunkergänge, blökt, während sich der schwache Regent am Ende unter sie mischt und sich damit sinnbildhaft von der Gesellschaft abwendet, der er nicht gewachsen ist.
Eine Klasse für sich ist Hans Kesting. In den Niederlanden ist er nicht nur durch seine Auftritte mit der Toneelgroep bekannt, sondern auch durch verschiedene Fernsehformate. Seine darstellerische Bandbreite reicht von der Verkörperung klassischer Rollen von Aischylos, Sophokles oder Shakespeare bis hin zu solchen in Kinderprogrammen. Als Richard III läuft er hinkend und dämonisch über die Bühne. Im Gesicht einen dunklen Blutschwamm, changiert er mühelos zwischen teuflischem Schlächter und vermeintlich treusorgendem Onkel. Jener Auftritt, in welchem er sich selbst die Krone auf den Kopf setzt, einen Perserteppich um die Schultern hängt und sich mit Jubelschreien über seine bevorstehende Krönung anfeuert, brennt sich innerhalb von wenigen Momenten ins Gedächtnis. Auch seine Selbstanklage und sein gegen sich selbst „Zu Gericht Sitzen“, das er mit dem Rücken zum Publikum zu spielen hat, ist schlichtweg grandios. Kurz davor machte sich die Länge des Abends bemerkbar, aber diese Performance hebelt jegliches Zeitgefühl aus. Seinem furiosen Abgang auf einem imaginierten Pferd galoppierend, folgt noch die Inthronisation von Henry VII, klugerweise wieder von Ramsey Nasr dargestellt.
Ivo van Hove gelingt es, mit eindrucksvollen Bildern das Publikum zu packen und es ganz nah an die Shakespeare-Interpretation der historischen Geschehnisse zu führen. Das Fehlen eines zeitgenössischen Plots jedoch erzeugt ein gewisses Vakuum in der Rezension. Es hätte wohl der ein- oder andere kleine Hinweis genügt, dieses Stück auch zu einem höchst aktuellen Werk über die soziale Verfasstheit unserer Zeit zu machen. Der Grundgedanke hätte dies hergegeben. Der charakterlich individuelle Umgang mit Macht, der im Mittelpunkt der Inszenierung steht, ist dennoch ausreichend, um von einem herausragenden Theaterereignis sprechen zu können.
von Gunda Kinzl | Apr 7, 2015 | Juki-Cult
„Liebe und Krieg“ ist eine von drei Shakespeare – Adaptionen der Konservatorium Wien Privatuniversität im Dschungel Wien.
Nebel kriecht über den Boden, Sirenen heulen, von hinten stürmt eine Mannschaft auf die Bühne, ihre Montur ist irgendwo zwischen Football, Paintball und Computerspiel angesiedelt. Mit hypermännlicher Gestik beginnen sie zu skandieren.
Diese betonte Männlichkeit zieht sich durch das gesamte Stück, vom Kostüm (Ausstattung: Vanessa Achilles-Broutin) über die zur Schau gestellte Körperlichkeit bis zur Besetzung. Neben Katharina Farnleitner als Cressida gibt es noch Katharina Stadtmann als deren Onkel Pandarus – mit Schnauzbart. Die anderen Rollen sind aufgeteilt auf die drei Schauspieler Valentin Postlmayr, Deniz Baser und Noah Saavedra. „Liebe und Krieg“ (Autor: Dietrich Trapp) ist eine Adaption von Shakespeares „Troilus und Cressida“ für ein Publikum ab 12 Jahren.
Durch die Liebesgeschichte von Troilus und Cressida, die durch den Trojanischen Krieg getrennt werden, soll „dem Krieg ein Gesicht gegeben werden“, wie es in der Programmankündigung heißt. Cressida, eine Trojanerin, wird im Zuge eines Gefangenenaustauschs an Griechenland ausgeliefert. Dort steht sie vor der Frage: Treu bleiben, koste es, was es wolle? Oder sich anpassen? Sie entscheidet sich für letzteres. Der Rest ist vorhersehbar. Das ganze Stück über ist keine der Figuren je anders, als man es von ihr erwartet.
Die Inszenierung schafft es nicht wirklich, ihre moralisierende Komponente abzustreifen. Sie bietet allerdings durch ihre hohe Geschwindigkeit, einen gut dosierten Witz und einen Beatbox–Battle, den das Publikum mit Szenenapplaus belohnt, gute Unterhaltung. Ein Stück, das man sich gerne ansieht, das einen aber wahrscheinlich nicht nächtelang verfolgen wird.
von Gunda Kinzl | Apr 7, 2015 | Juki-Cult
„War Game“ – ein „Spiel“ rund um den Krieg und seine medialen Mechanismen im Dschungel Wien.
„War Game“ ist eine von drei Shakespeare–Adaptionen für Kinder und Jugendliche die Ende März im Dschungel Wien uraufgeführt wurden. In dieser Produktion haben Studierende des Tanzpädagogikzweigs (Dorothea Altenburger, Monika Demmer, Clarissa Friedrichkeit, Lena Pirklhuber, Martin Wax) der Konservatorium Wien Privatuniversität unter der Leitung von Nikolaus Selimov gemeinsam die Choreografie erarbeitet. „Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln.“ – dieses Zitat aus „Julius Cäsar“ schlägt gemeinsam mit anderen Zitaten von William Shakespeare eine Brücke zu Konflikten in der Vergangenheit.
Mit Computer-Spielen hat „War Game“ allerdings wenig zu tun. Vielmehr wird man wird mit Bildern geflutet. Die Konflikte, die die Medien bestimmen, werden auf eine Wand projiziert. Gemeinsam mit akustischen Einspielungen vermischt sich dabei alles zu einem überschwappenden Medienbrei.
Tische stellen eine undurchdringbare Festung dar. Dann wieder werden sie zu einer wackeligen Bühne, die immer kleiner und unsicherer wird. Eine Handkamera wird auf das Bühnengeschehen gerichtet, Naheinstellungen zeigen Gewaltszenen. Aus Bewegungen, die wirken, als wären die Tänzerinnen und der Tänzer selbst getroffen worden, entwickeln sich kurze Momente der Suche nach Nähe – in einer Welt, die unter Beschuss steht.
Als Publikum wird man allerdings nur selten gezwungen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Nur manchmal nähert sich das Bühnengeschehen physisch und emotional. Dann, wenn die Tänzerinnen fallen, und noch am Boden weiter salutieren. Wenn sie, einen Marschrhythmus stampfend, auf das Publikum zukommen. Oder wenn der Arm des Verwundeten in den Medienberichten zum Arm einer Tänzerin wird. Insgesamt, obwohl das Potential vorhanden wäre, bleibt das Geschehen jedoch seltsam ungefährlich. Auch die Faszination, die Krieg und besonders Kriegsspiele auslösen können, bleibt auf der Strecke.
Dabei macht die Inszenierung einen weiten Zusammenhang der medialen Inszenierung von Krieg auf und reflektiert die Produktion von Grauens- oder Heldenbildern. Zugleich wird darauf angespielt, dass wir es in unserem Land so friedlich haben, dass wir Krieg virtuell simulieren müssen. Eingespielt werden auch Zitate von Schülerinnen, die im selben Alter wie das Zielpublikum sind. Aus ihnen lässt sich die große Entfernung, die wir zwischen uns und dem Kriegsgeschehen wahrnehmen, ablesen. Diese Entfernung bleibt unangetastet. Hängen bleibt die Quintessenz: „Ich will nicht, dass es anderen Menschen schlecht geht“. Ob das reicht?