Dämonen werden gezüchtet

Dämonen werden gezüchtet

Elisabeth Ritonja

Foto: ( )

15.

Februar 2015

Ohrenbetäubender Lärm erfüllt den Raum, immer wieder kurz aufflammendes, grelles Licht markiert Explosionen, Menschen laufen schreiend durcheinander, erheben die Arme und ballen ihre Fäuste. Wir befinden uns im revolutionären Ausnahmezustand.

Talk to the Demon von Wim Vandekeybus mit seiner Truppe Ultima Vez als bildgewaltige Nachdenkanimation im Tanzquartier

Ohrenbetäubender Lärm erfüllt den Raum, immer wieder kurz aufflammendes, grelles Licht markiert Explosionen, Menschen laufen schreiend durcheinander, erheben die Arme und ballen ihre Fäuste. Wir befinden uns im revolutionären Ausnahmezustand.

Ein kleiner Junge klettert auf den Rücken eines jungen Mannes und befiehlt ihm, sein Pferd zu sein. Die übrigen anwesenden Erwachsenen degradiert er im Befehlston zu Kühen. Triumphierend lässt sich der Dreikäsehoch – einen Cowboy imitierend – über die Bühne tragen und versucht, die kuhgleichen Menschenviecher mit seinem Lasso einzufangen.

Ein hoch gewachsener Mann mit strähnigen, blonden Haaren erzählt mit raumfüllender Theaterstimme von seinen Kriegserlebnissen als General. Berichtet von den Verwundungen und Verstümmelungen der Soldaten, während neben ihm wie selbstverständlich Männer und Frauen in Zweierkombinationen tanzen. Es ist der Sprechrhythmus der Kriegserzählung, der von ihnen aufgenommen wird und in den sie ihre Bewegungen einbetten. Mit allen Pausen, allen bedrohlichen Anschwellungen und leisen Untertönen – all das spiegelt sich in ihrer Choreografie zeitgleich wieder. Der schwarze Junge, mit dem der Mann eigentlich vorhatte General zu spielen, ist längst vergessen. Die Übermacht des eigenen Egos lässt kein Gegenüber zu.

Unschuld und Schuld von Kindern und Erwachsenen

Dies sind nur drei Szenen aus vielen, die der Choreograf Wim Vandekeybus in seinem neuen Stück „Talk of the Demon“ mit seiner Truppe „Ultima Vez“ vorführt. Drei Szenen, die stellvertretend für jenes Konvolut an Bildern aufgezählt werden kann, mit dem das Publikum an diesem Abend im Tanzquartier in Wien förmlich überschwemmt wird. Eine durchgehende Geschichte erzählt der belgische Ausnahmekünstler, der unter anderem auch für den besonderen Einsatz von Musik in seiner Arbeit bekannt ist, nicht. Vielmehr bietet er lose aneinandergereihte Auftritte an, die dennoch auf einen gemeinsamen Sinn-Nenner zu bringen sind: Evoziert er doch das Nachdenken über kindliche Unschuld, kindliche Tyrannei, erwachsene Hilflosigkeit bis hin zu einem Aggressionsverhalten, das die Beschädigung, ja sogar Tötung von Menschen miteinschließt. Was die Musik betrifft, so bricht Vandekeybus mit dieser Produktion drastisch mit seinen bisherigen Gewohnheiten. Denn Musik, die gibt es an diesem Abend nicht. Allenfalls ein hoch artifizielles, aber effektives Geräusch-Surrounding, das Wohlklang und Dissonanzen adäquat ersetzt.

„Was soll das sein? Ist das noch Theater? Dafür haben Sie bezahlt?“ wird das Publikum während des Stückes einmal von der Bühne her gefragt. Und tatsächlich wird, nicht nur in diesem Moment, ganz im Sinne einer Einbindung versucht, die Grenze zwischen den Aktiven auf der Bühne und den nur passiv Zusehenden zu durchbrechen. Dafür begleiten auch gleich zu Beginn zwei Kinder, ein kleiner weißer Junge und ein ein paar Jahre älterer dunkelhäutiger, einen der Akteure. Der stellt dann auch prompt die Frage, wer denn von den beiden Kindern an diesem Abend aktiv teilnehmen soll. Der Abstimmung im Publikum enthalten sich erstaunlicherweise viele. Vielleicht, weil sie schon durch verschiedene Trailer von dieser Befragung Kenntnis haben, vielleicht aber auch, weil die Frage angesichts der Anwesenheit der beiden Jungen anmaßend ist. Später wird die Publikumsentscheidung von Jerry Killick, dem ein Hauptpart in der Show zufällt, als falsch deklariert werden. Als etwas, das man in gutem Glauben herbeiführte, was sich aber letztlich aus seiner Sicht ins Negative kehrte. „Ein Bühnengesetz sagt, man solle nie mit Kindern oder Tieren auftreten, dieser Junge ist aber beides“, schiebt er noch eine Belehrung nach und tatsächlich ist es der kleine, zarte Luke de Bolle, dessen Diktat sich die Tänzerinnen und Tänzern zumindest scheinbar unterwerfen.

Monster werden gezüchtet

Grandios gestaltet sich dabei jene Szene, in der Elena Fokina als gesichtsloses, zottelhaariges Monster dem verängstigten Luke erscheint. Mit der Körpersprache eines wilden, wenngleich desorientierten Tieres, versucht sie beständig, den Buben zu fangen. Sein versuchter Ausbruch aus dieser irrealen Traumsituation wird nur mit einer noch bedrohlicheren beantwortet. Hinter dem Vorhang wartet auf ihn ein Riesenmonster. Schließlich sind es zwei zentrale Fragen, die der kleine Schauspieler stellt, um die sich das gesamte Universum dieser Aufführung dreht: „Do you love me?“ und „When will I die?“ Zwei elementare, lebensbestimmende Fragen, mit denen sich jeder Mensch konfrontiert sieht. Die Zurückweisung von Liebe endet – wie plastisch vor Augen geführt, in permanenter Gewalt; die Nicht-Auseinandersetzung, die permanente Verdrängung des eigenen Todes hingegen in seelischen Deformationen. Beides wird in Überfülle gezeigt. Menschen, die andere einsperren, zu Tode prügeln, mit Steinen wutentbrannt gegen eine Mauer werfen und solche, die wie Marionetten an Gummifäden hängen, ohne zu erkennen, wie sehr sie einer gesellschaftlichen Abhängigkeit unterliegen. Vandekeybus zeigt aber auch das Herdenverhalten von Menschen und mehrfach dabei jene Momente, in denen Gewalt wie ein Funke von einem zum anderen überspringt. Seine menschlichen Dämonen kommen aber nicht von ungefähr, denn sie werden regelrecht gezüchtet. Ob bewusst oder unbewusst spielt dabei nur eine sekundäre Rolle.

Samuel de Lille, der schwarze Junge, der zu Beginn abgewählt worden war, erscheint im Laufe des Abends wieder und sät im Nu reihum ein schlechtes Gewissen. Seinem Wunsch, nach seinem Tod ein Clown zu sein, wird dramaturgisch entsprochen. Das letzte Bild, mit dem sich die Truppe verabschiedet, könnte eindringlicher nicht sein. Pierrots und Clowns, getaucht in tiefes, rotes Licht, betreten die Bühne zaghaft, ja ungläubig und schauen um sich. „Das soll Theater sein, was wurde hier gespielt?“, scheinen sie sich zu fragen. Eine Referenz auch an das historische Kostüm-Theater, das hier noch einmal wie aus fernen Zeiten zumindest für wenige Minuten lang aufglüht.

Einziger Wermutstropfen des Abends war eine gefühlte Überlänge in der zweiten Hälfte, hauptsächlich hervorgerufen durch die Kriegsschilderung von Jerry Killick. Eine Straffung hätte hier auch dem inhaltlichen Zusammenhalt des Stückes gut getan. Gala Moody, Yassin Mrabtifi, Luke Jessop und Manuel Ronda waren die weiteren Tänzerinnen und Tänzer, die, so wie man es von Ultima Vez Auftritten kennt, bis an die Grenze ihrer physischen Belastbarkeit gehen mussten.

Ein intensiver, bilderreicher Abend mit choreografischen Höhepunkten und vielen gedanklichen Pfaden, die dem Publikum als Interpretationsangebote gelegt wurden. Dass es deren mehrere gibt, macht auch den Reiz dieser Produktion aus.

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