Trautes Heim, Unglück allein

Trautes Heim, Unglück allein

Aurelia Gruber

Foto: ( )

16.

März 2014

Ein lustvoller Abend, voll jugendlicher, unverbrauchter Power. Mit viel Schwung, aber auch einem subtil unterschobenem Tiefgang mit Nachwirkung.

Im Tanzquartier in Wien war am 14. und 15. März eine Gemeinschaftsarbeit der beiden Tänzer, Choreographen und Performer Dominik Grünbühel und Luke Baio zu sehen. Ihre Produktion mit dem Titel De-Il-Lusion kann gleich mit mehreren gängigen Sprichworten unterlegt werden als da sind: Gemeinsam, statt einsam oder auch Trautes Heim, Glück allein. Wobei die jungen Kreativen eigentlich hinter diese stereotypen Aussagen blicken und zu einem gänzlich anderen Schluss kommen.

De-Il-Lusion eine Uraufführung im Tanzquartier Wien.

Im Tanzquartier war das Stück „De-Il-Lusion“ der beiden jungen Choreographen Dominik Grünbühel und Luke Baio zu sehen. (Foto: (c) pufferfish, Stefan Wanka)

Erstmals von einem Ensemble unterstützt, gelingt ihnen ein Abend, gewürzt mit einer großen Portion Humor, an dem die gemeinsame Arbeit über lange Strecken in den Blickpunkt des Geschehens rückt. Dabei ist Arbeit im gänzlich prosaischen Sinn des Wortes, nämlich handwerkliche Arbeit, gemeint. Gleich zu Beginn, der Saal bleibt noch beleuchtet, marschieren 6 junge Leute im Gleichschritt in den Saal. Sie tragen graue Hosen und Hemden, Krawatten und teilweise graue Kappen und sind durch zwei lange hölzerne Bretter an den Füßen miteinander verbunden. So kommen sie daher, im Gänsemarsch, wobei man bei ihren Manövern über die Bühne einen leisen Eindruck davon bekommt, dass gleichgeschaltetes Gehen kein natürliches Bewegungsmuster ist. Bald löst sich einer von ihnen, marschiert an die linke Bühnenseite und betätigt den Schalter für das Saallicht. Ein Zeichen, dass es jetzt richtig losgeht. Schon bald darauf richten sich zwei junge Männer an ihren Instrumenten, rechts am Bühnenrand, ein. Manuel Mayr an der E-Gitarre und Mathias Koch am Vibraphon und Schlagzeug. Gemeinsam mit Daniel Lercher, der für die elektronischen Klänge zuständig ist, begleiten sie die sechs Performer musikalisch. Zu den ersten Bassklängen verschwinden die Performer unter den Zuschauertribünen und schieben von dort mit großem Schwung vier überdimensionale, dünne, hölzerne, quadratische Platten auf die Bühne, die sie kurz darauf aufnehmen und sich wie riesige Hutbedeckungen aufsetzen. Zuerst ruhig stehend ergibt dies ein wunderbares, einprägsames Bild, das sich durch die bald darauf einsetzenden, kleinen Bewegungen der PerformerInnen noch verstärkt. Dabei beginnen sich die Platten leicht zu biegen und wippen und erzeugen dabei auch noch einen feinen, dem Material inhärenten Klang. Dieses Kopfdeckelballett wird bald durch zwei weitere Menschen ergänzt, die jedoch anstelle der Holzquadrate meterlange Kanthölzer auf dem Kopf balancieren. Eindringliche Xylophon- und verzerrte Gitarrenklänge schaffen dabei einen abstrakten und zugleich extrem getakteten Klangraum. Ein Traumbild, das, wie sich noch zeigen wird, so, oder so ähnlich die Köpfe von Millionen von Menschen besiedelt.

Doch schon bald wird aus dem abstrakten Klangraum ein realer Arbeitsraum, werden doch nach diesem beeindruckenden Augenfutter jede Menge Holzplatten in unterschiedlichen Größen auf die Bühne gebracht, um coram publico zusammengebaut zu werden. Offenbar hat diese Arbeitsschicht den Durchblick, was ihr handwerkliches Tun betrifft. Da werden Platten aneinandergefügt, hochkant gestellt, mit anderen verbunden. Wieder zu Boden gelassen. Andere aufgenommen, ebenso angedockt, verschoben. Da fügen sich plötzlich zwei Elemente völlig unerwartet zu einem Hausdach und so wird klar, hier handelt es sich um Häuselbauer. Jene in Österreich weit verbreitete Spezies, die ihr größtes Glück darin sieht, ein Eigenheim zu errichten, um später glücklich darin bis an ihr Lebensende zu wohnen. Adäquat dazu gebärdet sich die Musik, im arbeitsanspornenden 4er-Rhythmus, mit Betonung auf dem dritten Taktschlag. So lange, bis das Häuschen steht, samt davor eingerichtetem kleinen Gärtchen und Rasenziegeln. Zufrieden marschieren alle ins neu errichtete Häuschen inklusive der Musiker. Die Nacht bricht ein, und aus dem Schornstein quillt Rauch – eine Idylle, beinahe wie aus Humperdings Hänsel-und-Gretel-Oper, die vom Publikum mit herzlichem Lachen kommentiert wird. Das Zusammenfinden für ein Gemeinschaftsfoto am nächsten Morgen vor dem Haus evoziert noch einmal eine heile Welt. Es ist aber der letzte Augenblick an diesem Abend, an dem dieses Gefühl aufkommt. „Verweile doch, du bist so schön“, möchte man ganz in Faust´schem Sinne aussprechen, schon dreht sich das Blatt des Geschehens und aus der Idylle wird ein Albtraum.

Durch harte Beats und schnarrende Geräusche untermalt, beginnen die ProtagonistInnen das Häuschen so umzubauen, dass ein Aufriss in sein Inneres sichtbar wird. Und was da zu sehen ist, macht wahrlich keinen großen Spaß. Vereinsamte und seelische deformierte Menschen wie der Hausherr selbst, der es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht hat, dabei, aber wie ein Roboter sein häusliches Bewegungsrepertoire vollzieht. Eine Frau, die einsam und verlassen in einer Zimmernische steht, die sie bedrohlich einengt und in der sie schließlich zu Boden geht. Zwei, die sich aufs Dach zurückgezogen haben und sich dort die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und zwei weitere, die permanent versuchen, im Garten zu werkeln, neue Gartenmöbel zusammenzubauen, um dabei teilweise kläglich zu scheitern. So geht es also zu, in jenem unter so viel Mühe zusammengebautem Häuschen, Traum von Millionen von Menschen. Errichtet unter großen Entbehrungen und so viel Arbeitseinsatz, dass dabei schlichtweg das Zusammenleben auf der Strecke bleibt.

Grünbühel und Baio schufen eine adäquate Metapher zu einem gesellschaftlichen Phänomen, das Mitte des 20. Jahrhunderts zu seiner ersten Blüte gelangte und bis heute für viele Menschen nichts von seiner Attraktivität verloren hat. In stimmigen Bildern verdichtet und auf die Bühne gebracht, erzählen sie von Freud aber letztlich auch vom Leid, das mit solch einer Unternehmung einhergehen kann und demaskieren ein rundum allgemein akzeptiertes Tun durch das Aufzeigen, dass ein auch noch so schmuckes Eigenheim zur Lebensfalle werden kann. Fährt man in die Speckgürtel der großen Städte Mitteleuropas und betrachtet man ein Einfamilienhaus nach dem anderen, ist es gut, nicht zu wissen, was sich dahinter tag- täglich so abspielt. Den beiden jungen Choreografen gelang eine Art performativer Psychothriller, bei dem sich erst im Laufe des Fortschreitens des Geschehens seine ganze Tragik offenbart. Als kleiner Kritikpunkt sei der zumindest subjektiv zu lange Mittelteil benannt, dem eine Kürzung nichts von seiner Aussagekraft nähme.

Ein lustvoller Abend, voll jugendlicher, unverbrauchter Power. Mit viel Schwung, aber auch einem subtil unterschobenem Tiefgang mit Nachwirkung.

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Webseite Tanzquartier Wien

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