Weill, HK Gruber, Strawinsky

Musik des 20. Jahrhunderts in all ihren Facetten

Kurt Weill, HK Gruber sowie Igor Strawinsky standen auf dem Programm für das Doppelkonzert des OPS, welches am 14. und 15. Mai in Straßburg zu hören war. Die Auswahl der Stücke, vielmehr ihre Kombination in einem Konzert, war ein Fest für Bläserfreunde. Während „Die kleine Groschenmusik“ von Kurt Weill eine verkürzte Ausgabe der Dreigroschenoper darstellt, deren solistische Parts hauptsächlich von verschiedenen Blasinstrumenten übernommen werden, ist das „Aerial“ des österreichischen Komponisten HK Gruber eine spieltechnische Herausforderung für einen einzigen Trompeter. Strawinskys Petrouchka wiederum fordert das gesamte Orchester in großer Besetzung und verteilt seine solistischen Einschübe nicht nur auf das Bläserensemble, sondern auch auf das Klavier, die Schlagwerker oder Streicher.

Deshalb waren diese Konzerte sicherlich für kein Orchestermitglied eine einfache Aufgabe. Geleitet wurde das Philharmonische Orchester Strasbourg an diesen beiden Abenden von einem jungen Gastdirigenten, Ilan Volkov, der 1976 in Israel geboren wurde. Bereits mit 19 Jahren war er Chefdirigent des Sinfonischen Orchesters von Newcastle und leitet derzeit das BBC schottische Symphonieorchester. Sein Schwerpunkt liegt auf der Interpretation zeitgenössischer Musik bis hin zu cross-over-Projekten mit elektronischer Musik, Jazz oder Klassik-Rock.

Die „Kleine Dreigroschenmusik“ die eingangs zu hören war und lange nicht so bekannt ist wie Kurt Weills Fassung für die Opernbühne, bot eine Überraschung. Anstatt der kräftigen, überspitzten und expressiven Interpretationen die man in diesem Zusammenhang von der langen Bühnenfassung kennt, ließ Volkov eine gefällige Salonmusik erklingen. Die kurzen Sätze hoben sich unwesentlich voneinander ab, die einzelnen Instrumente fügten sich harmonisch zugunsten eines einheitlichen Klangbildes ohne je solistisch hervorgehoben zu werden, bis auf eine Ausnahme: Sandrine Francois bot im Thema von Pollys Song eine berührende und herausragende Darstellung. Mehr Mut zur Überspitzung und raschere Tempi hätten einer packenderen Auslegung sicherlich gut getan. So hörte man Weill schaumgebremst als schmalspurigen Symphoniker – was er ganz und gar nicht war.

Trompeter Hakan Hardenberger - photo: Marco Borggreve

Hakan Hardenberger - Photo: Marco Borggreve

Erst im Konzert von HK Gruber, dem „Aerial“, welches der Komponist dem Trompeter Hakan Hardenberger auf den Leib schrieb, konnte der Dirigent wirklich überzeugen. Das zweisätzige Stück, in welchem der Solist oftmals sein Instrument verändern, oder überhaupt gegen ein anderes austauschen muss – so wechselte er mühelos zwischen seiner Trompete einem Kuhhorn und einer Piccolotrompete – ist zweifelsohne auch schwer zu dirigieren. Doch es scheint so, als ob Volkov mit seinen Aufgaben wachsen würde. Hardenberger gelang das Bravourstück, nicht nur als Solist in dem überaus komplexen Werk herausragend an der Spitze des Orchesters zu agieren, sondern durch seine Spielfreude, die sich in seinem gesamten Körpereinsatz ausdrückte, Volkov sogar unter seine „Führung“ zu bringen, was diesem zusätzliche Sicherheit und Unterstützung bot. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Hardenberger das Stück schon viele Male unter verschiedenen Dirigenten aufgeführt hat, dies für Volkov jedoch eine Premiere darstellte. Dem Österreicher Gruber ist ein Werk gelungen, welches als Gang quer durch die Musik des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann. Wie in Clustern erscheint eine musikalische Idee nach der anderen und legt dabei teilweise ihre Wurzeln – ob aus der zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg, Tanz- und Filmmusik der 20er Jahre oder jazzigen Anklängen – ungeniert offen. Das „Aerial“ zeigt auf besondere Weise, dass es auch zeitgenössischen Komponisten nach wie vor möglich ist, Werke für großes Orchester und den Konzertsaal zu schreiben. Keine Spur von Anachronismus haftet dem Stück an, mehrmaliges Hören verstärkt sicherlich auch rasch den Wiedererkennungswert, was darauf rückschließen lässt, dass es bald zum Standardrepertoire vieler Dirigenten gehören wird.

Strawinskys Petrouchka schließlich, die 4-sätzige Balletmusik aus dem Jahr 1911, war trotz der meisterhaften solistischen Leistung von Hardenberger, die er im Stück zuvor gezeigt hatte, der absolute Höhepunkt des Abends. Und das lag vor allem am Orchester. Es spielte, als gelte es einen Orchesterwettbewerb zu gewinnen. Und tatsächlich hätte es alles gewonnen was es zu gewinnen gegeben hätte. Mit dieser Spielfreude, mit diesem feinen Gehör das es an den Tag bzw. Abend legte, wenn man überhaupt von „einem“ Gehör sprechen darf, mit diesen solistischen Einzelleistungen führte es vor, dass es zu den ganz großen Orchestern auf dieser Welt gehört. Es folgte Ivanov, der hier zu seiner Hochform aufgelaufen war präzise und dennoch unglaublich subtil, erfreute sich offenkundig selbst an Strawinskys großer Musik, ließ klagen, schwärmen und sterben, dass das Publikum die Geschichte vom Kasperle, der sich in die schöne Balletttänzerin verliebt und am Ende von seinem Nebenbuhler, dem Mohren, umgebracht wird, förmlich als Film vor dem inneren Auge ablaufen sehen konnte. Das war ganz, ganz große Klasse.

So, wie sich das Orchester derzeit präsentiert, müsste es eigentlich in allen Fremdenführern von Straßburg angeführt sein, als unbedingtes Muss und Highlight bei einem Besuch in dieser schönen Stadt.

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