Migration und Hühnersuppe haben viel miteinander zu tun

Als Agora wurde in der griechischen Antike nicht nur der zentrale Marktplatz einer Stadt bezeichnet. Sie war auch der Ort, an dem Gerichtsverfahren stattfanden und sich vor allem die Athener Bürger zum Dialog versammelten, um dort politische Entscheidungen zu treffen. Heute haben unsere Parlamente die Stelle der Agora übernommen, jedoch so, dass immer mehr Bürger das Gefühl haben, dass die Agora, wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert herausgebildet haben, nicht mehr adäquat ist.

Das kann man sowohl an den Stammtischen als auch in den akademischen Diskussionen über Postdemokratie, Liquid Democracy oder anderen partizipativen Modellen hören.

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Agora im Schauspielhaus Wien (Foto: Luca Fuchs)

Die Idee, die Agora zurück in die Öffentlichkeit zu holen, ist seit mehreren Jahren integraler Bestandteil der darstellenden Kunst geworden. In Wien gezeigt wurde – unter anderen – bei den Festwochen 2014 das Gerichtsstück „Please Continue (Hamlet)“, welches eine Gerichtsverhandlung simulierte, in der das Publikum in die Rolle der Geschworenen schlüpften. Wie man daraus erkennen kann, starteten Experimente zum öffentlichen, politischen Diskurs, nicht erst in diesem Jahr bei den Wiener Festwochen.

Ein Format von Milo Rau und Robert Misik

Für das diesjährige Programm haben Milo Rau und Robert Misik die Idee der Agora für das Wiener Publikum mit zum Teil theatralischen Mitteln konzipiert. Im Schauspielhaus im 9. Bezirk, das man nicht gerade als den zentralsten Ort Wiens bezeichnen kann. Dennoch nutzten zahlreiche Bürger und Bürgerinnen an insgesamt sieben Spielabenden die Gelegenheit, sich aktiv am Meinungsaustausch über verschiedene politische Themen zu informieren und auch zu artikulieren.

Zu Beginn und auch am Schluss wurde das Diskussionsgeschehen mit je einer Szene eingerahmt, in welcher Vassilissa Reznikoff, Simon Bauer und Steffen Link, Ensemblemitglieder des Schauspielhauses, die Vox populi wiedergaben. Breit gefächert, von Stammtischparolen bis hin zu persönlichen Statements, die den Rückzug aus jeglichem politischen Engagement signalisierten, reichte hier die Palette.

Diskussionsimpulse kamen von interessanten Gästen

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Robert Misik – Agora im Schauspielhaus Wien (Foto: Luca Fuchs)

Die Grundidee von Robert Misik war, mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen und der Frage nachzugehen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Dafür hatte er für jeden Abend andere Gäste aus Publizistik, Politik und Gesellschaft eingeladen, mit kurzen Impulsvorträgen die Diskussionsthemen anstießen. Der Abend des 7. Juni war von der Integrationsdebatte geprägt, da Melisa Erkurt, Journalistin bei „dasbiber“ einen Input aus ihrer persönlichen Erfahrung als Migrantin aus Bosnien in den 1990er Jahren vorgab.

Dabei beschrieb sie ihre Gefühle als Pubertierende, die neben den üblichen Problemen heranwachsender Jugendlicher zusätzlich von der Ablehnung und Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft in Wien geprägt waren. Die Beeinflussbarkeit und Offenheit für Anerkennung in dieser Lebensumbruchsphase, aber auch für jede Art von Radikalisierung, zeigt sich ihr heute in den vielfältigen Schulprojekten an sogenannten Schwerpunktschulen, in denen sie mitwirkt.

Die anschließende Diskussion war sichtlich vom Willen zum Zusammenleben und der Frage geprägt, was die Zivilgesellschaft tun könne, um die Migration gelingen zu lassen. Als Mittel der Wahl kristallisierte sich, quer durch beinahe alle Beiträge, der persönliche Kontakt zu Migrantinnen und Migranten als Schlüssel eines guten Miteinanders heraus. Erich Fenninger (Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe) und Andreas Minnich (ÖVP Wirtschafts- und Kulturstadtrat aus Klosterneuburg) brachten ebenso ihre Erfahrungen und persönlichen Erlebnisse mit Flüchtlingen in die Diskussion ein und fundierten manch ein Gefühl mit Fakten, was der Veranstaltung sichtlich guttat.

Stefan Petzner alias Spin-Doctor des Abends

Über politische Taktiken und Machtspiele gab Stefan Petzner als Spin-Doktor Auskunft und zeigte auf, dass Ausländerinnen und Ausländer für jeden Wahlkampfmanager ein dankbares Thema sind, da man mit ihnen alle Ängste, Sorgen und Nöte kanalisieren kann. Sein Rezept gegen eine weitere Aufschaukelung von Angst: Man müsse mehr positive Geschichten von zivilbürgerlichem Engagement liefern. Storytelling für die eigene Sache müsse stärker in den Vordergrund treten, denn den vielen negativen Geschichten könne nur mit mehr positiven Integrationsbeispielen ihre verheerende Wirkung genommen werden, so die Meinung des Ex-Wahlkampfmanagers der FPÖ und BZÖ.

Die Hühnersuppenanekdote

Wir wirkungsvoll dies sein kann, zeigte eine Hühnersuppenanekdote auf, die sicherlich allen an diesem Abend Anwesenden in Erinnerung bleiben wird. Dabei erzählte eine Großmutter, wie sich ihr der eklatante Unterschied zwischen der arabisch geprägten Kultur und unserer westlichen an der Behandlung einer simplen Hühnersuppe zeigte. Und dass es letztlich nicht darauf ankommt, das Trennende in den Vordergrund zu stellen, sondern vielmehr darauf, den anderen zu verstehen und letztlich auch dessen Handlungsweisen versucht zu tolerieren. Ganz nebenbei bestätigte diese Marokkanisch-Österreichische Küchengeschichte die These des anwesenden Moderators, Coachs und Psychiaters August Ruhs, dass bei jeder und jedem von uns auch ein ablehnender Teil gegenüber dem Anderen in der Brust schlägt. Die Art, wie mit diesem Schatten umgegangen wird, macht den Unterschied, ob plumper Rassismus und Ausländerfeindlichkeit entsteht, oder ob ein reflexiver, rationaler Umgang mit diesem Thema vorherrscht.

Agora ist ein Format, welches das Bedürfnis nach Teilhabe und Mitbestimmung im demokratischen Prozess unterstützt. Wenn sich Spitzenpolitikerinnen und -politiker die Zeit nähmen, diese Veranstaltungsreihe zu besuchen und ihre Lehren daraus zu ziehen, dann wäre dies sicher ein Schritt in die richtige Richtung, die österreichische Diskussionskultur im öffentlichen Raum zu fördern. In sachlicher, unaufgeregter und äußerst respektvoller Form wurden die Meinungen, Standpunkte und auch Fragen präsentiert, und um Lösungsansätze gerungen. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieses Format tatsächlich stärker außerhalb der Kunstszene etabliert und sich die Zivilgesellschaft häufiger in möglichst vielen Agoren zum Meinungsaustausch trifft.

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