Alles schon da gewesen und doch viel Neues

Alles schon da gewesen und doch viel Neues

Elisabeth Ritonja

Foto: ( )

24.

Mai 2022

Michael Köhlmeier füllte das Grazer Schauspielhaus mit seinem „Abend der griechischen Mythologie“. Eine gute Idee, noch zögerliches Publikum nach der pandemiebedingten Pause wieder zurück ins Haus zu holen.

Michael Köhlmeier wurde im deutschsprachigen Raum nicht nur durch seine Romane bekannt, sondern hauptsächlich durch seine persönlich gefärbten Erzählungen über die griechische Mythologie. Das Schauspielhaus in Graz hat ihn zu einer Lesung zu ebendiesem Thema eingeladen. Der Autor und Multikreative, sogar Liedtexte und Kompositionen stammen aus seiner Feder, erzählte über die Entstehung der griechischen Götter und deren Welt im Olymp bis hin zur Erschaffung der Menschheit und den Beginn des Trojanischen Krieges.

Wer seine CDs zu dem Thema kennt, die er vor nun schon über 20 Jahren aufgenommen hat, mag vielleicht etwas überrascht gewesen sein. Präsentierte Köhlmeier die griechische Mythologie in höchst launigem Plauderton, mit vielen Finessen, die einen guten Erzähler ausmachen. Mit wenigen Worten gelangen ihm dabei sehr lebendige Charakterisierungen der Götter und Menschen, die er zuweilen auch mit einem für diese typischen Habitus veranschaulichte. Dass er Zeus als besonders guten Liebhaber bezeichnete, ständig auf neue Abenteuer aus, war auf der Hand liegend und über Jahrtausende tradiert. Peleus, den späteren Gatten der Meeresnymphe Thetis, kennzeichnete er jedoch mit dem Hinweis, dass dieser sehr gerne „jawoll!“ sagte. Während das Publikum darüber schmunzelte, wusste es noch nicht, dass es an späterer Stelle dankbar für dieses „Jawoll“ sein würde. Zu jenem Zeitpunkt nämlich, als nach unzähligen Götteraufzählungen sein Name wieder fiel und das große Grübeln begann, wer denn dieser Peleus jetzt doch gewesen sei. „Sie erinnern sich, das ist der, der immer jawoll sagte“, half Köhlmeier so manchem Gedächtnis elegant auf die Sprünge. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie gut er sein erzählerisches Handwerk versteht.

Entlang der Göttergenese erfuhr man wie nebenbei auch allerlei kulturhistorisch Interessantes, wie die Erfindung der Gitarre durch Hermes, der dies Kunststück schon als Säugling an seinem ersten Lebenstag zustande gebracht hatte. Hörbar erstaunt waren die Zuhörenden auch, als sie erfuhren, dass die bildenden Künstler bei der Darstellung von Leda und dem Schwan schlichtweg „gelogen“ haben. Hatte Leda während der Vereinigung mit Zeus doch die Gestalt einer Gans angenommen, was aber auf den Gemälden nicht zu sehen ist. Über die Konservierungskraft göttlichen Achselschweißes durfte man ebenso stauenden wie über eine originelle Verstellungs-Aktion von Odysseus, der hoffte, damit nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Die Feststellung, dass er damit der erste Wehrdienstverweigerer der Geschichte war, fand, wie so viele andere humorige Vergleiche, beim Publikum großen Anklang.

Neben all den zum Teil mäandernden Lebensläufen und Begebenheiten teilte der Autor auch seine persönlichen Gedanken über die Entstehung dieser Mythologie. Er verwies darauf, dass dieses Erzählen von Geschichten, das von Generation zu Generation stattfand, begann, als es noch keine rechtsstaatlichen Gefüge gab. Interessant war auch seine Idee, dass diese Erzählungen Menschen auch von einer Last befreien konnte. Zu erfahren, dass man mit seinem Schicksal nicht einmalig in dieser Welt ist, dass es Handlungen wie Mord und Totschlag, Ehebruch und Verrat oder Charaktereigenschaften wie Feigheit und Überheblichkeit, überbordender Zorn und Eitelkeit und all das daraus resultierende Leid immer schon gegeben hat, bedeutete für viele Menschen eine erleichternde Erkenntnis.

Die Idee, sich in Graz mit Michael Köhlmeier jemanden auf die Bühne zu holen, dessen Name über die Theaterszene hinaus eine Strahlkraft besitzt, wurde mit einem sehr gut verkauften Haus belohnt. Ein cleverer Schachzug in einer Zeit, in der das Publikum zum Teil das kulturelle Live-Angebot nach wie vor noch zögerlich annimmt.

(Foto: ©Udo Leitner)

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch Englisch

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