Animalisches und kühle Berechnung

Animalisches und kühle Berechnung

Michaela Preiner

Foto: (Danny Willems )

30.

Juli 2022

Dunkel, bedrohlich, somnambul, kraftvoll und poetisch. So präsentiert sich „Hands do not touch your precious me” mit dem namensstarken Untertitel “The mingled universe of Wim Vandekeybus, Charo Calvo & Olivier de Sagazan”.

In der Arbeit, gezeigt beim Impuls-Tanz-Festival im Volkstheater in Wien, verschränken sich die Choreografie von Vandekeybus und jene des bildenden Künstlers de Sagazan auf völlig harmonische, ja organische Weise. Die Musik und der Sound der elektroakustischen Komponistin und Sounddesignerin Charo Calvo unterstützt das Dunkle, Animalische, oft Gewalttätige der Handlung bis hin zum überraschenden Einsatz von Stille – die in einer Szene dramaturgisch Sinn ergibt.

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Hands do not touch (Foto: Danny Willems)

Erwin Jans, der Dramaturg der Inszenierung, erklärt in seinem Beitrag für das Programmheft, dass Charo Calvo die Mythen über die sumerische Göttin Inanna und die Hymnen und Andachten ihrer Hohepriesterin Enheduanna als möglichen Ausgangspunkt der Performance vorschlug. Darin geht es um die Dualität des Menschen – seine helle, strahlende sowie seine dunkle Seite, die ihn in die Unterwelt führt.

Mythen zeichnet aus, dass sie universelle psychologische sowie gesellschaftliche Phänomene so aufzeigen, dass sie zeitlos und vielschichtig interpretierbar sind. Genau das spiegelt sich auch in dieser Gemeinschaftsarbeit mit dem Vandekeybus-Ensemble „Ultima Vez“ wider. Sieht man das Stück ohne jede Vorkenntnis und mythologische Verweise, so wird rasch klar, dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, die zwischenmenschliche Begegnungen beleuchtet, die sich so oder so ähnlich immer wiederholen. Es blickt aber auch in jene dunklen, seelischen Abgründe des Menschen, in die jeder und jede von uns abgleiten kann. Das Stück berichtet von einem persönlichen Transformationsprozess, der jedoch auf eine ganze Gesellschaft übergreift und diese drastisch verändert. Nicht zuletzt kann man den Inhalt aber auch als simple Eifersuchtsgeschichte mit einem perfiden Plan interpretieren.

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Hands do not touch (Foto: Danny Willems)

Wie immer man die Deutungen auch anlegen mag, „Hands do not touch your precious me” ist sowohl was die tänzerische Arbeit betrifft als auch jene des bildenden Künstlers Olivier de Sagazan sehenswert. Auf der Bühne herrscht ein permanentes Kommen und Gehen, eine Verdichtung und eine Entflechtung von Tanzenden, die in kunstvoller Art und Weise aufeinander reagieren und es schaffen, mit physischen Mitteln viele verschiedene Emotionen auszudrücken. Unzählige Hebebewegungen, aber auch viele synchron gestaltete Tanzabläufe in atemberaubendem Tempo sind so ästhetisch, dass man gar nicht genug davon bekommen kann.

Olivier de Sagazan, zu Beginn noch als ätherischer Elf in weißem Wallekleid als Partner von Lieve Meeussen auf der Bühne, verwandelt sich im Lauf des Stückes nicht nur in tierisch-menschliche Mischwesen. Gegen Ende hin agiert er als Frau mit einem blutig geöffneten Bauch, deren Anblick Gewalt und Schmerzen assoziiert. Mit viel Lehm und ebenso viel Theaterblut zieht sein animalisches Gehabe nach und nach alle anderen Tanzenden in seine parallele Unterwelt. Wie sich de Sagazan verwandelt, ist nicht nur amüsant, sondern zum Teil auch höchst spektakulär. Wenn seine falschen Haare für Minuten auf seinem Kopf brennen und danach noch lange weiterglosen, hält das Publikum den Atem an. Offenes Feuer auf Bühnen hält noch immer einen Schreckmoment bereit. Wobei man bei der Dauer dieser Feuer-Szenerie nicht mehr nur von einem Moment sprechen kann.

Einzig Vandekeybus selbst, der immer wieder Szenen mit einer Live-Kamera einfängt, die als Standbild groß auf eine weiße Fläche auf die Bühne projiziert werden, lässt sich nicht in diese gewaltsam-groteske Szenerie einfangen. Wie sich am Ende zeigt, erweist er sich unerwartet als emotionsloser Strippenzieher und wird zum großen Gewinner der Geschichte. Nicht nur, dass er jene Frau an seine Seite gebracht hat, die ihn anfänglich nicht beachtete. Er ist auch zum Oberhaupt einer Gesellschaft aufgestiegen, die sich nun – ganz anders als zu Beginn – gleichgeschaltet um seine große Tafel schart und ihm in untertäniger Manier huldigt.

Es ist einerseits die intelligente Verschränkung der unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen, die faszinieren. Andererseits sind es der dramaturgische Sog und die sowohl individuellen als auch kollektiven, tänzerischen Leistungen, die diese Inszenierung auszeichnen und zugleich die choreografische Handschrift von Vandekeybus erkennen lassen. Impulstanz zeigt in dieser Saison noch eine zweite Inszenierung des Multikünstlers Vandekeybus. „Scattered memories“ – eine Rückschau auf 35 Jahre Arbeit mit Ultima Vez.

 

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