Art is Arp

Straßburg, die Stadt in der das Europaparlament tagt, ist als Stadt mit einer langen und wechselvollen Geschichte bekannt. Ihr Gesicht ist historisch geprägt und nichts deutet darauf hin, dass sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Künstler in ihr befanden, welche nicht rückwärts gewandt, sondern nach vorne schauend agierten. Im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst kann derzeit einer der ganz Großen der Kunstgeschichte entdeckt werden, dessen Inspiration sich auch maßgeblich auf Straßburg auswirkte.

In einem der zentralen Museumsräume zeigt ein überdimensioniertes Foto Hans-Jean Arp in der Mitte seines Lebens in ähnlicher Pose wie jene des Denkers von Rodin. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme gibt ihn auf einem Hocker sitzend wieder, den Kopf auf den Arm gestützt, der auf seinem Oberschenkel Halt gefunden hat; hinter ihm an der Wand ist eines seiner großen, fließenden Reliefs zu erkennen. Das Foto befindet sich genau an jener Stelle im Musée d´art moderne et contemporain von Straßburg, an der normalerweise eine der Denkerskulpturen von Rodin aufgestellt ist. Ein augenzwinkernder Querverweis für all jene, die das Museum von früheren Besuchen her kennen. Was aber hat Hans-Jean Arp, dieser deutsch-französische Künstler der zur Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts gehörte, mit Straßburg zu tun? Das Rätsel ist einfach zu lösen, Straßburg war seine Heimatstadt und das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, vor 10 Jahren eingeweiht, steht auf dem nach dem Künstler benannten Place Hans-Jean-Arp. Es besitzt über 50 Arbeiten von ihm und zeigt nun diese, sowie über 130 weitere Leihgaben aus aller Welt, in einer Hans-Jean Arp gewidmeten Personale.

Hans Jean Arp, Femme, 1927, bois peint et doré sur contreplaqué peint à l’huile, 136 x 100 x 3,8 cm, Centre Pompidou Paris, Musée national d’Art moderne/ Centre de création industrielle, don de Mme Aube Breton-Elléouët et Oona Elléouët, 2003, photo : CNAC/MNAM, Dist. RMN © Philippe Migeat. © ADAGP Paris 2008

(Hans Jean Arp, Femme, 1927, bois peint et doré sur contreplaqué peint à l’huile, 136 x 100 x 3,8 cm, Centre Pompidou Paris, Musée national d’Art moderne/ Centre de création industrielle, don de Mme Aube Breton-Elléouët et Oona Elléouët, 2003, photo : CNAC/MNAM, Dist. RMN © Philippe Migeat. © ADAGP Paris 2008)

Vermutlich hätte sich der Künstler gewundert, ob der ungebrochenen Schönheit und Unversehrtheit seiner Werke, hat er doch im Laufe seines Lebens erfahren, dass nichts von Dauer ist, schon gar nicht ein bestimmter Zustand von Kunst. Und so begann er, sich mit der ständigen Veränderung, welche er als unumstößliches Lebensprinzip erkannte, auch künstlerisch auseinanderzusetzen. Einen Höhepunkt fand sein Denken, das sich sowohl um ein avantgardistisches Vorreiten als auch um die Vergänglichkeit an sich drehte, in den 30er Jahren, als er sich dafür entschied, seine Arbeiten zu dekonstruieren und partiell zu zerstören oder diese aus bewusst gewähltem, vergänglichem Material herzustellen. Und doch schlug er der Vergänglichkeit in seinem Arbeitsprozess ein Schnippchen.

Wie nur wenige Künstler seiner Zeit, nahm er über die Jahrzehnte hinweg immer wieder Ideen und Formen seiner früher Jahre auf um diese – manchmal nur sehr unwesentlich – zu verändern und neu in seinem Werk einzusetzen. Dabei nahm sich Arp die Natur zum Vorbild. Das ewige Werden und Vergehen, das Ausbilden der idealen Form beschäftigten ihn in seinen Arbeiten genauso wie das Hinterlassen einer eigenen Handschrift. Und dies wie zum Hohn, unter der Prämisse, dass ein Kunstwerk ohne weiteres von einer anderen Hand als der seines „Erfinders“ ausgeführt werden könne und dieser Umstand dem Original keinen Abbruch tue.

„Deswegen sprach Arp selbst in seinem Werk nicht von Originalen und Kopien“, erläuterte Isabelle Ewig, Kuratorin der Ausstellung beim ersten Pressegespräch. Vielleicht ein kleiner Seitenhieb auf die vor kurzem beigelegten Querelen zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem vor einem Jahr eröffneten Arp-Museum in Rolandseck, in welchem es unter anderem auch um die nachträgliche, unautorisierte Anfertigung von Güssen Arp´scher Werke ging?

Arp war zeitlebens ein revolutionärer Künstler und gilt heute als Klassiker. Nur mit Unterstützung von wohlwollenden Menschen gelang es ihm, den zweiten Weltkrieg zu überleben – heute werden seine frühen Reliefs um die Summe von mehreren Millionen Dollar gehandelt. Die Ambivalenz kennzeichnet jedoch auch das Werk und das Leben des Künstlers selbst. Neben einer Unzahl von Arbeiten, die an- und abschwellende Formen aufweisen und die für Arp als so charakteristisch gelten, gibt es auch eine ganze Reihe von Werken, die sich mit dem Konstruktivismus und der De-Stijl-Bewegung auseinandersetzen. Letztere waren es, die Arp gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Sophie Taueber-Arp und dem Künstler und Architekten Theo van Doesburg in den Jahren 1927 und 1928 in bare Münze umwandeln konnte. Das Salär, welches er mit seiner Frau für die Ausgestaltung der L´Aubette erhielt, gestattete es ihm, ein Haus in Meudon, in der Nähe von Paris zu errichten. Die Ausgestaltung der L´Aubette, einem historischen Ensemble im Herzen von Straßburg, direkt am Place Kléber, zu einem urbanen Vergnügungs- und Veranstaltungszentrum, gehört heute, nach deren Erweckung aus der buchstäblichen historischen Versenkung, zu einem der kunst- und kulturhistorischen Highlights der Stadt Straßburg. Eine Ikone der avantgardistischen Innenarchitektur, an der sich der Künstler selbst jedoch nur kurzzeitig erfreute und die schon 10 Jahre nach ihrer Entstehung der langsamen Destruktion anheimfiel.

Seine Übersiedlung nach Paris in das neue Haus war, wie so viele Stationen in seinem Leben, auch nur von kurzer Dauer. Während der Naziherrschaft als „entartet“ eingestuft, floh er in den 40er Jahren in die Schweiz, in der er ja auch schon im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts gelebt hatte, und musste dort im Jahre 43 den Tod seiner Frau „erleiden“. Sophie Taueber-Arp war mehr als seine Ehefrau. Die beiden Künstler befruchteten sich gegenseitig in ihrer Kunst und – gerade in der damaligen Zeit ganz und gar nicht selbstverständlich – wurde Sophie von ihrem Mann künstlerisch geachtet. Er bezog ihre Arbeiten in sein Werk mit ein, und so entstanden, neben dem Werk in der L´Aubette viele Collagen, Zeichnungen aber auch Skulpturen als Gemeinschaftsarbeiten.

Das Pendeln zwischen den verschiedenen Genres wie jenen der Bildhauerei, der Malerei und Zeichnung sowie der literarischen Betätigung zeigen die Vielfalt der Interessen Arps genauso wie seine Teilnahme an den unterschiedlichen –ismen des frühen 20. Jahrhunderts. Als Gast des Café Voltaire in Zürich gehörte er zur ersten Garde der Dadaisten, er war mit den russischen Konstruktivisten ebenso befreundet wie mit den Surrealisten in Paris, kannte Duchamp und Kandinsky und spielte auf der gesamten Palette der zeitgenössischen Kunst wie ein guter Keyboarder mühelos zwischen mehreren Klaviaturen hin- und herwechselt, ohne dadurch Brüche in der Akustik zu erzeugen.

Arp stand und steht für Vielseitigkeit. Egal, in welchem Medium und zu welcher Zeit sich Arp auch ausdrückte, er wirkt authentisch und substantiell. Seine Skulpturen suchen die ideale Form, in seinen graphischen Arbeiten fasziniert das Bemühen, Natur konzentriert und abstrahiert wiederzugeben, quasi eine Natur neben der Natur zu schaffen. Eine kreativ gestaltete Natur, die gleichberechtig neben der natürlichen steht, zeugt von seiner auch theosophisch geprägten Weltvorstellung. „Kunst sollte sich in der Natur verlieren, mit ihr selbst auseinandersetzen“, diese Worte erklären, warum Arps künstlerisches Vokabular organisch orientiert ist. Vor allem die Formen seiner durch und von der Natur inspirierten Reliefs und Skulpturen wurden zu Inkunabeln der frühen Moderne. Arp hat sich in unser optisches Bewusstsein eingegraben, auch wenn – man glaubt es kaum – viele den Urheber seines Formenkanons namentlich nicht benennen können.

Jean Arp Forme de lutin

 

(Hans Jean Arp, Forme de lutin, 1949, Marbre blanc, 39 x 15 x 18 cm, Kunstmuseum Winterthur, Winterthur, Legs Emil et Clara Friedrich-Jezler, 1973, © ADAGP Paris 2008)

 

 

Nach der entbehrungsreichen Zeit während und kurz nach dem Krieg, die ihn jedoch nie gebeugt hat, war ihm das Glück der späten Genugtuung noch beschieden. Er erlebte die Ausstellung und Ehrung seiner Werke wie zum Beispiel auf der Biennale von Venedig im Jahr 1959 und erhielt zahlreiche Aufträge, die ihm die monumentale Ausführung seiner Arbeiten erlaubten, wie für die Universitäten von Harvard und Caracas oder dem Unesco-Gebäude in Paris.

Die Ausstellung in Straßburg – nach mehr als 20 Jahren die erste große Retrospektive in Frankreich – führt dank der Kuratorin Isabelle Ewig intelligent und einfühlsam in die Formen- und Geisteswelt von Hans-Jean Arp und verstärkt einmal mehr den Eindruck, dass die kunsthistorische Bewertung nicht hoch genug angesetzt werden kann.

Gleichzeitig bietet sie während der Ausstellungsdauer die Gelegenheit, die Räume im ersten Stock der L´Aubette zu besuchen, die sonst für das Publikum nicht geöffnet sind. Sie zeugen von einem Straßburg der 20er Jahre, in welchem Menschen am Puls der Zeit sich nicht scheuten, umstrittenen Avantgardisten die Möglichkeit zur architektonischen Entfaltung zu geben. Jeder, der die ´L´Aubette von außen kennt, wird sprachlos sein ob der Rekonstruierung der Ausgestaltung der Räume des Künstlertrios Arp, Taueber-Arp und van Doesburg. Man riecht förmlichen den Zeitgeist vor nun bereits 80 Jahren und kann sich schwer vorstellen, dass die heutige Europastadt es über Jahrzehnte zuließ, dieses nun Gott sei Dank gerettete Juwel verfallen zu lassen. Ein Kunstgenuss der ganz besonderen Art, welcher nicht nur den Blick auf das Werk des Künstlers erheblich erweitert. Der Place Kléber liegt einem zu Füßen und man wird sich bewusst, dass die Herausforderungen der architektonischen Innenraumgestaltung sicherlich eine der größten im Leben des Künstlers gewesen sein dürfte.

So gelingt es Hans-Jean Arp auch heute noch, die Betrachter seiner Kunst in Staunen zu versetzen; Zum Glück haben es auch die Verantwortlichen dieser Ausstellung geschafft, den Besuchern einen neuen Eindruck von Straßburg zu vermitteln. Im Gegensatz zu dem touristisch so propagierten Bild als europäischer Weihnachtshauptstadt – mit all ihrem Schrecken der unzähligen Glühwein- und Kitschstände – präsentiert sich Straßburg mit seinem Arp-Konnex als aufgeschlossene Kulturstadt, die weiß, wie sie mit ihrem kulturellen Erbe umzugehen hat.

Linkzur Ausstellung: Art is Arp (17. Oktober bis 15. Februar)

TIPP: An jedem ersten Sonntag im Monat ist in Straßburg Museumssontag. An diesem Tag können alle Museen bei freiem Eintritt besucht werden.

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