Bacchus und der Weiber Garn / machen viel zu lauter Narrn
01. Juni 2007
Hinter einem Lesepult steht ein Priester in seinem farbenfrohen Messgewand und predigt, was das Zeug hält. Er liest seine Predigt ab, deklamiert laut und untermalt das Gesagte mit ausladenden Gesten. Neben ihm ein Ministrant, der einen Kandelaber mit einer großen, brennenden Kerze vor sich hält. Der Arme! Noch weiß ich nicht, dass er noch gute […]
Michaela Preiner
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Hinter einem Lesepult steht ein Priester in seinem farbenfrohen Messgewand und predigt, was das Zeug hält. Er liest seine Predigt ab, deklamiert laut und untermalt das Gesagte mit ausladenden Gesten. Neben ihm ein Ministrant, der einen Kandelaber mit einer großen, brennenden Kerze vor sich hält. Der Arme! Noch weiß ich nicht, dass er noch gute 40 Minuten vor sich hat, in seiner Regungslosigkeit. Allerlei Seltsames gibt es zu hören, vor allem eine Schimpftirade über das liederliche Laster des Trinkens und über die Gefahren, die vor allem vom weiblichen Geschlecht ausgehen. Abraham a Santa Clara hat die Predigt mit dem griffigen Titel „Bacchus und der Weiber Garn / machen viel zu lauter Narrn“ geschrieben. Und Stefan-B. Eirich, seines Zeichens Priester und Verantwortlicher für die Nacht der offenen Kirchen in Aschaffenburg, ist dabei, sie mit Inbrunst vorzutragen. Schade, dass ich zu spät gekommen bin. Aber eines ist bereits klar, meine zweite Station in die Kirchen von Aschaffenburg an diesem Abend ist ein Volltreffer. Jetzt aber geht es erst richtig los, mit einer zweiten Predigt eines Anonymus aus Wien-Ottakring. Wer sich in Wien auch nur ein bisschen auskennt weiß, was das sprachlich bedeutet. Hochdeutsch ist in diesem Bezirk eine nur schwer erlernbare Fremdsprache, das war offensichtlich schon im 17. Jahrhundert, in der Entstehungszeit dieser Predigt, so. Einige wenige, einleitende Worte von Pfarrer Eirich und gleich vorweg der Hinweis, dass Buhrufe nicht erlaubt seien, und schon geht`s los mit der Schimpferei. Eirich, viel mehr der Anonymus, zieht über schlimme Kinder und böse Eheleute her, was das Zeug hält und spart nicht mit kräftigen Worten. „Ihr Fratzen und nichtsnutzigen Schweinderln, ihr verderbtes und unverbesserliches Gesindel“ oder so ähnlich tönt es stimmgewaltig uns entgegen. Langsam beginnen sich die Gesichter zweier älterer Damen in der Bank vor mir zu lockern und Lächeln zieht auf ihre Mienen. Bei einigen allzu derben Ausdrücken ist eine noble Contenance nicht mehr möglich, und sie lachen laut auf. Höchst interessant aber wahrzunehmen, dass nicht alle Zuhörer den Witz verstehen oder auch verstehen können. Ihre Konditionierung, dass in der Kirche nicht gelacht werden darf, ist so stark, dass sie es einfach nicht zusammenbringen, auch wenn sie das wollten. Ein Herr in einer der hinteren Reihen muss Stoiker sein, anders ist sein regungsloser Gesichtsausdruck nicht zu erklären. Schon aber kommt die nächste Pointe, der Hieb auf die jammernden Frauen, die sich beim Pfarrer beschweren, dass ihre Männer von zu großer Lust getrieben seien. Eirich legt sich ins Zeug und „weanert“ (Erklärung: er versucht, mit wienerischem Idiom zu sprechen) nur so dahin, was den Spaß nur noch vergrößert. Noch weiß er nicht, dass ich Österreicherin unter den Zuhörern sitze und mich königlich über das Pseudowienerisch amüsiere. Ich beschließe kurzer Hand, diesen Mann zu interviewen. Zu hören, was es auf sich hat, mit diesen Predigten und warum Pfarrer Eirich dazu kommt, diese auf die Menschheit loszulassen. Jetzt schildert er in den buntesten Farben das Höllentreiben und – als hätte er dies bei der obersten Instanz bestellt – es beginnt zu blitzen und zu donnern. Wäre die Predigt nicht so mitreißend, ich würde mir jetzt Gedanken machen über den anschließenden Fußmarsch, so ganz ohne Schirm. Aber noch geht es eine zeitlang flott dahin und – hätte Eirich nicht vorweg schmunzelnd Buhrufe „verboten“, ich würde jetzt meine gute Kinderstube vergessen. Lamentiert er doch ganz kräftig darüber, dass es eine Schande sei, wegen der Weibsleut hier auf Erden ganz und gar vom Göttlichen abgeschnitten zu sein. So, wie er dort steht, hinter seinem Pult, so wie er mit Feuereifer liest, was ein Anonymus vor rund 350 Jahren geschrieben hat, so wie er es versteht, eine Dramatik in der Stimmführung aufzubauen, kann ich mir lebhaft vorstellen, wie das wohl so gewesen sein mag, in jener, Gott sei Dank, lang vergangenen Zeit. Und, kaum kann ich es selber glauben, ich bin ganz plötzlich, inmitten dieser polternden Rede, zutiefst dankbar, dass ich hier und heute leben darf. Dass es mir gut geht, mit meinem Ehemann und dass mir heute nicht das Gefühl vermittelt wird eine dumme und liederliche Weibsperson zu sein.

Applaus brandet auf, der wortgewaltige Priester verneigt sich nach beendeter Lesung lächelnd und zieht sich mit seinem Ministranten in die Sakristei zurück. Ich folge ihm auf dem Fuße und überfalle ihn, als er die Kirche verlassen möchte mit der Bitte, ein kurzes Gespräch mit ihm führen zu dürfen. Mein österreichisches Idiom ist unüberhörbar und in diesem Augenblick tut mir dieser Umstand wirklich von Herzen leid, denn es löst so einen starken Schreck bei Herrn Eirich aus, dass sich dieser nun vor mir hin und her windet, ob der unerwarteten Besucherin, die in der von ihm rezitierten Mundart ja zuhause ist und beurteilen kann, was er da in seinen besten schauspielerischen Bemühungen von sich gegeben hat. Wäre ich des Hochdeutschen doch nur mächtiger! Himmel noch einmal! Der Schreck wäre bei ihm sicherlich nicht so groß. Ich gewinne den Eindruck, dass Herr Eirich es tunlichst vermieden hätte, eine österreichische Predigt auszusuchen, hätte er gewusst, dass jemand aus der Alpenrepublik in Aschaffenburg, in der sonst nie geöffneten Spitalkirche, in dieser Pfingstsamstagnacht sitzen würde. Aber er fasst sich und steht mir Rede und Antwort. Es stellt sich heraus, dass ich den Programmverantwortlichen der Nacht der offenen Kirchen in Aschaffenburg neben mir habe und dass er sich mit Sprache und Wirkung von Sprache seit vielen Jahren beschäftigt. Die beiden Predigten hat er ausgewählt, um einen kleinen Einblick in die Frömmigkeitsgeschichte der katholischen Kirche zu geben. Sein Auftritt steht als Kontrapunkt zu den sonst kontemplativen Programmpunkten in den anderen Gotteshäusern in dieser Nacht. Um 23 Uhr gibt er noch einen zweiten Teil zum Besten unter dem Titel: „Den Seinen gibt`s der Herr im Schlaf – Dös- und Schlafübungen zu extrem langweiligen Predigten“. Schade, dass ich mir für diese Zeit schon das Konzert in der Stiftskirche vorgenommen habe. Nach unserer improvisierten und vielleicht gerade deshalb so herzerfrischenden Unterhaltung geht es wieder hinaus, in die Nacht. Nun schon voll mit beglückenden Eindrücken, die ich Menschen wie Pfarrer Eirich zu verdanken habe. Menschen mit Intelligenz, Herz und Humor. Wie intelligent, das stellte sich nach meinem dritten Kirchenbesuch heraus, darüber aber im folgenden Artikel.

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