Nur keine Beißhemmung, Taglilie schmeckt köstlich!

Bei einem Blütendinner im Garten der historischen Kammermeierei in Schönbrunn wurden neue Geschmäcker erkundet. Johann Reisinger, Wolfgang Palme und Ingrid Greisenegger luden zu einem ganz besonderen kulinarischen Event.

Die Sonne scheint hell am wolkenlosen, blauen Himmel. Der Rasen ist kurz geschnitten und gibt unter den Schritten sachte nach. Der lange Tisch hinter dem Haus im sommerlichen Garten ist festlich gedeckt. Längliche Blumenschalen mit frisch gepflückten Blüten warten auf die Gäste, die erst durch das Gebäude schreiten müssen, vorbei an einer offenen Küche, in der konzentriert gearbeitet wird. Es ist nicht irgendein Haus in dem an diesem Tag von dem Sternekoch Johann Reisinger, assistiert von Berufsnachwuchs, aufgekocht wird. Die ehemalige Kammermeierei Kaiserin Elisabeths in Schönbrunn, umgeben von Obstbaumwiesen des Lehr- und Forschungszentrums für Gartenbau, hat ausnahmsweise seine Pforten für besondere Gäste geöffnet.

Auf Einladung der Tageszeitung Kurier und der City Farm Schönbrunn treffen sich an diesem späten Nachmittag Menschen, die ein Faible für Blumen und gutes Essen haben. Nur wenigen Wienerinnen und Wienern ist die Location bekannt und so muss das akademische Viertelstündchen eingehalten werden, bis schließlich alle eingetroffen sind. „Blütendinner“ nennt sich der ausgefallene Event, den Ingrid Greisenegger, verantwortlich für das „Grüne Welt Journal“ gemeinsam mit Johann Reisinger und Wolfgang Palme auf die Beine, respektive unter die über hundertjährige Linde neben dem noblen Wirtschaftsgebäude gestellt haben. Palme ist nicht nur Leiter des Lehr- und Forschungszentrums für Gartenbau, sondern auch im Vorstand der City Farm Schönbrunn tätig, die es sich zum Ziel gesetzt hat, gärtnern möglichst vielen Kindern, Jugendlichen und auch erwachsenen Interessierten nahe zu bringen. Vom Känguruhapfel bis zur Cherrygurke wird hier alles angebaut, was den Speiseplan gemüsig-bunt gestaltet. Zugleich wird auch dafür gesorgt, dass Sortenvielfalt nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt.

Blumen auf dem Teller sind trendig, aber nichts Neues

In den letzten Jahren hat der Trend zu natürlichem Essen merklich zugenommen und es gibt wohl wenige Berufenere als Johann Reisinger, diesen Trend auch zu vermitteln. Pionier der ersten Stunde, verfolgt er mit Wolfgang Palme seit nun schon 15 Jahren die Idee, gesunde Lebensmittel wieder auf die Tische der Konsumentinnen und Konsumenten zu bringen. Koch und Innovator durch und durch, arbeitet er beständig an neuen Kreationen, immer mit dem Gedanken, das Produkt so naturbelassen wie möglich auf den Teller zu bringen.

Blütenkrüge und Blütensirupe (c) European Cultural News

Blütenkrüge und Blütensirupe (c) European Cultural News

Mit einem Blütenapertif in der Hand, einer herrlichen Mischung aus Rosen-, Lavendel- und Malvensirupen, aufgespritzt mit prickelndem Mineralwasser, lauschen die Gäste unter der schattenspendenden Baummajestät den einleitenden Worten von Wolfgang Palme, der über das Frühstückszimmer von Kaiserin Sissi erzählt, das kurz zuvor alle durchschritten haben. Er erinnert an ihre Vorliebe für kandierte Veilchen und leitet über zu dem, was die Besucherinnen und Besucher in Kürze erwartet. Ein 8-gängiges Gourmetmenü auf der Grundlage von verschiedenen Blüten. Zuvor aber bietet er eine Führung durch die City Farm an, in der gerade der Sommer Einzug gehalten hat.

Brunnenkresse, bis auf die letzte Blüte für das Dinner abgeerntet, empfängt die kleine Gruppe nur mit ihren satten, grünen Blättern. Weiter geht es entlang von wohl geordneten Beeten in denen Artenvielfalt herrscht. Alles, was hier blüht, kann auch gegessen werden. Das Risiko, dass Kinder hier von Blüten naschen, die giftig sind, ist also Null. Es ist ein schönes Gefühl, verschiedene Kräuter wie Borretsch, den es kaum einmal irgendwo zu kaufen gibt, zu erkennen. Hier wird er in der weißblütigen und blaublütigen Variante angebaut, aber der Gestank von Brennesselsud, angesetzt, um Schädlinge natürlich zu vertreiben, trägt dazu bei, dass man sich rasch und mit Freude von dem großen Trog neben den Kräuterbeeten entfernt. Marillen und die ersten kleinen Äpfel liegen als Fallobst auf der Wiese unter den Bäumen gleich nebenan und bieten ein opulentes Mahl für allerlei Gekreuch und Gefleuch. Nach dem Kennenlernen von südamerikanischen und asiatischen Raritäten hat sich der Gaumen schon ein wenig eingestimmt und die Vorfreude auf das Essen an der Tafel wächst. Nach diesem kurzen Ausflug in die Botanik wird es schließlich ernst.

Die blumengeschmückte Tafel lockt verführerisch

„Suchen Sie sich einen Platz wo immer Sie wollen“, mit diesen Worten wird die kleine Gruppe von Reisinger wieder am langen Bankett empfangen. Es macht Spaß, sich plötzlich neben und gegenüber von völlig fremden Menschen niederzulassen, die aber alle, das ist gewiss, eins gemeinsam haben: Die Lust, Neues zu entdecken und die Geschmacksnerven an Ungewöhnlichem zu schulen. „Alles, was sie an Blumenschmuck am Tisch finden, ist zu essen“. Reisinger macht Mut, zuzugreifen, doch es bedarf noch einer kleinen Einschulung seines Kompagnons Palme, um sich wirklich beherzt an den Blüten zu bedienen.

Blütenkost (c) European Cultural News

Blütenkost (c) European Cultural News

Wunderschön auf einer kleinen Schale angerichtet, werden verschiedene Blätter als Einstimmung kredenzt. Gelbes von Melonen und Kürbissen, rote Taglilien, violette Chrysanthemen und noch einiges mehr. Langsam wird unter Anleitung eine kleine, rohe Köstlichkeit nach der anderen in den Mund gesteckt und versucht, die unterschiedlichen Geschmäcker abzuspeichern. Die anfänglich skeptischen Blicke verwandeln sich. Nun ist den Gästen eher das Aha-Erlebnis ins Gesicht geschrieben. Die Knusprigkeit, die Säure oder auch ein liebliches Aroma der unterschiedlichen Blumen verblüffen und überzeugen. „Taglilie ist mein Favorit“ erklärt mir meine Sitznachbarin und kaum ausgesprochen, darf sie sich über den zweiten Gang freuen. „Taglilie gefüllt mit ein wenig aromatisierter Mascarpone, genießen Sie es!“ ist von unserem Koch zu hören.

Taglilien gefüllt mit Mascarpone überraschen die Gäste (c) European Cultural News

Taglilien gefüllt mit Mascarpone überraschen die Gäste (c) European Cultural News

„Es gibt Menschen, die haben eine Art Beißhemmung vor Blüten.“ Wolfgang Palme weiß, wovon er spricht. Für viele Workshopteilnehmerinnen und –teilnehmer in der City Farm Schönbrunn ist es, wenn sie kommen, das erste Mal, dass sie Blüten verkosten. Blumen als Schmuck auf dem Tisch, das ja, aber als Köstlichkeit im Mund? Schon seit der Steinzeit wurden Blüten in verschiedenen Variationen zubereitet und verspeist. Im Laufe der Industrialisierung ging viel von dem Wissen um den essbaren Blütengarten verloren, aber seit den 90er Jahren steigt die Zahl der Kochbücher, in welchen Blüten eine Hauptrolle spielen, jährlich. Auf dem Tisch stehen neben Mineralwasserflaschen auch Krüge mit Leitungswasser. Darin sommerliche Blumenbuketts. Wer feine Nasen und Gaumen hat, spürt die unterschiedlichen Aromen sofort aus dem Wasser heraus. Dezent, ganz fein sind die Blumennoten zu schmecken, wie flüchtiges Parfum, nur, dass man es nicht riechen, sondern schmecken kann. Eingestimmt in die florale Geschmackswelt folgt nun ein Gang nach dem anderen. Die frischen, heißen Roggenfladen mit schwarzem Sesampüree und Erdmandelpaste darf man selbst mit Blüten vom Tisch garnieren. „Je mehr umso schmackhafter, nur rauf damit“, ermuntert Reisinger die Neulinge in Sachen Blütenkost. Die darauffolgenden Ziegenfrischkäseröllchen sind mit einem köstlichen, sauren Blütenpesto bedeckt. Rot schimmert es unter den krossen Kürbiskerncrackern hervor. Diese hat Reisinger aus dem Rückstand erzeugt, der beim Kernölpressen übrigbleibt. Einem grünen Mehl, das wertvolle Mineralstoffe in sich trägt und meistens als Futtermittel Verwendung findet. Welche Verschwendung, kommt einem rasch in den Sinn, während man fröhlich daran herumknuspert.

Lebensmittel, die diese Bezeichnung auch tatsächlich verdienen

Urgetreide vom Meierhof aus Horn mit Fruchtgemüse und Blüten ist jetzt an der Reihe. Eine Zutat, die zu den beliebtesten auf dem Speiseplan von Johann Reisinger gehört. Fruchtig und gemüsig zugleich überzeugt das Gericht, das sich nicht entscheiden kann als noble Gastgeberin oder erdverbundene Magd aufzutreten. Von der Hokkaidoblüte gibt es anschließend nicht nur Blatt und Frucht. Sie ist mit einem wunderbar thymian-würzigen Püree aus der violetten Trüffelkartoffel gefüllt. Die Kürbiswürfelchen daneben warten mit zart gereiften Gölles-Balsamicotröpfchen auf. Gerade so viel, dass sie eine Geschmacksverstärkung ergeben, aber sich dabei selbst nicht in den Vordergrund drängen. Weiter geht es mit mariniertem Seesaibling mit Begonien. Wunderbar, mit wieviel Leichtigkeit Reisinger dieses Gericht serviert. „Wir verwenden für das gesamte Menü nur ganz, ganz wenig Fett“. Mit dieser Aussage erleichtert er das Gewissen vieler Schmausender.

Zwar wird das Essen zelebriert, aber es herrscht doch eine fröhliche Grundstimmung. „Das ist ja keine Beerdigung“ ruft der Meisterkoch dennoch einmal in die Runde. Aber er übersieht dabei, dass der Genuss bei den meisten Anwesenden im Vordergrund steht. Sein Sensorium ganz auf die neuen Geschmackskomponenten einstellen verlangt Aufmerksamkeit. Aber mit dem Süppchen von Speisechrysanthemen bricht dann jeder kommunikative Damm. So er bis dahin noch bestanden hat. Denn nun wird fleißig darüber philosophiert, ob man beim nächsten Friedhofsbesuch nun nicht doch ein Körbchen zum Blüten-Pflücken mitnehmen sollte. Auch ein edles Blütendinner verträgt jede Menge Humor.

Kräuterkapaun mit Ringelblume

Kräuterkapaun mit Ringelblume (c) European Cultural News

Erst der Sulmtaler Kräuterkapaun mit Ringelblume von der Familie Strohmeier bringt die Unterhaltung wieder zurück auf den Boden der Tatsächlichkeiten. Gefüttert mit Kräutern, die dafür sorgen, dass das Geschlechtsorgan des Hahns nicht richtig ausgebildet wird.  An der Seite von frittierten Petersilnudeln präsentiert er sich als prächtiger, gehaltvoller Gaumenkitzler. Sein Fleisch ähnelt in keiner Weise den in einem Monat hochgezüchteten Hühnern aus dem Supermarkt, sondern hat Rasse und Klasse. Die Ringelblume ist ein Attribut an seine steirische Heimat, in der sie auf keiner unkultivierten Wiese fehlt.

Mittlerweile werden nach und nach die Taschenlampenfunktionen der Handys aktiviert. Glühwürmchen sollen damit nicht imitiert werden, aber die Sonne hat einem sternenklaren Himmel Platz gemacht. Der Abend, der eigentlich um 21 Uhr zu Ende sein hätte sollen, geht in die Verlängerung und mit dem Aufstellen von Zitronella-Kerzen wird versucht, den Gelsen, die mittlerweile auch Appetit bekommen haben, eine wirksame Waffe entgegenzusetzen.

Marillentarte mit Lavendel- und Hibiskusblüten (c) European Cultural News

Marillentarte mit Lavendel- und Hibiskusblüten (c) European Cultural News

Den süßen Abschluss bildet eine Marillentarte mit Lavendel- und Hibiskusblüten. Ein herrliches Blütensorbet als Begleitung und ein schöner Klecks von Schlagsahne bilden auf dem Teller ein majestätisches Triumvirat und am Gaumen eine zauberhafte Liaison.

„Das Programm war einfach zu groß, wir haben so viel präsentiert und ich wollte auf keinen Fall die Gäste durch das Menü peitschen.“ Johann Reisinger weiß, dass jede Degustation mit Herausforderungen aufwartet, die neu sind. Aber seine Flexibilität überträgt sich wie selbstverständlich auf die Menschen rund um ihn. Die Weinbegleitung vom Weingut Lamprecht, einem Steirer der biologisch-dynamische Weine erzeugt und alle Produktionsschritte von Hand vollführt, tut sicher ein Übriges dazu, dass die Stimmung locker und fröhlich geworden ist.

Nur ein harmonisches Team schafft solche Höchstleistungen

Unter dem spontan einsetzenden Applaus der Geladenen holt Johann Reisinger seine beiden Adjutanten aus dem Haus. Stefan Broyer und Lukas Marxer sind zwei seiner Schüler, die in der Herta Firnberg Tourismusschule bei ihm gelernt haben. „Sie sind keine Handlanger, sondern das sind junge Leute, die verstanden haben, worum es mir geht. Sie sprechen meine Sprache und tragen meine Idee weiter hinaus in die Wirtschaft“. Der Stolz ist dem Gastgeber ins Gesicht geschrieben. Gemeinsam mit einigen jungen Damen, die für das Service zuständig waren, bildeten sie ein harmonisches Team, das sein gemeinsames Ziel an diesem Tag zu hundert Prozent erreichte.

Hier noch ein „Auf Wiedersehen“, da ein „schön war´s Sie kennengelernt zu haben“, dann geht´s auf den Heimweg. Das Gras unter den Füßen ist ein klein wenig kühler geworden und kitzelt leicht in den Sandalen. Der kleine, nächtliche Spaziergang zur U-Bahnstation in Hietzing entlang der weißgetünchten Schönbrunner Gartenmauer gestaltet sich mit einer neuen, sehr netten Bekanntschaft äußerst kurzweilig. Visitenkärtchen werden ausgetauscht und neben einem ganz unglaublichen Wissenszuwachs aus dem Reich der Kulinarik und Botanik haben sich auch wunderschöne Kontakte ergeben, die in den nächsten Tagen sicherlich eins gemeinsam haben: Sie werden ihrer Familie, ihren Freunden, Kollegen und Bekannten etwas vom Blütendinner im Garten der Kammermeierei in Schönbrunn vorschwärmen.

Essbare Blumen (c) European Cultural News

Essbare Blumen (c) European Cultural News

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