Bosch-Theater im Theatermuseum

Von Michaela Preiner

„Bosch on stage“ • Kostüme Antoaneta Stereva (Foto: Barbara Pálffy)
23.
November 2017
Aus dem Einlass zum Paradies, ganz links oben, kaum wahrnehmbar, dringt helles Licht. Die Hölle, die sich darunter auf der Welt abspielt, ist aber um das X-fache größer als diese verheißungsvolle Hoffnung.

Wie soll ein Mensch da hineinkommen angesichts der teuflischen Zustände, in die er geworfen wurde? Hieronymus Bosch (um 1450/55 – 1516) schuf mit seinem Triptychon „Das Jüngste Gericht“ eines der hieroglyphischsten Bilder der europäischen Kunstgeschichte. Darauf zu sehen: Der Sturz der Engel, die Vertreibung aus dem Paradies, eine Höllenimagination mit unzähligen, nackten Mensch, die von Fabelwesen gepeinigt werden und ganz links oben, neben dem göttlichen Weltgericht, kaum wahrnehmbar, der Einlass zum Paradies.

Das Österreichische Theatermuseum, quasi ums Eck der Albertina, im Palais Lobkowitz untergebracht, zeigt für gewöhnlich Ausstellungen rund ums Theater. Aufgrund der Umbauarbeiten in der Akademie der Bildenden Künste fanden einige der wichtigsten Kunstwerke dieser Sammlung für die kommenden drei Jahre der Sanierung Unterschlupf am Lobkowitzplatz. So auch das Weltgerichts-Triptychon. Neben dem „Garten der Lüste“ ist es eines der bekanntesten Werke von Bosch – sein Wert schier unschätzbar.

Jérôme Junod, in Wien ansässiger Autor, Regisseur, Philosoph und Pianist, schuf in den letzten Jahren bereits einige dramatische Texte. In seiner neuesten Arbeit „Bosch on stage“ nahm er sich des Großmeisters der mittelalterlichen Tafelmalerei an, dessen Bilder bis heute wesentlich mehr Fragen stellen, als beantwortet werden können.

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„Bosch on stage“ • Kostüme Antoaneta Stereva (Foto: Barbara Pálffy)

In der Sala Eroica des Palais ist eine schmale, langgezogene Bühne aufgebaut. In deren Mitte befindet sich ein Nachbau des Altars, allerdings mit geschlossenen Flügeln. (Bühnenbild Lydia Hofmann) Bald schon wird sich erweisen, dass dieses Bühnenbild ein wandelbares ist. Es wird zu einer Flughafenbar mutieren, zu einem Attribut eines universitären Vortragssaales, aber auch zu einem Raum im Hause des Meisters Bosch.

Junod nimmt das Publikum auf eine Zeitreise mit. Eine Kunstgeschichte-Studentin strandet auf einem deutschen Flughafen und begibt sich, nach einigen Animationsschnäpsen, kredenzt von einer lebenserfahrenen Serviererin auf eine imaginäre Reise ins Haus von Hieronymus Bosch. Dabei macht sie Bekanntschaft mit allerlei eigenartigen Typen.

Ein Mann fällt besonders auf, denn er kommt mit einer markanten Auftrittsmusik (Christian Mair) auf die Bühne: Einer Abwandlung von Ennio Morricones legendärem Mundharmonika-Solo aus dem Film „Spiel mir das Lied vom Tod“. Es ist ein alter Landstreicher, der wie aus einem Bosch-Bild entsprungen scheint. (Kostüme Antoaneta Stereva) Später wird derselbe, nur anders gekleidet, ebenfalls wieder zur Mundharmonikamelodie auftreten – dieses Mal aber als Meister Bosch selbst. Zwischen der Flughafenepisode, in der Kirstin Schwab ohne Worte augenrollend als kaffeekochende Slashka glänzt und Martin Schwanda als Tourist mit einer undefinierbaren Sprache die Zwerchfelle des Publikums kräftig durchmassiert, sowie jener im Hause Bosch, schiebt Junod noch ein Symposion ein: im Institut für Kunstgeschichte, Altertumsforschung und Meeresbiologie.

Die wissenschaftliche Crew, die er dafür auftreten lässt, hat es in sich. Jeanne-Marie Bertram, die erst vor Kurzem ihren Abschluss am Max-Reinhardt-Seminar absolviert hat, muss in der Rolle von Frau Prof. Bentley mit technischen Schwierigkeiten ihres Laptops kämpfen. Roman Blumenschein mimt einen deutschen Kollegen, der im Gegensatz zum österreichischen Institutsvorstand (Martin Schwanda sollte sich seine Rollen als Wiener Originale patentieren lassen) die Forschungsarbeit sehr ernst nimmt. Prof. Flambertin wird von Jens Ole Schmieder gespielt. Ganz der französische Lebemann, sieht er in seinen Untersuchungen mehr Drolerien als grausliche Bestrafungsrituale in Boschs Bild, während seine Kollegin Prof. Atlantico-Morotzki (Doina Weber) sichtlich erfreut ist, ihn wieder einmal zu treffen. Kirstin Schwab rotzt und hustet, dass es einem nur so grausen kann und beharrt als Prof. Mackenbrock auf die Weltuntergangssicht im Zeitalter von Bosch. Petra Staduan brilliert nicht nur in der Rolle von Caroline, der Kunstgeschichte-Studentin. Sie steht auch als Frau Stukowski, eine demotivierte Hilfskraft, sauertöpfisch dem heillos überforderten Institutsvorstand zur Seite.

Es hat den Anschein, als hätte Junod diesen Einschub ganz für das Ensemble des Salon5 geschrieben. Alle, ohne Ausnahme, füllen ihre Rollen mit derartigem, spielerischem Witz aus, dass sich diese Szene, ausgekoppelt in einer Videosequenz, als Youtube-Schlager erweisen müsste. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Bild, die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten, werden dabei genauso deutlich, wie die geschraubte Wissenschaftssprache, die an universitären Einrichtungen, nicht nur in Österreich, anzutreffen ist.

In einem formvollendeten Auftritt lässt schließlich Horst Schily das Publikum ein wenig in das Innere von Hieronymus Bosch blicken. Von der Kunststudentin Klara befragt – Junod verwendet sichtlich sprechende namen – wird daei deutlich, wie sehr dieser mit der Theodizee zu kämpfen hat und sich – vom Juden Symon – mit Lesestoff versorgen lässt, um seinen Zweifeln auf den Grund zu gehen. Die Seitenhiebe, die Junod Bosch in den Mund legt, mit welchen er die Kunstproduktion und ihre Bewertung gänzlich infrage stellt, sind nur ein kleines Beispiel, wie geistreich er Bosch argumentieren lässt. Die erhofften, klaren Antworten bleiben jedoch aus.

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„Bosch on stage“ • Kostüme Antoaneta Stereva (Fotos: Barbara Pálffy)

„Bosch on stage“ ist nicht nur eine höchst intelligente und vergnügliche Herangehensweise an ein Stück Kunstgeschichte. Es ist zugleich auch ein Bekenntnis zum Theater. Zu einem Theaterbegriff, in dem die Unterhaltung des Publikums an oberster Stelle steht, zugleich aber auch ein Erkenntnisgewinn vermittelt wird. Dass dies weder mit dem Holzhammer geschieht, noch von einer überlegenen, belehrenden Position heraus, ist dem Autor Junod zu danken.

Da die Sala Eroica nur ein begrenztes Platzangebot aufweist, ist es ratsam, sich rasch Karten für die kommenden Vorstellungen zu reservieren. Theater im Theatermuseum, noch dazu in der direkten Nachbarschaft zu Bosch, den man sich vor und nach der Vorstellung ansehen kann, ist ein absolutes Muss in diesem Herbst und Winter.

Weitere Informationen auf der Homepage des Salon5.

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