Bunbury – Das Ende hat es in sich

Bunbury – Das Ende hat es in sich

Michaela Preiner

Foto: ( Lex Karelly )

24.

Oktober 2022

Welche Ingredienzien benötigt man, um heute eine attraktive Komödie auf die Bühne zu bringen? Bevor man sich den Kopf darüber zerbricht, sollte man sich „Bunbury“ im Schauspielhaus in Graz ansehen. In der Inszenierung von Claudia Bossard findet sich alles, was man dafür benötigt und noch etwas mehr.

Ein Ensemble, das Freude am Spielen hat, ein Bühnenbild, das von der Nebensache zur Hauptbedrohung wird, ein Kostümbild (Bühne und Kostüme Elisabeth Weiß), in dem man Schwarz-Weiß-Denken darf und eine höchst intelligente Regie mit einem Twist, den man zwar erahnen kann, aber dennoch so nicht erwartet – all das sind die Zutaten zu einem gelungenen Abend in Graz, der dennoch die Gemüter spaltet.

Die Komödie von Oscar Wilde, seine letzte literarische Arbeit, bevor er wegen seiner Homosexualität verurteilt wurde und zwei Jahre unter der Auflage schwerer körperlicher Zuchtarbeit im Gefängnis verbringen musste, wird am Schauspielhaus nicht nur in humoristischer und kurzweiliger Art und Weise vermittelt. Sie weist auch einen besonderen Tiefgang auf, welcher in vielen Inszenierungen komplett fehlt. Auf lange Strecken wird jedoch mit den üblichen, höchst bewährten Mitteln des komödiantischen Schauspiels gearbeitet. Dies ist zum einen eine unglaubliche Freude am Spiel, die man beim gesamten Ensemble beobachten kann. Sie ist derart ansteckend, dass man mehrfach eine innere Stimme hören kann, die einem zuflüstert, wie großartig es doch ist, live in einem Theater sitzen und diesen Profis zuschauen zu können. Ein Bonmot jagt das nächste, ein rhetorischer Geistesblitz wird vom nächsten abgelöst. Andri Schenardi in der Rolle des Algernon und Frieder Langenberger als John alias Ernst bilden von Beginn an ein Freundespaar, das zwar auf den ersten Blick nach Regeln lebt, welche die Gesellschaft vorgegeben haben. Bald schon aber weiß man, dass sich jeder der beiden einen eigenen Fluchtweg aus dieser Enge geschaffen hat. Einen Fluchtweg in Auszeiten, die ihnen viel näherstehen als das, was sie Tag für Tag sich und anderen vorspielen müssen.

Schon der erste Auftritt vermittelt eine vage Idee dessen, was sich im Laufe des Geschehens entwickeln wird. Algernon tritt vor den Vorhang und bewegt seine Lippen zur musikalischen Einspielung von „Two men in love“. Mit zarten Gesten, und wenigen, bedachten, rhythmisch stimmigen Schritten wird man in eine noch nicht verhandelte, noch nicht gespielte, aber schon vorausgedachte Liebesgeschichte gezogen. Wer den Text versteht und genau hinhört, weiß, der ganz in elegantem Schwarz Gekleidete, ist in einen Mann verliebt. Eines der bekanntesten Sprichwörter in Bezug auf Liebe – „Gegensätze ziehen sich an“ – wird nach Öffnen des Vorhanges zelebriert. Betritt doch „Ernest“ ganz ihn Weiß die Bühne und beginnt im selben Augenblick mit Algernon ein Wortgefecht. In diesem Moment ist das Gefühl verschwunden, dass sich hier zwei finden sollen, die gegen die gesellschaftliche Konvention des ausgehenden 19. Jahrhunderts auftreten.

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„Bunbury“ (Foto: Lex Karelly)

Zu Beginn ist der komplette Bühnenraum freigegen, welchen die Schauspielenden auch in seiner Tiefe nutzen. Dort wird es – wie schon in Inszenierungen am Schauspielhaus zuvor – für das Publikum schwieriger, das Gesprochene gut zu hören. In diesen Momenten wünscht man sich zugeschaltete Mikros, um sich weniger beim Hören anstrengen zu müssen. Erst als die beiden Männer den Ort des Geschehens wechseln, sie fahren beide unabhängig voneinander in das Landhaus von Ernest, wird ein Bühnenprospekt eingezogen. Auf ihm ist – ganz in der Manier von Zeichnungen des 19. Jahrhunderts – ein Garten zu sehen, den der Butler, Alexej Lachmann, mit einer großen Gartenschere und Luftschnitten bearbeitet. Seine weiße Rüschenpumphose und sein rotes Wams ergeben mit der weißen darunter gezogenen Strumpfhose und seinen langen Haaren das Bild eines Clowns. Oft unbeteiligt am Geschehen, ist er dennoch im Bühnenhintergrund sitzend zu erkennen und vermittelt beständig den Eindruck: Das, was ihr hier seht, ist nichts anderes als eine Kasperliade.

Ähnlich verhält es sich mit den Kostümen der Frauen. Lady Bracknell (Evamaria Salcher) agiert im opulenten, schwarz-weiß-gestreiften, züchtig geschlossenen Kleid mit einem ausladenden Cul de Paris. Das Kleid ihrer Tochter, Gwendolen Fairfax, (Lisa Birke Balzer) ganz in Weiß gehalten, weist am Oberteil nur je zwei schwarze Streifen auf und zeigt, je nach Bewegung, auch ihre langen, schlanken Beine. Der höhere Schwarz-Anteil im Kleid der Mutter lässt die Interpretationsmöglichkeit zu, dass sie, im Gegensatz zu ihrer Tochter, schon etliche Erfahrungen mit den Schattenseiten des Lebens hinter sich hat. Das Weiß von Gwendolens Kleid hingegen ist noch von keiner Trauer und Bitterkeit eingefärbt. Cecily (Maximiliane Haß), das Mündel von Ernest, trägt freche weißte Punkte im schwarzen Oberteil und an den Strümpfen und einen überdimensionalen Tüllrock, der an einigen Stellen schon reichlich ramponiert ist. Ihre Erzieherin, Miss Prism (Katrija Lehmann), tritt im strengen Hahnentrittmuster auf und strahlt, ausstaffiert mit einer großen Brille, ad hoc eine ordentliche Portion Strenge aus.

Von großer Dramatik gestalten sich die Auftritte von Lady Bracknell. Barocke Klänge von Vivaldi verweisen auf ihre adelige Herkunft und die Traditionen der Upperclass, die – das zeigt sich in jeder Aussage von ihr, um jeden Preis hochgehalten und verteidigt wird. Oft wird vom Deutschen ins Englische und wieder umgekehrt gewechselt. So richtig ungemütlich für die Männer aber wird es, als Gwendolen Ernest erläutert, dass sie sich auch deshalb so auf eine Ehe mit ihm freuen würde, da für sie nichts so wichtig sei sein Name. „Ernest/Earnest“ bedeutet im Englischen nicht nur mit „ernst“, sondern auch „aufrichtig“. Dasselbe erfährt wenig später auch Algernon von seiner Wunschkandidatin Cecily und so nimmt die Handlung gehörig an Fahrt auf. Der eine, der eigentlich John und nicht Ernst heißt, muss sich rechtfertigen, warum dies so ist und der andere, der gerne Ernst heißen würde, um mit diesem Namen in den Ehestand zu treten, hat schon den Pfarrer (Frederik Jan Hofmann) bestellt, um sich in einer Taufe diesen Namen geben zu lassen.

Wie sehr auch die Handlung von links nach rechts und von oben nach unten springt, wie sehr die beiden jungen Männer sich auch abmühen, um die guten Partien, die beide Frauen sind, zu heiraten – stellt sich doch die Frage, wo da die Liebe bleibt. Jenes Gefühl, das zu Beginn des Stückes noch so stark spürbar war, als Algernon vor dem Vorhang sein Innerstes nach Außen kippte. Die Volten, welche das Geschehen schlägt, bis hin zu einem köstlichen Vampir-Auftritt von Miss Prism, geben kaum preis, was Oscar Wilde hier meisterhaft verschleierte. Erst als Algernon und John erfahren, dass sie nicht nur Freunde, sondern tatsächlich Brüder sind, bricht ein Damm.

Entgegen der herkömmlichen dramatischen Auflösung, in der die Frauen ihre Männer heiraten dürfen, wird das Gefühl der zuletzt Genannten derart stark, dass sie sich umarmen und eine lange Kuss-Szene folgt. Wie versteinert oder eingefroren stehen alle anderen in einer Reihe hinter ihnen. Sie scheinen nicht wirklich zu fassen, was sie gerade zu sehen bekommen. Und so mag auch der eine oder andere Übersprungs-Lacher im Publikum zu deuten sein, der diesen hochemotionalen Moment unpassend begleitet. Nicht nur, dass sich die beiden Männer ihre Liebe und Zuneigung mit großer Vehemenz öffentlich eingestehen. Sie kratzen auch an dem Tabu des Inzest – was wohl auch die Reaktion ihrer Umgebung zeigt. Unterlegt ist die Szene mit FKA Twigs „Cellophane“  – einer Liebesballade, die im Text darauf verweist, dass auf der Beziehung, über die sie singt, ein gesellschaftlicher Druck liegt. Die Menschen sähen sie lieber allein und voneinander getrennt. Ein Umstand, der auch auf die beiden Männer zutrifft und den auch Oscar Wilde so erlebt hat.

Die Dramaturgin des Stückes, Elisabeth Tropper, verweist im Programmheft darauf, dass Oscar Wildes letztes Stück, wenn man seine Biografie einbezieht, die gesellschaftliche Ächtung homosexueller Männer und vieles, was er in diesem Zusammenhang erlebt haben mag, in verbrämter Form aufzeigt. Tatsächlich kommt es auf die Leseart an, auf den Switch der Interpretation, die diese Aussage plausibel und das Stück unglaublich aktuell machen. Nicht nur, dass Homosexualität in vielen Ländern dieser Erde noch gesetzlich verboten ist und in einigen mit Todesstrafen geahndet wird. Auch in unserer westlichen Gesellschaft benötigen homosexuelle Männer und Frauen unglaublichen Mut, sich zu outen und so zu leben, wie sie gerne möchten. „Bunbury“ bietet eine Menge Diskussionsstoff, zugleich aber auch höchstes Theatervergnügen, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

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