Raumklänge im Dom im Berg

Raumklänge im Dom im Berg

Das Programm – vier Stücke plus noch einmal drei von Einreichungen für die Student 3D Audio Competion, zeigte exemplarisch, was auch an den darauffolgenden Abenden vom Publikum gefordert wurde: Durchhaltevermögen. Von 19 Uhr bis 22.30 – mit kurzen Umbaupausen, wurden Klangerlebnisse geboten, die eine internationale Zuhörerschaft fanden.

Den Beginn machte „Organa Quadrupla“ von Heinali, der mit seinem modularen Synthesizer die grandiosen Klangmöglichkeiten der Ambisonics-Anlage im Dom im Berg nutzte. Fasziniert von polyphonen Strukturen, wie sie in der Renaissance verwendet wurden, setzte er seine Komposition in ähnlicher Weise auf. Er erzeugte den Klang von alten Orgeln, Altflöten oder einem Dudelsack und unterlegte die laufenden Melodielinien mit einer Art Basso Continuo. Nach einem Intro, noch ganz einer historischen Klangkulisse verhaftet, wird hörbar, dass es elektronische Klänge sind, die hier erzeugt werden. Das Anschwellen mit der Zunahme von Stimmen geschieht bis hin zu einem Kathedralen-Sound, in dem ein penetrantes Auf und Ab von Läufen charakteristisch zur Wirkung kommt. Geschickt wird im Bass im letzten Teil des Werkes auch ein Rhythmus hinterlegt, der sich gegen Ende hin verliert. Ein klanglich gelungener Festival-Einstieg, der mit unseren Hörgewohnheiten nicht allzu sehr bricht und deswegen beim Publikum großen Anklang fand.

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„Organa Quadrupla“ – Dom im Berg (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Im krassen Gegensatz dazu stand die Gemeinschaftsarbeit „forest Floodlights“ der Kroatin Manja Ristić, sowie Abby Lee Tee und Franziska Thurner, beide aus Österreich. Sie erhielten im Rahmen einer SHAPE+ Artist Residency einen Kompositionsauftrag und erkundeten dafür den Klang einer abgeschiedenen Gegend im Mühlviertel. SHAPE+ ist die Plattform für spannende neue Projekte aus dem Bereich der Musik und audiovisuellen Kunst des Festivalnetzwerkes ICAS, die 2014 vom musikprotokoll gemeinsam mit fünfzehn weiteren Festivals gegründet wurde. https://shapeplatform.eu/ Sie wird durch das Programm „Creative Europe“ der Europäischen Union gefördert. Einer ihrer Stützpunkte, von welchen aus das Trio arbeitete, war die Garage Drushba, ehemals von Karl Katzinger ins Leben gerufen. Sie war bis zu seinem Tod im Jahr 2021 ein Treffpunkt für ausgefallene Kulturevents im nowhere. Von diesem Place aus erkundeten sie die Gegend und schufen ein visuell-auditives, künstlerisches Tagebuch. Der Wasserreichtum der Landschaft, die Abgeschiedenheit, die altertümlichen Versatzstücke der Garage Drushba, aber auch die Schönheit der Natur wurden eingefangen. In einer Kombination aus klanglichen Aufzeichnungen und Live-Einspielungen gelang eine stimmige Performance, bei der man tief in die nördliche Grenze Österreichs mit eintauchen konnte. Die visuelle Umsetzung erhielt durch das Übereinanderlegen mehrerer Videoaufzeichnungen eine außerordentlich ästhetische Komponente. Naturklänge wie Vogelgezwitscher, Wasserrauschen oder das Rascheln von trockenen Blättern, während man über sie geht, wechselten mit E-Sounds, aber auch Live-Klängen einer Geige und Tierlauten ab. „forest floddlights“ ist eine Arbeit nicht nur mit hohem Wiedererkennungswert, sondern sie macht auch Lust, sie öfter als einmal anzusehen und anzuhören.

Die aus Taiwan stammende Künstlerin Sabiwa präsentierte gemeinsam mit ihrem Partner Nathan L. “Island N. 16 – Memories of future Landscapes“. Das Werk bezeichnet sie als einen Ort der Erinnerung, den sie während der Pandemie schuf.

Neben einer vielfältigen Video-Installation, die zwischen realen Aufnahmen, solchen in welchem reales Material verfremdet wurde und rein computergeneriertem wechselt, schuf sie ein ebenso abwechslungsreiches Sound-Geflecht. Aufgezeichnetes vermischt sich da mit Live-Einspielungen. Fische im Aquarium, zu sehen auf dem Video, frische Blumen in einer Bodenvase auf der Bühne, in welcher Gartenschläuche gesteckt werden, durch welche Luft geblasen wird, Flötenklänge, jene von einem verfremdeten Saxofon und Gesang, all das ergibt ein sowohl visuelles als auch auditives Kaleidoskop, das ständig Form, Farbe und Klang verändert. Zu Beginn bleibt das Video ganz im Asia-Klischee von Bondage-Praktiken verhaftet, wechselt aber bald zu rein computeranimierten Farbkonstellationen, später auch zu Landschafts- und Städteimpressionen und Nahaufnahmen von sich entpuppenden Schmetterlingen oder fressenden Wespen. Der Gesamtduktus spricht eine jugendliche Soundsprache mit einer hohen Geräuschdichte, in der später Passagen ins Psychedelische wechseln. “Island N. 16 – Memories of future Landscapes“ ist ein gutes Beispiel für die Fluidität musikalischer unterschiedlicher Quellen, wechselnd zwischen den Bereichen E- und U-Musik, die dadurch so nicht aufrechterhalten werden können.

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„OSWYC“ – Dom im Berg (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

In OSWYC – so der Titel der Komposition von Robert Schwarz – vereint er künstliche und natürliche Klänge, die jedoch voneinander nicht mehr zu unterscheiden sind. Mit Grillenzirpen, Windgeräuschen und einem wabernden Sound, der quer durch den Raum läuft, lässt er das Publikum in sein Werk einsteigen. Tür-Knarzen, ein Geräusch, das einer hüpfenden Roulettekugel ähnelt und ein Zirpen, begleitet von einem dumpfen Bass, wiederholen sich mit leichten Veränderungen. Ein Schnarren, Raunzen, Glucksen und Klirren wird von einem Knattern unterbrochen, kurz darauf meint man Insektengeräusche zu vernehmen. Immer wieder sind es Naturgeräusche, die man vermeint wahrzunehmen, immer wieder wandern die Klänge und Geräusche quer durch den Raum und täuschen vor, was nur elektronisch zustande gekommen ist.

Den Abschluss des Abends bestritten Beiträge von drei Studierenden, die sich für die ‚Student 3D Audio Competition‘ bewarben. Alle drei machten deutlich, wie sehr sie in die Materie der Raum-Körper-Wahrnehmungen eingearbeitet sind und zeigten noch einmal die atemberaubenden Hör-Möglichkeiten, welche die Soundanlage im Dom im Berg imstande ist, wiederzugeben.

Der Griessner Stadl on tour in Graz

Der Griessner Stadl on tour in Graz

Wer zeitgenössische Opern abseits der vom Bund geförderten Häuser produziert, lernt rasch, mit Mangel umzugehen. Dass es aber noch eine Steigerungsstufe gibt, nämlich einen extrem limitierten Ort, in welchem eine Oper aufgeführt werden soll, kommt weniger häufig vor. Und dennoch schafften es die Betreiber des Griessner Stadel bei Murau, eine Oper in Auftrag zu geben und diese im nicht-operngerechten Spielort auf die Bühne zu bringen. In einer Koproduktion mit dem Steirischen Herbst 2023 wanderte diese nun nach Graz in den „Dom im Berg“. Die Location hätte hier nicht besser gewählt werden können. Der Veranstaltungsraum im ausgehöhlten Fels, mit einer hohen Luftfeuchtigkeit und einem Boden, der keinerlei Wärme ausstrahlt, passte ausgezeichnet zur dramatischen Geschichte.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

„Das Erdbeben in Chili“ nach einer Novelle von Heinrich Kleist, erzählt von einer tragischen Liebe. Die Tochter eines Granden verliebt sich in den Hauslehrer und wird daraufhin von ihrem Vater ins Kloster geschickt. Dort treffen sich die Liebenden jedoch und zeugen im Klostergarten einen Sohn. Dieser wird 9 Monate später bei der Fronleichnamsprozession auf den Stufen der Kathedrale geboren. Um die Schande zu tilgen, wird Donna Josephe zum Tode und ihr Geliebter, Jeronimo, zu schwerem Kerker verurteilt. Wenige Augenblicke, bevor die junge Frau geköpft wird, ereignet sich in der Stadt Santiago in Chile ein schweres Erdbeben. Josephe, ihr Kind und Jeronimo überleben dieses jedoch, finden sich in Freiheit wieder und fallen dennoch wenig später der Lynchjustiz anheim. Ein zweiter Säugling, der Sohn von Don Fernando, gelangt schließlich ebenso in die Turbulenzen der aufgebrachten Menge und wird von dieser bestialisch ermordet. Philippe, der Sohn von Josephe und Jeronimo, überlebt jedoch das Gemetzel und wird schließlich von Don Fernando und dessen Frau als Kind angenommen.

Es bedarf einer großen Portion Mut, sowie Zuversicht und der Glauben, an das eigene Projekt, um diesen Stoff in der Murauer Gegend als zeitgenössische Oper zur Uraufführung zu bringen. Das Team rund um den Obmann Ferdinand Nagele hatte diesen Mut. Und auch wenn es abgedroschen klingt, das Sprichwort „wer wagt, gewinnt“ stimmt in diesem Fall zu hundert Prozent. Anlässlich der Stückeinführung erzählte Nagele, dass sich das Leitungsteam überlegt hatte, einmal etwas zu machen, was sie noch nie gemacht hatten oder noch spitzer ausgedrückt: „Etwas, was wir nicht können.“ Theateraufführungen, Lesungen, Konzerte – all das gab es schon in der Location, was fehlte, war eine Opernproduktion. Dass diese zustande kam, verdankte man nicht nur dem Netzwerk, das über die Jahre aufgebaut worden war. Eine intelligente Herangehensweise, gepaart mit einer Menge Idealismus und Kreativität, verhalf dem Projekt letztlich zum Erfolg.

Martin Kreidt, der schon häufig im Griessner Stadl Regie führte, übernahm nicht nur diese, sondern auch die Verfassung des Librettos, welches eng am Originaltext blieb. Elisabeth Harnik erhielt den Auftrag für die Komposition einer neuen „Volksoper“ und hatte auch die musikalische Leitung inne. Die Musikerinnen und Musiker des Schallfeld-Ensembles übernahmen neben den vier Hauptcharakteren aktive Rollen auf einem langen Catwalk, der als Bühne fungierte. An dessen Längsseiten waren die Publikumsreihen angeordnet, an den Stirnseiten befanden sich zum einen die Plätze für die Musizierenden, zum anderen der Aufbau eines großen Schlagwerkes, das häufig zum Einsatz kam.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

Harnik wählte eine reduzierte, musikalische Ausdrucksweise, die darauf bedacht war, das Wort in den Vordergrund zu rücken. Zugleich wies ihre Komposition jedoch einen großen Ideenreichtum auf. Gleich zu Beginn sprach das Schallfeldensemble, während es sich dazu mit den Instrumenten begleitete, den Text zur Vorgeschichte des Hauptplots. Akkordeon, E-Gitarre, Kontrabass, Flöten, eine Miniaturorgel und Percussion-Instrumente steuerten den charakteristischen Klang bei.

In vielen Passagen wurde psalmodiert, was Sinn erzeugte, spielt sich doch das Drama im Umfeld der katholischen Kirche ab. Wilde, laute Passagen mit großem Percussioneinsatz wechselten mit ganz ruhigen ab, in welchen Sprache und Musik gänzlich zum Erliegen kamen. Mit Geflüstertem und Gehauchtem sowie akzentuierten Atemgeräuschen erweiterte die Komponistin die stimmliche Ausdrucksweise ihrer Sängerinnen und Sänger. Die Wiedersehensfreude nach dem Erdbeben konnte man trefflich durch den Sprechgesang „das Herz hüpfte“, der sich wie in einer Bach’schen Kantate durch alle Stimmlagen wandte, nachempfinden. Eine lange Unisonopassage öffnete sich allmählich zu einer vielstimmigen Kantilene, in dem Augenblick, in welchem sich die Überlebenden dazu entschließen, Gott in der Kathedrale bei einer Messe zu danken. Dass sich das grauenvolle Finale vor allem auch durch stimmlichen Einsatz ankündigt – da wird flüstergebrüllt, was das Zeug hält, liegt bei dieser Kompositionsweise auf der Hand.

Die Kostüme von Andrea Fischer markierten schwarze und weiße Charaktere. Die Regie ließ jedoch Personenwechsel zu und schrieb sowohl Josephe als auch Jeronimo unterschiedlichen Solistinnen und Solisten zu. Kreidt vermischte in einem cleveren Schachzug sowohl das Instrumentalensemble als auch die Sängerinnen und Sänger, um sie danach wieder zu trennen und ihnen nun aber einen anderen Platz zuzuweisen. Auf diese Art wurden nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die kleine Ansammlung von Überlebenden oder auch die große Menschenansammlung in und vor der Kirche, in welcher letztlich wieder gegen die Liebenden gehetzt wurde, plausibel visualisiert.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

„Das Erdbeben von Chili“ beeindruckte vor allem auch durch alle Mitwirkenden, die ein homogenes Ensemble ergaben, das sich gegenseitig unterstützte und in welchem sich niemand in den Vordergrund drängte. Auch das ist eine Erfahrung, die im Musiktheater nicht häufig vorkommt. Es wäre wünschenswert, wenn der Griessner Stadl mit weiteren Produktionen nach Graz kommt und weiter frischen Wind in das alte Gemäuer des Doms im Berg bläst. Vielleicht animierte die Produktion aber auch Grazer Publikum, sich das ein- oder andere Mal in Richtung Murau zu begeben und dieses kulturelle Zentrum mit seinem interessanten Programm zu besuchen.

In Graz waren zu sehen:
Clara Sabin, Helēna Sorokina, Jessica Kaiser, Margarethe Maierhofer-Lischka, Audrey G. Perreault, Manuel Alcaraz-Clemente, Stefan Jovanovic, Walter Ofner, Herbert Schwaiger, Ivan Trenev

Miameide

Miameide

Damit bleiben Kristine Tornquist und Jury Everharz ihrem Metier treu, was bedeutet, dass sie immer wieder aufs Neue frischen Wind in die zeitgenössische Opernszene in Wien bringen. Mit ihrem letzten Projekt knüpften sie an „Erzählgeschichten“ an, wenngleich auch mit einem erweiterten Blick.

Tornquist arbeitete in dem Libretto ihre Erfahrungen während der Pandemie auf. Zum einen musste sie zum Arbeitsamt und erlebte dort Geringschätzung und Unverständnis. Dass jemand den Beruf einer Künstlerin ergreift, schien den Betreuenden außerhalb ihrer Vorstellkraft zu liegen. Zum anderen beschäftigte sie sich aufgrund der Lockdowns und der Unmöglichkeit, im Team zu arbeiten, mit der Flora. Einem Gebiet, das sie sich gänzlich neu erschloss. Von ihr stammt nicht nur die Idee und das Libretto, sondern auch die Regie, welche sich stark auf die Herausarbeitung der unterschiedlichen Charaktere konzentrierte.

Beide Erfahrungen, sowohl die Arbeitslosigkeit als auch die neu entdeckte Liebe zu den Pflanzen, verpackte sie in die Handlung, in welcher eine arbeitssuchende Frau zum AMS gehen muss. Dort gibt sie als Kenntnisse nur an, dass sie die Fähigkeit habe Pflanzen zu verstehen. Nach drei missglückten Versuchen als Blumenverkäuferin, Gärtnereiangestellte und letztlich als Putzfrau, folgt sie dem Rat eines Kaktus. Sie solle ihrer Berufung folgen und dorthin gehen, wo sie in guter Erde ihre Wurzeln einschlagen könne.

 

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Es gibt Musik, in welcher Rosen, Lilien, Flieder, Vergissmeinnicht oder Tulpen verewigt wurden. Julia Purgina  https://de.wikipedia.org/wiki/Julia_Purgina hat sich in ihrer Komposition für die Oper „Miameide“ aber nicht nur einer Blume, sondern der gesamten Flora zugewandt. Sie schaffte es, das Wachsen und das Vergehen von Pflanzen hörbar zu machen und sie musikalisch zu  charakterisieren. Es gelang ihr gleich zu Beginn das langsame Herabtrudeln von Löwenzahnsamen oder die propellerhaften Bewegungen von Ahornsamen so in Musik zu gießen, dass man gar nicht genug davon bekommen kann.  Der Trickfilm, gestaltet von Julia Libiseller und Germano Milite, visualisierte in hoch ästhetischer Weise diesen Vorgang. Er wurde von zarten Instrumentalklängen begleitet, die ein fein verästeltes, musikalisches Gewebe ergaben, welches einen atmosphärischen Einstieg in das Thema vermittelte.

 

In diesem langen Prolog, aber auch in Zwischenspielen und einem langen Epilog verwendet sie Klangmaterialien, die manches Mal zart, dann wieder dicht und das ganze Instrumentarium ausschöpfend, den Pflanzen einen musikalischen Ausdruck verleihen. Die handelnden Personen wurden von ihr mit markanten Melodieführungen ausgestattet. Die arbeitssuchende Mia (Miameide) trägt ihre Pflanzenbegeisterung stets in melodiösen, ruhig dahinfließenden Arien vor. Niemals aufgebracht, verärgert oder böse, erklingt ihre Stimme warm und samtig. Wie immer beim Sirene-Operntheater, ist die Besetzung äußerst gelungen.

Mia trägt als einzige ein fließendes, grünes Kleid mit baumelnden Borten, das einen starken Kontrast zu allen anderen Kostümen darstellt. Die Angestellten im Arbeitsamt tragen farbig gedämpfte Outfits mit akkuraten Krageneinfassungen. (Kostüme Maria Mitterlehner) Graue Mäuse sind sie allesamt, hinter ihren kleinen Tresen verschanzt, von welchen aus sie die klimatischen Bedingungen der unterschiedlichen Monate nur jammernd kommentieren können. Michael und Markus Liszt, sowie Je. Jesch schufen ein mobiles, witziges Bühnenbild, das innerhalb weniger Augenblicke wandelbar ist.

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Romana Amerlings Sopran, klar und kraftvoll, durchdringend und kunstvollst in Koloraturmanier eingesetzt, als ihr der Geduldsfaden reißt, steht ganz im Gegensatz zur Altstimme der Titelrolle. Als Sachbearbeiterin lässt sie jegliche Empathie missen und wird im Laufe des Misserfolges ihrer „Klientin“ sogar bösartig. Ihre zum Teil lauten, hohen Soli, zum Teil als beängstigend attackierend empfunden, werden von ihr herausragend interpretiert. Ihre Auftritte zählen zu den Höhepunkten der Aufführung. Während sie Mia abkanzelt oder während sie sich mit ihren Kollegen unterhält, hetzt die Musik, rhythmisch hart akzentuiert, entlang der knappen Wortsalven, die wie im Telegrammstil vorgetragen werden. Ingrid Haselberger, Benjamin Boresch, Vladimir Cabak und Johann Leutgeb als Sachbearbeiter, Arbeitslose und kurzzeitige Arbeitskollegen von Miameide zeichnen sich neben ihren stimmlichen Qualitäten samt und sonders auch durch ihr mimisches Talent aus.

Den instrumentalen Part übernahm das Ensemble Phace unter der präzise geführten Leitung von Antanina Kalechyts. Es verschwindet, genauso wie das 5-köpfige Vokalensemble „Momentum Vocal Music“ hinter einem Projektionsvorhang. Der Chor (Ekaterina Krasko, Elisabeth Kirchner, Aleksandar Jovanovic, Simon Erasimus und Benjamin Harasko) schafft eine natürliche Verbindung zwischen den Menschen und der Fauna, ohne jedoch mit einem eigenen Text ausgestattet zu sein.

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Computeranimierte Gewächse belebten  in unterschiedlicher Form die Bühnenfront. Zu Beginn waren es kahle, dünne Äste, die von oben herab nach unten wuchsen und schließlich die ganze Leinwand einnahmen. Später entblätterte sich nach und nach ein Kohl, letzten Endes wuchs die Projektionsfläche vom Boden bis in luftige Höhen mit satten, grünen Pflanzen zu, die ein undurchdringbares Dickicht ergaben. Die Projektionen von esteban, Szymon Olszowski und Gert Tschuden gehörten zu einem umfassenden, künstlerischen Gesamtkonzept. Begonnen von den Eintrittskarten, über das bibliophil gestaltete und hoch informative Programmheft, hin zur Ausstattung trugt zwar alles eigene, künstlerische Handschriften, die jedoch in der Zusammenschau ein in sich stimmiges Ganzes ergaben.

Wie immer bei den Sirene-Produktionen ergänzte ein Rahmenprogramm die Vorstellungen. Unter dem Titel „Expedition Grün! Science Programm“ wurden Vorträge angeboten, die von biologischen, ökologischen hin zu kunsthistorischen Schwerpunkten das Thema Fauna beleuchteten. Die mittlerweile dichte Vernetzung von Everhartz und Tornquist – auf ihrer Homepage gut nachzulesen – garantierte eine hohe Auslastung. Die Publikumsreaktion bei der besuchten Dernière war zu Recht enthusiastisch.

Schönreden und drüberfahren

Schönreden und drüberfahren

Als Inspiration diente das Buch „Gegen Wahlen: Warum Abstimmungen nicht demokratisch sind“ des belgischen Autors David Van Reybrouck. Darin argumentiert er, dass die gegenwärtige Praxis der Wahlen nicht unbedingt demokratisch ist und schlägt Alternativen vor, um die demokratische Repräsentation zu verbessern. Er stellt das Konzept des Losverfahrens vor, bei dem Bürger zufällig ausgewählt werden, um politische Ämter zu besetzen oder an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, als einen Weg, um die demokratische Beteiligung zu fördern und die Macht zu dezentralisieren. Dieses alternative Modell soll eine Möglichkeit bieten, die demokratische Legitimation zu stärken und die politische Teilhabe zu erhöhen.

Das Theaterteam machte sich im Sommer im Griesviertel auf die Suche nach Personen, die an einem gemeinsamen Abendessen teilnehmen wollten. Dabei sollte im Gespräch erkundet werden, welche Einstellung die Menschen zu unserer Demokratie haben. An zwei Abenden wurde aufgekocht, die Gespräche dieser Settings auditiv aufgenommen und von einer Fotografin festgehalten. Elisabeth Holzmeister und Eva Hofer sowie Rupert Lehofer und Ed Hauswirth verarbeiteten die Texte zu einem sinnlichen Theaterabend mit einem derben Ausklang, der zugleich einen höchst subtilen Tiefgang aufwies.

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Das demokratische Abendessen (Foto: Johannes Gellner)

Die beiden Schauspielerinnen rekapitulierten Auszüge der Gespräche und imitierten dabei die Gäste. Alleine schon dieses Schlüpfen in unterschiedliche Rollen im Abstand von wenigen Augenblicken, lohnte das Zusehen, obwohl zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als allgemeine Plattitüden über unseren Alltag aufgezählt wurden als da sind: Strompreiserhöhung, die Schwierigkeit, Kinder in einer städtischen Umgebung aufzuziehen, das Ausgegrenztsein von Menschen mit Migrationshintergrund. Immer wieder wurde betont, wie „toll“ es doch im Gries sei, wie divers die Menschen dort seien und dass es ein anderes, angenehmeres Leben als im Bezirk Geidorf sei. Gestandene Grazerinnen und Grazer durften sich über diese Aussagen wundern.

Erst mit dem Auftauchen eines Kellners (Rupert Lehofer) wendete sich die rosige, schön geredete Erinnerungsschleife und bröckelte Stück für Stück ab. Nicht nur, dass die Frauen entgegengesetzte Meinungen zu den Abenden vertraten, man erfuhr auch, wie schwer es gewesen war, Gäste zu rekrutieren. Dass der Mann einen ganz anderen Part in diesem Spiel einnahm als die Frauen, zeigte sich gleich bei seinem ersten Auftritt. Wollte er doch wissen, woher denn der viele Text käme und bald darauf, ob man denn bei der Gäste-Auswahl den Gini-Koeffizient berücksichtigt hätte. Die Antwort „Gini-Koeffizient, welcher Gini-Koeffizient?“ machte klar, dass hier zwei Welten aufeinanderprallten. Immer stärker zeigte sich im Laufe des weiteren Geschehens, dass der von den Gastgeberinnen von Beginn an offenkundig falsch eingeschätzte Ober mit Intellekt und Interesse am Thema ausgestattet war und durch seine Fragen der Handlung einen neuen Twist verlieh. Seine positive, hoffnungsvolle Sicht auf die Zukunft heizte die bereits gereizte Stimmung noch weiter auf. Es bedurfte nicht viel, war auch schon der Aggressionslevel derart gestiegen, dass es zu einem Showdown zwischen den beiden Frauen kam. Die bis dahin hoch gehaltene Weltoffenheit, die demonstrativ zur Schau getragene Toleranz gegenüber allem und jedem kippte innerhalb weniger Sekunden in Schimpftiraden und körperliche Angriffe. Dabei ließen die beiden Damen Blicke hinter die Kulissen zu. Von der Strapaze der Gäste-Rekrutierung über nervende Proben, bei welchen der Hund einer der Darstellerinnen im Wege stand, von peinlichen Sitzungen mit olfaktorischen Störungen hin zu einem veritablen Dissens mit der Dramaturgie reichte die Bandbreite.

Als schließlich der bis dahin Contenance haltende Kellner meinte, das Maß der Übergriffe sei voll und er würde ohnehin für eine iliberale Demokratie plädieren, eine Aussage, der man staunend folgte, waren sich die beiden Damen sofort wieder einig. Die gemeinsame, stumme Übereinkunft, den Störenfried loszuwerden, einte sie wieder und führte schließlich zu einem, wenngleich abermals geschönten Happy End.

Mit dem Song „It’s a good day to change the system“ klang die Inszenierung aus, allerdings mit einer aus der Realität des Vorgekommenen abgeleiteten Erkenntnis. Jede Person trägt unterschiedliche Züge in sich, jeder von uns ist scheinbar sowohl ein humal als auch ein demon. Zumindest braucht es herzlich wenig, um letzteren sichtbar werden zu lassen. Theater im Bahnhof

Wer bin ich eigentlich?

Wer bin ich eigentlich?

Die „poetisch-dokumentarische Performance“ weist einen starken Bezug zu Graz auf und läuft als Co-Produktion im „Steirischen Herbst“ im Theater am Lend. Das macht Sinn, lautet doch das diesjährige Thema des Festivals „Humans and demons“ und sind doch viele der Beiträge mit ihren Inhalten mit Graz verknüpft.

Der Text stammt vom Ensemble selbst. Bernhard Berl, Vinko Cener, Franciska Farkas, Natalija Teodosieva und Christian Winkler erzählen Geschichten aus ihrem Leben und dem ihrer Vorfahren. Bis auf Natalija und Christian, der den Intro-Part übernimmt, gehören sie alle zur Bevölkerungsgruppe der Roma und stammen aus Österreich, Slowenien, aus Ungarn und Mazedonien. Zwischen den einzelnen Schilderungen arbeiten alle gemeinsam an einem Holzboot mit der Aufschrift Feuerwehr Steiermark. Sie entkernen es, schleifen Teile der Oberfläche ab, lackieren und kleben einzelne Holzteile zusammen.

Moritz Weiß und Ivan Trenev (Fotos Edi Haberl)

Ivan Trenev (Akkordeon) und Moritz Weiß (Klarinette/Bassklarinette) steuern vom Bühnenrand her eine musikalisch-stimmige Untermalung bei. Klezmer mit starkem Balkandrive, aber auch lyrische Stücke, gut ins Ohr gehend, sowie dramatisch Klingendes, wenn sich das Geschehen auf der Bühne zuspitzt, haben die beiden in ihrem Repertoire.

Das Boot, das auf der Bühne bearbeitet wird, ist eines, das schon in den 30-er-Jahren in der Mur als Rettungsboot vertaut war. Dass es nicht zum Einsatz kam, als sich am 13.3.1938 die Urgroßmutter von Bernhard Berl in der Mur ertränkte, zeugt von jener feindlichen Gesellschaftshaltung, welche die Roma in der Zwischenkriegszeit und während des 2. Weltkrieges bitter erfahren mussten.

Der aus der Oststeiermark stammende Bernhard, erzählt plastisch, dass er sich mit knapp 20 Jahren auf die Suche seiner Vorfahren machte und dabei erfuhr, dass er ein Roma ist. Während seiner Erzählung merkt man, wie sehr er nach wie vor von diesem Umstand emotional ergriffen ist, auch wenn er diesen zuallererst mit den Mitteln des Humors herunterspielt. „Ich bin Roma? Super, ein Italiener!“, war seine Reaktion auf die Enthüllung seiner Abstammung. Erst die knappe Antwort der Großmutter: „Nein, kein Italiener, ein Zigeuner!“, zieht dem jungen Mann den Boden unter den Füßen weg. Freimütig bekennt er, dass er ohne psychologische Unterstützung sein Leben nicht wieder in den Griff bekommen hätte.

Natalja hat gegensätzliche Erfahrungen gemacht. Von Kleinkind an war sie einer ihrer „babas“, die eine der bekanntesten Roma- Sängerinnen war, sehr zugetan. So wie sie wollte sie werden. Als ihr Bruder ihr mit acht Jahren erzählte, dass es zwischen dieser Großmutter und ihr gar keine Blutsverwandtschaft gab und sie keine Romni ist, brach eine Welt für sie zusammen.

Vinko, ein Roma aus Slowenien, musste die Sprache seiner Ahnen erst im Erwachsenenalter erlernen. Zu sehr waren seine Eltern bedacht, sich in ihrem Land zu integrieren und nicht als Roma aufzufallen. Es klingt fast wie Schicksalsironie, dass Vinko schließlich eine eigene Fernsehsendung hatte, in der er Roma-Belange moderierte. Seit vielen Jahren lebt er nun schon in Graz und erlebt hier immer wieder, was es heißt, hier nicht geboren zu sein.

Franciska schließlich beginnt ihre Schilderung mit einer grauenhaften Geschichte aus der Nazi-Zeit. Nach einer Betroffenheitspause, in welcher man merkt, dass dem Publikum sehr unwohl geworden ist, setzt sie plötzlich ein gänzlich anderes Gesicht auf und stellt die Frage, was denn wäre, wenn diese Geschichte erfunden wäre. Franciska ist Profi-Schauspielerin, in Ungarn eine Berühmtheit und wünscht sich nichts mehr, als nicht ständig nur mit Romnja-Rollen besetzt zu werden.

So unterschiedlich alle Lebensläufe des Ensembles und die Zugänge zur Roma-Herkunft auch sind, sie vereint, dass sich an einem Punkt in ihrem Leben ihre Identität ins Wanken geriet und sie sich mit ihrer Herkunft auseinandersetzen mussten, ob sie wollten oder nicht. Franz von Strolchen schuf mit der Einbeziehung des Bootes zwei kunstvolle dramaturgische Ebenen, die auf den ersten Blick ganz unaufdringlich erscheinen. Zum einen wird mit Hilfe von Lauftexten das philosophische Paradoxon des Theseus-Schiffes erklärt. Zum anderen schafft er mit dem Ruderboot eine Klammer. Sie umfasst die Geschichte der Urgroßmutter von Bernhard, die am Anfang der Inszenierung erzählt wird, hin zum Ende, denn: In der letzten Szene wird das Schiff ohne Worte mit einem weißen Stoff ummantelt, mit Seilen umwickelt und letztlich alleine auf der Bühne zurückgelassen. Die Assoziation, die hier stehen bleibt, hat es in sich: Auf diese Weise verschnürt, finden Menschen ihre letzte Ruhe, die auf hoher See versterben und nicht an Land gebracht, sondern in den Fluten der Meere oder Flüsse ihre letzte Ruhe finden.

„Das Schiff des Theseus“ öffnet viele Fenster in die Vergangenheit, zugleich aber wird auch der fast übermächtige Wunsch der Darstellerinnen und Darsteller nach einer besseren Zukunft spürbar. Einer Zukunft, in der die Abstammung und Herkunft eines Menschen keine Rolle mehr spielen sollte. Utopien werden dann zur Realität, wenn sie gelebt werden. Jetzt damit anzufangen scheint in Zeiten wie diesen, in welchen die nationalen Gegenströmungen wieder zunehmen, das Gebot der Stunde. Aktueller kann zeitgenössisches Theater wohl kaum sein.

Mit Pandora durch das Paris des 18. Jahrhunderts

Mit Pandora durch das Paris des 18. Jahrhunderts

Er ist einer, der keine halben Sachen macht und nur das Ganze will. Der Komponist Matthias Kranebitter wurde anlässlich der Premiere zu seiner Oper „Pandora“ im Rahmen der Musiktheatertage Wien zu Recht gefeiert. Eine Zusammenfassung der Kritik vorwegnehmend, könnte man sagen: Wer wagt, gewinnt und Kranebitter hat gewonnen.

Es ist auffallend, dass sich allerorten derzeit mythologische Stoffe großer Beliebtheit erfreuen. Dabei sind nicht nur Rückgriffe auf Inszenierungen gemeint, die nun wiederbelebt werden. Der Zeitgeist will es, dass auf den Bühnen, egal ob für Musik- oder Sprechtheater, Neues vom Alten gezeigt wird. Kranebitter, sowohl für das Konzept als auch die Komposition von „Pandora“ verantwortlich, hat seinem Werk einen Untertitel gegeben. „Eine Cyber-Reanimation des barocken Operntorsos von Royer und Voltaire.“

Joseph-Nicolas-Pancrace Royer schuf die Oper zu einem Libretto von Voltaire, der aber kein Erfolg beschieden war. Kranebitter sprengt mit seiner Idee die herkömmliche Opernform durch eingespielte, vorgelesene Informationen über die Entstehung der Oper, das Leben von Royer, sowie die Weiterentwicklung der Guillotine durch einen deutschen Cembalo-Bauer hin zur Ermordung des Marat. Dadurch entsteht eine höchst abwechslungsreiche Edutainment-Mischung mit dem Schwerpunkt einer musikalischen Umsetzung.

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Pandora (Foto: Nick Mangafas)

Der Regisseur Michael Höppner lässt die drei Charaktere opernhaft-klassisch in aufwendigen, dennoch zeitgeistigen Kostümen agieren, das Bühnenbild ist auf das Notwendigste reduziert. Christopher Sturmer setzt weiße, große Leinwandblöcke in den Bühnenvordergrund. Auf ihnen finden die spannenden, zum Teil sogar angsteinflößenden Visuals von Patrik Lechner ihr Abbild. Eine tiefrote, runde Formation begleitet die Erläuterungen zur Guillotine-Erfindung, sich amorph ausbreitende Ballungen, die an halbierte Kettenglieder oder Maden erinnern, wachsen kriechend quer über die Leinwände, sodass unweigerlich Ekelgefühle aufkommen.

Etwas in den Bühnenhintergrund versetzt, vor dem Orchester, das auf einem Podium platziert ist, erhebt sich der Olymp in Form eines hoch aufragenden Quaders. Ummantelt mit weißem Stoff, wird dieser von Prometheus mehrfach erklommen, bisweilen aber auch verschoben. Es ist diese einfache Bühnentechnik, hier reduziert auf manuelle Umgestaltungen, die an Zeiten denken lässt, als die Ausstattung der Opernhäuser noch nicht Hightech war und erst in ihren Anfängen steckte. Der Gegensatz zu den 3D-Animationen könnte größer nicht sein. Gemeinsam mit den Texteinschüben wird so eine zweite Ebene abseits des historischen Geschehens aufgebaut. So pendelt das Publikum beständig zwischen der Wahrnehmung des erzählten Göttermythos und dem Blick auf die französische Geschichte bis kurz nach der Revolution.

Prometheus (Georg Bochow) und Jupiter (Andreas Jankowitsch) agieren in ihrer beider Eitelkeiten als Strippenzieher von Pandoras Schicksal. In Form einer leblosen Puppe von Prometheus geschaffen und zu Leben erweckt, muss sie letztlich den Frevel des Feuerraubes büßen, den ihr Schöpfer am Götterolymp begangen hat.

Das fantastische Geschehen versieht Kranbebitter mit wilden Klangballungen, unterfüttert von barocken Klängen. An anderen Stellen lösen Klang-Tsunamis kurze Passagen ab, die an Stummfilm-Musik der 20-er-Jahre anknüpfen und das Geschehen mit einem musikalischen Augenzwinkern kommentieren. Zum Teil gelingt dem Komponisten eine musikalische Umsetzung des Textes, die man wortwörtlich nennen kann und die sich zusätzlich mit den Visuals rhythmisch verzahnt. Duette und Arien, ein elektronisch verändertes Cembalo, ein rhythmischer Einschub, der Pandoras Herzschlag hörbar macht, während sie dazu sichtbar den Brustkorb hebt und senkt, Paukenschläge, die nachfolgende, dichte Klangcluster vorbereiten, all das ist nur ein unvollständiger Auszug aus der kompositorischen Vielfalt, die nachhaltig beeindruckt. Das von Kranebitter gegründete „Black Page Orchestra“ unter der Leitung von Vinicius Kattah https://www.viniciuskattah.com/bio wird zu Beginn und am Ende von einem elektronischen Dirigenten geleitet.

Die Handlung erhält gegen ihr Ende hin noch einen eklatanten Shiftwechsel, lässt der Regisseur die beiden Götter doch durch einen performativen Akt vor den Augen des Publikums verschwinden. Sosehr sie jedoch auch mit Farbe beschmiert werden, bis sie sich von ihrem Hintergrund nicht mehr abheben, sosehr sie auch mit Erde beschwert werden, nach einer gewissen Zeit werden sie dennoch wieder sichtbar, wenngleich offenkundig ihrer ehemaligen Macht komplett beraubt.

Dass am Schluss mit der sukzessiven Verabschiedung von Dirigenten und Ensemble noch Haydns Abschiedssymphonie eine Reverenz erwiesen wird, lässt noch einmal an jene Zeit zurückdenken, in welcher „Pandore“ entstand: Im Barock, als Komponisten nicht viel mehr waren als Bedienstete unteren Ranges, gelitten nur zur Erbauung und Prestigeerhöhung.

Kranebitter und sein Team haben viel gewagt: Eine dichte Erzählung, ergänzt mit vielen sozio-kulturellen Hintergrundinformationen, die Verschränkung unterschiedlicher Zeitmotive sowohl im visuellen als auch im musikalischen Bereich. Das ist ein Hochseilakt, den man erst einmal beherrschen muss. Ein Hochseilakt, der gelungen und zu bewundern ist. Dieses Werk hat Suchtcharakter.

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