Julius Bürger – vertrieben und wiederentdeckt I Ein Wiener Komponist kehrt zurück

Julius Bürger – vertrieben und wiederentdeckt I Ein Wiener Komponist kehrt zurück

Das RSO brachte unter der Leitung von Gottfried Rabl im großen Sendesaal des ORF RadioKulturhauses am 18.8.2023 Werke von Julius Bürger (1897–1995) zur österreichischen Erstaufführung. Und das 18 Jahre, nachdem der jüdische Komponist 98-jährig in New York verstorben war.

Portrait Buerger vor Klavier Brian Coats

Julius Bürger  (Foto: Brian Coats)

Dass die Stücke überhaupt erklingen konnten, verdanken sie dem klugen Vorgehen von Ronald S. Pohl, einem New Yorker Nachlassanwalt. Er war 1989 von Bürger engagiert worden, um die Verlassenschaft seiner kurz zuvor verstorbenen Frau Rose zu verwalten und den Großteil des Geldes jungen, israelischen Musikerinnen und Musiker zukommen zu lassen. Noch nicht wissend, dass Julius Bürger ein beachtenswertes kompositorisches Werk vorzuweisen hatte, stellte Pohl ihm die Frage, ob er denn aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht auch seinen Nachlass rechtzeitig in Angriff nehmen wollte, was sich als Glücksfall herausstellen sollte. Bürger, in Wien geboren und aufgewachsen, war als junger Mann mit Studienkollegen und seinem Kompositions-Lehrer Franz Schreker nach Berlin gezogen und pendelte danach zwischen London, Paris, Berlin und Wien. Der Einmarsch Hitlers in Österreich alarmierte ihn jedoch derart, dass er mit seiner Frau noch rechtzeitig nach Amerika auswandern konnte. Dort erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, arbeitete an der Metropolitan Opera, aber auch für Rundfunk- und Fernsehanstalten als Dirigent, Arrangeur und Auftragskomponist, ohne jedoch ganz seine eigene, unabhängige Kompositionstätigkeit aufzugeben.

In Pohl hatte Bürger glücklicherweise einen Mann der Tat gefunden. Setzte dieser doch alle Hebel in Bewegung, um seinem Kunden den Wunsch zu erfüllen, sein Cello-Konzert aus dem Jahr 1932, das 1952 uraufgeführt und seit 1991 nicht mehr erklungen war, tatsächlich noch einmal hören zu können. Pohls Bemühungen waren erfolgreich. Nach Aufführungen in den USA wurde es auch in Israel gespielt – von jenen Musikerinnen und Musikern, die von Rose Bürger Stipendien erhalten hatten. Erst nachdem der Kontakt zu Gerold Gruber, dem Leiter des  Exilarte Zentrums für verfolgte Musik der mdw hergestellt und der musikalische Nachlass von Julius Bürger nach Wien gebracht worden war, war es möglich, auch hier ein Konzert mit Werken von ihm aufzuführen. Wäre Pohl nicht mit dem Komponisten zusammengekommen, darf man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass dessen Werke, die sich gesammelt in einem kleinen Möbel befanden, nach dessen Tod bei der Wohnungsräumung entsorgt worden wären.

Das RSO Wien spielt Julius Bürger.

Foto: Benjamin Pieber – Herzog Media

Adagio für Streichorchester

Die Bandbreite der Arbeiten, die in Wien erklangen, war reichhaltig. Die Eröffnung machte ein Adagio für Streichorchester, aus dem Jahr 1978. Es war das einzige Werk, das schon einmal in Österreich aufgeführt worden war. Sanft dahinfließend, dunkelt es immer wieder kurz ein, um dabei Dramatischeres freizulegen. Die Bassgeigen drängen an einigen Stellen die Streicher förmlich zu Spannungsmomenten, die jedoch von diesen immer wieder bezwungen werden. Sie schaffen es schließlich, das Wilde, das Böse, ja beinahe Unaussprechliche, das sich immer wieder hörbar macht, hinter sich zu lassen und mit einem zarten Wohlklang das Werk ausklingen zu lassen.

Eine gute Wahl, was den Solopart des Cello-Konzertes betraf, das im Anschluss gespielt wurde, war mit Anna Litvinenko getroffen worden. Beeindruckend waren nicht nur die technisch schwierigen, bravourös gemeisterten Passagen, sondern vor allem die Innigkeit und Einfühlsamkeit ihres Solos im letzten Satz. Technik ist nur ein Bestandteil einer gelungenen Aufführung, das Werk aber mit Seele zu füllen, macht jenen Unterschied aus, den Litvinenko dem Publikum vorzeigen konnte.

Nach einer ruhigen Einleitung formieren sich die Bläser und geben einen pulsierenden Rhythmus frei, den das Orchester und das Cello aufnehmen. Bald wird das musikalische Geschehen leichtfüßig tänzerisch und entwickelt sich zu einem langsamen Fluss, in dem sich die rhythmischen Pulsschläge wiederholen. Immer wieder taucht dabei das kleine Thema, kaum 3 Takte umspannend, quer durch das Orchester auf. Den Satz lässt Bürger nur durch die Bläser enden, die vom Cello unterstützt werden.

Den 2. Satz hat der Komponist nachträglich seiner Mutter gewidmet, die von den Nazis beim Marsch nach Auschwitz getötet worden war. Gleich zu Beginn wird ein langer, schleppender Marsch intoniert und das Cello-Thema bald von der Oboe aufgegriffen. Elegisch bringen sich die Streicher ein und werden vom Solo-Instrument, welches das Thema weiterführt, dabei getragen. Der schleppende Duktus verwandelt sich allmählich in ein allgemeines Flirren und einen Übergang des Themas in ein aufgehelltes Szenario mit Harfenbegleitung. Die beruhigende, liebliche Attitüde hält nicht lange, bald schon trübt sich der Klang wieder ein. Er erfährt eine scharfe Ballung und wartet mit einer langen Bläsersequenz mit Disharmonien auf, die das Orchester aufwecken und zu einem wilden, düsteren Geschehen animiert. Nun erhält das Cello ein Solo, das man als illusionslos beschreiben kann. Keine Spur von jener beruhigten, lebensbejahenden Stelle mit Harfenbegleitung ist mehr fühlbar, vielmehr hat es den Anschein, als hätte sich das Cello den Stimmen der wilden Gewalt ergeben. Logisch folgt danach ein Schluss, in welchem das Orchester, wie zu Beginn, den schleppenden Marsch wiedergibt. Wissend um das Schicksal von Bürgers Mutter, kann man fühlen, welchen letzten Lebensmoment er hier musikalisch festgehalten hat.

Im raschen 3. Satz reagiert das Cello fast kammermusikalisch auf die einzelnen Instrumentalsoli. Immer wieder treten von den Streichern, häufig unisono unterstützte, beruhigende Passagen den zuvor erklungenen lebhaften entgegen, die dann wieder mithilfe der Bläser im Wechselspiel mit dem Cello abermals an Fahrt aufnehmen. Den Schluss bildet ein Cello-Solo mit differenzierten, schönen dynamischen Färbungen, welchen ein furioses finales Bläser- und Paukengeschehen nachgesetzt wird. Zu Recht erhielt das Orchester und die Solistin lang anhaltenden Applaus für die Darbietung.

Lieder mit symphonischer Begleitung

Die darauffolgenden zwei Lieder mit symphonischer Begleitung wurden von Matija Meić interpretiert. „Legende“ nach einem Text von Christian Morgenstern und „Stille der Nacht“ nach Gottfried Keller, ließen musikalische Vergleiche mit Gustav Mahler zu. Beinahe jede Zeile, jede Stimmung, jede Beschreibung eines Landschafts-, Seelen- oder Handlungszustandes erhält bei Bürger ihren eigenen, musikalischen Ausdruck. Ob Jesus vor seinem Gang in den Garten Gethsemane, völlig unerwartet mit einer jungen Frau zu tanzen beginnt und diese ausgelassenen Schritte hörbar werden, ob die Brandung eines Meeres bei Gottfried Keller angesprochen, musikalische Wallungen im Klangkörper auslöst, Musik und Wort unterstützen sich gegenseitig kunstvollst. Voll, warm und sehr ausgereift erklang der Bariton von Meić, ohne jedoch eine klare Aussprache vermissen zu lassen. Ihm gelang es mit Leichtigkeit, die breite symphonische Unterstützung, eine Herausforderung für den Sänger bei diesen Werken, als solche zu belassen und sich vielmehr wie ein Solo-Instrument gesanglich einzubringen.

Beide Stücke können als kleine symphonische Dichtungen, jedoch ausgestattet mit einer epischen Wucht unter der Verwendung eines großen Instrumentariums charakterisiert werden, was sie außerordentlich spannend macht. Gerne würde man davon mehr hören.

Das RSO Wien spielt Julius Bürger. Hier im Bild der Bariton Matija Meić

Foto: Benjamin Pieber – Herzog Media

„Eastern Symphony“

Den Schluss des Konzertes bildete die „Eastern Symphony“ aus dem Jahr 1931.
3-sätzig angelegt, wird sie mit einem aufgeweckten Thema in den Bläsern eröffnet, das von den Streichern beantwortet wird. Erinnerungen an den um ein Jahr älteren Gershwin werden dabei wachgerufen, vorwiegend durch die stark akzentuierten Rhythmen, die auch häufig wechseln. Auffallend ist, wie schon bei den Liedern zuvor, dass Bürger das gesamte Orchesterinstrumentarium fast ständig in Bewegung hält. Kaum eine Stelle, in welcher die Musizierenden nicht zugleich gefordert werden, was sich als ungemein reizvoll erweist. Becken, Pauken und Trommeln geben wie auch die Bläser den vorherrschenden Ton an und lassen den Satz als hymnisch-progressiv erfahrbar machen.

Der 2. Satz beginnt mit der Oboe, die vom Orchester breit unterstützt wird. Ihr antworten Geigen und Celli so, dass ein Fließen den gesamten Klangkörper erfasst und eine weite, sich öffnende Landschaft leicht imaginiert werden kann. Wieder ist es die Harfe, die zur Klarinette, dem Fagott und den Streichern, sowie dem leisen Holz überleitet. Es ist diese instrumentale Themenwanderung und zugleich die Weiterführung desselben, welches diesen Satz so interessant macht. Der ruhige Duktus bleibt beibehalten und auch das Ende klingt dementsprechend aus.

Wie könnte es anders sein, beginnt der Schluss-Satz furios im gesamten Orchester mit einem wilden Lauf. Trompeten und Trommeln geben den raschen Rhythmus vor, der sich erst durch Harfe und Oboe mit dem von den Streichern singend vorgetragenen Thema darüber beruhigt. Nun sind es die Flöten, welche diese Landschaftsbeschreibung ergänzen. Als ob man einem Fluss mit kleinen Wasserstrudeln folgen würde, schrauben sich die Geigen, von der Klarinette gehalten, in lebhafter Weise weiter und übergeben diese an die Flöten. Mit einem letzten, wuchtigen Orchestereinsatz, beendet das Thema, noch einmal präsentiert, das schöne Werk.

Die Charakteristik von Bürgers Musik ist eindeutig und kann klar benannt werden. Als Komponist steht er ästhetisch zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert, von welchem er nicht nur den Mut zu Klangunschärfen entnommen hat, sondern auch bis dahin ungewöhnliche Rhythmen und manch neue Instrumentierung. Immer jedoch ist seine Kompositionstechnik klar nachvollziehbar, sind Strukturen gut zu erkennen und – das zeichnet Bürgers symphonische Werke in besonderem Maße aus – besticht er durch einen musikalischen Farbenreichtum par excellance.

Österreich, speziell Wien, hat mit diesem Konzert keine Wiedergutmachung betrieben. Eine solche gibt es nicht. Das Statement, das jedoch gesetzt wurde, ist deutlich und war mehr als notwendig. Sich um die Nachlässe von vertriebenen Komponisten und Komponistinnen zu kümmern, ist ein absolutes Gebot der Stunde. Die Arbeit des Exilarte Zentrums der mdw sollte viel stärker in das öffentliche Bewusstsein getragen werden. Eine breitere Bewusstwerdung dieses unrühmlichen Kapitels im Rahmen der Musikgeschichte kann zumindest dazu beitragen, dass die Arbeit der Vertriebenen nicht dem Vergessen ausgesetzt wird. Wir, die wir in der glücklichen Lage sind, Nachgeborene zu sein, können uns entweder aktiv in dieses Geschehen einbringen oder – und das darf nicht unterschätzt werden – wir stürmen Konzerte wie diese und füllen die Säle bis auf den letzten Platz. Damit bekunden wir unser Interesse und geben der Musik das, was sie am Leben hält und ihr zusteht: unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.

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v.l.n.r. Prof. Gerold Gruber, Josipa Bainac Hausknecht, Ronald S. Pohl, Gottfried Rabl (Foto: Ronald Pohl)

Unsere Erde – ein No-Escape-Room

Unsere Erde – ein No-Escape-Room

Techno-Überwachung, Umweltbelastung und Verschwörungstheorien

Der Zustand unserer Welt ist nicht einfach zu beschreiben, doch sind sich die meisten Menschen darüber einig, dass wir von mannigfaltigen Bedrohungen umgeben sind. In Kooperation mit dem WUK, das für diese Inszenierung Platz in der ehemaligen Wirtschaftsuni in der Spittelau fand, widmete er sich aktuellen Fragestellungen wie jenen zum Einsatz von KI und der lückenlosen, elektronischen Überwachungsmaschinerie, zur Verbreitung und dem Ziel von Verschwörungstheorien, aber auch zur voranschreitenden Zerstörung unserer Umwelt.

In insgesamt drei untereinanderliegenden, abgedunkelten Räumen machte man sich auf eine Suche und einen Weg mit unbekanntem Ziel. Das Handy musste stets in Betrieb bleiben, um QR-Codes zu scannen, die einen mit Bild- oder Textmaterial versorgten. Gleich zu Beginn wurde die Aufmerksamkeit von einem Video, in welchem ein Mann allein in einer U-Bahn fährt, ohne dass diese anhält, von der eigenen Betriebsamkeit abgelenkt, die sich mit der ständigen Suche nach neuen Infos hinter den QR-Tafeln beschäftigte. Und doch war es das surreale Schicksal des Mannes, dargestellt von Simon Dietersdorfer, welches wesentlich mehr Aussagekraft besaß als alle elektronischen Informationen zusammen. Gefangen in einer rasanten Zeitlosigkeit, ohne Aussicht auf Rettung, verkörperte er nicht nur die Einsamkeit des Individuums, sondern auch die Sinnlosigkeit jeglicher Unternehmung, sowie das Überwachtwerden in einer Welt, in der die persönlichen Daten und Informationen längst großen Unternehmen zugängig und von ihnen auswertbar sind.

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„Linie Q – Ein no escape Room“ (Foto: Apollonia Theresa Bitzan)

Auch im Raum darunter begegnete man ihm abermals in Videoform. Dieses Mal an vielen kleinen Bildschirmen, aufgestellt in Ein-Mann-Zelten, in welchen sich weitere QR-Codes befanden, die man öffnen musste. Die Texte, die hier mit den Stimmen eines älteren Mannes, einer Frau und eines Kindes eingespielt wurden, waren hoch lyrisch, philosophisch, aber auch voll von Resignation. Die kleinen Zelte lösten Assoziationen zu Relikten und letzten Zufluchtsorten menschlicher Zivilisation aus. War auch hier eine weitere elektronische Aufgabenstellung allgegenwärtig, so wurde doch stärker als zuvor die emotionale Ebene angesprochen. Im Laufe der Verweildauer wurde klar, dass diese kleinen Zelte das Schutzbedürfnis des Menschen nur in geringem Maße befriedigen können und dass der Aufenthalt in ihnen, selbst wenn sie als finale Unterkunft dienen, nicht von langer Dauer sein wird.

Mit einem letzten Abstieg in einen dritten Raum, landete man in einer Art Disco, in der eine schwarze Gestalt ein Revolutions-Playback zum Besten gab. Grundtenor: „Die da oben“ richten es sich seit Jahrtausenden und „wir da unten“, tun gehorsam, was mit uns vorgesehen ist. Aktuelle Verschwörungstheorien kamen dabei genauso zum Einsatz wie die Idee, dass wir uns doch alle nur in einer Lebensillusion und einem Simulationsspiel befänden. So laut auch der Bass dröhnte, so laut auch die Stimme vom Band mit einer Dauertirade gegen das Establishment wetterte, der Funke, der das Publikum zur Raserei hätte bringen können, sprang nicht über.

Victoria Halper agierte als englischsprachiger Guide, die den Besuchenden der Performance zugleich Halt und Stütze in unbekannten Räumen bot. Sie schlüpfte auch in die Rolle des Agit-DJ und agierte darin als hybrides Wesen.

LINIE Q. EIN NO-ESCAPE-ROOM – dieser Titel galt nicht für den Aufführungsort selbst. Vielmehr lässt er Assoziationen zur QAnon-Verschwörungstheorie einerseits und dem Zustand unseres Planeten andererseits zu. Sollte sich die QAnon-Bewegung verstärken und die Umwelterstörung weiter voranschreiten, werden wir uns im übertragenen Sinn, wie der U-Bahn-Fahrer, auf einem Trip abwärts wiederfinden, aus dem es kein Entkommen mehr geben wird.

Die Vielfalt der Sprache im Angesicht der Sprachlosigkeit

Die Vielfalt der Sprache im Angesicht der Sprachlosigkeit

Wer kennt nicht den Zungenbrecher von Fischers Fritz, der frische Fische fängt? Anlässlich des Dramatiker:innenfestivals am Schauspielhaus Graz wurde das Stück „Fischer Fritz“ – man beachte das fehlende s! – von Raphaela Bardutzky aufgeführt. Wie im Zungenbrecher dreht sich auch im Leben von Fischer Fritz alles um den Fischfang, seinen Broterwerb. Ursprünglich als Hörspiel konzipiert, adaptierte die Regisseurin Julia Skof den Stoff, der in Deutsch, Ukrainisch und Steirisch für das „Haus Drei“ umgeschrieben wurde.

Erzählt wird der Lebensabend von Fritz Fischer, der in einem abgeschiedenen Haus in der Obersteiermark lebt und nach einem Schlaganfall eine Betreuung benötigt. Sein Sohn, der nicht wie der Vater Fischer wurde, sondern Friseur und sich nicht um ihn kümmern kann, engagiert eine junge Pflegerin aus der Ukraine. Diese tritt ihren ersten Job als 24-Stunden-Hilfe an und leidet bald unter der Einsamkeit, die sie jedoch mit dem alten Mann teilt.

Der Pflegebedürftige, von Gerhard Balluch verkörpert, hat nach seinem Schlaganfall ein eingeschränktes Sprachvermögen und lebt größtenteils zurückgezogen in seiner Gedankenwelt. Skof lässt das Publikum um einen großen, ovalen Tisch Platz nehmen, der beinahe den kompletten Raum einnimmt. Alina Danko als Pflegerin und Sebastian Pass als Sohn trugen an einem heißen Sommerabend, wie auch Balluch, Winterkostüme. Rollkragenpullover und Lederjacken und -hosen brachten nicht nur das Ensemble gehörig zum Schwitzen. Da der Raum über keine Klimaanlage verfügt und sich im dritten Stock befindet, kamen auch alle aus dem Publikum in den Genuss dieser Körperreaktion. Julia Nussbaumer, für die Ausstattung verantwortlich, dürfte die Temperaturen nicht vorausgesehen haben, sonst wäre die Kostümauswahl sicher anders ausgefallen.

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Dramatiker:innen Festival Graz „Fischer Fritz“ (Foto: Lex Karelly)

Mit dem Text gelangen der Autorin nicht nur feinfühlige Charakterdarstellungen. Sie schuf neben Dialogen mit knapp gehaltenen Satzkonstrukten auch Passagen, die sprachlich sehr kunstvoll ausgestattet sind. Um den inneren Monolog des alten Mannes hörbar zu machen, wurde dieser zwischendurch immer wieder vom Band eingespielt. Daneben streut Barduztky viele Verweise auf die Kunst der Sprache an sich ein. So lässt sie den alten Fischer immer wieder erklären, dass sein Sohn Franz nach Franz von Assisi benannt wurde. Jenem Heiligen, der mit den Vögeln sprechen konnte. Dass Sprache etwas ist, was man erlernen muss, vermittelt jene Szene, in welcher die junge Frau während ihrer Busreise versucht, deutsche Vokabel zu pauken. Die Sprachvielfalt des Deutschen, in dem ein und dasselbe Objekt mit verschiedenen Worten bezeichnet werden kann, wie Sofa und Diwan oder Wohnzimmer und Stube, auch das ist ein Thema, das im Verlauf des Geschehens jedoch in einem natürlichen Kontext auftaucht.

Dass die Abwesenheit von Sprache etwas ist, das als Strafe aufgefasst werden kann, darüber berichtet der Sohn in einer Rückblende. Die Reaktion seines Vaters auf die Eröffnung von Franz, dass er kein Fischer wird, war Sprachlosigkeit. Ein bewusstes Verweigern eines Gespräches, das sich schließlich über die Jahre hinzog. Dass der Text auch viele Zungenbrecher aufweist, in Deutsch und in Ukrainisch, lässt sich schon aus dem Titel erahnen.

Beeindruckend wird die Monotonie deutlich, die jeden Tagesablauf von Jana, der Pflegerin, und dem alten Mann bestimmt. Die junge Frau, die nachts mit dem ukrainischen Busfahrer chattet, um nicht ganz vom Leben abgeschnitten zu sein, kommt sich vor wie „Robinson Crusoe“ mit Freitag an ihrer Seite. Irgendwann stellt sich schließlich die Frage, ob diese Art von Betreuung, trotz einer Bezahlung dafür, nicht auch eine Art Freiheitsentzug darstellt. Während das alte Leben abstirbt, darbt das junge daneben nicht minder.

Mit einem dramatischen Finale, das Züge eines Krimis aufweist, rüttelt die Autorin zum Schluss noch einmal kräftig an der Aufmerksamkeit des Publikums und beweist damit ihre ausgefeilte Dramenschreibfertigkeit. Einer der letzten Sätze in „Fischer Fritz“ lautet: „Wir sollen reden und zuhören.“ Er darf als Mahnung und Aufforderung aufgefasst werden, sich dessen bewusst zu bedienen und nicht zu verweigern, was den Menschen als Menschen kennzeichnet: Die Sprache.

Der Schlussapplaus bestätigte nicht nur die kluge Inszenierung, sondern auch das authentische Spiel von Balluch, Danko und Pass. Erwähnenswert ist der Umstand, dass die Mehrsprachigkeit auf den deutschen Bühnen immer stärker praktiziert wird. Nachzulesen aktuell auch bei „Union place“ oder den „Karpatenflecken“. Dass der Text von Raphaela Bardutzky ganz ohne Über- oder Untertitel auskommt, macht ihn dennoch besonders.

Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

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Wunderland (Foto: ECN)

Im Rahmen des Dramatiker:innenfestivals am Schauspielhaus in Graz lieferte die Regisseurin Kurdwin Ayub mit „Wunderland“ eine kleine, aber feine Arbeit ab. Dass man an ihr bezahlfrei teilnehmen konnte, sollte besonders hervorgehoben werden. Niederschwellig war der Zugang auch aufgrund der Location. Hinter dem Schauspielhaus, wo sich einst die ehemalige Landesdruckerei befand, wurde in einem Raum ein kleines Zelt installiert, in welchem zwei Leute auf Stühlen Platz nehmen konnten. Ausgestattet war es mit allerlei Plüschtieren, kindlich-heimelig arrangiert. Ayub schuf einen Virtual Reality Film von 15 Minuten mit mehreren Szenen, welchen man mit einer VR-Brille folgen konnte. Der Inhalt: Die Beziehung eines jungen Künstler-Paares mit einem kleinen 2-jähringen Kind. Das Besondere daran war nicht der Konflikt zwischen den beiden Jungeltern, sondern vielmehr, dass dieser Konflikt so in Szene gesetzt worden war, dass sich das Publikum in die Gedankenwelt und das Wahrnehmungsspektrum des Kindes versetzen konnte.

Dafür wurden viele Close-ups aufgenommen, bei welchen sich die Eltern (Maresi Riegner und Valentin Postlmayr) in knappem Abstand an die Kamera begaben und so bei den Zusehenden der Eindruck entstand, als Kind ganz nah bei ihnen zu sein. (Kamera Markus Zizenbacher) Die Spannungen, die sich zwischen den Erwachsenen entwickelte, lösten beim Kind Ängste aus, die sich in einem Traum-Clip manifestierten. Ausgelöst bei den Betrachtenden wurde dadurch eine Empathie dem kleinen Mädchen gegenüber, die vielen in dieser Art im Laufe des Lebens abhandengekommen ist. Etwas zu wissen – wie in diesem konkreten Fall, dass Kinder von Albträumen geplagt werden können – und es selbst wieder zu spüren – sind zweierlei Dinge. Tatsächlich ist es der Regisseurin gelungen, trotz der Kürze des Films, dieses „Wiederspüren“ auszulösen.

Darüber hinaus lieferte sie mit der Beziehungskonstellation jede Menge Stoff, sich über die tradierten Geschlechterrollen zu unterhalten und sich der Dilemmata, die sich dadurch ergeben, bewusst zu werden. Julia Libisellers Szenenbild – eine Altbauwohnung vollgeräumt mit alltäglichen Versatzstücken und Kinderspielzeug, sowie die zeitgemäße Kostümausstattung von Carola Pizzini trugen wesentlich zum Gelingen der Produktion bei.

Wenn nichts so ist, wie es scheint

Wenn nichts so ist, wie es scheint

Der Autorin gelang nicht nur ein spannendes Stück, sondern das Kunstwerk, anhand von Einzelschicksalen einen gänzlich anderen Blick auf eine europäische Landschaft zu werfen, als man es gewohnt ist. Mit dem Escher Theater in Luxemburg und dem Nationaltheater Timișoara fanden sich zwei Kooperationspartner, welche die mehrsprachige Aufführung ab August und danach im Herbst ebenfalls zeigen werden.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler stammen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und Rumänien und sprechen auf der Bühne Deutsch, Englisch und Rumänisch. Damit alles von allen verstanden werden kann, laufen auf der dunklen Bühnenrückwand große, gut lesbare Übertitel mit. Zugleich werden die Charaktere und die Zeit, in welcher die Szenen spielen, mit Kreide an der schwarzen Wand festgehalten. Isabel Graf schuf eine lang gezogene, weiß gedeckte Tafel als Bühnenbild. Im Laufe des Geschehens erwartet das Publikum so manche Überraschung mit diesem Objekt, wobei die Regie dabei mit großer Lust tief in die Theaterkiste greift.

Drei unterschiedliche Erzählstränge mit verschiedenen Darstellerinnen und Darstellern scheinen anfangs nichts miteinander zu tun zu haben. Je länger die Vorstellung jedoch dauert, umso öfter wird man von der Erkenntnis getroffen, dass man im Publikum mehr weiß, als die Figuren auf der Bühne, dass man Zusammenhänge erkennt, welche den Agierenden nicht bekannt sind. Die Handlung erstreckt sich über drei Generationen, mit sieben Personen. Die vierte Generation, die Eltern der Rumänin Mariana (Christa König) sind nur durch kurze Beschreibungen mit von der Partie. Aber auch die Ehefrau von Rudolf (Wolfgang Kandler), der Ehemann von Sophie (Christiane Warnecke), die Mutter von Darius (Philippe Thelen), sowie der geschiedene Mann von Daniela (Sophia Fischbacher) kommen nur indirekt ins Spiel. Wenngleich sie alle wichtige Positionen einnehmen und sich die eine oder andere Handlungswendung nur durch diese abwesenden Personen erklären lässt.

Die Familiengeschichten aus Rumänien, Deutschland und Luxemburg weisen ziemliche Bruchstellen auf. Das Zusammenleben über die Grenzen hinweg gestaltet sich nicht so friktionsfrei, wie man erhoffen könnte. Schuld daran sind aber keine Sprachbarrieren. Das, was letztlich befremdet, ist der Unterschied der gesellschaftlichen Normen, die man von Kind an in dem Land, in dem man aufwächst, mitbekommt. Das Familienbild in Rumänien ist nach wie vor ein sehr traditionell geprägtes. Eine Abweichung davon, etwa als Frau unverheiratet zu bleiben, wird von der Gesellschaft auch heute noch nicht goutiert. In Deutschland haben sich die Frauen eine Selbstbestimmung erkämpft, die auch das Recht beinhaltet, mit dem eigenen Körper und dem Kinderwunsch sehr frei umzugehen. Was passiert aber, wenn sich Kinder gar nicht so entwickeln, wie man sich das vorgestellt hat? Wenn Ehen an patriarchalen Mustern, die ungefragt gelebt werden, scheitern? Dies sind nur einige Fragen, welche die Autorin in ihrem Stück anschneidet. Das Spannende daran ist aber, dass all das nicht in einer trockenen, theoretischen Abhandlung vorexerziert wird. Vielmehr darf man an spannenden Lebensbildern teilhaben. Kunstvoll verwebt Elise Wilk diese miteinander, sodass einem am Ende der Atem stocken kann.

Da verliert Rudolf seinen studierenden Sohn aufgrund eines Unfalles und macht sich auf die Suche nach seinem unehelichen Kind, das seine Jugendliebe geboren haben soll. Da bemüht Sophie aus Hamburg eine ukrainische Leihmutter, da sie vermeintlich selbst keine Kinder bekommen kann. Da trifft Alex (Andrei Chifu) aus Rumänien im Haus von Walter (Jens Ole Schmieder) in Luxemburg zur Weihnachtsfeier ein und soll laut seiner Mutter Daniela dort aber für längere Zeit bleiben. Mit kurzen, aber prägnanten Dialogen erhält man Einblick in die Sorgen und Nöte der Figuren und stellt fest, dass ein beschauliches Familienleben offenbar etwas ist, das sich zwar alle wünschen, das aber dennoch eine Utopie darstellt.

Regie führte Alexandru Weinberger-Bara, der in Rumänien geboren ist, aber nach seiner Matura nach Österreich zog, um am Max Reinhardt Seminar bei Anna Maria Krassnigg und Martin Kušej Regie zu studieren. Beeindruckend, wie er die Beweggründe aller verständlich werden lässt und dabei auch das richtige Zeitmaß findet. Zwar lösen sich die Szenen in raschem Wechsel ab, dennoch verliert man nie den Überblick und fühlt sich ob der anfänglich nicht zusammenhängenden Momentaufnahmen auch nicht überfordert. Großartig, wie er durch ganz feine Hinweise die kulturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Nationalitäten sichtbar macht. Rudolf leidet noch immer darunter, dass er, obwohl er in seiner Jugend aus Rumänien geflohen ist und ein einwandfreies Deutsch spricht, nicht als Deutscher erkannt wird. Dabei übersieht er völlig, dass ihn seine Gestik immer und immer wieder verrät.

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Union Place – Schauspielhaus Salzburg (Foto: Jan Friese)

Daniela aus Rumänien wiederum hält an ihrem christlichen Glauben fest, ohne dass ihr die Widersprüche auffallen, in welche sie sich immer wieder verstrickt. Der Deutsche Walter war überzeugt, sich mit Geld eine junge Osteuropäerin als gefügige Ehefrau erkaufen zu können, findet jedoch nach einem bösen Erwachen nur mehr Zuflucht im Alkohol. Darius flieht vor seinen Eltern in eine WG und ist sich nicht bewusst, dass er sich gegen die Strenge seines Vaters mit der Verweigerung zu studieren wehrt. Dass dieser noch das Ceaușescu-Regime als Jugendlicher erlebt hat und selbst von einem autoritären Erziehungsstil geprägt ist, hinterfragt sein Sohn nicht.

Die charakterliche Tiefe, welche jede Figur besitzt, ist erstaunlich, manches Mal widersprüchlich, immer jedoch zutiefst menschlich. Und genau das ist es, was über allem Trennenden steht. Das Menschsein an sich vereint uns über Grenzen und Sprachbarrieren hinweg und lässt uns erkennen, dass wir alle zuallererst glücklich leben wollen und dieses Glück auch an unsere Kinder weitergeben möchten.

Es gäbe viel zu erzählen über „Union Place“, man könnte Seiten füllen, um die sieben Charaktere auszuleuchten. Thomas Mann hätte für die Geschichte wahrscheinlich mehr als tausend Seiten gebraucht. Daran lässt sich die dramatische Begabung von Elise Wilk erkennen, die auch das Glück hatte, auf einen Regisseur zu treffen, der diesen Text treffsicher und punktgenau mit einem fulminanten Ensemble auf die Bühne brachte. Die Vielschichtigkeit des Textes, aber auch die Inszenierung an sich schaffen es, dass man versucht ist, sich ein zweites Mal das Stück ansehen zu wollen.

 

Eine Oper, in der gelacht werden darf

Eine Oper, in der gelacht werden darf

„Endlich eine Oper, in der man herzlich lachen kann.“ Dieser Aussage eines Besuchers der Aufführung „Der Florentiner Hut“ von Nino Rota an der Oper Graz muss uneingeschränkt beigepflichtet werden. Wie der Regisseur Bernd Mottl in seiner Video-Einführung zu diesem Werk feststellte, haben wir im Moment gerade nicht wirklich viel zu lachen. Dies war, als der italienische Komponist, der hauptsächlich für seine Filmmusik zu Werken von Luchino Visconti, Francis Ford Coppola, Lina Wertmüller oder Franco Zeffirelli bekannt ist, genauso. Er begann sie in den Jahren 1944/45 mitten im letzten Grauen der Naziherrschaft. Erst 10 Jahre später, vor der Uraufführung, vollendete er den musikalischen Part.

Das Libretto schrieb er gemeinsam mit seiner Mutter nach einem Lustspiel von Eugène Labiche und Marc Antoine Amédée Michel, das 1851 erschienen war und viele Bearbeitungen erfuhr. Kein Wunder, denn eine so verdrehte und verzwickte Handlung, in der sich innerhalb von wenigen Augenblicken alles mehrfach in eine ungedachte Richtung hinentwickelt, muss man erst einmal erfinden.

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„Der Florentiner Hut“ (Foto: Werner Kmetitsch)

Die Geschichte um einen Florentiner Strohhut, der unglücklicherweise von einem Pferd in einem Wald gefressen wird, ohne welchen aber die Besitzerin nicht zu ihrem eifersüchtigen Ehemann nach Hause zurückkehren kann, ist atemberaubend konstruiert. Zugleich enthält sie viele Momente, die von Slapstick nur so strotzen und gerade ob ihrer humorvollen Unglaubwürdigkeit, gepaart mit einer höchst kunstvollen Dramaturgie, bezaubert.

Die Regie trägt der satirischen Handlung Rechnung und wartet mit mehreren unerwarteten, heiteren Details auf. Zugleich aber bleiben die Figuren psychologisch verständlich. Zum Gelingen trägt außerdem eine Besetzung bei, welche die Aufnahme einer CD rechtfertigt, die im Ticketzentrum erhältlich ist. Piotr Buszewski in der Rolle von Fadinard, dem Bräutigam, dessen Hochzeitstag zum herausforderndsten Tag seines Lebens wird, erweist sich als herausragend. Nicht nur sein komödiantisches Talent, sondern vor allem sein heller, nie aber scharfer Tenor, überzeugten das Publikum, das mit außerordentlich langanhaltendem Applaus dankte. An seiner Seite, ebenso gelungen besetzt, gibt Tetiana Miyus seine Braut Elena. Als einzige ganz in Weiß – im Gegensatz zu den anderen Schwarz-Weiß-Kostümen der restlichen Gesellschaft, verkörpert sie eine junge Frau mit vielen Facetten. Angefangen von der Freude auf die bevorstehende Hochzeit bis hin zur Panik vor der ersten Liebesnacht und der Trauer darüber, ihren Vater und ihr bisheriges Zuhause verlassen zu müssen, darf man all ihre Emotionen glaubwürdig miterleben. Stimmlich kann man sich keine bessere Interpretin für diese Rolle vorstellen. In den Höhen sicher, ohne dass man eine Anstrengung spürt, in den Duetten dynamisch perfekt ausdifferenziert, brillierte sie in jedem Augenblick.

Sowohl Anna Brull als liebessüchtige und verblendete Baronin de Champigny als auch Andzelika Wisniewska als Anaide, jene Ehebrecherin, deren Hut Anlass für alle Irrungen und Verwirrungen bot, sind wunderbare Gegenspielerinnen zur jungen Braut. Auch sie sind mit ihren Kostümen (Alfred Mayerhofer) typgerecht einerseits dem Adel verpflichtet und andererseits für einen Ausflug ins Grüne, adäquat ausgestattet. Besonders hervorzuheben ist das fulminante Bühnenbild von Friedrich Eggert. Wie er mit dem Hutschachtelmotiv die ganze Oper hindurch abwechslungsreich gestaltet, hat große Klasse und ist ästhetisch außerordentlich gelungen. Daeho Kim als Bauer und Vater der Braut und Ivan Orescanin als Beaupertuis sind an jener Seitenhandlung maßgeblich beteiligt, die immer und immer wieder neue Lacher produziert. Der unabsichtliche Tausch von Schuhen, die einmal dem einen und dann wieder dem anderen zu klein sind, ist derart humorvoll umgesetzt, dass man gar nicht genug davon bekommen kann. Dass beide in ihren Rollen stimmlich in jeder Hinsicht entsprechen, fügt sich, wie alles in dieser Inszenierung, genauso perfekt wie die musikalische Leitung von Daniele Squeo.

Musikalisch steht Nino Rota für seine Zeit völlig außerhalb des kompositorischen Kanons des 20. Jahrhunderts. Vielmehr sind seine Vorbilder, Donizetti, Offenbach und Strauss, ja sogar einige Takte Wagner aus der Oper gut herauszuhören. Herrliche Duette und Soli, vor allem, wenn der Bräutigam und seine Braut die Liebe besingen, sind ohrbeglückend. Rasante Galopps, ein schleppender Trauermarsch oder süßliche Geigenmelodien ergeben einen farbenfrohen Klangmix, völlig abseits von vielen atonalen oder seriellen Kompositionen, wie sie zur Entstehungszeit vorherrschten.

Die Idee, die Handlung in Nachthemden und Schlafmützen beginnen und einige der Personen im letzten Bild wieder in solchen auftreten zu lassen, darf als augenzwinkernder Verweis auf die Dauer der Handlung interpretiert werden, die sich im Laufe eines Tages abspielt. Zu danken ist der Noch-Intendantin Nora Schmidt, welche ‚Il cappello di paglia di Firenze‘ – so der italienische Titel – in Graz zur Aufführung brachte. Immer wieder gelang es ihr, in ihrer Zeit in Graz, die mit dieser Saison endet, kleine, wenig bekannte Opernperlen hier aufzuführen. Zur Freude des Publikums und über die Stadt hinaus beachtet.

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