Demon RadioAußen bunt und innen tiefschwarz

Demon Radio
Außen bunt und innen tiefschwarz

Ein Ort, der erstmals bespielt wurde, ist ein ehemaliges Call-Center in Mariatrost. Der leerstehende Bau, von welchem früher aus einem Großraumbüro telefoniert wurde, erfuhr eine Umwandlung zum „Demon Radio“. Einem Ort, in dem sich das Dämonische in vielen Arten finden lässt.

Die Vier von der Tankstelle

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Jos de Gruyter & Harald Thys, Die Vier von der Tankstelle (2023), Installationsansicht, Demon Radio, Foto: steirischer herbst / kunst-dokumentation.com, mit freundlicher Genehmigung der Künstler

Schon am Parkplatz, vor der Ausstellungslocation, erwartet das Publikum eine irritierende Installation: „Die Vier von der Tankstelle“ von Jos de Gruyter & Harald Thys. Seinen Titel erhielt das Werk in Anlehnung an den Film „Die Drei von der Tankstelle“ aus dem Jahr 1930, der von der NS-Zensur auf die Liste der verbotenen Filme gesetzt worden war. In dem Auto sitzen nicht drei Personen, sondern vier uniformierte Dobermänner. Hunde, die scharf abgerichtet, gerne im Umfeld von Personen auftauchen, die einen besonderen „Schutz“ benötigen. Die Nummerntafel des alten Mercedes ist dechiffrierbar, trägt sie doch verbrämt jenes Datum, an welchem Hitler 1938 die Menschenmassen in Klagenfurt begeisterte. Die beiden Künstler, die in Brüssel leben, lassen bei dieser Installation offen, ob die vier Insassen jemanden jagen oder ob sie auf der Flucht sind. Somit öffnet das Kunstwerk unterschiedliche Interpretationsfenster – eine Zugangsweise, die für die Ausstellung „Demon Radio“ signifikant ist. Die Arbeit korrespondiert mit jenen im Innenbereich – vorrangig mit jener über den ehemaligen deutschen Jazz-Experten Dr. Schulz-Köhn.

Ein zweiter künstlerischer Beitrag des Duos im Inneren der Ausstellungshalle trägt ebenfalls tierische Züge. Micro Mundo 3, 4, 5, 8 und 10, in diesem Jahr entstanden, sind kleine, surreale Terrarien, in welchen sich Nagetiere, Reptilien und anderes Getier mit menschlichen Köpfen tummeln. Faszinierend und abstoßend zugleich präsentieren sie sich den Betrachtenden und stellen ad hoc die Frage nach Genmanipulation und Mutationen, die der Mensch so nicht beabsichtigt hat.

Ein Jazzsammler, SA- und NS-Mitglied

Der Deutsche, Dietrich Schulz-Köhn, war ein Liebhaber und Kenner von Jazzmusik. Er vermachte dem Institut für Jazzforschung in Graz, zu dessen Mitbegründern er zählte, seine Sammlung von Jazz-Schallplatten, die er vor, während und nach dem 2. Weltkrieg gesammelt hatte. Selbst Mitglied der SA und der NSDAP, war er während des Krieges als junger Mann in Frankreich stationiert und konnte dort aufgrund seiner guten Kontakte zum amerikanischen Feind schnellstmöglich an die Neuerscheinungen kommen, für die er sich so interessierte. In der Ausstellung sind nicht nur einige seiner Schallplatten zu sehen, sondern es ist auch ein Radio-Mitschnitt zu hören. Als Moderator vieler Jazz-Sendungen im WDR und anderen Radiosendern gestaltete er eine Reihe von Sendungen zu diesem Thema. In jenem Beitrag, der in der Ausstellung zu hören ist, kann man gut nachvollziehen, wie nach dem Krieg bei Schulz-Köhn eine Art Dislozierung zum eigenen Tun während des Krieges stattgefunden haben musste. Spricht er doch dort über die Restriktionen während der Nazi-Herrschaft so, als wäre er nie Teil dieses Mörderregimes gewesen, sondern vielmehr von einem Sender außerhalb Deutschlands beauftragt worden, über dieses Thema zu sprechen.

In der Kontextualisierung mit den anderen Beiträgen, die sich in dieser Ausstellung noch befinden, wird deutlich, dass das Dämonische im Menschen ein Phänomen ist, das zeitabhängig unterschiedlich bewertet wird.

Serene Velocity in Practice: MC510 Signs & Wonders (Prerequisite for CS183 How to Build the Future) (2017–23)

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Serene Velocity in Practice (Foto: mit freundlicher Genehmigung des Künstlers)

Gegenüber des kleinen Zimmers, in welchem die Radiosendung läuft, hat Michael Stevenson, mit Stoffbahnen begrenzt, eine Art Raum im Raum gestaltet. In diesem empfand er das Setting eines praktischen Kurses über Gesundbeten und Exorzismus, den der Kirchengründer John Wimber von 1982 bis 1985 am Fuller Theological Seminary in Pasadena unterrichtete, nach. Die künstlerische Verfremdung, die dort vorgenommen wurde, verschärft noch den beklemmenden Eindruck, dass man sich in einem Surroundig befindet, in welchem Menschen psychische Gewalt angetan wurde.

Indischer Freiheitskämpfer und aktuelle Nationalismen

Insgesamt vier Videobeiträge laden ein, sich dem Dämonenhaften auf völlig unterschiedliche Art und Weise gegenüberzustellen. Die indische Theatermacherin Zuleikha Chaudhari schuf einen Film über Subhas Chandra Bose, einen Kämpfer gegen die englische Kolonialmacht. Er hatte sich in den 30er-Jahren die Unterstützung von Hitler erhofft und war deshalb nach Berlin gereist. Auf dieser Reise, aber auch anderen, die danach folgen sollten, als er unverrichteter Dinge Deutschland wieder verließ, nahm er unterschiedliche Identitäten mit unterschiedlichen Nationalitäten an. Ähnlich wie bei Schulz-Köhn ist man verblüfft, wie sehr in gewissen Lebensabschnitten Realität und Ideal auseinanderklaffen, sich zum Teil sogar ins Gegenteil verkehren. Zusätzlich vermischt die Künstlerin in dem Video auch Mitschnitte von Vorlesungen über den Nationalismus, die bei Teach-ins während der Studentenbewegung 2016 an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi gehalten wurden.

Mechanisches und zutiefst Menschliches

Der israelitische Künstler Dani Gal wurde vom Steirischen Herbst mit zwei Auftragsarbeiten bedacht. In seinem Film „Book of the Machines“ werden anhand von Nahaufnahmen von mechanischen Puppen aus dem 19. Jahrhundert, die menschliche Züge tragen und sich so benehmen wie Menschen, Fragen gestellt, die deckungsgleich mit jenen sind, die sich unsere Gesellschaft im Moment angesichts der allgegenwärtigen KI-Anwendungen stellen muss.

Book of the Machines, mit freundlicher Genehmigung des Künstler

Extrem berührend ist sein Film „Dark Continent“ geworden, der eine Fallstudie aus dem Buch Schwarze Haut, weiße Masken (1952) des Psychiaters und antikolonialen Autors Frantz Fanon nachstellt: Darin geht es um ein Mädchen, das im Alter von 12 Jahren nervöse Ticks zu entwickeln begann. Sie landete letztlich in einer Nervenheilanstalt, in welcher der leitende Primar in seiner abschließenden Diagnose Freud zitierte und meinte, dass die Sexualität von Frauen ein schwarzer Kontinent sei. Während des Filmes erfährt man, dass schon bald nach der Kolonialisierung in Afrika Buschtrommeln verboten worden waren, schlicht aus dem Grund, weil man damit über große Distanzen Nachrichten übermitteln konnte und somit die Gefahr von Revolten nicht auszuschließen war. Der Vater des jungen Mädchens, selbst ehemals in Afrika eingezogen, legte abends Musik auf, in welchem diese Trommeln zu hören waren. Eine eindeutige Bildsprache, die auf einen grausamen Zug des Mannes rückschließen lässt und die Fantasie, die man als Zusehende selbst entwickelt, lassen am Ende des Filmes an einen Kindesmissbrauch innerhalb der eigenen Familie denken. Die perfide Art, wie das Trommeln der schwarzen Bevölkerung, die als rückständig und bedrohlich dargestellt wird, aufgezeigt wird, macht sprachlos.

In der Koppelung mit den Ausdrücken, mit welchen Schulz-Köhn die schwarzen Jazzer aus Amerika im NS-Diktum erwähnte, gelingt auch hier ein Brückenschlag zwischen den einzelnen künstlerischen Beiträgen. Das Kuratorenteam rund um Ekaterina DegotDavid Riff, Pieternel Vermoortel, Gábor Thury und Barbara Seyerl – hat hier ganze Arbeit geleistet.

Anna Engelhardt und Mark Cinkevic Trailer, mit freundlicher Genehmigung der Künstler:innen

Mit einem Video von Anna Engelhardt und Mark Cinkevic (Russland und Belarus), in welchem sie auf die dämonische Macht von russischen Hightech-Stützupunkten in besetzten Staaten verweisen, reicht der Bogen des Ausstellungsthemas in unsere Gegenwart.

Genauso wie eine Klang-Installation von Anton Kats, in welcher er sich an seine Kindheit und den Krieg in Cherson erinnert, eingesprochen von einer ruhigen Frauenstimme (Susanne Sachsse) auf dem Soundlayer „Palladium“ von Weather Reports. Jener einflussreichen Jazzband, die vom Österreicher Joe Zawinul gegründet wurde. Ausgerechnet in der UDSSR hatte Palladium Kultstatus. Fein und schön anzuhören, fließend und harmonisch täuscht die Musik und überdeckt das Grauen, das ihr in dem Text additiv zugeführt wurde.

Was von außen bunt beflaggt, sich als Spaßszenerie geriert, ist im Inneren voll von dunklen Flecken, die es wert sind, aufgedeckt zu werden.
Der Eintritt zur Ausstellung ist dank eines großzügigen Sponsor-Angebotes der AK-Steiermark gratis.

Ways of freedom – Jackson Pollock bis Maria Lassnig

Ways of freedom – Jackson Pollock bis Maria Lassnig

Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen Künstlerinnen und Künstler dort, sich von der darstellenden Malerei abzuwenden. Zugleich aber werden auch Arbeiten von hochrangigen österreichischen Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die nach dem 2. Weltkrieg expressiv-abstrakt arbeiteten und sich damit auch ihre eigenen Plätze in der Kunstgeschichte eroberten.

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„St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha (Foto: ECN)

Die Chefkuratorin und Direktorin der Albertina modern gestaltete eine Ausstellung, in der eines der zentralen Werke sogar von einem österreichischen Künstler stammt. „St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha ist wandfüllend in einem der mittleren Säle so prominent platziert, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass sich rund um sein Werk vieles andere fügt. Der präzise Farbauftrag – Rot auf weißer Leinwand – vermittelt zugleich eine frei inspirierte, gestische Arbeit als auch ein enormes Gespür für Ästhetik und Reduktion.

In vielen Räumen sind Gegenüberstellungen gelungen, die formal wunderbar zueinanderpassen. So zum Beispiel in jenem, in welchem Bilder von Maria Lassnig neben und gegenüber von solchen von Wolfgang Hollegha oder Helen Frankenthaler hängen. Letztere ist unter anderen auch mit einem atemberaubenden, großen Querformat vertreten. Die Farbschichtungen auf über vier Metern Länge beeindrucken, da sie trotz der Größe nichts an Leichtigkeit eingebüßt haben.

Neben den bekannten Namen wie Pollock, Rothko, Motherwell und Newman entdeckt man auch weniger Bekanntes. Judit Reigel, Debora Remington oder Mary Abbott sind drei von insgesamt 13 Künstlerinnen, welche in der Ausstellung eine verdiente Würdigung erfahren.

Die Wandtexte geben einen schönen Querschnitt und Überblick über die Systematik der Arbeiten: In ihnen werden die Begriffe Action painting, All-over-Strukturen, Farbfeldmalerei oder auch Soak-Stain-Technik erklärt. Neben rein materialtechnischen Erläuterungen erhält man auch einen Überblick über die Blütezeit der Aktionsmalerei in Österreich und über die Malergruppe um die Galerie St. Stephan.

Die Schau verdeutlicht, wie groß die Bandbreite in der abstrakten Malerei von Beginn an angelegt war. Das Erkennen von Handschriften macht Spaß und zeugt von einer gelungenen Auswahl der Bilder. Ein Katalog zur Ausstellung ist sowohl im Shop als auch online erhältlich.

Wie klingt ein Ort?

Wie klingt ein Ort?

Kann man den Klang eines Ortes erkennen? Gibt es neben Sehens- auch Hörenswürdigkeiten? Der Kulturwissenschaftler und Kurator Thomas Felfer ist dieser Frage nachgegangen und hat Geräusche, Klänge und Gespräche eines Ortes erfasst und nun in Graz, im Museum für Geschichte hörbar gemacht. Die Ausstellung „The sound of St. Lambrecht. Der Klang eines Ortes“ ist eine Ausstellung der anderen Art. Denn viel mehr als man sehen kann, kann man hören.

Wie Sprachaufnahmen von Interviews mit Einwohnern von St. Lambrecht, schon vor Jahrzehnten aufgenommen. Stilecht hat man die Möglichkeit, diese kurzen Gesprächsausschnitte von Kassetten abzuspielen. Junges Publikum wird vielleicht die Inbetriebnahme des Kassettenrekorders vor Herausforderungen stellen. All jene, die damit aber groß geworden sind, dürfen sich auf reminiszenzhafte Gefühle freuen. Ähnliches kann man auch beim Auflegen und Hören von Schallplatten verspüren, zu welchem man sich bequem in 50er-Jahre-Fauteuils setzen kann.

Die kleinen Kassetten-Interviewschnipsel behandeln Themen wie Essen, einen Hausbau, aber lustigerweise auch „Fensterln“, wobei Ungeübte wegen des starken Dialektes nicht jedes Wort verstehen werden. Es geht aber laut dem Ausstellungsmacher gar nicht darum, alles genau zu verstehen. Das Einlassen auf eine ungewöhnliche Sprachmelodie steht vielmehr im Vordergrund – eben hören, wie man „woanders“ spricht.

Neben Sprachaufzeichnungen ist es auch möglich, in die Akustik von Räumen eintauchen. Das Stift St. Lambrecht selbst bot hierfür eine wunderbare Soundkulisse. Das metallene Geräusch eines schweren Schlüssels, der ein Schloss aufsperrt, wird abgelöst vom Knarzen einer Türe, die geöffnet wird und im nächsten Moment hört man das Hallen von Schritten in einem großen Raum. Ein kleiner Rundgang durch das Stift wurde auditiv aufgenommen und kann so ohne visuelle Eindrücke nachverfolgt werden. Ganz nebenbei beginnt man zu verstehen, oder besser – zu hören, dass blinde Menschen auf diese Art und Weise einen Eindruck von Räumen bekommen.

Ein Höhepunkt der Ausstellung wird jedoch bildgewaltig präsentiert. Die Geschichte der Glockenschmelze von St. Lambrecht im 1. Weltkrieg kann man mithilfe einer Virtual-Reality-Brille nicht nur nachhören, sondern auch sehen. Hoch oben im Kirchturm steht man der Glocke plötzlich gegenüber und erlebt mit, wie diese darüber berichtet, wie sie per Dekret abgenommen und zu Verteidigungszwecken eingeschmolzen werden musste. Der Moment in welchem sie plötzlich und unerwartet, in unzählige Teile gesprengt, zu Boden fällt, ist hochemotional. Selten wartet eine Museumsschau mit so einem beeindruckenden Moment auf.

Es war eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema der Einschmelzung von 70 % aller Glocken in Österreich während der beiden Weltkriege, die Thomas Felfer als Ausgangsbasis für diese Ausstellung diente.

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Bild: Universalmuseum Joanneum / J.J. Kucek

Sie wurde im Spätsommer 2022 einen Monat lang im ehemaligen Stiftsspital in St. Lambrecht gezeigt und steht, laut Leiterin des Museums für Geschichte, Bettina Habsburg-Lothringen, am Beginn einer Reihe. In dieser sollen mehrmals pro Jahr weitere „Schaufenster“ in die Region gezeigt werden. Das Interessante der Schau „The sound of St. Lambrecht“ ist, dass sie nicht nur ein regionales Thema aufgreift. Vielmehr sensibilisiert sie die Besuchenden Geräusche und Klänge, Lautes und Leises, kaum Hörbares, aber auch laut Lärmendes mit einem neuen Fokus wahrzunehmen.

Klang und Licht in der Grazer Innenstadt

Klang und Licht in der Grazer Innenstadt

Klang und Licht in der Grazer Innenstadt

Klang und Licht in der Grazer Innenstadt

„William Kentridge, Notes towards a model opera“ (Foto: ECN)
Stehen bleiben und staunen. Den wummernden Bass im Bauch spüren. Merken, dass man nicht alleine fasziniert ist, sondern auch viele andere Menschen, die sich auf den Klanglicht-Parcours begeben haben. Innehalten und nachdenken und in sich hineinspüren. Die Augen in den Himmel richten und die zarten Klänge wahrnehmen, die zu hören sind, während man dem Aufsteigen und Absinken der neonfarbigen Luftfische (Les Lumineóles von Porté par le vent) zuschaut.
Das sind nur wenige Reaktionen, die man beim Gang von einer Location zur nächsten beim Klanglicht 2019 in Graz erfahren konnte. Je nach Lust und Laune, je nach Tagesverfassung und aktueller Stimmung.
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Les Luminéoles, Porté par le Vent (Foto: ECN)
Rein im Laufschritt und ebenso wieder raus aus dem Künstlerhaus, geschoben werden im Hof der Grazer Burg, oder wegen der Menschenmassen gar nicht erst hineinkommen können. Durch die dunkle Herrengasse marschieren und einen Abstecher in die brechend volle Stadtpfarrkirche machen, in der russisch-orthodoxe Chöre zu hören waren, um dann im Landhaushof vor dem leeren Pult des Cellisten Friedrich Kleinhapl zu stehen und den statischen Schriftzug „HUMAN?“ (Sophie Guyot) in roter Leuchtschrift darüber zu lesen. Auch das war Klanglicht 2019 für viele Besucherinnen und Besucher. 

Die Eindrücke der audio-visuellen Rauminszenierungen des Festivals boten dem Publikum jede Menge unterschiedliche Erfahrungen. Dabei spielte es eine große Rolle, wie sehr man sich vorinformiert, aber auch, wie viel Zeit man für seinen Rundgang eingeplant hatte. Eines war allerdings klar: Alle 19 Locations an einem Abend abzugehen machte – selbst wenn man es im Laufschritt geschafft hätte – wenig bis keinen Sinn. Denn das Event, das in diesem Jahr zum 5. Mal stattfand und laut Veranstaltern 100.000 Menschen anlockte, verlangte nicht nur gut zu Fuß zu sein, sondern auch für ganz unterschiedliche künstlerische Zugänge offen zu sein und sich dafür letztlich auch zu entschleunigen. 

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Intruders XL, Amanda Parer (Foto: ECN)
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In the rain, Yuki Anai (Foto: ECN)
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Sunken cathedrals, Kresimir Rogina (Foto: ECN)
Das Programm, das in der Grazer Oper selbst eröffnet wurde, bot völlig verschiedene, künstlerische Beiträge an. Diese waren zwischen den Polen großartig und bombastisch (Opernbespielung der Außenfassade, sowie Licht-Klang-Konzert im Innenraum von Onionlab & Xavi Bové) bis hin zu minimalistisch (Suchscheinwerfer unter der Hauptbrücke von Anna-Maria Bogner), zwischen gigantischem Neo-Kitsch in der Nachfolge von Jeff Koons (Intruders XL – von Amanda Parer – Osterhasen am Schlossberg und Hauptplatz) und hoher Ästhetik mit laufenden, geometrischen Konstellationen entlang der Fassade der Burg angesiedelt (OchoReSotto). Man könnte wohlwollend auch feststellen – für jeden Geschmack war etwas dabei. Das hat seine Berechtigung, wollen sich dabei doch vor allem die einzelnen Häuser der Bühnen Graz so niederschwellig wie möglich dem Publikum öffnen. Und das tat in diesem Jahr nicht nur das Schauspielhaus, wie schon zuvor, sondern auch das Opernhaus selbst.

Mit „Transfiguration – die Verwandlung“ wurde zu den Klängen des Spaniers Zinkman mit einer Auskoppelung der Grazer Philharmoniker eine Lichtshow gezeigt, die den Innenraum zum Hauptakteur der Show verwandelte. Verzahnt mit den neo-romantischen Klängen wurden dabei einzelne, architektonische Highlights wie die Voll- und Halbreliefs an den äußeren Balkonseiten oder auch das Deckengemälde aus dem Dunkel des Raumes gehoben. Die Lichtstrahlen bildeten eine eigene, spannende Raumerfahrung und machten gleichzeitig die musikalisch-rhythmische Struktur sichtbar.

Diese meditative Wirkung stand im krassen Gegensatz zur Installation an der Fassade der Oper, die vom Kaiser-Franz-Josef-Platz aus von tausenden Besucherinnen und Besuchern frenetisch gefeiert wurde. Dabei begann das Gebäude zu atmen, sich auszudünnen und vermeintlich den Blick in sein Inneres freizugeben. Die stürzende und bröckelnde Fassade und die optische Täuschung einer Drehung des Hauses um die eigene Achse waren nur einige Highlights dieser Perfomance, die – schon traditionell – zu den beeindruckendsten der jeweiligen Festival-Ausgabe gehört.

Leicht fassliche Installationen wie jene im Dom im Berg, bei welcher Yuki Anai den Kreislauf des Wassers in zarter, poetischer Weise in Licht umsetzte, standen wesentlich sperrigeren und erklärungsbedürftigeren gegenüber. Die Installation „what if“ der Österreicherin Tina Frank im Eingangsbereich des Künstlerhauses gehörte dazu. Trotz Informationsblatt, in dem das Konzept erklärt wurde, blieb letztlich doch nur ein sehr persönlicher und intuitiver Zugang, der von der menschlichen Durchzugskolonne, die in diesem Raum nicht nur in diesem Jahr wieder festzustellen war, erheblich erschwert wurde.

Wie schon 2018 boten OchoReSotto im Hof der Grazer Burg ausreichend Augenfutter. Mit den am Boden aufgestellten, niedrigen Wasserbecken, wurde ein zusätzlicher Spiegelungseffekt erreicht, der auch das Publikum miteinschloss, was zu sehr reizvollen Fotomotiven führte.

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Luxe, Jordan Soderberg-Mills (Foto: ECN)
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For iTernity, Katja Heitmann (Foto: ECN)
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Luxe, Jordan Soderberg-Mills (Foto: ECN)
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//movingShapes, 5x HTBLVA Ortweinschule Graz (Foto: ECN)
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Truck, Erwin Wurm (Foto: ECN)
Sehr anspruchsvoll und sowohl politisch als auch ästhetisch auf der Höhe unserer Zeit zeigte sich die Arbeit „notes towards a model opera“ von William Kentridge im Schauspielhaus. Auf drei großen Leinwänden so auf der Bühne platziert, dass die Besuchenden davor Platz nehmen konnten, beeindruckte der südafrikanische Kunst-Star mit einer höchst artifiziellen Sicht auf die Vereinnahmung Afrikas seitens der Kolonialherren aus Europa, aber auch dem aktuellen Versuch der chinesischen Großmacht, in Afrika Fuß zu fassen. Seine Mischung aus Film und Fotomaterial, aus Malerei, Tanz und Archivaufnahmen im Wechsel zwischen Schwarz-Weiß- und Farbgeschehen, löste jede Menge Assoziationen und Diskussionsstoff aus. Besser kann man einen Ort wie das Schauspielhaus, in welchem zeitgenössischer Dramenproduktion breiter Raum gewidmet wird, im Rahmen von Klanglicht wohl kaum bespielen.

Der „Truck“ von Erwin Wurm, bekannt aus diversen Museums-Shows fand dieses Mal seinen Platz vor dem Orpheum. Die „sunken cathedrals“ am Freiheitsplatz von Kresimir Rogina, waren nicht, wie man annehmen hätte können, in blauem Licht, sondern nur in pianistischer Klangfülle versunken. „For iTernity“ von Katja Heitmann animierte das Publikum, sich mit selbst gehaltenen Plexiglasscheiben auf die Suche nach dem projektierten Film zu machen und auf der Murinsel wallte künsticher Nebel (ArtificialOwl), um ein holographisches Windspiel zu erzeugen. Mit etwas mehr punktuell eingesetztem Licht wäre der Effekt sicherlich noch spektakulärer gewesen.

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Holographisches Windspiel 3.2, Artificial Owl (Foto: ECN)
 

Jordan Soderberg-Mills verwandelte die Schaufenster des Kaufhauses Kaster und Öhler in ein halluzinogenes Erlebnis, das an so manche ästhetische Umsetzung von Lichtbrechung der 60er- und 70er Jahre erinnerte. Dagegen gingen seine überarbeiteten Graz-Fotos in den Werbeflächen an der Straßenbahnhaltestelle am Hauptplatz leider fast unter. Peter Koglers Kunsterweiterung auf schwarz-weiße Schals, abgesehen von seiner Kunsthaus-Haut-Bespielung, stand wiederum diametral der Installation von Gor Chahal in der Stadtpfarrkirche gegenüber. Für eine gute Sicht auf die Projektionen der Gesangstexte an die Kirchendecke musste man sich setzen, was jedoch nur wenige Besuchenden tatsächlich auch taten. Die beiden letztgenannten Beispiele zeigen exemplarisch auf, wie groß der Spannungsbogen der Beiträge zwischen den Polen Konsum und Kontemplation angelegt war.

Die Willensbekundung der politisch Verantwortlichen bei den Eröffnungsreden, Klanglicht zu einem Fixpunkt im Frühjahrs-Event-Geschehen in Graz zu etablieren, lässt auf Fortsetzungen hoffen.

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Der menschliche Körper steht immer im Mittelpunkt

Der menschliche Körper steht immer im Mittelpunkt

Günter Brus • „Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)

Das Bruseum am Landesmuseum Joanneum in Graz zeigt im Reigen der Ausstellungen anlässlich zum 80. Geburtstag von Günter Brus eine Schau mit vielen bisher noch nie ausgestellten Werken.

Der Titel „Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ macht klar, worum es geht: Um Zeichnungen, die rund um die Aktionen des Künstlers in den 60er-Jahren entstanden sind. Entweder als vorbereitende oder auch nachbearbeitete Reflexionsmomente, nicht jedoch als Skizzen im klassischen Sinne, welchen danach eine größere Ausführung folgt

Es finden sich auch einige Arbeiten darunter, zu deren Aktions-Ausführung es nicht gekommen war, da diese letztlich gar nicht stattgefunden haben. Bisher hielt sich die Meinung, Brus hätte erst nach Beendigung der Aktionen zu zeichnen begonnen. Die Ausstellung zeigt jedoch, dass für ihn dieses Medium immer schon ein adäquates Ausdrucksmittel war, das er über die Jahrzehnte hin, vom Beginn seines Schaffens an, verwendete. Vieles aus der Anfangszeit ist jedoch heute nicht mehr vorhanden. Das liegt auch daran, dass die Blätter nicht dafür gedacht waren, jemals in einer Ausstellung zu landen. Vielmehr waren es oft nur Gedankenstützen, in welchen die Themenfelder abgesteckt und verarbeitet wurden, die letztlich in den Aktionen ihren Ausdruck fanden.

Die Verletzlichkeit des Körpers als zentrales Motiv

Dass der Körper dabei im Mittelpunkt steht, wird auf den ersten Blick klar. Die Fragilität, das Ausgesetztsein, die Verletzlichkeit – dies zentrale Aussagen vieler Arbeiten. Stilistisch ist ein großer Bogen von realistischen Selbstportraits über michelangeleske Gesten, von Einflüssen der Wiener Giganten wie Klimt und Schiele, aber auch Kokoschka zu entdecken. Je fragmentarischer die Zeichnungen jedoch werden, je radikaler ihre Aussage, umso stärker wird die persönliche Handschrift von Brus erkennbar. Die Auseinandersetzung mit dem Individuum und mit der Macht, aber auch mit der Weiterentwicklung des Körpers ist und bleibt bei ihm zentral.

Was auch sichtbar wird: Brus verwendete Materialien, wie sie auch in der Arte povera zum Einsatz kamen, nur mit einem gänzlich anderen Output. Seine silbrigen und goldglänzenden Papiere, mit denen er einige gezeichnete Figuren ausstattete, sind nichts anderes als Suppenwürfelverpackungen, wie sie heute noch verwendet werden. Aber auch das Papier, auf dem er zeichnete, zum Teil vom Altwarenhändler gekauft, war von minderer Qualität, wie ein Ringordner mit Kriegspapier, den Brus mehrere Jahre lang verwendete.

Über 200 zum Teil noch nie gezeigte Werke

Die große Auswahl – die Schau vereint über 200 Werke – gibt nicht nur einen Einblick in die grafisch-formale Umsetzung geplanter Aktionen, sondern vielmehr in das Denken des Künstlers an sich. Tabulos und scheinbar schmerzbefreit seziert er darin nicht nur Körper- sondern vor allem auch menschliche Befindlichkeitsschichten. Das Penetrieren von Leibern, die Verstümmelung von Gliedmaßen werden solitär gezeigt, ohne Verursacher. Der Kontext erschließt sich nur aus den Aktionen selbst, die Brus fotografisch festhalten ließ. Und aus den Ereignissen, die ihn dazu nötigten, Österreich zu verlassen. Die Beschimpfungen und Bedrohungen, die auf ihn und seine Familie einprasselten, erfahren in seinen Zeichnungen eine grafische Transformation. Seelischer Schmerz wird so zu körperlich nachvollziehbarem, das Empfinden von innen nach außen gestülpt. Nie stehen die Gesichter im Mittelpunkt, nie werden von Schmerz verzerrte Antlitze gezeigt. Brus ist nicht mit einer lustvollen Dekadenz ausgestattet, die er triebhaft kanalisieren muss. Vielmehr sind es tiefgreifende Erkundungen des Fleischlichen und das Nachdenken über Möglichkeiten von körperlichen Veränderungen, die er zu Papier bringt. Sein inneres Auge nimmt darin Posen und Rituale vorweg, die in der Umsetzung dann tatsächlich eins zu eins, oder aber gänzlich anders zur Ausführung gelangten. Denn als Regieanweisungen, denen unbedingt Folge zu leisten ist, sind die Zeichnungen nicht zu verstehen.

Besonders berührend ist ein Zyklus, den Brus nach der Geburt seiner Tochter schuf. Mit Gouache weiß gehöht, setzt er den kleinen Körper ebenso in einen kahlen Raum, wie zuvor schon viele andere und bedroht ihn durch spitze Gegenstände wie Scheren oder Reißnägel. Jedoch ist es gerade die Verwendung der weißen Farbe, die sich wie ein Schutzmantel um das kleine Wesen legt und als Geste des Beschützens empfunden werden kann.

Der Direktor des Bruseums, Roman Grabner, verbindet in seinen Führungen die großen Namen der Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts eloquent mit jenen Ideen, welche Brus in seinen Blättern visualisierte. Die gefühlte und visuell umgesetzte Vorwegnahme so manch später ausformulierter, philosophischer Theorie um Macht, Kontrolle, Machtmissbrauch, Körperveränderung und Körperveinnahmung, die er bei Brus sieht, lässt sich im Nachhinein sehr schön konstruieren. Und obwohl in der Realität der Künstler einen anderen, wesentlich pragmatischeren Zugang verfolgt haben dürfte, der ihn dazu motivierte, seine geschundenen und körperlich veränderten Figuren in mannigfacher Gestalt auf Papier zu bannen, sind diese Gedankenspiele nicht von der Hand zu weisen. Gilles Deleuze wies auf die Parallelität von Kunst und Philosophie ausdrücklich hin und bemerkte, dass beide einem kreativen Schaffensprozess unterliegen, wenngleich die Kunst neue Affekte und die Philosophie neue Begrifflichkeiten produziert.

Ganz abseits jeglicher philosophischer Herangehensweisen berührt die Ausstellung zutiefst. Sie gibt Einblick in ein künstlerisches Gedankengebäude, das sich dem Kern des Menschseins anzunähern versucht. Das sich offenkundig ebenso einer ungeschönten Wahrheit verpflichtet fühlte, die wir nur allzu gerne ausblenden. Sei es Folter und Krieg, sei es ein Dahinvegetieren in Armut und Krankheit oder sei es auch der nahende Tod. In all diesen Seinszuständen ist der Körper weder fotogen noch begehrenswert, noch strahlt er Sexappeal aus. Aber er berührt, berührt zutiefst.

Unsere Empfehlung: Nehmen Sie sich Zeit für die Ausstellung und gönnen Sie sich eine Führung. Gerade die vielen Verbindung zu den Aktionen, die dabei angesprochen werden, sind erkenntnishaft, wenn man die Blätter in diesem Zusammenhang betrachtet.

Die Schau ist im Bruseum der Neuen Galerie Graz noch bis 27.1.2019 zu sehen.

Eine Stadt im Zauber von Licht und Klang

Eine Stadt im Zauber von Licht und Klang

Fotos European Cultural News

Kunst kann etwas bewegen. Nicht nur die Herzen der Menschen, sondern auch ihre Beine. Das bewies das Festival „Klanglicht“ in Graz nun bereits zum 4. Mal. Die Veranstaltung, die von den Bühnen Graz präsentiert und mit dem Label „THE FESTIVAL OF SOUND AND VISION“ gebrandet wurde, ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Zum einen steht dahinter eine ganz pragmatische Idee, nämlich das Publikum dort abzuholen, wo es ist – auf der Straße. Spielstätten wie die Oper, das Schauspielhaus, Next Liberty, Dom im Berg und das Orpheum machen dabei optisch und auditiv im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam. Zum anderen kommen viele Menschen mit einer zeitgenössischen Kunstgattung ohne jegliche Schwellenängste in Berührung und lassen sich davon begeistern. Dass sich auch der Tourismus der Stadt Graz darüber freut, ist ein positiver Nebeneffekt. An die 100.000 Besuchende hatte das Festival in diesem Jahr  Ende April.

In die Burg musst schauen, das ist super!

Dieser aufgeschnappte Satzschnipsel aus der Menschenmenge wurde so offenbar sehr häufig kommuniziert. Denn was sich „in der Burg“ – genau gesagt – dem Hof der Grazer Burg – abspielte, war gigantisch. So extrem, dass selbst die breite Einfahrt zum Parkplatz der Steiermark-Regierenden mit Menschen völlig verstopft war und zeitweise das Hinein- und Hinauskommen zur Location mühsam wurde. Kein Wunder, denn die Klanglicht-Installation „Arkestra of light: parallel“ von Ochoresotto aus Österreich war tatsächlich eine Wucht, im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht auch deshalb, weil das Künstlerkollektiv mit Lia Räder, Volker Sernetz und Stefan Sobotka-Grünewald aus Graz stammen und um die Wichtigkeit des Gebäudekomplexes wissen. Mit einem brummenden, die Herzfrequenz im wahrsten Sinne des Wortes packenden Sound und einem gigantischen, geometrisch aufgebauten Lichterkosmos verwandelten sie die historische Architektur in eine surreale Umgebung, in der man die Baumasse zeitweise völlig vergessen konnte.

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Klanglicht, Burghof (c) European cultural news

Schauspielhaus und Oper

In direkter Nachbarschaft, im Schauspielhaus, teilten David Reumüller und Muscle Tomcat Machine, die Bühne durch eine gigantische Leinwand. Betreten wurde die Installation „Exposure o.T.“ vom Zuschauerraum her, hinter der Bühne gelangte man direkt ins Freie.

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Klanglicht Schauspielhaus (c) European Cultural News

Allein schon dieser Backstage-Eindruck lohnte den Besuch. Auf die mit einem zarten Netz-Muster unterlegte Leinwand wurden mittels Live-Kameras jene Menschen projiziert, die sich auf der Bühne bewegten. Schwarz-weiß-Impressionen, Verdichtungen und Entzerrungen gaben einen Blick frei auf eine andere Wahrnehmungsebene unserer Realität. Der einfache, ruhige Sound-Loop, unterstütze die Konzentration auf das visuelle Geschehen.

Von der Ästhetik her völlig anders, wenngleich mindestens gleich beeindruckend wie die Installation im Burghof, präsentierte sich die Grazer Oper seinem Publikum. Die auf der Straße vor dem Kaiser-Josef-Platz sitzenden und stehenden Menschen genossen sichtlich, dass der Straßenbahnverkehr an den drei Abenden von Klanglicht eingestellt wurde, um die Sicht auf die Rückseite der Grazer Oper nicht zu beeinträchtigen. „Axioma“ der Gruppe Onionlab aus Spanien erntete nach jeder „Vorstellung“ Applaus. Wer mit 3-D-Brillen ausgestattet war, durfte sich darüber freuen, einige der Sequenzen beinahe haptisch zu erfahren. Wie die Kreativen, die international gebucht sind, die Fassade in Einzelteile zerfallen ließ, wie sich ganze Kuben aus der Wand lösten oder kleine Teilchen den Zusehenden imaginär um die Ohren flogen, war mehr als beeindruckend und höchst unterhaltsam zugleich.

Peter Rosegger alive

Wer in Graz kennt das am Rande des Stadtparks aufgestellte Peter-Rosegger-Denkmal? Seit dem Klanglicht 2018 sicherlich mehr Menschen als zuvor. Denn Michael Bachhofer & Karl Wratschko gelang das Kunststück, DEN steirischen Dichter, gefangen in weißem Marmor, zum Leben zu erwecken. Mit mildem Lächeln, strengem Gesichtsausdruck oder ein wenig verschmitzt sprach er zu seinem Publikum, wobei es die ausgewählten Texte in sich hatten. „Ich bin viele Gesichter“ hieß der Titel dieser Arbeit, in der deutlich wurde, dass sich auch große Geister mit Prognosen irren dürfen, dass einige ihrer Aussagen aber auch prophetisch sind und – sehr tröstlich – sich im Laufe eines Lebens Ansichten auch ändern können. Die wunderbare Überblendung des steinernen Gesichtes mit lebendigem Videomaterial machte Lust, Denkmäler, egal wo immer sie aufgestellt sind, auf diese Weise neu zu betrachten. Dabei könnte man wesentlich mehr über jene Menschen erfahren, die in Europa zum Teil nur mehr aufgrund ihrer marmornen Konterfeis auf öffentlichen Plätzen bekannt sind. Denk-mal bekam bei Bachhofer und Wratschko einen gänzlich neuen Interpretationsansatz und zählte zu den originellsten Installationen dieses Jahres.

Der Schlossberg von innen und von außen

Der Österreicher Winfried Ritsch und Rombout Frieling aus den Niederlanden bespielten den Dom im Berg mit ihren Arbeiten „Pianometalspace // Soundlinks“ und „Motion Scape“. Einem Raum-Licht-Klang-Gesamterlebnis, das mit robotischem Klavierspiel gekoppelt wurde. Zu beneiden waren jene, die auf den Wippen von Frieling chillen und entspannt den Blick über die Domkuppel streifen lassen konnten. Alle anderen wurden von beflissenem Wachpersonal höflich daran gehindert, sich eine kleine Ruhepause am Boden sitzend oder an den Seitenwänden lehnend, zu gönnen.

Ganz anders hingegen erlebte das Publikum das Szenario bei der Schlossbergtreppe. „Scala lucida“ von Teresa Mar bot einen anderen Blick auf den Schlossbergfels, über den sich der sogenannte „Kriegssteig“ windet. Er wurde in den Kriegsjahren zwischen 1914 und 1918 von Pionieren und russischen Gefangenen errichtet. Unterschiedliche eingefärbt und ebenfalls mit Sound unterlegt, lösten sich die einzelnen Natur- und Architekturformationen zum Teil optisch völlig auf. Schade, dass die Lichtstärke zu wünschen übrig ließ und der starke Farb-Effekt, der im Programmheft abgebildet worden war, nur gemindert wahrzunehmen war.

Der Landhaushof als Labyrinth

Mit pinkfärbigen Leuchtstäben, scheinbar aus dem Nichts über den Hof des Landhauses schwebend, beeindruckte der Niederländer Wouter Brave. „Floating light“ war der passende Titel. 5BC005B3 20CB 4F3D A811 CE29F14E1186 Die Berührungen der Stäbe, die zwangsläufig von den Menschen beim Durchqueren des Raumes ausgelöst wurden, bewirkten ein ständiges Pendeln in unterschiedliche Richtungen. Wer die Sandsack-Installation ›Bodycheck/Physical Sculpture No. 5‹ von Flatz auf der Documenta IX erlebt hat, durfte sich eines kleinen Flashbacks erfreuen. Drückten damals 60 kg schwere, zylindrische Objekte spürbar auf jene Besuchenden, die sich einen Weg durch das Labyrinth bahnen wollten, waren es im Landhaushof periphere, kaum wahrnehmbare Berührungen, die man am eigenen Körper spüren konnte. „Timber“ der Studio Percussion graz lieferten dazu Live-Beats, die jedoch nicht mit dem Tanz der Klangstäbe gekoppelt waren.

Künstlerhaus und Murinsel

Die in Graz geborene Künstlerin LIA arbeitet seit Mitte der 90er Jahre in Wien auf dem Gebiet der Software- und Netzkunst. Ihre höchst ästhetische Arbeit „Silver Ratio“ ließ das Künstlerhaus im Stadtpark nicht nur innen, sondern auch außen in Blau-Weiß-und Schwarz leuchten. rvsCO41sQby81Ik2v4vngg Dabei gelang ihr eine neue Wahrnehmung des Haupteinganges und des Eingangsbereiches, der sich durch seine Verglasung in drei Richtungen hin zum Stadtpark öffnet.

Vor allem auditiv interessant war die Installation „Transience“ von Philip Ross & Joep le Blanc aus den Niederlanden. Le Blanc schuf dafür ein Klangereignis, in welchem er Wassergeräusche in seinen Soundparcours einfließen ließ. Dadurch konnte man den Eindruck gewinnen, das Geschehen unter der Murinsel, das Fließen und die Berührungen des Wassers mit der Architektur zu erleben.

Mariahilferkirche

Ohne Sound wurde das Äußere der Mariahilferkirche von der in Graz aufgewachsenen Azra Aksamija bespielt. In ihrer roten Projektion über dem Eingangsbereich entwickelten sich nach und nach nicht nur architektonische Symbole von Graz wie der Uhrturm, das Schloss Eggenberg oder die Murinsel. Wie von zarter, unsichtbarer Hand legte sie ein imaginäres, illuminiertes Stickmuster um diese herum und verband so „lokales und migriertes Wissen“. 6CB578FE A4D5 4D0C BFE0 814403B29DB1 Wobei festzustellen ist, dass rote Kreuzsticharbeit nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in Graz und der gesamten Steiermark zu einem wichtigen, kulturellen Erbe gehört, das sich nach und nach jedoch langsam verabschiedet und nur mehr punktuell tradiert wird.

Im Inneren der Kirche erklang Oliver Messiaens „Quatour pour la fin du temps“, gespielt von Kur Mörth, Pauli Jämä, Fuyu Iwaki und Gergely Mohl. Ganz der Funktion des Gebäudes entsprechend, bot sowohl das Äußere als auch der Innenraum der Kirche kontemplative Momente und die Möglichkeit zu einer Verschnaufpause oder einem ruhigen Ausklang des Klanglicht-Rundganges.

Die Stimmung, die in Graz an diesen Abenden an den insgesamt 17 Locations spürbar wurde, war außergewöhnlich. Tausende von Menschen machten sich gelassen, aufmerksam und zugleich  höchst kommunikativ auf die Spurensuche nach Licht und Klang. Viel mehr kann Kunst im öffentlichen Raum kaum bewirken.

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