Kopf trifft Herz


Im Rahmen des Festivals Musica in Strasbourg gelangte Wolfgang Rihms Stück Deus-Passus – Passions- Stücke nach Lukas“ mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR und der Gächinger Kantorei Stuttgart unter der Leitung von Jonathan Stockhammer zu seiner französischen Uraufführung. Das bereits im Jahre 2000 entstandene eineinhalbstündige Werk basiert auf Textausschnitten der Lukaspassion, in die lateinische Zitate der Karfreitagsliturgie eingeschoben sind und endet mit dem Gedicht „Tenebrae“ von Paul Celan, in welchem die Greuel des Holocaust zur Sprache kommen. Der sehr komplexe, kompositorische Aufbau strotzt einerseits von musikhistorischen Zitaten – die sich hauptsächlich auf Bach beziehen – andererseits hält er das Publikum in Spannung, da nichts, aber auch gar nichts einer logischen Folgerichtigkeit unterworfen ist. Mit nichts ist sowohl der Einsatz der Solostimmen gemeint, als auch die Tempo- oder Lautstärkenbezeichnungen. Rihm verwendet nicht einen Sänger für eine bestimmte Rolle, sondern lässt alle Sänger, sowie teilweise auch den Chor, abwechselnd oder auch zugleich die einzelnen Charaktere vorführen. Dort, wo man laute Passagen erwarten würde, wie zum Beispiel im Ausruf des Volkes „Kreuziget ihn, kreuziget ihn“ hat er dem Chor eine Flüsterpassage zugewiesen, in welcher die Aufforderung, Christus zu kreuzigen, fast einer magischen Beschwörung gleich kommt. Einige Textpassagen, die wiederum keine Affekte wiedergeben, werden mit aufbrausenden Forti begleitet. Der kunstvolle Aufbau kann jedoch nur erkannt werden, wenn zumindest die Textpassagen mitgelesen werden können. Hat man diese nicht vor Augen, fällt es schwer, der Rihmschen Unlogik, die sich über das ganze Werk logisch zieht, zu folgen. Wolfgang Rihms Deus-Passus beruht aber nicht ausschließlich auf den religiösen Texten, sondern endet auch mit Celans Gedicht, in welchem das Leid und die Verlorenheit der Juden in den Konzentrationslagern beschrieben werden. Aus diesem Blickwinkel muss man dem Komponisten eine philosophische Behandlung der Thematik zugestehen, die die Frage nach Gott angesichts der Greuel des Krieges vor allem vor dem Hintergrund der Massenvernichtung der Juden aufwirft. Interessant ist, dass der Komponist dabei nicht als Zertrümmerer agiert, der Gott endgültig von seinem Thron stößt – dafür gleitet seine Musik über lange Strecken viel zu ruhig und besonnen dahin. Vielmehr lässt sich seine Idee mit jener des Philosophen Hans Jonas vergleichen, der 1984 die Theodizeefrage, warum lässt Gott, wenn er doch so mächtig ist, Greuel dieser Art überhaupt zu, so beantwortete, dass er die Verantwortung für das Tun nicht Gott sondern den Menschen alleine überließ. Riehms Dekonstruktion zerschlägt nichts und sie schafft keinen Affront, aber sie wirkt subtil bis in die letzte Faser des Herzens. Das Elend der Menschen wird nicht, wie heute in den Medien üblich, plakativ vorgeführt, sondern gerade durch die Unaufgeregtheit, die das Stück durchzieht, weitet es sich zu wahrem Grauen aus. Ein Grauen, das sich nicht zuletzt aus unserem eigenen Intellekt begründet, welcher Gott Schritt für Schritt dekonstruiert hat. Die Aufführung lebte vor allem auch von den wunderbaren Solisten, die samt und sonders sich in bester Stimmverfassung präsentierten. Juliane Banse, Sophie Harmsen, Ingeborg Danz sowie Christoph Prégardien und Michael Nagy sangen ihre teilweise schweren Partien brillantest und trugen so viel zum Gelingen der Aufführung bei. Der junge Dirigent Jonathan Stockhammer, der mit einfühlsamer Gestik dirigierte, entlockte der Partitur auch jedes noch so kleine Stückchen Sinnlichkeit und wurde diesbezüglich von der Gächinger Kantorei Stuttgart ideal unterstützt. Ein berührender Abend in Strasbourg, an welchem der Präsident des Festivals, Rémy Pflimlin, in seinen einleitenden Worten auf den im Sommer verstorbenen, elsässischen Politiker Adrien Zeller verwies, der vor allem durch seinen Einsatz für die deutsch-französische Annäherung auf beiden Seiten des Rheins beliebt war.
Ein kurzer musikalischer Ausschnitt

Weitere Infos zum Festival unter: https://www.festival-musica.org

Vom Göttlichen ins allzu Menschliche

Vom Göttlichen ins allzu Menschliche

Divine Feminin

Unter diesem Motto stand ein zu nächtlicher Stunde angesetztes Konzert im Rahmen des Festivals Musica in Strasbourg, welches vom Ensemble „Traffic quintet“ aufgeführt wurde. Die Grundidee von Dominique Lemonnier, das ewig Weibliche, ja wie im Titel postuliert, das göttlich Weibliche, anhand von Filmausschnitten – und –stills musikalisch zu unterlegen, war grundsätzlich ein guter, kreativer Ansatz.

Ensemble "Traffic quintet" (c) Traffic Quintet

Ensemble "Traffic quintet" (c) Traffic Quintet

Auch die Musik selbst – Eigenkompositionen sowie Arrangements von fremden Filmmusikkompositionen – von Alexandre Desplat geschrieben, war durchaus hörenswert. Musik von Pascal Dusapin, Bernard Herrmann, Jerry Goldsmith, Alex North, Philip Glass, sowie Air wurde vom französischen Komponisten für diese Aufführung für 2 Geigen, 1 Bratsche, ein Cello und einen Contrabass neu gesetzt – und dies – mit Bravour. Innerhalb von 4 sogenannten „Tableaux“ – zu Deutsch übersetzt – Bildern, die jeweils wieder durch verschiedene, kurze Stücke unterteilt waren, ging das Ensemble vor allem den tragischen Seiten des weiblichen Seins nach. Nur ab und zu gelang es einem lebensfroher Walzer, sich in die Reihe von getragenen, ja tragisch anmutenden Melodien einzuschieben, der Großteil der Stücke hing einem ziemlich süßen Pathos nach, der von den dazu projizierten laufenden Bildern – eine sehr seltsame Unterstützung erhielt. Seltsam deswegen, weil sich zeigte, dass eine Adaption von Filmmusik, wie sie von Desplat für diesen Zweck gemacht wurde, eigentlich besser ohne Film auskommt. Die Aufführung hatte beinahe den Charakter eines Stummfilms, mit dem eigenartigen Gebaren, dass sich die Musikerinnen und Musiker nach jedem Bild verbeugend beklatschen ließen. Ihr Zusammenspiel konzentrierte sich auf die Synchronisation mit den gezeigten Filmen, was aber zwangsweise zu einem Qualitätsverlust der Interpretation führte. Erst im vierten Bild, in welchem einige Filmheldinnen ihren Tod im Wasser erlitten, kam eine gewisse Kongruenz in diese Art der Präsentation. Filmmusik hat die Aufgabe, die laufenden Bilder zu unterstützen, die Handlung musikalisch zu begleiten und Affekte oder Situationen im jeweiligen Charakter der gezeigten Bilder wiederzugeben. In diesem Konzert entfernte sich das dennoch als bemerkenswert zu titulierende Rearrangement der Musik jedoch weit von den Bildern, die schließlich die Musik mehr störten als unterstützten. Das filmische Puzzle von Ange Leccia, dem 1952 in Paris geborenen Foto- und Videokünstler, kann für sich selbst als persönliches Statement zu diesem Thema gesehen werden und könnte als filmische Aufführung, mit Musikbegleitung von einer Tonspur in einem Museum reüssieren. Die live- Aufführung hingegen zeigte überdeutlich, dass es für die ausführenden Künstler noch  Lernerfahrung auf diesem Gebiet gibt.

Das Festival Musica läuft noch bis zum 3. Oktober 09.
Infos unter: https://www.festival-musica.org
Bild: (C) Traffic Quintet

Du bist eine Heldin – aber ich lebe noch! – Tu es une héroïne – mais je suis encore en vie, moi!

Du bist eine Heldin – aber ich lebe noch! – Tu es une héroïne – mais je suis encore en vie, moi!

Ismene – eine Aufführung am TNS in Strasbourg

Ismène (c) Michel Boermans

Ismène (c) Michel Boermans

Über eine Stunde lang beherrscht sie die Bühne. Sie sitzt, geht, steht, liegt – nackt. Falsche Perlenketten hängen um ihren Hals, wie ein breites Collier und dennoch bleiben ihre Brüste frei. Marianne Pousseur verkörpert Ismene, die Schwester der tragischen, griechischen Gestalt Antigone, die sich dem König widersetzt und ihren Bruder begräbt. Sie soll an dieser Heldentat sterben, wenngleich auch von eigener Hand – und eine ganze Reihe von Selbstmorden nach sich ziehen.

Der Grieche Yannis Ritsos (1909-1990) verlieh in seinem Stück „La quatrieme dimension“ Ismene eine Stimme, die Marianne Pousseur aufnimmt und in einem zeitlosen Stück aufführt, in welchem sie der Frage nachgeht, ob es jedem Menschen möglich ist, ein Held zu sein. In einer überwältigenden Inszenierung, die vor allem durch die wunderbare Lichtführung beeindruckt und in welcher die Sängerin und Schaupielerin – Pousseur übt beide Berufe aus – in einem flachen Wasserbecken agiert, ruft Ismene Erinnerungen wach, die sie in ihre Kindheit zurückführen. Sie beschreibt eindringlich die Eifersucht auf ihre Schwester, aber auch ihre tiefe Trauer. Musikalische Einschübe, wie zum Beispiel ein imaginäres Kinderduett mit Antigone, bei welchem eine Stimme von Band eingespielt wird, zeigen, welche Stimmgewalt die Protagonistin auf der Bühne besitzt. Wenn sie in Wahnvorstellungen verfällt, die sich in Raserei äußern, brüllt und quietsch Ismene, wenn sie sich an die schöne Zeit ihrer Kindheit erinnert, fällt sie in einen feinen Singsang und wenn sie ihrer übermächtigen Schwester gedenkt, wird ihre Stimme so scharf wie ein Messer. Das Stück ist angesiedelt zwischen Sprechtheater und konzertanter Aufführung, wobei das Spiel immer im Vordergrund bleibt. Erde, Sonne, Feuer und Wasser, alle Elemente werden eingebunden in die Geschichte, deren Ausgang unklar bleibt, aber im Bild, welches zum Schluss präsentiert wird, dennoch auf den Tod Isemenes hinweist. Sie liegt, dem Publikum abgewandt, im flachen Wasser und aus ihrem Mund scheint sie ihren Odem zu verströmen; sichtbar gemacht in einem leicht pulsierenden, weißen Nebelzug, der sich von ihrem Kopf weg bewegt. Ismene ist es gelungen, ihre Schwester sowie viele Helden, die sie in ihrem Leben sterben gesehen hat, zu überleben. Und dennoch bezahlt sie dieses Leben mit Einsamkeit und der Last der Erinnerung.

Marianne Pousseur schuf in der wunderbaren Inszenierung von Enrico Bagnoli eine Figur, die stellvertretend für all jene Menschen angesehen werden kann, die sich lieber dem Leben widmen, als Heldentaten zu begehen. Oder ist es nicht auch eine Heldentat, jeden Tag von Neuem aufzustehen, sich zu waschen, seine Kinder zu versorgen und seiner Arbeit nachzugehen?

Ismene wurde im Rahmen der Festivals Musica im TNS (Theatre national de Strasbourg) aufgeführt.
Weitere Informationen unter: https://www. festival-musica.org

Ismène – un spectacle au TNS à Strasbourg

Ismène (c) Michel Boermans

Ismène (c) Michel Boermans

Plus d’une heure elle domine la scène. Elle est assise, debout, elle marche, elle est couchée – nue ! Elle a des sautoirs en fausses perles autour du cou, comme un immense et large collier qui laisse pourtant apparaître ses seins.

Marianne Pousseur incarne Ismène, la sœur d’Antigone, une figure grecque, tragique, qui affronte le roi et enterre son frère. Cet acte héroïque met fin à sa vie, même se c’est par sa propre main et doit engendrer toute une série de suicides.

Le grec Yannis Ritsos (1909 – 1990) donne dans sa pièce « La quatrième dimension » la voix à Ismène. Marianne Pousseur, son porte-parole dans œuvre   intemporelle pose la question si tout être humain est capable d’être un héros. Dans une mise en scène époustouflante, qui subjugue surtout par sa fabuleuse lumière dans laquelle évolue l’actrice et chanteuse. Marianne Pousseur fait les deux métiers en même temps. Elle agit dans un bassin d’eau peu profond et invoque des souvenirs d’Ismène que la ramènent à son enfance.

Elle décrit de façon insistante la jalousie qu’elle éprouve vis-à-vis de sa sœur, mais elle parle aussi de son deuil profond.  Grâce aux musiques qui viennent s’intercaler, comme par exemple un duo d’enfants avec Antigone, dont on entend la voix sur une bande, on a un aperçu de la puissance vocale de l’artiste sur la scène. Quand elle est en proie de délires, exprimés dans une sorte de folie furieuse, Ismène elle hurle et couine. Quand elle se rappelle la belle époque de son enfance, elle chantonne doucement. Les souvenirs de sa sœur surpuissante  aiguisent sa voix comme un couteau.

La pièce se situe entre le théâtre parlé et le spectacle musical, tout en mettant le jeu d’acteur au premier plan. Le terre, le soleil, le feu et l’eau – les quatre éléments font partie de cette histoire à l’issu incertaine, mais avec tout de même à la fin des indices qui indiquent la mort d’Ismène. Elle gît dans l’eau, le dos au public et semble expirer son dernier souffle par sa bouche, matérialisé par une espèce de brume blanche. Ismène a réussi à survivre à sa sœur ainsi qu’à tant de héros qu’elle a vu mourir tout au long de sa vie. Pourtant, le prix qu’elle paie pour cette vie est élevé : La solitude et le souvenir.

Dans cette pièce, si merveilleusement  mise en scène par Enrico Bagnoli,  Marianne Pousseur a crée un personnage, qui représente tous ceux qui préfèrent vivre plutôt que chercher à être des héros. A moins que se lever tous les jours, se laver, s’occuper de ses enfants et aller au travail soient des actes héroïques.

Ismène est un spectacle dans le cadre du Festival Musica au Théâtre national de Strasbourg.

Traduit de l´allemand par Andrea Isker.

Ismène – Für Marianne PousseurIsmène – Pour Marianne Pousseur

Ismène – Für Marianne PousseurIsmène – Pour Marianne Pousseur

Ismène - Foto: Michel Boermans

Ismène - Foto: Michel Boermans

Der mann neben mir beginnt seinen blick hinter seiner hand zu verbergen. Er ist alt. Er hat angst, deine zur schau gestellte blöße zu sehen. Er würde wahrscheinlich gerne den saal verlassen, aber er sitzt genau in der mitte der reihe. Gefangen in seinem eigenen bestreben, einen guten platz zu erhalten. Jetzt ist ihm jede sekunde peinlich. Ich versuche, ihn mit seiner geste auszublenden, mich auf dich zu konzentrieren, was mir auch schnell gelingt. Die weiße schminke, die du anlegst, rückt dich in weite ferne. Das wasser, das unter deinen füßen platscht, verursacht in mir das gefühl von mitleid. Über eine stunde wirst du darin stehen, sitzen, liegen. Nackt. Die weiße schminke verstärkt deine falten. Jetzt wird deutlich, was vorher nicht zu sehen war. Dein alter. Es ist auch mein alter, das mich in der spiegelung nicht erschreckt. Dein auftritt kommt zu einem zeitpunkt, in welchem ich mich mit meinem alter bereits angefreundet habe. Vor einem jahr noch wäre es anders gewesen. Du stehst da, gerade, den kopf erhoben. Du sitzt da, gerade, den kopf erhoben und ich weiß, dass mir diese haltung fremd ist, obwohl ich sie gerne auch mein eigen nennen möchte. Aber sie ist deine. Du sprichst von deiner schwester, erinnerst dich – aber diese erinnerungen sind nicht meine. Dann erzählst du von den sommern deiner kindheit und nimmst mich mit in diese welt der gedanken, die wir teilen, und die dennoch nicht die selben sind. Du erzählst, wie du die namen der pflanzen und tiere lerntest und ich sehe mich als kind auf dem land, im garten. Wie ich einen toten vogel begrabe, unter einem baum und ein kleines holzkreuz einstecke. Ich erinnere mich, dass es ein zeichen für die ewigkeit sein sollte, weil ich keinen begriff von ewigkeit hatte, sowie ich keinen begriff von sterben und leben hatte. Du erzählst von deinem vater und dass du sein gesicht nie vergessen wirst. Das gesicht meines vaters ist eines der wenigen, das auch ich nicht vergessen werde und das sich in diesem moment zwischen dich und mich schiebt. Deine schöne stimme gehorcht dir auf kommando. Ob du sprichst oder singst, sie bereitet dir keinen widerstand, sie ist ein instrument, das du beherrscht, wie ich die tasten meines pc beherrsche. Du lässt die luft über deine stimmbänder gleiten, wie ich die gedankenströme aus meinem gehirn hinab gleiten lasse, über meine arme, zu meinen fingerspitzen, um sie auf den tasten durch druck schließlich elektronisch zu bannen und auf dem schirm sichtbar zu machen. Du machst deine stimme hörbar und deinen körper sichtbar. Du bist mutiger. Deswegen hast du meine hochachtung erlangt. Deine traurigkeit, von der du erzählst, ist nicht meine. Denn ich habe, im gegensatz zu den millionen von traurigen menschen auf dieser welt eine möglichkeit gefunden, meine traurigkeit zu überwinden, auszublenden, zu unterdrücken. Als du dich schlafen legst, dein weißes fleisch ein wenig im wasser eintaucht und dein atem deinen körper durch einen leicht pulsierenden, weißen rauch verläßt, ist es gut. So habe ich es mir vorgestellt und so wird es sein. Ganz natürlich.

Ismene wurde im Rahmen der Festivals Musica im TNS (Theatre national de Strasbourg) aufgeführt.
Meine Besprechung finden Sie bei der European News Agency
Der mann neben mir beginnt seinen blick hinter seiner hand zu verbergen. Er ist alt. Er hat angst, deine zur schau gestellte blöße zu sehen. Er würde wahrscheinlich gerne den saal verlassen, aber er sitzt genau in der mitte der reihe. Gefangen in seinem eigenen bestreben, einen guten platz zu erhalten. Jetzt ist ihm jede sekunde peinlich. Ich versuche, ihn mit seiner geste auszublenden, mich auf dich zu konzentrieren, was mir auch schnell gelingt. Die weiße schminke, die du anlegst, rückt dich in weite ferne. Das wasser, das unter deinen füßen platscht, verursacht in mir das gefühl von mitleid. Über eine stunde wirst du darin stehen, sitzen, liegen. Nackt. Die weiße schminke verstärkt deine falten. Jetzt wird deutlich, was vorher nicht zu sehen war. Dein alter. Es ist auch mein alter, das mich in der spiegelung nicht erschreckt. Dein auftritt kommt zu einem zeitpunkt, in welchem ich mich mit meinem alter bereits angefreundet habe. Vor einem jahr noch wäre es anders gewesen. Du stehst da, gerade, den kopf erhoben. Du sitzt da, gerade, den kopf erhoben und ich weiß, dass mir diese haltung fremd ist, obwohl ich sie gerne auch mein eigen nennen möchte. Aber sie ist deine. Du sprichst von deiner schwester, erinnerst dich – aber diese erinnerungen sind nicht meine. Dann erzählst du von den sommern deiner kindheit und nimmst mich mit in diese welt der gedanken, die wir teilen, und die dennoch nicht die selben sind. Du erzählst, wie du die namen der pflanzen und tiere lerntest und ich sehe mich als kind auf dem land, im garten. Wie ich einen toten vogel begrabe, unter einem baum und ein kleines holzkreuz einstecke. Ich erinnere mich, dass es ein zeichen für die ewigkeit sein sollte, weil ich keinen begriff von ewigkeit hatte, sowie ich keinen begriff von sterben und leben hatte. Du erzählst von deinem vater und dass du sein gesicht nie vergessen wirst. Das gesicht meines vaters ist eines der wenigen, das auch ich nicht vergessen werde und das sich in diesem moment zwischen dich und mich schiebt. Deine schöne stimme gehorcht dir auf kommando. Ob du sprichst oder singst, sie bereitet dir keinen widerstand, sie ist ein instrument, das du beherrscht, wie ich die tasten meines pc beherrsche. Du lässt die luft über deine stimmbänder gleiten, wie ich die gedankenströme aus meinem gehirn hinab gleiten lasse, über meine arme, zu meinen fingerspitzen, um sie auf den tasten durch druck schließlich elektronisch zu bannen und auf dem schirm sichtbar zu machen. Du machst deine stimme hörbar und deinen körper sichtbar. Du bist mutiger. Deswegen hast du meine hochachtung erlangt. Deine traurigkeit, von der du erzählst, ist nicht meine. Denn ich habe, im gegensatz zu den millionen von traurigen menschen auf dieser welt eine möglichkeit gefunden, meine traurigkeit zu überwinden, auszublenden, zu unterdrücken. Als du dich schlafen legst, dein weißes fleisch ein wenig im wasser eintaucht und dein atem deinen körper durch einen leicht pulsierenden, weißen rauch verläßt, ist es gut. So habe ich es mir vorgestellt und so wird es sein. Ganz natürlich.

https://feuilleton.en-a.eu/kunst_und_kultur-17/du_bist_eine_heldin__aber_ich_lebe_noch-43027/

Wie lange dauert die Ewigkeit

Wie lange dauert die Ewigkeit

Das Festival Musica widmete den 24. September einem der ganz großen der zeitgenössischen Kunst: Steve Reich. In Zusammenarbeit mit ARTE wurde ein Film präsentiert, der in diesem Jahr produziert wurde und in die Arbeit des Komponisten einführt. Die beiden anschließenden Konzerte – „Drumming“ aus dem Jahre 1971 sowie „Music for 18 musicians“, zwischen 1974 und 1976 komponiert – fanden unter Mitwirkung von Steve Reich statt, was den Abend noch zusätzlich adelte.

Steve Reich - Foto: Wonge Bergmann

Steve Reich - Foto: Wonge Bergmann

Der Film, mit dem Titel „Phase to face“, der vor allem von der persönlichen Erzählweise des Komponisten lebt, wird am 28. September um 23 Uhr in ARTE ausgestrahlt und zeigt eines ganz deutlich: Steve Reich ist nicht nur ein Komponist, der mit seiner Musik die Emotionen des Publikums weckt, sondern er ist auch ein Mensch, der berührt. Gerade seine Art, klar und einfach über sein Schaffen zu erzählen, ohne Schnörkel oder musiktheoretische Floskeln, beeindrucken zutiefst. Ohne ins persönlich Anekdotische abzugleiten, werden seine Entwicklungsschritte deutlich, die sich von einer minimalistischen Arbeit hin zu immer dichteren und komplexeren Kompositionen bewegen. Nicht geplant, und deswegen gerade unübertroffen als Einstieg in die Szenerie ist jener mitgefilmte Anruf, bei welchem Reich die Nachricht übermittelt wird, dass er den diesjährigen Pulitzer-Preis erhalten habe. Sein einfacher Kommentar, dass es zwei Arten von Nachrichten gäbe – gute und schlechte – und er froh sei, dass es sich um eine gute gehandelt habe – zeigen deutliche seine unprätentiöse Haltung.

Viele seiner Werke gehen von einem einfachen Kompositionsprinzip aus, nämlich eine kurze, rhythmische Sequenz von einem zweiten Instrument oder auch Medium übernehmen zu lassen und diese in einer geringfügigen Tempoverschiebung zu spielen. Durch diese Phasenverschiebung wird ein Flirren und Schwirren in der Wahrnehmung erzeugt, welches so vorher in der Musik noch nicht zu hören gewesen war „Eigentlich mache ich nichts anderes als es in der hergebrachten Form des Kanons passiert – ja eigentlich handelt es sich bei meiner Arbeit nur um eine Fußnote des Kanons“, so fasst Reich dieses Prinzip kurz zusammen. Dass sich seine Fußnote jedoch zu einem Lebenswerk ausgedehnt hat zeigt, wie reichhaltig er aus diesem Grundfundus schöpft und arbeitet. Archaische Rhythmik, Jazz aber auch einzelne Klassiker gehören zu seinen Vorbildern.

Das Ensemble Modern/Synergy Vocals, mit welchem Reich den Abend bestritt, stammt aus Frankfurt am Main und arbeitet mit dem Künstler seit den 90er Jahren in Europa kontinuierlich zusammen. Obwohl die Stücke vielen bekannt sind, ist eine live-Aufführung dennoch ein besonderes Erlebnis. Sie zeigt, wie sehr die Musiker durch die ständigen Wiederholungen körperlich gefordert sind und lassen das Bühnengeschehen, auch durch die staffettenartigen Übernahmen von einzelnen Instrumenten, auch choreographisch erleben.

Im Werk „Drumming“ sind es die einfachen Rhythmen, die von den ersten Augenblicken an das Publikum im Bann halten. Die vier Paar gestimmten Bongotrommeln werden von 4 Schlagzeugern bedient, wobei der erste mit einem vorgegebenen, einfachen Rhythmus beginnt, welchen die anderen nachfolgend zu imitieren haben. Aus der einfachen Grundkonstellation generiert sich ein teilweiser dichter, rhythmisch klar nachvollziehbarer Trommelsound, der auch deutlich auf das Ursprungsland Afrika dieser Trommelgattung verweist. Der Westen trommelt Afrika, so könnte eine Zusammenfassung lauten, um diese Komposition von Reich, die von den Musikern durch leichte Improvisationen bei jeder Aufführung abgewandelt werden können, lauten.

Music for 18 musicians wurde an diesem Abend von 19 Personen zur Aufführung gebracht. Auch in diesem Werk wird eine grundsätzlich einfache Rhythmik verwendet, die sich auf die Atmung des Menschen bezieht, der tonale Charakter wird aus 11 verschiedenen, wenngleich sehr verwandten Akkorden gebildet. Die in 9 Sektionen unterteilte Partitur lässt den Musikern – wenn auch geringfügig – so doch Spielraum und beeindruckt das Publikum durch seine scheinbaren, immer wieder kehrenden Wiederholungen, die jedoch mehr aus Abwandlungen denn aus gleichen Wiedergabemomenten bestehen. Die 4 eingesetzten Frauenstimmen gleichen sich den Instrumenten – einer Geige, einem Cello, zwei Klarinetten bzw. Bassklarinetten, drei Marimbas, zwei Xylophonen und einem Metallophon sosehr an, dass sie zeitweise gar nicht mehr als menschliche Stimmen wahrgenommen werden. Die beinahe 1stündige Dauer dieses Stücks bringt es mit sich, dass, auch wenn man gewillt ist, bis zum Schluss dem Kompositionsprinzip aufmerksam zu folgen, ein Punkt eintritt, in welchem man unwillkürlich in eine Art Meditationszustand verfällt, der nichts anderes mehr bewirkt, als sich der an- und abschwellenden Musik hinzugeben. Was ist Zeit, was ist gestern, heute, morgen, was kommt immer wieder, was ist die Ewigkeit – und wie lange dauert sie – all das sind Fragen, die sich in diesem Zustande aufdrängen, ohne beantwortet werden zu können. Steve Reichs „music for 18 musicians“ kann als ein erratischer Block in der Musikgeschichte bezeichnet werden, an welchem kein Hörer, keine Hörerin, aber auch kein Komponist und keine Komponistin vorbeikommt. Es wird – und das hat sich in den letzten Jahren schon gezeigt – als Klassiker der zeitgenössischen Musik bezeichnet werden und dies völlig zu recht.

Die standing ovations im bis auf den letzten Platz ausverkauften Saal der Cité de la musique et de la danse in Strasbourg waren vor allem auch vor dem Hintergrund des Lebenswerkes dieses Ausnahmekomponisten gerechtfertigt.

„Bloody you are and bloody will be your end! “

„Bloody you are and bloody will be your end! “

Richard III – Macht und Gewalt auf der Opernbühne

Scott Hendirks als Richard III - photo (c) Alain Kaiser

Scott Hendriks als Richard III - photo (c) Alain Kaiser

Anlässlich des Festivals Musica in Strasbourg wurde die zeitgenössiche Oper Richard III am 19. 9. 2009 in Frankreich uraufgeführt.

Der italienische Komponist Georgio Battistelli schuf gemeinsam mit Ian Burton, welcher das Libretto verfasste und Robert Carsen, der für die Regie verantwortlich zeichnet, ein Werk, das sich mit dem zeitlosen Thema Macht und Machtmissbrauch auseinandersetzt. Anhand von Originaltexten des gleichnamigen Schauspiels von William Shakespeare – von Ian Burton gekonnt gekürzt und neu arrangiert, jedoch immer auf dem originalen Wortlaut basierend – wird der Aufstieg und Fall Richards III zum König von England gezeigt. Das Werk wurde vor 6 Jahren vom jetzigen Straßburger Operndirektor Marc Clémeur angeregt, und 2005 an seinem damaligen Schaffensort, der flämischen Oper in Antwerpen, uraufgeführt. Clémeur sorgte mit der Übernahme der Oper nach Straßburg, dass das Werk, zuvor auch 2007 in Deutschland gezeigt, weiter in den Opernhäusern zirkuliert – und das nicht ganz zu unrecht.

Handelt es sich doch hier um ein Unterfangen, welches zeigt, dass Oper auch heute noch lebendig geschrieben und wiedergegeben werden kann, allen Abgesängen zum Trotz. Battistellis Musik kann mehr als vorantreibendes und unterstützendes Element der Handlung bezeichnet werden, denn als tragender Körper. Vielmehr zeichnet sich die Aufführung gerade dadurch aus, dass sich die gezeigten Bilder, der Text und die Musik völlig ausgleichend die Waage halten. Bis auf wenige Ausnahmen, wie der Introduktion, dem Terzett der adeligen Frauen, der rhythmisch wider Erwarten exakten und mehr getragenen als wilden Schlachtmusik, oder dem Schlussgesang des Chores, gibt es nur wenige erinnerbare Hörereignisse. Dies trägt jedoch dazu bei, dass hier Oper im wahrsten Sinne des Wortes als Gesamtkunstwerk exerziert wird.

Der Boden des Bühnenraums, welcher Shakespeares Globe Theater Einblick rekonstruiert, wird von rotem Sand ausgefüllt, auf welchem das Drama seinen Lauf nimmt. Robert Carsen wählte dieses Material, um einerseits auf die Vergänglichkeit und Ewigkeit der Lebensläufe in unserer Welt hinzuweisen, andererseits imitiert er damit eine Arena, die sich über die Jahrhunderte hinweg als Ort nicht nur der gespielten, sondern auch der lebendigen Dramen präsentierte. Jeder, der sich auf diesem roten Sand tummelt – tut dies aufgrund einer belasteten Vergangenheit. Eine schönes und intelligentes Bild, das lange nachwirkt. Die weiß geschminkten Gesichter und die schwarzen Kostüme aller Sängerinnen und Sänger – mit Ausnahme der gedungenen Schlächter, die in blutbefleckten Gummimänteln auftreten – reduzieren die optischen Informationen der Personen auf ein Minimum. Dies stellt jedoch auch eine absolute Verdichtung der Aussagen der jeweils agierenden Personen dar.

Streckenweise fühlt man sich stärker an eine Kinovorstellung erinnert, denn an eine Opernaufführung, was vor allem auch damit zu tun hat, dass Scott Hendricks, der einen schauspielerisch extrem ausdrucksstarken Richard III gibt, sowohl in seiner Mimik als auch in seiner Gestik stark an Heath Ledgers Oscar gekrönten Auftritt als Joker in Batman erinnert. Obwohl die Masken und das Bühnenbild der Oper bereits 2004/2005 entstanden sind, zeigt sich in der sofortigen, gedanklichen Verbindung zum Kinobösewicht, wie stark die Bilder der Leinwand und des Fernsehens unsere Assoziationen und Sehgewohnheiten beeinflussen. Neben Batman und Richard III war auch Mephisto eine jener großen literarischen Gestalten, denen das Böse weiß in ihr Gesicht geschrieben war. Als unvergesslich ist hier Gustav Gründgens zu nennen, der 1960 als menschenverachtender Dämon Filmgeschichte schrieb. Einen Hinweis, dass es aber nicht nur einzelne Menschen sind, welche dem Bösen verfallen, sondern das Böse in jedem Humanum wohnt, geben die weiteren, allesamt weiß geschminkten Gesichter der Solisten und des Chores. Sie treten dadurch entpersonifiziert auf, was wiederum der Inszenierung eine über den historischen Bezug hinaus zeitlose Gültigkeit verleiht. Diese Transferierung in eine nicht an eine Historie gebundene Dimension ist der ganzen Inszenierung von Carsen eigen und bezeichnet zugleich die Stärke der Aufführung.

Richard agiert von Beginn an als sich zu seinem Bösen bekennendes Ungetüm, dessen Gewissensbisse nur in seinen Alpträumen und Ängsten am Abend vor der Schlacht sichtbar werden. Er schont weder Familie noch Freunde, um an die Macht zu kommen und diese zu erhalten und kann, solange er sich innerhalb seines eigenen Ränkespiels befindet, sich sicher sein, auf keine Gegenwehr zu stoßen. Die musikalische Idee Battistellis, Richards blutrünstige Ideen jeweils mit einem ansteigenden Pfeifton zu unterstützen, wird nur sehr subtil wahrgenommen und kann als satirischer, augenzwinkernder Verweis auf Wagners Leitmotivthematik verstanden werden. Dem machtbesessenen König bietet einzig seine Mutter, die Herzogin von York, interpretiert von Sara Fulgoni, die Stirn. Sie klagt ihn in einem der musikalisch ausdrucksstärksten Momente der Oper an und spricht jenen Fluch aus, der sich auf dem Schlachtfeld erfüllen soll. Obwohl sich der Librettist getreu an Shakespeares Vorgabe hält, schafft es Caron, die Rolle der Frauen aus einem Blickwinkel zu beleuchten, der in der literarischen Vorlage nicht so stark zum Ausdruck kommt: Als Lady Anne, die Frau Richards III, gesungen von Lisa Houben, Queen Elisabeth, seine Schwägerin, interpretiert von Lisa Griffith und die Herzogin von York gemeinsam in einem berührenden lyrischen Terzett die jungen Thronfolger beweinen, die Richard in den Tower sperren ließ, wird klar, dass es sich um ein Lamento handelt, das vor und nach ihnen auch Millionen anderer Frauen betraf.

Richard III - photo (c) Alan Kaiser

Richard III - photo (c) Alan Kaiser

Sie weinen stellvertretend für all jene, deren Männer, Väter und Söhne durch Gewalt ums Leben gekommen sind. Sie sind es auch, die das von Männern verursachte Leid tragen müssen, wenngleich sie auch nicht immer jede Schuld von sich weisen können. Lady Anne steht für jene lustvolle Verbindung zur Macht, die sich sehr wohl ihrer Schuld bewusst ist und schließlich auch daran zerbricht.

Nach der Traumszene, in welcher die von Richard Ermordeten diesem seinen Tod voraussagen, und der anschließenden Schlachtszene, in der viel Blut geschaufelt wird, endet die Oper mit einem tonalen Chor aus dem Off. Battistelli hat das Sprichwort, dass man mit Speck Mäuse fängt, wörtlich genommen und hebt mit dem Schlusschor, der einer Sphärenmusik gleicht, das Publikum auf Wolken. Man mag dies als geschmäcklerisch abtun, der Erfolg, der auf den zufriedenen Gesichtern der aus dem Saal Strömenden zu sehen war, gibt ihm jedenfalls recht.

Scott Hendricks stellte nicht nur mit seinem ausdrucksstarken Spiel sondern auch mit seiner stimmlichen Kapazität den Mittelpunkt des Ensembles dar und nicht nur wie im Text, war sein stärkster Gegenpart Sara Fulgoni. Buckingham, gesungen von Urban Malmberg, ließ seinen hellen Baß-Bariton klar ertönen, was in den vielen Konversationen mit Richard ein ausgleichendes Element zu dessen ungestümer Schärfe darstellte. Daniel Klajner leitete das Philharmonische Orchester Moulhouse einfühlsam und wahrte die vorgegebene Ausgewogenheit zwischen Singstimmen und Orchesterpart bis zum Schluss.

Dass sich diese Oper in einem neuen Gebäude noch wohler fühlen würde als im historischen, nicht allzu großen Haus in Strasbourg, ist leicht vorstellbar. Hierzu bedarf es aber wahrscheinlich ganz abseits des Bühnengeschehens noch einiger Kämpfe.

Pin It on Pinterest