Jacques Brel im ungewöhnlichen Bigband-Sound – ein Erlebnis

Jacques Brel im ungewöhnlichen Bigband-Sound – ein Erlebnis

Es war ein Wagnis. Ein großes sogar. Die zarten, so kunstvoll-lyrischen Chansons von Jacques Brel auf Bigbandsound zu polieren. Die Jazz Big Band Graz hat sich mithilfe des Leiters des Brussels Jazz Orchestras – Frank Vaganée – dieser Herausforderung gestellt. Dieser tourte mit seiner Band und dem französisch-belgischen Sänger David Linx vier Jahre lang mit einem Jacques Brel-Programm, das bereits abgespielt erschien. Bis die Einladung nach Graz kam und hier im Schauspielhaus das Publikum begeisterte. Vaganée und Linx folgten dem Ruf in die Steiermark und erarbeiteten mit dem Grazer Ensemble ein musikalisch höchst anspruchsvolles Programm.

Dass rhythmisch aufgeladene Klassiker wie „Amsterdam“ oder „la valse à mille temps“ mit der Klangfülle einer Bigband funktionieren können, konnte man sich noch gut vorstellen. Dass aber auch „les vieux amants“ – die liebenden Alten, oder „quand on n´a que l´amour“ – „wenn man nichts außer Liebe besitzt“, auch mit dieser Sound-Begleitung funktionieren, war schwer vorstellbar. Ganz zu schweigen von „ne me quitte pas“, jenem Lied, in dem Brel das Verlassenwerden von seiner Geliebten mit einem geradezu hypnotischem Sprachmuster hintanzuhalten versucht. Und doch: Die ausgetüftelten Arrangements machten es möglich.

Brel zu imitieren wäre ein von langer Hand geplanter Selbstmord. Brel neu zu interpretieren funktioniert auch nur dann, wenn den Ohren etwas geboten wird, das vertraut und fremd zugleich erscheint. So könnte man am ehesten das Ergebnis des Abends „Brel. Jazz Bigband Graz feat. David Linx mit den weltberühmten Songs von Jacques Brel“ beschreiben. Vieles, was da zu hören war, wurde mit einer neuen, zum Teil gewagten Harmonik unterfüttert. Vieles hat neue, rhythmische Einlagen erhalten, die teils herausfordernd zu spielen sind. Zugleich aber wurde einer der Grundregeln des Jazz beibehalten: Mit einer Reihe von Soli durften sich die einzelnen Ensemble-Mitglieder vorstellen und dabei zeigen, welche Qualität jeder einzelne Musiker vorzuweisen hat. Dabei war es schön zu sehen, welche Freude Linx selbst bei den Auftritten seiner Kollegen hatte. Immer in Bewegung, vom Rhythmus erfasst, dabei jedoch stets den Solisten den Vortritt lassend, stand er während der einzelnen Einschübe an der Seite, um sekundengenau getimt, seinen Einsatz parat zu haben. Frank Vaganée leitete abwechselnd mit Querflöten- und Saxophoneinsatz die Band von der ersten Reihe aus.

Die scharfen Bläsereinsätze bei „Mathilde“ und die Verwandlung von einem wilden Galopp, wie ihn Brel verwendete, in eine schmissige Latin-Variante kann als Musterbeispiel jener gelungenen, kreativen Verwandlung gelten, der die Chansons unterzogen wurden.

David Linx stammt ebenso wie Brel aus Belgien. Schon als Kind übersiedelte er nach New York, seit 20 Jahren jedoch lebt er in Paris. Seine Brel-Interpretationen sind frei von Pathos, aber nicht von Leidenschaft. Sein klares Timbre und seine deutliche Aussprache machen ihn zu einem Idealinterpreten jener französischen Chansons, die um die Welt gingen. Brel, dieser sensible Mensch und Musiker, schaut ihm dabei offenkundig über die Schulter, ohne sich jedoch aber aufzudrängen. „Ich musste meine Lieder wie ein Idiot selbst singen, weil sie keiner haben wollte“, erklärte er einmal in einem Interview und fügte hinzu, dass es ihm nichts ausmachen würde, wenn jemand anderer diese sängen.

Mit Linx ist dieser andere gefunden. Schade, dass Brel selbst diese Session nicht erleben durfte. Er hätte sich wahrscheinlich riesig über die neuen Bigband-Arrangements und die jazzige Vokaliterpretation gefreut. Der gute Soundmix war auch verantwortlich dafür, dass Linx vom Klangschwall der Bigband nie übertönt wurde. So manche musikalische Zwiesprache geriet meisterlich, wie jene mit Uli Rennert am Klavier oder auch jene mit dem feinen Trompetensolo in „Isabelle“ von Horst-Michael Schaffer, der auch die An- und Abmoderation gestaltete. Sich Brel nicht anbiedern, ihn aber auch nicht verleugnen. Das ist wohl jene Mischung, die diesen Abend so interessant, reizvoll und letztlich äußerst gelungen machte.

Pranken wie ein Löwe und Feuer im Blut

Pranken wie ein Löwe und Feuer im Blut

Seine Videos auf Youtube wurden mittlerweile zig-millionfach angeklickt. Nach seiner ersten Amerika-Tour gastierte der Tastenbändiger Peter Bence in der Stadthalle in Graz. Gut ein Viertel seines Publikums stammte aus Ungarn, der Heimat des jungen Pianisten.

Sein Auftritt – im Dunkel und mit bassig-stampfendem Klavierrhythmus unterlegt – erzeugt eine unerwartete Spannung, die sich rasch in ein Aha-Erlebnis auflöst. „Black and white“ von Michael Jackson stellt er – vielleicht sogar programmatisch – an den Beginn seines Konzertes. Dass damit nicht nur Hautfarben gemeint sein können, liegt auf der Hand. „Die Tastatur beträgt nur 5% dieses Möbelstückes“, erklärt er kurz darauf launig und demonstriert, welche Klänge er durch Zupfen und Streichen der Saiten, durch Klopfen auf den Korpus und mit dem Deckel noch erzeugen kann. Seine Arrangements von Pop-Klassikern erinnern zeitweise an große Hollywoodmusik. Aber mit Amerika, dem Land, in dem er nach seiner Ausbildung als klassischer Pianist, Filmmusik studierte, verbindet ihn noch mehr. Einer seiner größten Inspirationsquellen ist John Williams, wie er nach seinem mitreißenden Beginn dem Publikum mit Handmikro erklärt. Danach lässt er ein Medley folgen, in dem nicht nur Star Wars aus der Feder des Filmmusikkomponisten die Halle klanglich füllt. Unglaublich fein seine Harry-Potter-Interpretation, bei der er das kleine Glockenspiel perlend zum Klingen bringt, während er zugleich das musikalische Hauptthema weiter verfolgt.

Peter Bence

Peter Bence

Bence ist einer, der sich nicht einfach hinsetzt und seine Fans im Programmheft – das es gar nicht gibt, nachblättern lässt. Er ist ein Entertainer, der seine Show selbst moderiert, dabei aber nie dick aufträgt. Immer wieder spürt man, dass ihm der Schalk im Nacken sitzt, auch wenn er mit seinem Publikum ins Zwiegespräch kommt.

Kompositorisch schafft er es, den Bogen von den Number-One-Songs so aufzubereiten, dass jede Menge klassisches Inventar darin vorkommt, sich dabei aber nicht aufdrängt. Er lässt Läufe vom Stapel, als ob es kein Morgen gäbe, spielt feine Triller genussvoll aus und hämmert seine Fortissimi, als ob er die Pranken eines Löwen besäße. Markenzeichen ist sein Armrudern, mit dem er kraftvolle Passagen beendet. Dabei prallen seine Hände vom Klavier ab, als würden sie von einem elektrischen Schlag getroffen worden sein.

Mit klassischer Attitüde hat das überhaupt nichts zu tun, vielmehr spürt man, wie elektrisiert Peter Bence von seinem Spiel und der Musik selbst ist. Einem atemberaubenden Klavierspiel, das nur durch eine klassische Ausbildung so zustande gekommen ist. Seine Eigenkompositionen umspannen eine große musikalische Bandbreite. Von Neo-Romantik „Midnight-Medley“ bis hin zu seiner „Fibonacci sequence“, die man mathematisch sicher lupenrein auseinandernehmen könnte. Dass sie auch musikalisch funktioniert, zeigte die Begeisterung des Publikums. „Meine CD wird demnächst erscheinen. Ach, das sage ich schon die ganze Zeit“. Mit dieser Aussage hatte Bence die Lacher auf seiner Seite. In einem Interview machte er aber deutlich, dass er sich für dieses Projekt die Latte sehr hoch gelegt hat und damit ringt, nur das Beste vom Besten einzuspielen.

Eine Lightshow, die jeden normalen Konzertpianisten aus dem Konzept bringen würde und die Einspielung von Loops, Percussionklängen und mehreren Stimmen, zuvor von ihm nur am Klavier aufgenommen, machen seinen Sound zum Erlebnis. Dennoch wäre es falsch, Bence als einen Pop-Künstler zu bezeichnen. Gerade die außergewöhnliche Mischung aus Pop und Klassik, die er für sich entdeckt und kultiviert hat, macht ihn so einzigartig. Dass er damit viele Menschen in Konzertsäle lockt, die sonst einen weiten Bogen darum machen würden, ist ein großes Verdienst. Die Leidenschaft, das Feuer, das in ihm beim Spielen brennt, ist unglaublich ansteckend und dürfte auch viele motivieren, die selbst Klavier spielen oder es  erlernen, ihr eigenes Instrument neu zu erkunden. Nach eineinhalb Stunden Vollpower am Klavier dankte das Publikum zu Recht mit Standing Ovations.

Dass Peter Bence ein Publikum erreicht, das Generationen übergreift, illustriert eine kleine Abschlussanekdote. „Gibt es von ihm auch Noten, das möchte ich auch gern spielen?!“, fragt ein Volksschulmädchen nach dem Konzert ihre Begleitperson, eine ältere Dame, sichtlich ihre Großmutter. „Ich glaube schon“, antwortet diese mit dem Zusatz: „Da musst aber sicher noch ein bisschen üben!“. Worauf die Antwort wie aus der Pistole geschossen kam: „Du aber auch, Oma!“

Ein schmaler Grat

Ein schmaler Grat

Ein schmaler Grat

Ein schmaler Grat

„Requim pour L.“ (Foto: Chris van der Burght)
Zentral über der Bühne platziert, ist in einem Video eine Frau zu sehen. Die Einstellung ist in der Totale frontal auf sie gerichtet, die, auf geblümte Kissen gebettet, ihre letzten Lebensmomente erlebt.

Ihr Alter ist nicht leicht zu schätzen, aber es ist klar, dass sie noch lange keine alte Frau ist, deren Ableben keine Überraschung bedeuten würde. Die Augen hat sie während rund eineinhalb Stunden nur für wenige Momente geöffnet.

Ab und zu spricht sie ein Wort. Da das Video aber ohne Ton gezeigt wird, bleiben diese unverständlich. Ihre Zunge befeuchtet immer wieder ihre Lippen. Obwohl sich Angehörige und medizinisches Personal um sie kümmern, scheint es niemandem aufzufallen, dass sie durstig ist.

Das Video ist für das Publikum im Saal eine emotionale Herausforderung. Eine Herausforderung, der sich Alain Platel bewusst ist. Jener Choreograf, der immer wieder menschliche Grenzerfahrungen zum Thema seiner Arbeiten macht.

Mit „Requiem pour L.“ präsentierte das Festspielhaus St. Pölten seine neue Gemeinschaftsarbeit mit dem Komponisten Fabrizio Cassol. Schon wie in der Produktion „Coup fatal“ greifen die beiden dabei auf die Zusammenarbeit mit afrikanischen Tanzenden und Musizierenden zurück. Dieses Mal mit der Absicht, den unterschiedlichen Umgang mit dem Tod in verschiedenen Gesellschaften aufzuzeigen.

Als Basis diente dazu Mozarts unvollendetes Requiem, das Cassol noch weiter fragmentierte und mit afrikanischen, jazzigen und popartigen Ergänzungen erweiterte. Zwei afrikanische Sänger und eine Sängerin übernehmen zum Teil die choristischen Teile des Requiems, drei weitere ergänzen den Vokalpart mit musikalischen Interpretationen ihrer Heimatländer und auch deren afrikanischen Sprachen. Weitere drei Musiker – ein Akkordeonist, ein Euphonium-Bläser und ein Schlagzeuger – übernehmen die „orchestrale“ Begleitung.

Die Sterbende, eine Bekannte von Platel und Cassol, hatte, wie ihre Familie auch, ihr Einverständnis gegeben, ihren Tod zu filmen und diesen dann in einer Performance dem Publikum zu zeigen. Soweit ist die rechtliche Situation geklärt. Inwieweit moralisch und ethisch diese Aktion gutzuheißen ist, ist eine von mehreren Fragen, die sich unweigerlich aufdrängen.Das Bühnensetting besteht aus schwarzen, unterschiedlich hohen Quadern, die zum Teil, wie auf jüdischen Begräbnisstätten üblich, mit vereinzelten Steinen belegt sind. Unschwer ist darin das Berliner Holocaust-Mahnmal zu erkennen. „Ich wollte dem persönlichen Sterben das kollektive gegenüberstellen“, erklärte Platel beim Publikumsgespräch dazu. Und obwohl sich das musikalische Geschehen mit Tanzeinlagen auf und zwischen diesen Quaderblöcken abspielt, wird es doch permanent optisch von der großen Videoprojektion des Sterbemomentes nahezu verdrängt.

Weiße Tücher, welche für die letzte Reise der Frau geschwungen werden, sparsame Bewegungen, die an das Flügelschlagen von Vögeln erinnern, anklagende und verzweifelte Gebärden, die klar machen, wie sehr die Lebenden mit dem Tod hadern, bleiben aus dem Bewegungskanon des Ensembles dennoch in Erinnerung. Das musikalische Geschehen wird interessanterweise nicht in jenen Passagen intensiv, in welchen Mozart erkennbar wird. Vielmehr sind es jene Momente, in welchen das Akkordeon mit schweren Atemgeräuschen aufhorchen lässt oder die Obertonimprovisationen des Bläsers den Geist der Sterbenden in eine andere Welt zu begleiten scheinen. Dass afrikanische Rhythmen ihre Wirkung nicht verfehlen, muss nicht extra betont werden. Sosehr die musikalische Leistung der Sängerin und der beiden Sänger zu bewundern ist – einer von ihnen hat sich seine Fertigkeit aus Youtube-Videos angeeignet – sind es dennoch nicht ihre Einsätze, die wirklich berühren.

Vielmehr kreisen die Gedanken permanent um die Frage, ob denn in dem einen oder anderen Moment der Tod bei der Frau schon eingetreten ist. Um nach wenigen Augenblicken quälender Ungewissheit damit konfrontiert zu werden, dass das Leiden noch kein Ende gefunden hat. Es sind gerade diese Augenblicke, die diese Produktion trotz ihrer Intensität auch fragwürdig machen und sie auf einem schmalen Grat zwischen Rechtfertigung und Verdammung ansiedeln. Gleichzeitig stellen sich eine Reihe von Fragen wie jener nach der Sinnhaftigkeit und dem Mehrwert der Performance an sich.

Inwieweit muss der persönlichste Moment eines Menschen letztlich zur voyeuristischen Befriedigung eines anonymen Publikums aufgezeichnet werden? Der Begründung Platels, dass der Tod in unserer Gesellschaft nicht mehr existent sei, ist nur bedingt zuzustimmen. Denn der Tod war und ist durch die Medien heute präsenter als je zuvor. Die physische Nähe zu ihm ist und war immer schon nur einem kleinen Kreis von Menschen vorbehalten. Jenen, die bei einem Unglücksfall zufällig dabei sind oder den Angehörigen, die sich während der letzten Stunden neben den Sterbenden aufhalten. Ganz abgesehen von Pflegerinnen, Pflegern, Ärztinnen und Ärzten, die sich in Krankenhäusern und Palliativstationen heute um die Sterbenden kümmern. Ganz anders jedoch sieht es mit der gelebten Trauer aus, die zumindest in der weltlichen Gesellschaft heute verschwunden zu sein scheint.

Gerade aber diese gesellschaftlich so unterschiedlichen Praktiken wären es durchaus wert, aufgezeigt zu werden. Der unterschiedliche Umgang mit der kollektiven Trauerbewältigung hält eine ganze Reihe von Erkenntnissen bereit, über die es sich lohnt, nachzudenken. Wie verabschiedet man sich von den Verstorbenen nach deren Tod, welche kollektiven Rituale gehören dazu, welche Erinnerungsmomente bleiben in welcher Art und Weise erhalten? Welche Hilfe bietet ein gesellschaftliches Kollektiv, welche Strategien der Schmerzüberwindung?

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„Requim pour L.“ (Fotos: Chris van der Burght)
Das Verdrängen des Todes, das Platel als Ausgangspunkt seiner Produktion ansieht, gehört zum Menschsein ebenso wie die Erschütterung angesichts des tatsächlichen Erlebens und Miterlebens. Es sind ganz persönliche Entscheidungen, sich dieser Tatsache zu stellen oder auch nicht. Zumindest kann man Platel zugutehalten, dass das Publikum, das sich „Requiem pour L.“ ansieht, durch die Vorinformationen weiß, worauf es sich einlässt: Auf das beim Sterben-Zusehen einer ihm Unbekannten, vor der Kulisse einer musizierenden und tanzenden Gemeinschaft, die aus diesem Moment ein besonderes, artifizielles Ereignis macht, das nicht alltäglich ist.

Standing Ovations im Festspielhaus St. Pölten zeigten, dass Platel und Cassol mit ihrem schonungslosen Aufzeigen eines Sterbevorganges offenbar ein ganz bestimmtes Publikumsbedürfnis befriedigen konnten. Vielleicht ist das Rechtfertigung genug.

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Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

„Fatoumata Diawara“
Im Festspielhaus in St. Pölten brodelte es gewaltig. Fatoumata Diawara – preisgekrönte Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin, geboren in Mali und seit vielen Jahren in Paris zuhause – rockte das Publikum im Saal und holte es im wahrsten Sinne des Wortes von seinen Sesseln aufs Parkett.
„Do you wanna dance?“ – Diesem Aufruf folgten knapp 1000 begeisterte Zuseherinnen und Zuseher nach über einer Stunde Konzert mit Stillsitzen. „Do not think so much, just hear to your heart“, rief sie mehrfach in den Saal und schon verwandelte sich der Zuschauerraum in einen dancefloor.
Wenige Tage zuvor war Diawara bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles aufgetreten. Zwar verfehlte die nominierte Sängerin einen Preis, schrieb aber in ihrem Facebook-Post, dass es zwar dieses Mal nicht geklappt hätte, dass sie sich aber – inshalhah – nächstes Mal einen Grammy abholen würde.

An Selbstbewusstsein mangelt es der 37-jährigen, afrikanischen Musikikone nicht. Und davon braucht sie auch mehr als genug in ihrem Business. Ausgestattet mit einer Stimme, die vom rauchigen Alt bis zu einem hellen, klaren Sopran alles bereithält, begleitet sie sich bei ihren Auftritten selbst auf der E-Gitarre. Einem Instrument, das nach wie vor auf den Bühnen der Welt hauptsächlich von Männern gespielt wird.

Mit ihren vier Musikern, Yacouba Kone an der Gitarre, Sekou Bah am Bass, Jean Baptiste Gbadoe an den drums und Arecio Smith am Keyboard lieferte sie eine Bühnenshow, in der sich musikalisch ihre afrikanischen Wurzeln mit westlicher Rock-, Pop- und Folktradition vermischen. Einige Texterklärungen, die Fatou – wie sie ihre Freunde nennen –  dem Publikum auf Englisch anbot, wurden dankbar aufgenommen, verwendet die Sängerin in ihren Liedern doch ihre Muttersprache Bambara. Das Recht auf Bildung, zur Schule zu gehen, das Recht auf ein glückliches Leben werden darin genauso angesprochen wie kulturelle, afrikanische Traditionen. „Essen, Musik, Feste feiern gehören dazu. Musikinstrumente, die viele Jahrhunderte alt sind auch. Darauf können wir stolz sein!“, stärkt Diawara auch das Selbstbewusstsein ihrer eigenen Landsleute und versucht gleichzeitig, Afrika bei ihren Konzertauftritten in einem anderen Licht zu präsentieren als nur in jenem von Horror-Schlagzeilen.
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„Fatoumata Diawara“ bei ihrem Auftritt im Festspielhaus St. Pölten (Fotos: ECN)
Neben rhythmisch mitreißenden Rockballaden waren es vor allem ihre Solo-Auftritte, in welchen sie mit ihrer Stimme und eigener Gitarren-Begleitung das Publikum verzauberte. Dabei gelang ihr die Mischung zwischen traditionellen, afrikanischen, musikalischen Formvorgaben und einer eigenen, lyrisch-rockigen Interpretation besonders gut. Zu sehen, wie sehr sie dabei in ihren Gitarrensoli versinkt und sich Zufriedenheit und tief empfundene Freude in ihrem Gesicht widerspiegelt, war einfach zauberhaft.

Ihr Bühnenoutfit – eine modern gestylte Variante traditioneller, afrikanischer Roben – gehört ebenso zu ihrem Markenzeichen wie ihre muschelverzierten Dreadlocks. Auch darin äußert sich die Grenzüberschreitung dieser Künstlerin, die mit ihrem neuen Album „Fenfo“, aus dem Tacks zu hören waren, weltweit ihr Publikum begeistert.

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Enthusiasmus und Exzellenz – der Schlüssel zum Erfolg

Enthusiasmus und Exzellenz – der Schlüssel zum Erfolg

Enthusiasmus und Exzellenz – der Schlüssel zum Erfolg

 
Die Wiener Akademische Philharmonie im Goldenen Saal des Musikvereins
29.

November 2018

Aus der Anzahl von großen Klangkörpern in Wien sticht einer, was seine Zusammensetzung betrifft, besonders heraus: Die Wiener Akademische Philharmonie, die im November mit einem fulminanten Konzert im Goldenen Saal des Musikvereins ihr 30-jähriges Bestehen feierte.

Auf dem Programm standen ein aktuelles Auftragswerk an den im Jahr 2000 geborenen Linus Köhring, das 2. Klavierkonzert von Rachmaninoff und die Symphonie fantastique von Hector Berlioz.
Ein Programm, das die Musikerinnen und Musiker nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ herausforderte.

Das Besondere an diesem Orchester ist nicht mit einem Satz erklärt, vor allem nicht, da die Wiener Akademische Philharmonie nicht an das Konzept der gegenwärtigen, allumfassenden Kapitalisierung jeglichen menschlichen Bereiches angepasst ist. Denn: Die Musizierenden – der Großteil davon besteht nicht aus Profis – treten völlig ohne Gagen auf. Und: Berufsmusikerinnen und Musiker aus anderen Orchestern werden ergänzend eingesetzt – man möchte es kaum glauben – ebenfalls ohne Gage. Diese nehmen klugerweise vor allem strategisch wichtige Positionen ein – wie im Bläserapparat, in dem sie einen Anteil von rund 60 Prozent ausmachen. Aber auch der Konzertmeister, Martin Reining ist Vollprofi und maßgeblich für die Qualität der Streicher verantwortlich.

Eine, die das Orchester bereits von Beginn an begleitet, seit 10 Jahren im Vorstand ist und Gründungsmitglied war, ist Daniela Ungar. Die Allgemeinärztin, die als Psychotherapeutin tätig ist, stammt selbst aus einer musikalischen Familie. Der Vater war Dirigent, die Mutter Pianistin. So wie in ihrem Fall haben auch viele der Kolleginnen und Kollegen im Orchester familiäre Bande zu Musizierenden. Das bedeutet gleichzeitig, dass diese Damen und Herren Amateure im positiven Wortsinn sind. Sie üben ihre Tätigkeit ausschließlich aus Liebe zur Musik aus und erleben dadurch in diesem Orchester, was bei vielen anderen leider nicht mehr üblich ist: Eine Freude am Musizieren ohne Konkurrenzdruck, ohne Angst zu versagen und nicht weiter engagiert zu werden. Ihr aller Enthusiasmus ist eine der tragenden Säulen, denn ohne diesen kämen weder die wöchentlichen Proben zustande, noch die Auftritte in großen Häusern wie dem Musikverein oder dem Konzerthaus. Mindestens 2, manches Mal aber auch mehr, sind es pro Jahr, was bedeutet, dass man derzeit auf rund 100 Auftritte zurückblicken kann.

Die zweite, tragende Säule, die auch die Programme des Orchesters so attraktiv macht, dass sie beinahe jedes Mal ausverkauft sind, ist die Auswahl der Dirigierenden sowie der Solistinnen und Solisten. „Die Dirigenten, die mit uns auch proben, sind die einzigen, die eine Aufwandsentschädigung bekommen“, erklärt Daniela Ungar in einem Gespräch. „Aber auch sie sind nicht adäquat bezahlt“. Dabei kommt es hauptsächlich darauf an, dass sie ein Gefühl für diese „inspirierende Arbeit mitbringen und nicht nur toll dastehen und über 2 oder 4 Monate vorne wacheln.“ Ungar bringt die Anforderungen, die das Orchester hat, launig auf den Punkt. Und was die Auswahl der Solistinnen und Solisten betrifft, verfolgen die Damen und Herren der Wiener Akademischen Philharmonie eine eigene Strategie. „Wir bekommen oft Empfehlungen von Kolleginnen und Kollegen, die uns auf Musikerinnen und Musiker hinweisen, die ein herausragendes Talent haben und im Konzertbetrieb nicht adäquat zur Kenntnis genommen werden. Diesen Leuten bieten wir die Möglichkeit, mit einem großen Orchester und in einem der renommiertesten und weltweit bekanntesten Säle aufzutreten. Und was uns besonders freut, ist, dass einige davon internationale Karrieren eingeschlagen haben! Das war auch bei einigen Dirigenten der Fall.“ Und dann zählt Ungar so klingende Namen wie Clemens Hagen, Kirill Kobantschenko oder Kirill Petrenko auf.

Aber es gibt noch weitere Auswahlkriterien für die Dirigenten, denn das Orchester legt besonderen Wert darauf, dass diese „geduldig und zugleich streng sein müssen. Disziplin ist ja da bei uns, aber es besteht natürlich viel mehr die Gefahr des Auseinanderfallens und wenn eine musikalische Linie ausgespielt wird, dann geschieht das meist bis zur Ekstase“, erklärt Ungar mit einem Augenzwinkern. „Er muss uns also halten und unterrichten, weil wir lernbegierig sind, und doch auch fliegen lassen. Das ist eine Gratwanderung, die wirklich schwer ist. Vinzenz Praxmarer hat das in diesem aber auch dem letzten Programm bravurös gemeistert. Wir arbeiteten alle sehr gerne mit ihm.“

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Die Wiener Akademische Philharmonie

Mit diesen Worten ist die allumfassende Herausforderung des Dirigates kurz umrissen, dennoch arbeiten auch arrivierte Dirigenten wie Alfred Eschwée oder Guillermo Garcia Calvo immer wieder gerne mit den enthusiastischen Musikerinnen und Musikern. Wahrscheinlich ist es gerade diese Einstellung, die Begeisterung am Musizieren und die Möglichkeit, sich dabei weiter zu entwicklen, die auch die großen Namen am Dirigentenpult faszinieren.

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Wer schon einmal hinter die Kulissen eines Orchesterbetriebes geblickt hat, weiß, dass es noch einige andere Tätigkeiten gibt, die zugekauft werden müssen, wie zum Beispiel das Layout der Programme und Plakate oder jenes der Website. Auch hier hat die Wiener Akademische Philharmonie großes Glück. Denn Jürgen Palmer von „palmer project“ begleitet mit seinen Designs das Orchester ebenfalls schon seit vielen Jahren kostenlos. Zeugnis davon legt eine fotografische Zusammenfassung der unterschiedlichen Sujets ab, die auch einen aussagekräftigen Einblick in die Arbeit von Palmer selbst geben. Aber auch Spezialisten, wie Klavierstimmer steuern dazu bei, dass die Abende gelingen.

Am 25. November brachte sich Ingmar Flashaar auf diesem Gebiet ein und verlieh dem Fazioli-Flügel, den er besondres gut kennt, noch eine abschließende, exzellente Stimmung. Zur Verfügung gestellt wurde das schöne Instrument von der Firma Stingl, die diesen extra in den Musikverein liefern ließ.

Mit Ketevan Sepashvili hatte man eine Pianistin engagiert, die bereits im Vorjahr in der Reihe „Tasten Lauf“ im Gläsernen Saal des Musikvereins mit ihrem Recital Standing Ovations erhielt. Es war unglaublich faszinierend, mit welcher Ausgewogenheit die aus Georgien stammende Österreicherin Rachmaninoffs Klavierpart spielte. An keiner Stelle überinterpretiert oder romantisierend und dennoch voll Leidenschaft, meisterte sie den schweren und auch langen Part herausragend. Es war für sie sicherlich eine Herausforderung, dem großen Klangkörper dementsprechend Stand halten zu können, aber unter dem sehr feinfühligen Dirigat von Vinzenz Praxmarer, gelang ihr dies mühelos. Mehr noch, mit ihrer konzentrierten Spielweise, bei der sie jedoch immer wieder mit dem Orchester Blickkontakt aufnahm, ihrem präzisen und intensiven Anschlag und dem sicht- und fühlbaren tiefen Eintauchen in die Musik, faszinierte sie das Publikum innerhalb weniger Augenblicke.

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Ketevan Sepashvili

In ihrem Spiel wird überdeutlich, wie sehr sich ihre Ausbildung, orientiert an der russischen Schule, mit der westeuropäischen, bei der vor allem Wert auf ein gefühlsmäßiges Erfassen der Werke gelegt wird, zu einer herausragenden Exzellenz vereinen. Wie sie gleich zu Beginn das Thema mit den stampfenden Bässen und gewaltigen Akkordsequenzen kraftvoll anging, oder die Dynamik im 2. Satz derart ausdifferenziert zu spielen imstande war, dass das Orchester an dieser Stelle auch ohne Dirigat auskommen hätte können, war atemberaubend. Ihr tiefes Verständnis für die Partitur , zeigte sich nicht nur in der Meisterung der technisch schwierigen Passagen mit ihrer lupenreinen Technik, sondern auch ihrem musikalischen Verständnis, das große Linien genauso berücksichtigte, wie kleinste, unterschiedliche Artikulationsmöglichkeiten.

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Die Wiener Akademische Philharmonie bei der Probe
Wie diametral entgegengesetzt zeigte sich die Pianistin in ihrer anschließenden Zugabe – Domenico Scarlattis h-Moll-Sonate. Selten konnte man dieses Werk derart ruhig fließend erleben, das an einem Instrument wie dem Fazioli-Flügel eine eigene Spielweise erfordert. Darf man doch nicht vergessen, dass Scarlattis Werke für Cembalo geschrieben waren und deswegen auf Instrumenten mit einer Hammermechanik gänzlich anders gespielt werden müssen. Vor allem gelang ihr abermals ein faszinierender, dynamischer Ansatz, der sowohl die Bassnoten als auch jene im Diskant mit gleicher Präzision erklingen ließ, sodass keinerlei romantisierende Interpretation aufkam. Aber auch das Gegenteil, eine trockene Auslegung war weit, weit entfernt.

Am Konzertabend erfuhr auch Linus Köhring eine ganz besondere Beachtung. Der junge Musikstudent, der im Orchester Bratsche spielt, erlebte, selbst mitmusizierend, die Uraufführung seines Stückes „Freiheit“. Die Komposition in freier Rondoform, wenngleich auch mit divergierenden Themen ausgestattet, verwies klanglich an Gustav Holst „Planeten“ und große, dramatische Filmmusik aus Hollywood. Es war diese besondere Mischung, ganz dem traditionellen Moll-Dur-Kanon verpflichtet, die vom Publikum begeistert aufgenommen wurde. Köhring nutzte dabei den kompletten Orchesterapparat mit großem Schlagwerk und dem mehrfachen Einsatz von Fanfaren. Für das Orchester selbst war die Erarbeitung des Stückes eine besondere Erfahrung, leitete der Komponist doch auch selbst eine Probe.

Die Wiener Akademische Philharmonie, ursprünglich als Studierendenorchester gegründet,  bietet ihren Mitgliedern eine ganz besondere Möglichkeit: Sie können ihre Passion, das Musizieren in einer Gruppe, in einem Umfeld ausleben, das durch die Einbindung von Profis eine permanente, eigene Weiterentwicklung bietet. Darüber hinaus entsteht auch eine Verbundenheit mit jenen Solistinnen und Solisten, die durch das Orchester die Möglichkeit zum Sprung an die musikalische Spitze erhalten. Genau diese Kombination des Enthusiasmus von musizierenden Amateuren und der Exzellenz von Vollprofis, die diese ergänzen und unterstützen, ist einzigartig und letztlich auch der Schlüssel zum Erfolg.

Weitere Informationen auf der Website der Wiener Akademischen Philharmonie.

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Ohne Papiere bist du vogelfrei

Ohne Papiere bist du vogelfrei

Ohne Papiere bist du vogelfrei

 

„Totenschiff“ (Foto: Armin Bardel)

28.

November 2018

Ein Mensch ist ein Mensch, ist ein Mensch. Aber nur, wenn er Ausweispapiere hat. Im „Totenschiff“, einer „Song-Oper“ von Oskar Aichinger wurde dieses Thema sehr plakativ vor Augen geführt. Unter der Regie von Kristine Tornquist wurde im Rahmen von Wien Modern die Geschichte des Seemanns Gale nach der Roman-Vorlage von B. Traven erzählt.

Einem in Mexiko gelebt habenden Literaten, dessen eigentlicher Name Otto Feige gewesen sein dürfte. Der ehemalige deutsche Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär taucht nachweislich um 1942 in Mexiko auf, allerdings ist vieles in seiner Biographie unvollständig und rätselhaft.

Der Romanautor, von dem es auch eine Reihe von Erzählungen gibt, vertrat eine kapitalismuskritische Haltung und schrieb in ironisch-sarkastischem Duktus. Der Stoff, aus dem „Das Totenschiff“ besteht, ist zum Teil autobiografisch. Bei einem Landurlaub in Antwerpen verliert der Matrose Gale seine Papiere und damit auch, wie im Laufe der Inszenierung klar wird, jegliches Recht.

Im stimmungsvollen „Reaktor“ in der Geblergasse, einem langgestreckten historisierenden Raum aus dem 19. Jahrhundert, war ein sparsames, aber stimmiges Bühnenbild mit abstrahierten Videoeinspielungen (Ausstattung Max Kaufmann, Mirjam Mercedes Salzer) ausreichend, um Gale nicht nur durch verschiedene Länder marschieren zu lassen. Er heuerte auch bei einem höchst maroden Schiff an, um dort – ungewollterweise – als Kohlenschaufler zu landen.

B. Traven zeigt in seinem Buch auf, dass papierlos sein gleichzusetzen ist mit keinerlei Rechte mehr haben und Menschen, denen dies passiert, sich rasch in der untersten, sozialen Hierarchiekette wiederfinden. Obwohl der Roman 1926 veröffentlicht wurde, hat er traurigerweise jede Menge Aktualitätsbezüge.

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„Totenschiff“ (Foto: Armin Bardel)

Die Kostüme (Nora Scheidl) und die Regie gaben der Inszenierung die Note eines moralisierenden Bilderbuches für Erwachsene, bei dem hin und wieder Brecht und Weill als Paten von Ferne grüßen ließen. Mit überzeichneten Figuren, begonnen von Gale selbst über Polizisten, Kapitäne, Schmuggler oder einen Konsul (Bernhard Landauer, Richard Klein, Clemens Kölbl, Horst Lamnek) war klar, dass das Gezeigte nicht als Geschehen aufgefasst werden sollte, das nur mit der Figur des unglücklichen Seemanns verknüpft ist. Vielmehr zeigten B. Traven und Tornquist in ihrer adäquaten Bühnenübersetzung Prototypen, die massenweise ähnliche Schicksale erfahren wie der Hauptprotagonist. Die Ironie, die Traven immer wieder verwendet, fand in der Bühnendarstellung der Polizisten und des Konsuls ihre Entsprechung. Mit Tanzschritten ausgestattet, zum Teil in Countertenorlage, boten diese Charaktere eine passende, augenscheinliche Persiflage ihrer Rollen.

Voll von Optimismus beginnt Gernot Heinrich in seiner Rolle als Gale, sein Schicksal trotz fehlender Papiere in die Hand zu nehmen. Sein feiner, sehr lyrisch ausgestatteter Tenor traf dabei in mehrfachen Duetten auf den geschmeidigen und zugleich kräftigen Sopran von Romana Amerling. Als „Großer Kapitän“ oder auch Schicksal, stand sie ihm auf all seinen Odyssee-Stationen immer wieder zur Seite, griff jedoch nie helfend ein.

Jury Everhartz leitete das ensemble sirene mit sichtbarem Enthusiasmus aber auch viel Gefühl für Feinheiten. Musikalisch ist die Song-Oper vielfältig angelegt. Oskar Aichinger illustriert Erinnerungen an New Orleans mit dementsprechend jazzigen Klängen, verwendet eine ganze Reihe von Tanz-Rhythmen, erinnerte während der Frankreich-Reise des Hauptprotagonisten an Edith Piafs „padam“, unterstrich das Auslaufen des maroden Schiffes mit einem wilden Marsch, der sich zu einer behäbigen Polka verwandelte und verlieh dem Schicksal in luftiger Höhe immer wieder ein stimmgewaltiges, melodiöses Zwischenspiel. Johann Leutgebs kräftiger, klarer Bariton passte wunderbar zu seiner Rolle. Als Stanislawski fand er in Gale, kohlenschaufelnd unter Deck, einen Freund bis zur letzten Stunde.

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„Totenschiff“ (Fotos: Armin Bardel)

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Die süße, verführerische Melodie, die Aichinger dem Schicksal am Ende seiner Oper singen lässt, lässt, sicher nicht zufällig, an jene Sirenen-Klänge denken, welche Odysseus Mannschaft in den Tod trieben. Das Eintauchen in die kalte See, in der Gale und sein Freund Stanislawski letztlich ertrinken, geschieht in dunkles Blau getaucht, beinahe erlösend. Welch schöner, vielleicht sogar ungewollter Verweis auf das sirene-Ensemble, welches diese Oper aus der Taufe hob.

Eine intensive Produktion, die sich musikalisch weder dem Gestern noch dem Heute anbiedert und gerade deswegen außerhalb der gängigen, zeitgenössischen Opernproduktionen steht.

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