Eine doppelt tragische Liebesgeschichte

Eine doppelt tragische Liebesgeschichte

Zeitgenössische Opern sind, was den Publikumsstrom betrifft, für ein Haus immer ein Wagnis. Umso höher ist es zu bewerten, dass der seit dieser Saison neue Intendant der Grazer Oper – Ulrich Lenz – eine österreichische Erstaufführung des Komponisten Peter Eötvös ansetzte: „Schlaflos“ nach einer Romantrilogie des Nobelpreisträgers Jon Fosse. Uraufgeführt 2021 in Berlin, wurde für Graz eine deutsche Textfassung in der Übersetzung von Errico Fresis in Auftrag gegeben, was sich als goldrichtig erwies.

"Schlaflos" von Peter Eötvös an der Grazer Oper (Foto: Andreas J. Etter

„Schlaflos“ von Peter Eötvös an der Grazer Oper (Foto: Andreas J. Etter

Erzählt wird die Geschichte eines jungen Liebespaares, das in einem kleinen Nest in Norwegen wohnt. Das Mädchen ist von der Mutter ungeliebt, der junge Mann verwaist und nur im Besitz einer Geige. Verstoßen und nirgends angekommen, abgewiesen und gedemütigt, entwickelt sich eine Dynamik aus Gewalt und Totschlag, die den beiden auf ihrer Reise in ein vermeintlich besseres Leben begegnet. Dazu kommt eine zusätzliche psychologische Komponente, die Fosse in Form eines Nebenbuhlers ausgearbeitet hat. Dieser erweist sich letztlich jedoch auch nur als halbherziger Sieger in einem verdeckten Spiel um die Zuneigung der jungen Frau.

Die Brutalität der Handlung wird vom Regisseur Philipp M. Krenn noch verdoppelt. Er versetzt das Paar in die Zeit zwischen den 70er- und 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts und lässt sie zu Beginn an einer kalten, gekachelten Mauer im Umfeld einer Markthalle, wie man sie auch von Bahnhöfen her kennt, kauern. Heike Vollmer (Bühne) und Regine Standfuss (Kostüme) schufen dafür ein authentisches, großartig wandelbares Umfeld, das die Kälte der Charaktere glaubwürdig spiegelt. Schnell wird klar, dass Drogen im Spiel sein müssen, die Existenz der beiden an einem seidenen Faden hängt. Das Schlussbild – es ist dasselbe wie jenes im ersten Aufzug, vermittelt den Eindruck, dass all das, was geschehen ist, vielleicht nur ein Traum gewesen sein könnte. Und tatsächlich lässt Krenn auch innerhalb der Geschichte zwei Deutungsvarianten zu. Zum einen erzählt er bildlich, dass die junge, drogenabhängige Frau eine Totgeburt erleidet und sich anschließend einen goldenen Schuss setzt. Zum anderen folgt er dem Libretto und lässt sie mit ihrem Sohn weiterleben. Wie diese Doppelerzählung aufgebaut ist, ist genauso tricky wie die Erzählstruktur des Autors selbst, der mit überraschenden Wendungen in der Handlung aufwartet. Krenn erreicht dadurch zusätzlich, dass man, wenn man die Trilogie nicht gelesen hat, neugierig darauf wird.

So trostlos wie die Erzählung auch erscheinen mag, so hoffnungsvoll ist sie zugleich auch. Der Komponist Peter Eötvös hat daran einen großen Anteil. Seine Musik hebt in den Traumszenen die Stimmung in schwebende Sphären, welche die Last des Alltags vollkommen vergessen lassen. Grandios werden diese vom doppelten Vokalterzett links und rechts der Bühne in den angrenzenden Logen, gesungen. Dieselbe wohltuende, musikalische Färbung markiert den Schluss, in welchem die Liebe, die über den Tod hinaus spürbar bleibt, zu strahlen beginnt. Vergessen ist in diesen Szenen das Poltern der wilden Biergesellen in einer mobilen, kleinen Trinkhalle. Vergessen auch die kunstvollen Schrei-Koloraturen jener jungen Frau, die verblendet und eifersüchtig das schwangere Mädchen verstößt und schließlich gegen ihren Freund hetzt, sodass er von der Gesellschaft in Lynchjustiz ermordet wird.

Tetiana Miyus und Mario Lerchenberger machen mit ihren herausragenden Stimmen als Alida und Asle den Abend zu einem ganz besonderen Ereignis. Zu Recht wurden die beiden, wie auch Daeho Kim in der Rolle des Nebenbuhlers und Tetiana Zhuravel als junges, eifersüchtiges Mädchen mit Bravo-Rufen und heftigem Applaus bedacht.

Vassilis Christopoulos am Dirigentenpult erwies sich als genau hinsehender und analysierender musikalischer Leiter, dem das Orchester mit ebensolcher Präzision folgte. Eötvös lässt in einzelnen Passagen seine ungarische, musikalische Prägung durchblitzen, wenn Geigen wehmütig oder ausgelassen darüber berichten, wie schön das Leben mit Musik doch sein kann. Beeindruckend sind auch jene Passagen, in welchen sich das Unheil über den jungen Mann zusammenbraut, was durch den Einsatz von wildem Blech verdeutlicht wird. Immer wieder hat auch die Marimba beinahe solistische Einsätze und trägt, wie auch die Klarinetten zu ganz speziellen, charakterisierenden Motiven bei.

Mit „Schlaflos“ war in der Grazer Oper nach „Morgen und Abend“,  komponiert von Georg Friedrich Haas, bereits eine zweite literarische Vorlage von Jon Fosse zu sehen. Auch das darf als höchst kluge Entscheidung gewertet werden. Ermöglicht sie doch dem Publikum, sowohl aktuelle kompositorische als auch literarische Tendenzen auf höchstem Niveau zu verfolgen.

Vier Frauen und ein Mann

Vier Frauen und ein Mann

Gezeigt wurde die Uraufführung von „canvas“ der slowenischen Komponistin Nina Šenk sowie der Librettistin Simona Semenič. Šenk wurde nach der Aufführung die Preisverleihung des Johann-Joseph-Fux Opernkompositionswettbewerbs zuteil, den sie mit dieser Oper gewonnen hatte.

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„canvas“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Erzählt wird darin die Geschichte von vier Frauen, die – ohne es zu wissen – denselben Mann lieben. Dieser flattert, wie es ihm gefällt, von einer zur anderen und versucht die Frauen in emotionale Abhängigkeiten zu manövrieren und zu halten. Ingo Kerkhof – KUG-Professor für Musikdramatische Darstellung (szenische Interpretation) führte Regie, Katharina Zotter sorgte für die Ausstattung und Gerrit Prießnitz war für die musikalische Leitung verantwortlich.

Das Orchester war an die linke Saalwand gerückt, der Dirigent stand mit dem Rücken zur Wand und hatte so sowohl das Instrumentalensemble als auch die Sängerinnen im Blick. Eine quadratische, weiß bespannte, wenige Zentimeter hohe Drehplattform markierte jenen Bereich, auf dem gespielt und gesungen wurde. Zusätzlich agierten die Sängerinnen abwechselnd an einem Schreibtisch, der am rechten Bühnenrand dem Publikum zugewandt war.

Die Studentinnen schlüpften in unterschiedliche Rollen und mimten dabei unter anderen auch eine Partie von Fabrikarbeiterinnen. Ein junges Mädchen erlebte gleich zu Beginn ihren tragischen Tod auf einer Krankenhausbahre. Ihr Alter-ego besang diesen Vorgang so, als würde die Sterbende sich selbst dabei zusehen. Die genauen Umstände, die zu diesem Tod führten, blieben nicht aufgeklärt – Spekulationen dürfen dazu klarerweise individuell ausfallen.

Das bestechende Libretto, bestehend aus kurzen, knappen Sätzen, mit Wiederholungen und zum Teil rüden Ausdrücken, bot der Komponistin eine große Menge an emotionalem Futter, das es galt, klanglich umzusetzen. Dabei gelang es Šenk die Stimmen im Vordergrund außerordentlich hörbar zu lassen und den instrumentalen Part lediglich unterstützend einzusetzen.

Nur an einer Stelle, in welcher von einem sexuellen Missbrauch erzählt wird, spielt das Orchester eine wesentlich stärkere Rolle. In diesem Teil wird der Text zum größten Teil gesprochen und der gewalttätige Vorgang durch das Wüten in den Instrumenten mit krachenden und scheppernden Geräuschen verdeutlicht. In dieser Szene stehen alle Frauen regungslos, in Schwarz gekleidet, auf dem Podest und harren in dieser Position aus, bis eine von ihnen flüstert: „I have to be quiet when it’s time to be quiet.“ Dieser Satz wird von den anderen aufgenommen und in einen Flüstergesang verwandelt, der unter die Haut geht.

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„canvas“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Gut herausgearbeitet wurden die verschiedenen Charaktere – verheiratete Frauen, die Angst um das Entdecken ihrer Affäre haben, ein junges Mädchen, das Gott bittet, sie zu erlösen, eine Fabrikarbeiterin, die in dem Mann die höchste Erfüllung sieht, eine Dame, die sich durch das Liebesglück wieder jugendlich zu fühlen beginnt. Der Womanizer selbst kommt – auch von einer der Frauen dargestellt – nur kurz ins Spiel und wird dabei weder verführerisch, noch gewalttätig gezeigt. Nur eine Frau steht außerhalb der Liebesspirale. Sie wird als dicke Italienerin angekündigt, welche ohne zu singen auf die Bühne kommt und wieder abgeht. Sie ist die einzige, die emotional nicht abhängig zu sein scheint, aufgrund der Körperbeschreibung jedoch eine starke sexuelle Anziehungskraft ausüben dürfte.

Die Komponistin setzt Quartette, aber auch Solo-Arien ein und markierte die Szenenwechsel mit lauten Atemgeräuschen, die mit Mikrofon verstärkt werden. Es ist die besonders gelungene Balance aus Sprache und Musik, die diese Aufführung so besonders macht. Hilfreich, aber ästhetisch auch gut gelöst, war die Projektion des englischen Textes auf eine große Leinwand hinter den Sängerinnen. Dazu kommt, dass diese, Studierende der Musikuni Graz, allesamt bestens disponiert waren.

Melis Demiray, Lavinia Husmann, Laure-Cathérine Beyers, Marija-Katarina Jukić, Ellen Rose Kelly, Christine Rainer und Ana Vidmar darf zu ihrer tollen Leistung gratuliert werden.

Der Griessner Stadl on tour in Graz

Der Griessner Stadl on tour in Graz

Wer zeitgenössische Opern abseits der vom Bund geförderten Häuser produziert, lernt rasch, mit Mangel umzugehen. Dass es aber noch eine Steigerungsstufe gibt, nämlich einen extrem limitierten Ort, in welchem eine Oper aufgeführt werden soll, kommt weniger häufig vor. Und dennoch schafften es die Betreiber des Griessner Stadel bei Murau, eine Oper in Auftrag zu geben und diese im nicht-operngerechten Spielort auf die Bühne zu bringen. In einer Koproduktion mit dem Steirischen Herbst 2023 wanderte diese nun nach Graz in den „Dom im Berg“. Die Location hätte hier nicht besser gewählt werden können. Der Veranstaltungsraum im ausgehöhlten Fels, mit einer hohen Luftfeuchtigkeit und einem Boden, der keinerlei Wärme ausstrahlt, passte ausgezeichnet zur dramatischen Geschichte.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

„Das Erdbeben in Chili“ nach einer Novelle von Heinrich Kleist, erzählt von einer tragischen Liebe. Die Tochter eines Granden verliebt sich in den Hauslehrer und wird daraufhin von ihrem Vater ins Kloster geschickt. Dort treffen sich die Liebenden jedoch und zeugen im Klostergarten einen Sohn. Dieser wird 9 Monate später bei der Fronleichnamsprozession auf den Stufen der Kathedrale geboren. Um die Schande zu tilgen, wird Donna Josephe zum Tode und ihr Geliebter, Jeronimo, zu schwerem Kerker verurteilt. Wenige Augenblicke, bevor die junge Frau geköpft wird, ereignet sich in der Stadt Santiago in Chile ein schweres Erdbeben. Josephe, ihr Kind und Jeronimo überleben dieses jedoch, finden sich in Freiheit wieder und fallen dennoch wenig später der Lynchjustiz anheim. Ein zweiter Säugling, der Sohn von Don Fernando, gelangt schließlich ebenso in die Turbulenzen der aufgebrachten Menge und wird von dieser bestialisch ermordet. Philippe, der Sohn von Josephe und Jeronimo, überlebt jedoch das Gemetzel und wird schließlich von Don Fernando und dessen Frau als Kind angenommen.

Es bedarf einer großen Portion Mut, sowie Zuversicht und der Glauben, an das eigene Projekt, um diesen Stoff in der Murauer Gegend als zeitgenössische Oper zur Uraufführung zu bringen. Das Team rund um den Obmann Ferdinand Nagele hatte diesen Mut. Und auch wenn es abgedroschen klingt, das Sprichwort „wer wagt, gewinnt“ stimmt in diesem Fall zu hundert Prozent. Anlässlich der Stückeinführung erzählte Nagele, dass sich das Leitungsteam überlegt hatte, einmal etwas zu machen, was sie noch nie gemacht hatten oder noch spitzer ausgedrückt: „Etwas, was wir nicht können.“ Theateraufführungen, Lesungen, Konzerte – all das gab es schon in der Location, was fehlte, war eine Opernproduktion. Dass diese zustande kam, verdankte man nicht nur dem Netzwerk, das über die Jahre aufgebaut worden war. Eine intelligente Herangehensweise, gepaart mit einer Menge Idealismus und Kreativität, verhalf dem Projekt letztlich zum Erfolg.

Martin Kreidt, der schon häufig im Griessner Stadl Regie führte, übernahm nicht nur diese, sondern auch die Verfassung des Librettos, welches eng am Originaltext blieb. Elisabeth Harnik erhielt den Auftrag für die Komposition einer neuen „Volksoper“ und hatte auch die musikalische Leitung inne. Die Musikerinnen und Musiker des Schallfeld-Ensembles übernahmen neben den vier Hauptcharakteren aktive Rollen auf einem langen Catwalk, der als Bühne fungierte. An dessen Längsseiten waren die Publikumsreihen angeordnet, an den Stirnseiten befanden sich zum einen die Plätze für die Musizierenden, zum anderen der Aufbau eines großen Schlagwerkes, das häufig zum Einsatz kam.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

Harnik wählte eine reduzierte, musikalische Ausdrucksweise, die darauf bedacht war, das Wort in den Vordergrund zu rücken. Zugleich wies ihre Komposition jedoch einen großen Ideenreichtum auf. Gleich zu Beginn sprach das Schallfeldensemble, während es sich dazu mit den Instrumenten begleitete, den Text zur Vorgeschichte des Hauptplots. Akkordeon, E-Gitarre, Kontrabass, Flöten, eine Miniaturorgel und Percussion-Instrumente steuerten den charakteristischen Klang bei.

In vielen Passagen wurde psalmodiert, was Sinn erzeugte, spielt sich doch das Drama im Umfeld der katholischen Kirche ab. Wilde, laute Passagen mit großem Percussioneinsatz wechselten mit ganz ruhigen ab, in welchen Sprache und Musik gänzlich zum Erliegen kamen. Mit Geflüstertem und Gehauchtem sowie akzentuierten Atemgeräuschen erweiterte die Komponistin die stimmliche Ausdrucksweise ihrer Sängerinnen und Sänger. Die Wiedersehensfreude nach dem Erdbeben konnte man trefflich durch den Sprechgesang „das Herz hüpfte“, der sich wie in einer Bach’schen Kantate durch alle Stimmlagen wandte, nachempfinden. Eine lange Unisonopassage öffnete sich allmählich zu einer vielstimmigen Kantilene, in dem Augenblick, in welchem sich die Überlebenden dazu entschließen, Gott in der Kathedrale bei einer Messe zu danken. Dass sich das grauenvolle Finale vor allem auch durch stimmlichen Einsatz ankündigt – da wird flüstergebrüllt, was das Zeug hält, liegt bei dieser Kompositionsweise auf der Hand.

Die Kostüme von Andrea Fischer markierten schwarze und weiße Charaktere. Die Regie ließ jedoch Personenwechsel zu und schrieb sowohl Josephe als auch Jeronimo unterschiedlichen Solistinnen und Solisten zu. Kreidt vermischte in einem cleveren Schachzug sowohl das Instrumentalensemble als auch die Sängerinnen und Sänger, um sie danach wieder zu trennen und ihnen nun aber einen anderen Platz zuzuweisen. Auf diese Art wurden nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die kleine Ansammlung von Überlebenden oder auch die große Menschenansammlung in und vor der Kirche, in welcher letztlich wieder gegen die Liebenden gehetzt wurde, plausibel visualisiert.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

„Das Erdbeben von Chili“ beeindruckte vor allem auch durch alle Mitwirkenden, die ein homogenes Ensemble ergaben, das sich gegenseitig unterstützte und in welchem sich niemand in den Vordergrund drängte. Auch das ist eine Erfahrung, die im Musiktheater nicht häufig vorkommt. Es wäre wünschenswert, wenn der Griessner Stadl mit weiteren Produktionen nach Graz kommt und weiter frischen Wind in das alte Gemäuer des Doms im Berg bläst. Vielleicht animierte die Produktion aber auch Grazer Publikum, sich das ein- oder andere Mal in Richtung Murau zu begeben und dieses kulturelle Zentrum mit seinem interessanten Programm zu besuchen.

In Graz waren zu sehen:
Clara Sabin, Helēna Sorokina, Jessica Kaiser, Margarethe Maierhofer-Lischka, Audrey G. Perreault, Manuel Alcaraz-Clemente, Stefan Jovanovic, Walter Ofner, Herbert Schwaiger, Ivan Trenev

Miameide

Miameide

Damit bleiben Kristine Tornquist und Jury Everharz ihrem Metier treu, was bedeutet, dass sie immer wieder aufs Neue frischen Wind in die zeitgenössische Opernszene in Wien bringen. Mit ihrem letzten Projekt knüpften sie an „Erzählgeschichten“ an, wenngleich auch mit einem erweiterten Blick.

Tornquist arbeitete in dem Libretto ihre Erfahrungen während der Pandemie auf. Zum einen musste sie zum Arbeitsamt und erlebte dort Geringschätzung und Unverständnis. Dass jemand den Beruf einer Künstlerin ergreift, schien den Betreuenden außerhalb ihrer Vorstellkraft zu liegen. Zum anderen beschäftigte sie sich aufgrund der Lockdowns und der Unmöglichkeit, im Team zu arbeiten, mit der Flora. Einem Gebiet, das sie sich gänzlich neu erschloss. Von ihr stammt nicht nur die Idee und das Libretto, sondern auch die Regie, welche sich stark auf die Herausarbeitung der unterschiedlichen Charaktere konzentrierte.

Beide Erfahrungen, sowohl die Arbeitslosigkeit als auch die neu entdeckte Liebe zu den Pflanzen, verpackte sie in die Handlung, in welcher eine arbeitssuchende Frau zum AMS gehen muss. Dort gibt sie als Kenntnisse nur an, dass sie die Fähigkeit habe Pflanzen zu verstehen. Nach drei missglückten Versuchen als Blumenverkäuferin, Gärtnereiangestellte und letztlich als Putzfrau, folgt sie dem Rat eines Kaktus. Sie solle ihrer Berufung folgen und dorthin gehen, wo sie in guter Erde ihre Wurzeln einschlagen könne.

 

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Es gibt Musik, in welcher Rosen, Lilien, Flieder, Vergissmeinnicht oder Tulpen verewigt wurden. Julia Purgina  https://de.wikipedia.org/wiki/Julia_Purgina hat sich in ihrer Komposition für die Oper „Miameide“ aber nicht nur einer Blume, sondern der gesamten Flora zugewandt. Sie schaffte es, das Wachsen und das Vergehen von Pflanzen hörbar zu machen und sie musikalisch zu  charakterisieren. Es gelang ihr gleich zu Beginn das langsame Herabtrudeln von Löwenzahnsamen oder die propellerhaften Bewegungen von Ahornsamen so in Musik zu gießen, dass man gar nicht genug davon bekommen kann.  Der Trickfilm, gestaltet von Julia Libiseller und Germano Milite, visualisierte in hoch ästhetischer Weise diesen Vorgang. Er wurde von zarten Instrumentalklängen begleitet, die ein fein verästeltes, musikalisches Gewebe ergaben, welches einen atmosphärischen Einstieg in das Thema vermittelte.

 

In diesem langen Prolog, aber auch in Zwischenspielen und einem langen Epilog verwendet sie Klangmaterialien, die manches Mal zart, dann wieder dicht und das ganze Instrumentarium ausschöpfend, den Pflanzen einen musikalischen Ausdruck verleihen. Die handelnden Personen wurden von ihr mit markanten Melodieführungen ausgestattet. Die arbeitssuchende Mia (Miameide) trägt ihre Pflanzenbegeisterung stets in melodiösen, ruhig dahinfließenden Arien vor. Niemals aufgebracht, verärgert oder böse, erklingt ihre Stimme warm und samtig. Wie immer beim Sirene-Operntheater, ist die Besetzung äußerst gelungen.

Mia trägt als einzige ein fließendes, grünes Kleid mit baumelnden Borten, das einen starken Kontrast zu allen anderen Kostümen darstellt. Die Angestellten im Arbeitsamt tragen farbig gedämpfte Outfits mit akkuraten Krageneinfassungen. (Kostüme Maria Mitterlehner) Graue Mäuse sind sie allesamt, hinter ihren kleinen Tresen verschanzt, von welchen aus sie die klimatischen Bedingungen der unterschiedlichen Monate nur jammernd kommentieren können. Michael und Markus Liszt, sowie Je. Jesch schufen ein mobiles, witziges Bühnenbild, das innerhalb weniger Augenblicke wandelbar ist.

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Romana Amerlings Sopran, klar und kraftvoll, durchdringend und kunstvollst in Koloraturmanier eingesetzt, als ihr der Geduldsfaden reißt, steht ganz im Gegensatz zur Altstimme der Titelrolle. Als Sachbearbeiterin lässt sie jegliche Empathie missen und wird im Laufe des Misserfolges ihrer „Klientin“ sogar bösartig. Ihre zum Teil lauten, hohen Soli, zum Teil als beängstigend attackierend empfunden, werden von ihr herausragend interpretiert. Ihre Auftritte zählen zu den Höhepunkten der Aufführung. Während sie Mia abkanzelt oder während sie sich mit ihren Kollegen unterhält, hetzt die Musik, rhythmisch hart akzentuiert, entlang der knappen Wortsalven, die wie im Telegrammstil vorgetragen werden. Ingrid Haselberger, Benjamin Boresch, Vladimir Cabak und Johann Leutgeb als Sachbearbeiter, Arbeitslose und kurzzeitige Arbeitskollegen von Miameide zeichnen sich neben ihren stimmlichen Qualitäten samt und sonders auch durch ihr mimisches Talent aus.

Den instrumentalen Part übernahm das Ensemble Phace unter der präzise geführten Leitung von Antanina Kalechyts. Es verschwindet, genauso wie das 5-köpfige Vokalensemble „Momentum Vocal Music“ hinter einem Projektionsvorhang. Der Chor (Ekaterina Krasko, Elisabeth Kirchner, Aleksandar Jovanovic, Simon Erasimus und Benjamin Harasko) schafft eine natürliche Verbindung zwischen den Menschen und der Fauna, ohne jedoch mit einem eigenen Text ausgestattet zu sein.

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Computeranimierte Gewächse belebten  in unterschiedlicher Form die Bühnenfront. Zu Beginn waren es kahle, dünne Äste, die von oben herab nach unten wuchsen und schließlich die ganze Leinwand einnahmen. Später entblätterte sich nach und nach ein Kohl, letzten Endes wuchs die Projektionsfläche vom Boden bis in luftige Höhen mit satten, grünen Pflanzen zu, die ein undurchdringbares Dickicht ergaben. Die Projektionen von esteban, Szymon Olszowski und Gert Tschuden gehörten zu einem umfassenden, künstlerischen Gesamtkonzept. Begonnen von den Eintrittskarten, über das bibliophil gestaltete und hoch informative Programmheft, hin zur Ausstattung trugt zwar alles eigene, künstlerische Handschriften, die jedoch in der Zusammenschau ein in sich stimmiges Ganzes ergaben.

Wie immer bei den Sirene-Produktionen ergänzte ein Rahmenprogramm die Vorstellungen. Unter dem Titel „Expedition Grün! Science Programm“ wurden Vorträge angeboten, die von biologischen, ökologischen hin zu kunsthistorischen Schwerpunkten das Thema Fauna beleuchteten. Die mittlerweile dichte Vernetzung von Everhartz und Tornquist – auf ihrer Homepage gut nachzulesen – garantierte eine hohe Auslastung. Die Publikumsreaktion bei der besuchten Dernière war zu Recht enthusiastisch.

Mit Pandora durch das Paris des 18. Jahrhunderts

Mit Pandora durch das Paris des 18. Jahrhunderts

Er ist einer, der keine halben Sachen macht und nur das Ganze will. Der Komponist Matthias Kranebitter wurde anlässlich der Premiere zu seiner Oper „Pandora“ im Rahmen der Musiktheatertage Wien zu Recht gefeiert. Eine Zusammenfassung der Kritik vorwegnehmend, könnte man sagen: Wer wagt, gewinnt und Kranebitter hat gewonnen.

Es ist auffallend, dass sich allerorten derzeit mythologische Stoffe großer Beliebtheit erfreuen. Dabei sind nicht nur Rückgriffe auf Inszenierungen gemeint, die nun wiederbelebt werden. Der Zeitgeist will es, dass auf den Bühnen, egal ob für Musik- oder Sprechtheater, Neues vom Alten gezeigt wird. Kranebitter, sowohl für das Konzept als auch die Komposition von „Pandora“ verantwortlich, hat seinem Werk einen Untertitel gegeben. „Eine Cyber-Reanimation des barocken Operntorsos von Royer und Voltaire.“

Joseph-Nicolas-Pancrace Royer schuf die Oper zu einem Libretto von Voltaire, der aber kein Erfolg beschieden war. Kranebitter sprengt mit seiner Idee die herkömmliche Opernform durch eingespielte, vorgelesene Informationen über die Entstehung der Oper, das Leben von Royer, sowie die Weiterentwicklung der Guillotine durch einen deutschen Cembalo-Bauer hin zur Ermordung des Marat. Dadurch entsteht eine höchst abwechslungsreiche Edutainment-Mischung mit dem Schwerpunkt einer musikalischen Umsetzung.

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Pandora (Foto: Nick Mangafas)

Der Regisseur Michael Höppner lässt die drei Charaktere opernhaft-klassisch in aufwendigen, dennoch zeitgeistigen Kostümen agieren, das Bühnenbild ist auf das Notwendigste reduziert. Christopher Sturmer setzt weiße, große Leinwandblöcke in den Bühnenvordergrund. Auf ihnen finden die spannenden, zum Teil sogar angsteinflößenden Visuals von Patrik Lechner ihr Abbild. Eine tiefrote, runde Formation begleitet die Erläuterungen zur Guillotine-Erfindung, sich amorph ausbreitende Ballungen, die an halbierte Kettenglieder oder Maden erinnern, wachsen kriechend quer über die Leinwände, sodass unweigerlich Ekelgefühle aufkommen.

Etwas in den Bühnenhintergrund versetzt, vor dem Orchester, das auf einem Podium platziert ist, erhebt sich der Olymp in Form eines hoch aufragenden Quaders. Ummantelt mit weißem Stoff, wird dieser von Prometheus mehrfach erklommen, bisweilen aber auch verschoben. Es ist diese einfache Bühnentechnik, hier reduziert auf manuelle Umgestaltungen, die an Zeiten denken lässt, als die Ausstattung der Opernhäuser noch nicht Hightech war und erst in ihren Anfängen steckte. Der Gegensatz zu den 3D-Animationen könnte größer nicht sein. Gemeinsam mit den Texteinschüben wird so eine zweite Ebene abseits des historischen Geschehens aufgebaut. So pendelt das Publikum beständig zwischen der Wahrnehmung des erzählten Göttermythos und dem Blick auf die französische Geschichte bis kurz nach der Revolution.

Prometheus (Georg Bochow) und Jupiter (Andreas Jankowitsch) agieren in ihrer beider Eitelkeiten als Strippenzieher von Pandoras Schicksal. In Form einer leblosen Puppe von Prometheus geschaffen und zu Leben erweckt, muss sie letztlich den Frevel des Feuerraubes büßen, den ihr Schöpfer am Götterolymp begangen hat.

Das fantastische Geschehen versieht Kranbebitter mit wilden Klangballungen, unterfüttert von barocken Klängen. An anderen Stellen lösen Klang-Tsunamis kurze Passagen ab, die an Stummfilm-Musik der 20-er-Jahre anknüpfen und das Geschehen mit einem musikalischen Augenzwinkern kommentieren. Zum Teil gelingt dem Komponisten eine musikalische Umsetzung des Textes, die man wortwörtlich nennen kann und die sich zusätzlich mit den Visuals rhythmisch verzahnt. Duette und Arien, ein elektronisch verändertes Cembalo, ein rhythmischer Einschub, der Pandoras Herzschlag hörbar macht, während sie dazu sichtbar den Brustkorb hebt und senkt, Paukenschläge, die nachfolgende, dichte Klangcluster vorbereiten, all das ist nur ein unvollständiger Auszug aus der kompositorischen Vielfalt, die nachhaltig beeindruckt. Das von Kranebitter gegründete „Black Page Orchestra“ unter der Leitung von Vinicius Kattah https://www.viniciuskattah.com/bio wird zu Beginn und am Ende von einem elektronischen Dirigenten geleitet.

Die Handlung erhält gegen ihr Ende hin noch einen eklatanten Shiftwechsel, lässt der Regisseur die beiden Götter doch durch einen performativen Akt vor den Augen des Publikums verschwinden. Sosehr sie jedoch auch mit Farbe beschmiert werden, bis sie sich von ihrem Hintergrund nicht mehr abheben, sosehr sie auch mit Erde beschwert werden, nach einer gewissen Zeit werden sie dennoch wieder sichtbar, wenngleich offenkundig ihrer ehemaligen Macht komplett beraubt.

Dass am Schluss mit der sukzessiven Verabschiedung von Dirigenten und Ensemble noch Haydns Abschiedssymphonie eine Reverenz erwiesen wird, lässt noch einmal an jene Zeit zurückdenken, in welcher „Pandore“ entstand: Im Barock, als Komponisten nicht viel mehr waren als Bedienstete unteren Ranges, gelitten nur zur Erbauung und Prestigeerhöhung.

Kranebitter und sein Team haben viel gewagt: Eine dichte Erzählung, ergänzt mit vielen sozio-kulturellen Hintergrundinformationen, die Verschränkung unterschiedlicher Zeitmotive sowohl im visuellen als auch im musikalischen Bereich. Das ist ein Hochseilakt, den man erst einmal beherrschen muss. Ein Hochseilakt, der gelungen und zu bewundern ist. Dieses Werk hat Suchtcharakter.

Verzweiflung, Aufbegehren und Hoffnung

Verzweiflung, Aufbegehren und Hoffnung

Texte, egal wann sie geschrieben sind, erweisen sich dann als aktuell, wenn ihr Thema über Tagesbezüge hinaus reicht. Ein solcher Text ist „Der Mensch ist tot“. In ihm wird in einer experimentell-lyrischen Sprache der Abgesang des Menschen von dieser Erde gefeiert. Oder auch beweint, je nachdem, wie man ihn auslegen möchte. Geschrieben wurde er 1918, also vor mehr als 100 Jahren, von Claire Goll und hat dennoch bis heute nichts von seiner Wirkungskraft verloren. Damals, nach dem Ende des 1. Weltkrieges, blickten die Künstlerinnen und Künstler desillusioniert durch die Schrecken des Krieges in eine unbestimmte Zukunft.

Zwar gibt es Weltuntergangsszenarien seit es Menschen gibt. Die derzeitige Klimakrise hat die Menschheit aber wie nie tatsächlich an den Rand ihrer Existenz gebracht. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Aussage „Der Mensch ist tot“ auch heute wie ein bedrohliches Menetekel wahrgenommen werden kann.

Die Komponistin Tanja Elisa Glinser hat gemeinsam mit der Performerin und Klarinettistin Barbara Maria Neu, sowie der Regisseurin Azelia Opak ein Werk geschaffen, dass zwar zeitgeistig ist, dennoch aber tief in die Historie der Performance zurückreicht. Das Bühnenbild von Felix Huber verortet das Geschehen in einer aufgelassenen, heruntergekommen Fabrikhalle, die sich jedoch ab einem gewissen Zeitpunkt, in welchem das Geschehen kippt, unverbraucht und neu zeigt.

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Himmelsscherben (Foto: Nick-Mangafas)

Die Art, wie Glinser die wenigen Zeilen vertont, erinnert stark an dadaistische Ansätze. Sie dehnt Silben, sie wiederholt Sätze immer wieder und lässt Atemgeräusche und das Klopfen von Hammer auf Holz und Metall als rhythmisches Grundgerüst gelten. Tatsächlich bewegte sich der Ehemann von Claire Goll, Yvan Goll, in der Dadaisten-Szene rund um Hans Arp, Tristan Tzara und Francis Picabia, in jener Zeit, in welcher seine Frau das Gedicht schuf.

Um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, der Performance inhaltlich folgen zu können, wird der Text zu Beginn der Vorstellung, gelesen eingespielt. Interessanterweise von einer Stimme mit leicht dialektalem Einschlag, fern ab von bekanntem sprachlichen Bühnenduktus.

Der Mensch ist tot,
nicht baut er aus der Welt Milchstraßen, Himmelsleitern mehr zu Gott. Fort unsere Hände, die den Horizont zerbrachen, Von gläsernen Himmelsscherben aufgeschnitten, Und unsere Frühlingssehnsucht, die den Mond Als blonde Aster in den Gürtel steckte,
Und unser Herz von tausend Regenpfeilen
An dieser Erde schwarze Wand genagelt. Und unser Blicke goldnes Feuerwerk
Mit der Raketensonne hochgestiegen,
Die nicht mehr kreiset um die dunkle Welt, Weil sie im Meere unsres Bluts erlosch.

Die Regisseurin Azelia Opak zeigt die Protagonistin – eine Frau in abgenutzter Arbeitskleidung – dem Irrsinn ausgesetzt. Sie ist offensichtlich die letzte Überlebende, alleine auf dieser Welt und scheint sich nicht von ihrem längst aufgelassenen Arbeitsplatz lösen zu können. Zu Beginn artikuliert sie sich nur mit Konsonanten und Zischlauten und folgt damit dem Text von Goll nur bruchstückhaft. Dabei wird ihre Wut und ihre Verzweiflung deutlich, schlägt sie doch zugleich mit solcher Wucht auf das Holzgestell ein, dass die davon abgeschlagenen Splitter durch die Luft spritzen.
Glinser nimmt mit dieser Sprachverstümmelung Anleihe bei Ernst Jandls Schtzgrmm. Jenem Sprachkunstwerk, in welchem er nur durch unterschiedliche Aussprache und Betonung das Elend und das Sterben der Soldaten im Schützengraben nachvollziehbar macht. Auch in Schtzgrmm fehlen sämtliche Vokale und Umlaute und dennoch bleibt die Aussage verständlich. In beiden Fällen, sowohl in Golls als auch in Jandls Lyrik steht die Verstümmelung des Menschen, Gewalt und Tod im Mittelpunkt.

Barbara Maria Neu interpretiert die Partitur mit derart viel Verve und Können, dass schon nach wenigen Augenblicken der Funke ins Publikum überspringt. Wie sie mit Wucht auf die Holzbalken einschlägt, wie sie verzweifelt mit den Worten ringt und dabei ihren Atem kraftvoll einsetzt, ist ein Erlebnis. Dass das Publikum sowohl links als auch rechts vom Bühnenbild angeordnet ist, tut ein Übriges. Fühlt man sich dabei doch tatsächlich nicht in einem Theaterraum, sondern vielmehr in jener menschenfeindlichen Umgebung, in welcher die junge Frau festzustecken scheint.

Die Stimmung wechselt erst, als sie eine Klarinette anfindet, die ein Eigenleben zu führen scheint. Einerseits entlockt sie dem Instrument beruhigende Töne, andererseits spiegelt es in immer wieder kehrenden Momenten jene Verzweiflung und jenes Aufbegehren gegen den Tod und das Alleinsein wider. Durch einen geschickten Regieeingriff, den Felix Huber ideenreich in seinem Bühnenbild umgesetzt hat, kippt die Verzweiflung und Aussichtslosigkeit. Mit unerwarteter Gewalt, aber dennoch wie von außen gelenkt, erobert sich die junge Frau einen neuen Raum. So, als ob sie aus ihrer immer wiederkehrenden Wutschleife plötzlich einen Ausweg gefunden hätte, und in einen anderen Seinszustand eingetreten wäre, befindet sie sich plötzlich in einer hellen, sauberen Umgebung. Einer Umgebung, die ihr dennoch vertraut ist.

Das Gefühl des Ausgesetztseins und jenes der Hoffnungslosigkeit weichen einer offensichtlichen Ruhe und Zuversicht. Das Schlagen und Hämmern hat ein Ende. Erschöpft, aber scheinbar glücklich, lässt sich die junge Frau nieder und scheint in eine Zukunft zu blicken, die ihr wieder lebenswert erscheint. Dass die immer wieder zitierte Himmelsleiter, welche die Menschen nicht mehr zu Gott bauen, plötzlich als Fahrstuhl sichtbar wird, versieht das versöhnliche Ende mit einer zusätzlichen Portion subtilen Humors.

„Von Gläsernen Himmelsscherben“ oszilliert zwischen Aktualität und Historie der Literatur-, Performance- und Musikgeschichte. Das Zusammenfinden der jungen Crew darf man als Glücksfall bezeichnen. Musik, Regie, Performance und Bühnenbild sind gleichermaßen gut gelungen und zeugen vom hohen Können aller Beteiligten.

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