Das Unsagbare gegen das Vergessen sichtbar machen.

Das Unsagbare gegen das Vergessen sichtbar machen.

Das Unsagbare gegen das Vergessen sichtbar machen.

Das Unsagbare gegen das Vergessen sichtbar machen.

„Die Passagierin“ (Foto: © Werner Kmetitsch)
„Die Passagierin“ erlebte an der Oper Graz eine fulminante Premiere. Zum Auftakt in eine ungewöhnliche Saison.
Den Auftakt der Opernsaison in diesem Ausnahmejahr gestaltete die Oper in Graz mit der schon für den Frühling angesetzten Produktion „Die Passagierin“. Dieses Werk vollendete der Komponist Mieczyslaw Weinberg 1968.

Aber erst 2006, 10 Jahre nach seinem Tod, kam es in Moskau konzertant zur Aufführung, szenisch erst 2010 bei den Bregenzer Festspielen. Das Libretto von Alexander Medwedew wurde nach einem Roman der Polin Zofia Posmysz verfasst.

Sie war selbst ab 1942 zwei Jahre in Auschwitz-Birkenau inhaftiert und danach bis Kriegsende im KZ in Ravensbrück. Nach der Befreiung hatte es Posmysz auf Anraten ihrer Mutter vermieden, über das erlebte Grauen zu erzählen. Diese hatte gemeint, dass Verdrängen die beste Möglichkeit sei, damit leben zu können. In den 50-er Jahren hatte sie in Paris jedoch ein Schlüsselerlebnis. Da vernahm sie auf der Straße die Stimme einer Frau, von der sie glaubte, dass es ihre ehemalige, deutsche KZ-Wärterin war. Mit einem Mal kam mit Vehemenz all das wieder hoch, das verdrängt werden hätte sollen und Posmysz wusste, dass sie das Erlebte festhalten musste und schrieb die Novelle „Die Passagierin“.

 

In dem Text, der 10 Jahre später auch auf Deutsch erschienen war, und der zuvor als Hörspiel in Polen für Furore gesorgt hatte, hielt sie ihre Erinnerungen fest, vor allem um jener zu gedenken, welche die Konzentrationslager nicht überlebt hatten. Die Autorin, die heute 97 Jahre alt ist, wurde vom Grazer Dramaturgieteam vor wenigen Monaten in ihrer Wohnung in Warschau besucht. Dabei wurde Video- und Fotomaterial aufgenommen, das zum Teil auch in die Inszenierung einfloss. 

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Die Passagierin
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„Die Passagierin“ (Foto: © Werner Kmetitsch)
Die Geschichte handelt von der Überfahrt eines Passagierschiffes von Deutschland nach Brasilien. Auf ihm befindet sich der deutsche Diplomat Walter Kretschmar mit seiner Frau, der seiner neuen Stelle entgegenreist. Er ahnt nicht, dass seine Lisa, geborene Franz, eine ehemalige KZ-Aufseherin war. Als diese jedoch Marta, eine ehemalige Inhaftierte am Schiff zu erkennen glaubt, bricht in ihr alles auf, was sie bis dahin zu verheimlichen versuchte. Die Beichte, die sie ihrem Mann gesteht, ist der Hauptplot, der auf das Geschehen im Konzentrationslager zurückgreift. Die Szenen wechseln zwischen Ereignissen in Auschwitz und dem Aufenthalt auf dem Schiff und enden schließlich in einem Epilog von Marta.

Die dramaturgische Vorarbeit mit der Autorin selbst kam sicherlich der Regie von Nadja Loschky sehr zugute, die mit mehreren ungewöhnlichen Kunstgriffen aufwartet. Durch einen zeigt sie die Hauptprotagonistin nicht nur als erschütterte Ehefrau, die sich an ihre Zeit als Aufseherin zurückerinnert, sondern auch als Alte, die das Geschehen auf der Bühne permanent begleitet. Das ist sinnvoll und transportiert das Erzählte nicht nur in die erinnerte Vergangenheit, sondern auch in eine Zukunft, die im Libretto nicht mehr vorkommt. Lisa wird von den Geschehnissen, in die sie verwickelt war und von den Gräueltaten, die sie selbst zu verantworten hat, ihr Leben lang nicht mehr losgelassen.

Aber auch was die individuellen psychischen Verfasstheiten der anderen Figuren betrifft, hat Loschky sehr gut hingesehen. Es sind kleine Gesten wie das immer wieder urplötzlich erschrockene Kopfheben der alten Lisa, die deutlich machen, wie sehr sie die Vergangenheit peinigend verfolgt. Es ist das Wanken und die schwere Zunge ihres Mannes an Bord des Schiffes, nachdem er von der Betätigung seiner Frau in Auschwitz erfuhr. Er muss zum Alkohol greifen, um mit dieser Erkenntnis irgendwie umgehen zu können. Es sind die unbeholfenen Fluchtversuche auf eine Leiter einer jungen Frau im Lager, die diesen Zufluchtsort, der keiner ist, aus Panik in Sekundenschnelle mit wenigen Schritten erklimmt. Diese sichtbaren Emotionen machen nachvollziehbar, mit welchen Angstzuständen und mit welcher Zerrissenheit die Beteiligten zu kämpfen haben und stellen gleichzeitig subtil auch immer wieder die Frage, wie man denn selbst agiert und reagiert hätte.

Wissend, dass das Geschehene nie angemessen wiedergegeben werden kann, findet die Oper dennoch sowohl passende szenische als auch musikalische Mittel. Die Regie scheut sich nicht, drastische Bilder zu zeigen, die einem den Hals zuschnüren. Mit Gewaltverherrlichung hat dies jedoch nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Die Idee, die SS-Aufseher mit heruntergelassenen Hosen (Kostüme Irina Spreckelmeyer) auf nebeneinanderstehenden Toiletten zu zeigen, erinnert an Hannah Arendts 5-teiligen Essay, den sie nach dem Gerichtsprozess gegen den Naziverbrecher Adolf Eichmann verfasste. Sie wohnte dem Prozess in Jerusalem als Beobachterin bei und sprach danach bewusst von der „Banalität des Bösen“, was ihr große Kritik einbrachte. Mit diesem brachialen Bild, der Notdurft verrichtenden Wachmannschaft auf der Bühne, wird diese Banalität jedoch mehr als deutlich. In einer der letzten Szenen, in welcher Tadeusz, der Verlobte von Marta, ermordet wird aber auch, dass Banalität, mit legitimierter Macht ausgestattet, menschen-verachtend und todbringend ist.

Besonders berührend und gelungen ist der Regieeinfall, die Fotos von Zofia Posmysz, auf der sie als alte Dame, sitzend in Seitenansicht zu sehen ist, in die letzten Szene einzublenden. Ihr Schreiben, angesiedelt im Bereich der Kunst, trägt dazu bei, die Erinnerung wach zu halten und rechtfertigt die künstlerische Aufarbeitung von Ereignissen, deren Darstellung angesichts der Ermordung von 6 Millionen Menschen doch niemals auch nur annähernd adäquat sein kann. Theodor W. Adorno schrieb 1949: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch“ – eine Aussage, die er jedoch 1966 folgend revidierte: „Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben.“ Wie gut, dass Posmysz erkannt hat, dass das Erinnern auch über einen künstlerischen Ausdruck möglich, ja notwendig ist.

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„Die Passagierin“ (Foto: © Werner Kmetitsch)
Das Bühnenbild ( Étienne Pluss) zeigt nicht – wie man vermuten möchte, ein Schiff, sondern einen grauen Raum mit unendlich vielen Türen und Schubladen. Nicht heimelig, sondern kalt und unbewohnbar. Das Grauen, das sich hinter all den geschlossenen Türen verbirgt, wird nur nach und nach sichtbar.

Am Pult agierte bei der Premiere Roland Kluttig, der neue Chefdirigent der Oper Graz. Unaufgeregt leitete er das große Orchester mit Präzision durch Weinbergs klanglichen Kosmos. In diesem kommen jede Menge rhythmische Swing-Passagen vor, die den atonalen Gesang in die 50-er Jahre verorten. Emotional wird Weinbergs Musik jedoch in jenen Szenen, in welchen die infhaftierten Frauen in volksliedhaften Melodien über ihr Schicksal und ihre ehemalige Heimat singen. Nicht zuletzt sind es so bekannte Melodien wie „Oh du lieber Augustin“, der von den Wärtern in rauschhafter Feierlaune intoniert wird und Bachs Chaconne – die Tadeusz anstelle eines georderten Walzers auf einer Geige intoniert – die Referenzen an die deutsche Musikkultur liefern. Eine Kultur, die gerade in den Konzentrationslagern eine Perversion erfuhr, die zuvor nicht denkbar gewesen war.

Extra hervorzuheben ist die stimmliche Spitzenbesetzung. Dshamilja Kaiser lässt kraftvoll eine Lisa hörbar werden, die zwischen Verzweiflung und Verteidigung ihre Tuns schwankt. Ihr zur Seite Will Hartmann als Walter, der auf seine eigene Karriere mehr als auf den Gefühlszustand seiner Frau bedacht ist. Nadja Stefanoff verkörpert eine kluge, unbeugbare, jedoch hilfsbereite Marta, deren lyrische Stimme extrem einnehmend wirkt. Ihr Verlobter Tadeusz findet mit Markus Butter eine perfekte Besetzung. Sämtliche weitere Solistinnen ergänzen stimmlich ebenso fulminant das Ensemble – jede einzelne mit bestechender Klangfülle und Präzision, Wärme, Kraft und geforderter Zerbrechlichkeit zugleich. Interessant, dass Weinberg alle Frauen in derselben Stimmlage angelegt hat – vielleicht ein subtiler Hinweis auf ihre Gleichschaltung in den Lagern. (Tetiana Miyus, Antonia Cosmina Stancu, Anna Brull, Mareike Jankowski, Sieglinde Feldhofer, Joanna Motulewicz, Ju Suk)

Die Oper wird mit einem breit angelegten Rahmenprogramm begleitet – am Premierentag wurden vor dem Haus im Gedenken an die Sängerin Ella Flesch, den Dirigenten und Chordirektor Fritz Jahoda, sowie die Schauspielerin Hertha Heger „Stolpersteine“ verlegt. Weiters stehen im Angebot: Gesprächsrunden nach der Aufführung, eine Filmvorführung im Filmzentrum im Rechbauerkino, ein Kammerkonzert, ein OpernCampus, der einen Nachmittag lang dauert, ein Stadtspaziergang mit dem Historiker Heimo Halbrainer an Orte der Opfer, Täter und des Widerstandes, sowie das Stummfilmkonzert „Die Stadt ohne Juden“ mit Musik von Olga Neuwirth

Nähere Infos unter: Oper Graz

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Ein menschliches Planetensystem

Ein menschliches Planetensystem

Ein menschliches Planetensystem

Ein menschliches Planetensystem

Feride Buyukdenktas (Johannes der Täufer, ein Astronom) • © Werner Kmetitsch
Die selten gespielte Kurzoper „Die Enthauptung von Johannes dem Täufer“ im Originaltitel „La decollatione di San Giovanni Battista“ von Antonia Maria Bononcini (1677 – 1726?) schlummert zu Unrecht meist in Archiven, denn sie weist nicht nur wunderbare Arien, sondern auch Duette, Terzette und sogar ein üppiges Quartett auf.
Vieles davon kann mit dem Prädikat „ohrenschmeichelnd“ versehen werden. Die Schwierigkeit der Aufführung besteht jedoch darin, dass dem Orchester eine Leitung vorstehen sollte, die sich im barocken Repertoire zuhause fühlt und darüber hinaus Stimmen benötigt werden, welche anspruchsvolle Koloraturen makellos bewerkstelligen.
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Salomé (Saba Hasanoğlu), Marija-Katarina Jukić (Herodias) – © Werner Kmetitsch
Dank einer Zusammenarbeit der Oper Graz mit der Kunstuniversität Graz (KUG) war es möglich, dieses Oratorium in der Unterkirche von Herz Jesu auf eine dreigeteilte Bühne zu bringen. Über den Kirchenbänken angeordnet, wurde Herodes, seiner Frau und Salomé je ein eigenes Podest zugeordnet. Juana Ines Cano Restrepo überraschte mit einer neuen, schlüssigen Interpretation des biblischen Stoffes. Sie verfrachtete das biblische Setting in die Barockzeit und deutete Johannes zu einem suchenden Astronomen um.

Dieser, beeindruckend gesungen von Feride Buyukdenktas, erweckte unschwer Assoziationen zu Johannes Kepler, der auch in Graz lehrte. In dieser Inszenierung erhält Johannes durch die Konstellation von Herodes, seiner Frau und Salomé jene Inspiration, die ihn zum Verfassen seiner „Planetengesetze“ veranlasst. Ausgestattet mit einem standesgemäßen Mühlsteinkragen, schwarzer Kappe und einfacher, schwarzer Robe, hört er den Gesprächen und dem Gezank von Herodes und den beiden Frauen zu und leitet dadurch die Erkenntnis des heliozentrischen Weltbildes ein.

Dass ihm dies schließlich zum Verhängnis wird, erklärt sich aus der kirchlich-politischen Logik der Zeit vor der Aufklärung. Mit der Erkenntnis, dass die Erde nicht mehr den Mittelpunkt des Weltalls darstellt, hatte auch Kepler zu kämpfen, wenngleich ihm eine Verurteilung erspart blieb.

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Feride Buyukdenktas (Johannes der Täufer, ein Astronom) • © Werner Kmetitsch
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Justina Vaitkute (Engel/Gehilfe des Johannes’) • © Werner Kmetitsch
Justina Vaitkute mutiert vom anfänglichen Helfer und Freund „Angelo“ zum kirchlichen Würdenträger, der jenem Gericht vorsitzt, welches den Wissenschaftler schließlich zum Tod verurteilen wird. Ihr Mezzosopran stellt ein wunderbares Äquivalent zu Buyukdenktas‘ Sopran dar. Es ist eine Freude, diese beiden schönen Stimmen im direkten Vergleich erleben zu können und ihre jeweiligen Charakteristiken zu entdecken.

Herausragend war die Besetzung von Herodes (Sonnenkönig), Herodias (Mutter Erde) und Salomé (Mondfrau). Wilfried Zelinka beeindruckte nicht nur mit seinem kräftigen Bass, sondern auch der Fähigkeit, schwere Koloraturen in halb-liegender Position zu singen. Marija-​Katarina Jukić ist, genauso wie Saba Hasanoğlu eine Entdeckung für sich. Die klare und zugleich unglaublich transparente Stimme von Jukić stand in einem reizvollen Kontrast zur ätherisch-zarten Intonation von Saba Hasanoğlu. Die beiden Sängerinnen sollten nach diesem Auftritt – so ist zu hoffen – vom Fleck weg schöne Engagements angeboten bekommen. Auf alle Fälle darf man sich diese Namen getrost merken und die weitere, künstlerische Laufbahn von Jukić und Hasanoğlu verfolgen. Die ausdrucksstarken Kostüme und das Bühnenbild stammen von Devin McDonough. Susanne Scholz stand dem Barockorchester gamma.ut, das von Studierenden des Instituts für Alte Musik und Aufführungspraxis der KUG ergänzt wurde, vor. Die disparate Aufstellung links und rechts entlang der Bühne stellte sicher eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Umso mehr darf das musikalische Ergebnis geschätzt werden, das nichts zu wünschen übrig ließ. Die Enthauptung, die letztlich metaphorisch stattfindet, wird durch eine Schüssel voll Blut eingeleitet, das Johannes, der seiner Robe brutal entledigt wird, auf sein weißes Hemd geschüttet wird. Und auch die Pein, die er erleben musste, wird, nicht wie erwartet, aber dennoch, coram publico visualisiert.

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Marija-Katarina Jukić (Herodias), Wilfried Zelinka (Herodes) • © Werner Kmetitsch
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Wilfried Zelinka (Herodes) • © Werner Kmetitsch
„Die Enthauptung von Johannes dem Täufer“ aus der Reihe „OpernKurzgenuss“ kann uneingeschränkt empfohlen werden. Eine interessante Regie, ein herausragendes Ensemble und ein junges, aber dennoch professionelles Orchester bilden eine absolut empfehlenswerte Mischung.
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Der Zauber von Feenwesen, Naturgewalten und farbenprächtiger Musik

Der Zauber von Feenwesen, Naturgewalten und farbenprächtiger Musik

Der Zauber von Feenwesen, Naturgewalten und farbenprächtiger Musik

Der Zauber von Feenwesen, Naturgewalten und farbenprächtiger Musik

Thomas Essl (Scherasmin) und Anna Brull (Fatime) (Foto: Oliver Wolf)
„Oberon oder des Elfenkönigs Schwur“ erlebt nach längerer Bühnenabsenz derzeit wieder eine kleine Renaissance. 2017 an der Bayerischen Staatsoper in München aufgeführt, wird diese Inszenierung von Nikolaus Habjan in wenigen Tagen am Theater an der Wien gezeigt. In der Grazer Oper hatte das Werk nun konzertant unter der präzisen und zugleich einfühlsamen Leitung von Oksana Lyniv Premiere.
Christian Weißenberger steuerte eine Videoinstallation bei, die sich elegant in die Inszenierung schmiegt, sie sphärisch hebt, ohne von den Solistinnen und Solisten abzulenken. Standbilder wechseln mit computeranimierten ab, Schwarz/Weiß Projektionen kommen ebenso zum Einsatz wie kolorierte Sujets. Diese verbinden subtil Historie mit der Gegenwart, speziell bei der Wiedergabe eines Gebäudes, das Spuren von Verfall, vielleicht sogar auch kriegerischen Handlungen aufweist und an den derzeitigen Syrienkonflinkt erinnert. Dennoch arbeitet Weißenberger nicht mit einem Zeitbezug-Holzhammer, sondern richtet die Intention seines Videos zuallererst auf die Übermittlung und Verstärkung jener Gefühle aus, die in den einzelnen musikalischen Nummern angesprochen werden. Er verweist mit seinem Schlussbild zugleich auch an den Anfang und das Ende der Erzählung am Hofe Kaiser Karls – mit der Innenansicht der Pfalzkapelle in Aachen. Jenem berühmten Zentralbau, der als bedeutendstes, architektonisches Beispiel für die karolingische Renaissance gilt.

„Oberon“, das letzte Werk des Komponisten, das er, schon von Krankheit gezeichnet, für die Uraufführung in London schrieb, ist extrem symphonisch angelegt. So wundert es nicht, dass die Ouvertüre auch öfter in den Konzertsälen dieser Welt zu hören ist. Dramaturgisch sind die einzelnen Nummern wie ein Reigen an bunten, hoch emotionalen Bildern angelegt. Es zeigte sich, dass sich durch die Einarbeitung von Christoph Martin Wielands Epos „Oberon. Ein Gedicht in zwölf Gesängen“, das Werk konzertant äußerst gut eignet. Vor allem auch durch den herausragend packenden und zugleich kunstvollst artikulierten Vortrag der Erzählerin Birgit Minichmayr. Ihre Leistung ist umso höher zu bewerten, als Wielands Sprache ein unregelmäßiges Metrum und ein ständig wechselndes Reimschema aufweist. Zwar hört sich dies sehr reizvoll und abwechslungsreich an, ist aber alles andere als leicht zu sprechen.

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Birgit Minichmayr (Foto: Oliver Wolf)
Die Erzählung selbst berichtet vom jungen Adeligen Hüon, der Kaiser Karl erzürnte und von diesem daraufhin an den Hof des Kalifen Harun al Raschid nach Bagdad entsandt wird. Dort soll er dem, der zu dessen Linken sitzt, den Kopf abschlagen und Rezia, die Tochter des Kalifen, danach als Zeichen der Eroberung drei Mal küssen. Was von Karl als Himmfelfahrtskommando gedacht war, entwickelt sich dank der Einmischung des Feenkönigs Oberon zu einer aufregenden Liebesgeschichte.

Bis Hüon letztlich mit seiner angebeteten Rezia glücklich werden kann, benötigt es drei Akte, eine große Anzahl an Arien, aber auch romantischen Duetten, Terzetten, Quartetten und den Einsatz eines großen Chores.

Jason Kim präsentiert Hüon als Helden wider Willen, der gar nicht richtig weiß, wie ihm geschieht, vorbildlich. Für seine wunderbare, zu Herzen gehende Intonation des Gebetes „Vater hör mich fleh´n zu dir“, in welchem er Gott bittet, seine Geliebte zu schützen, erhielt er zurecht lang anhaltenden Zwischenapplaus und Bravo-Rufe. Er überzeugte vor allem durch seine Natürlichkeit, die die Figur des Hüon sehr sympathisch erscheinen ließ.

Auch Gisela Stille, in der schwierigen Rolle der angebeteten Rezia, meisterte ihre Partie, die nicht nur aufgrund des großen Tonumfanges herausfordernd ist, ausgezeichnet. Die Koloraturen haben es in sich und können noch als musikalisch-historischer Verweis auf jene Zeit aufgefasst werden, in welcher die phantastische Erzählung angesiedelt ist.

Thomas Essl als Scherasmin, der Knappe von Hüon und Anna Brull als dessen angebetete Fatime, gaben ein zweites Liebespaar, das auch altersmäßig sehr gut besetzt war. Ilker Arcayürek hatte als Oberon eine relativ kleine Rolle zu singen. Er war aber mit seinem grimmig aufgesetzten Blick in der Mitte der Bühne so platziert, dass er auf diese Weise einen ständig präsenten Feenkönig verkörperte, der das Geschehen permanent überblickte.

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Anna Brull (Fatime) und Gisela Stille (Rezia) – © Oliver Wolf
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Jason Kim (Hüon von Bordeaux) (Foto: Oliver Wolf)
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Ilker Arcayürek (Oberon) – © Oliver Wolf
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Ilker Arcayürek (Oberon) und Mareike Jankowski (Puck) – © Oliver Wolf
Der „Oberon“ in der Grazer Oper schafft es, das Publikum knappe drei Stunden zu verzaubern und in eine musikalische Welt eintauchen zu lassen, aus deren Fülle und Farbigkeit man am Schluss schwer wieder auftaucht.

In weiteren Rollen überzeugten Mareike Jankowski als Puck und Tetiana Miyus als Meermädchen. Weitere Termine hier auf der Website der Oper Graz.

Bei geschickter Manipulation bröckelt der Widerstand

Bei geschickter Manipulation bröckelt der Widerstand

Bei geschickter Manipulation bröckelt der Widerstand

Bei geschickter Manipulation bröckelt der Widerstand

„Mario und der Zauberer“ (Foto: Werner Kmetitsch)
Ein in die Jahre gekommenes Zirkuszelt umspannt den Raum und die Decke der Studiobühne der Grazer Oper. Gerümpel macht den Ort unwirtlich, alte Sessel, wie von einem Trödler erstanden, stehen herum. Hinter der Absperrung eines Bauzaunes sitzt, rund um einen jungen Dirigenten platziert, ein Kammerorchester, das den Anschein erweckt, noch zu proben. 
Nach und nach füllt sich der Raum, unbemerkt auch mit einem Teil des Ensembles selbst, wie sich später herausstellen wird. (Bühne und Kostüme Christoph Gehre) „Mario und der Zauberer“ steht derzeit am Spielplan der Grazer Oper. Ein Werk, für das der englische Komponist Stephen Oliver 1988 nicht nur die Musik, sondern auch das Libretto schuf. Grundlage dafür bot ihm die gleichnamige Novelle von Thomas Mann, die dieser in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts verfasste.

 Darin geht es um die Begebenheit rund um den Auftritt eines Magiers in einem italienischen Urlaubsstädtchen. In diesem herrscht ein nationalistischer Geist, der Fremde kategorisch mobbt und ausschließt. Cipolla – der Zauberer, der in das Städtchen kommt – schafft es bei seinem Auftritt, das Publikum so zu beeinflussen, dass einige Menschen unter Trance Dinge tun, die ihnen im Wachzustand eigentlich peinlich sind. Ein junger Mann streckt coram publico die Zunge heraus, ein anderer bildet sich ein, in Cipolla seine große Liebe, Silvestra, zu erkennen und versucht verblendet, den  Zauberer zu küssen. Nicht zuletzt veranlasst der Manipulator das Publikum auch dazu, rauschhaft zu tanzen.

 All das übernimmt Christian Thausing auch in seine Inszenierung, in der die Oper Graz mit der Kunstuniversität Graz kooperierte. Auch trägt das Städtchen den italienischen Namen Torre die Venere, wie in der Vorlage von Thomas Mann, allerdings ist das Geschehen deutlich in die Steiermark verlegt. Steireranzüge, von den Honoratioren der Stadt getragen und ein Feiertagsdirndl, in dem Signora Angiolieri, die Hotelbesitzerin, auftritt, machen dies deutlich. Die Mutter – die von einem Einheimischen angeklagt wird, Sitte und Anstand des Landes verletzt zu haben, trägt ein Kopftuch und ist Muslimin. Dabei hat sie nichts anders getan, als ihrer Tochter in der Sandkiste den Badeanzug auszuziehen, damit sie diesen leichter vom Sand reinigen konnte.

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„Mario und der Zauberer“ (Foto: Werner Kmetitsch)
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„Mario und der Zauberer“ (Foto: Werner Kmetitsch)
Die Anfangsszenen spielen sich an unterschiedlichen Orten des Raumes der Studiobühne ab, der sich im Tiefparterre befindet. Erst als der Zauberer selbst auftritt, konzentriert sich das Geschehen auf die Raummitte. Das tut vor allem der Verständlichkeit des Librettos gut, das zu Beginn von einigen Plätzen aus schwerer zu verstehen war. Das Publikum ist selbst Teil der Zaubervorstellung, bei der es weniger um Tricks, sondern vielmehr um eine Machtdemonstration des alten Cipolla und um Willensmanipulationen geht. Die beiden Hauptstränge – die Ausländerfeindlichkeit, die mit scharfen Wortgefechten zu Beginn deutlich wird – und die Verführbarkeit der Menschen, verbinden sich auf seltsame Weise in einer Person. Es ist der junge Mario, der mit der zu einem Bußgeld verurteilten Mutter und deren Tochter gemeinsam die Vorstellung des Magiers besucht.

Seine offene Art und sein Zur-Seite-Stehen gerade jenen gegenüber, die von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden, steht ganz im Widerspruch zu seinem Gehorsam. Diesen bringt er, trotz anfänglichem Widerstand, dem Zauberer letztlich entgegen. Dass der Mob sich Mario als Opfer ausgesucht hat, bedeutet eine Abänderung der Handlung von Thomas Mann, wirkt aber schlüssig.

Es ist ein zutiefst negatives Menschenbild, das in diesem Werk aufgezeigt wird. Nicht nur, dass Recht und Ordnung vor Menschlichkeit stehen. Auch die vermittelte Erkenntnis, dass jeder und jede von uns verführbar sind, wird er oder sie nur geschickt manipuliert, wirft eine dunkle Schattenseite auf unsere Gesellschaft. Schon in „König Roger“, einer selten gespielten Oper von Karol Szymanowski, die im Februar im großen Haus der Grazer Oper Premiere hatte, stand das Thema der Verführbarkeit von Massen im Zentrum des Geschehens. Hier wie dort fehlt es letztlich an tiefgründigen Erklärungen. Hier wie dort bildet das Charisma des Verführers jenen Anstoß, der eine Gesellschaft völlig zum Straucheln und in den moralischen Verfall bringen kann.

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„Mario und der Zauberer“ (Fotos: Werner Kmetitsch)
In einer höchst gelungenen Besetzung stehen Sonja Saric als Signora Angiolieri und Andrea Purtic als Mutter Seite an Seite den politisch verblendeten Männern gegenüber. Valentino Blasina sprüht nur so vor Fremdenhass und stachelt den Bürgermeister, Mario Lerchenberger, mit seinen rhetorischen Giftspeilen zu einem unbotmäßigen Richterspruch auf. All diese Partien sind stimmlich perfekt ausgestattet und auch Mario, gesungen und gespielt von Romain Clavareau, fügt sich bestens in das Ensemble ein. Mit Markus Butter wurde ein Cipolla besetzt, der ein Idealbild des alten Zauberers abgibt. Groß und breitschultrig, versteckt unter einer technisch perfekten Maske, die unglaublich abstoßend wirkt, durchbohrt er mit seinem scharfen Blick so manch eine Person aus dem Publikum. Die schwere Partie, die er zu singen hat, erscheint trotz aller Atonalität, die der Musik ihren charakteristisch- drängenden Charakter verleiht, für ihn völlig natürlich zu sein.

Marcus Merkel leitet das Kammerorchester der KUG und wird dabei auf Bildschirme, die im Raum verteilt sind, übertragen. Auf diese Weise muss ihn das Ensemble nicht permanent im Auge haben, sondern hat die Möglichkeit, den jeweiligen Einsatz, egal von welchem Platz aus, gut angezeigt zu bekommen.

Das verstörende Ende lässt das Publikum mit dem Gefühl zurück, Zeuge eines Vorganges gewesen zu sein, bei dem man vielleicht einschreiten, oder zumindest an einer Stelle seine Stimme erheben hätte sollen. Der Applaus verhallt ohne Resonanz und lässt die folgenrichtige Frage im Raum: Darf man applaudieren, auch wenn man selbst Teil eines Geschehens geworden ist, das moralisch mehr als nur zu hinterfragen ist?

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Ein schmaler Grat

Ein schmaler Grat

Ein schmaler Grat

Ein schmaler Grat

„Requim pour L.“ (Foto: Chris van der Burght)
Zentral über der Bühne platziert, ist in einem Video eine Frau zu sehen. Die Einstellung ist in der Totale frontal auf sie gerichtet, die, auf geblümte Kissen gebettet, ihre letzten Lebensmomente erlebt.

Ihr Alter ist nicht leicht zu schätzen, aber es ist klar, dass sie noch lange keine alte Frau ist, deren Ableben keine Überraschung bedeuten würde. Die Augen hat sie während rund eineinhalb Stunden nur für wenige Momente geöffnet.

Ab und zu spricht sie ein Wort. Da das Video aber ohne Ton gezeigt wird, bleiben diese unverständlich. Ihre Zunge befeuchtet immer wieder ihre Lippen. Obwohl sich Angehörige und medizinisches Personal um sie kümmern, scheint es niemandem aufzufallen, dass sie durstig ist.

Das Video ist für das Publikum im Saal eine emotionale Herausforderung. Eine Herausforderung, der sich Alain Platel bewusst ist. Jener Choreograf, der immer wieder menschliche Grenzerfahrungen zum Thema seiner Arbeiten macht.

Mit „Requiem pour L.“ präsentierte das Festspielhaus St. Pölten seine neue Gemeinschaftsarbeit mit dem Komponisten Fabrizio Cassol. Schon wie in der Produktion „Coup fatal“ greifen die beiden dabei auf die Zusammenarbeit mit afrikanischen Tanzenden und Musizierenden zurück. Dieses Mal mit der Absicht, den unterschiedlichen Umgang mit dem Tod in verschiedenen Gesellschaften aufzuzeigen.

Als Basis diente dazu Mozarts unvollendetes Requiem, das Cassol noch weiter fragmentierte und mit afrikanischen, jazzigen und popartigen Ergänzungen erweiterte. Zwei afrikanische Sänger und eine Sängerin übernehmen zum Teil die choristischen Teile des Requiems, drei weitere ergänzen den Vokalpart mit musikalischen Interpretationen ihrer Heimatländer und auch deren afrikanischen Sprachen. Weitere drei Musiker – ein Akkordeonist, ein Euphonium-Bläser und ein Schlagzeuger – übernehmen die „orchestrale“ Begleitung.

Die Sterbende, eine Bekannte von Platel und Cassol, hatte, wie ihre Familie auch, ihr Einverständnis gegeben, ihren Tod zu filmen und diesen dann in einer Performance dem Publikum zu zeigen. Soweit ist die rechtliche Situation geklärt. Inwieweit moralisch und ethisch diese Aktion gutzuheißen ist, ist eine von mehreren Fragen, die sich unweigerlich aufdrängen.Das Bühnensetting besteht aus schwarzen, unterschiedlich hohen Quadern, die zum Teil, wie auf jüdischen Begräbnisstätten üblich, mit vereinzelten Steinen belegt sind. Unschwer ist darin das Berliner Holocaust-Mahnmal zu erkennen. „Ich wollte dem persönlichen Sterben das kollektive gegenüberstellen“, erklärte Platel beim Publikumsgespräch dazu. Und obwohl sich das musikalische Geschehen mit Tanzeinlagen auf und zwischen diesen Quaderblöcken abspielt, wird es doch permanent optisch von der großen Videoprojektion des Sterbemomentes nahezu verdrängt.

Weiße Tücher, welche für die letzte Reise der Frau geschwungen werden, sparsame Bewegungen, die an das Flügelschlagen von Vögeln erinnern, anklagende und verzweifelte Gebärden, die klar machen, wie sehr die Lebenden mit dem Tod hadern, bleiben aus dem Bewegungskanon des Ensembles dennoch in Erinnerung. Das musikalische Geschehen wird interessanterweise nicht in jenen Passagen intensiv, in welchen Mozart erkennbar wird. Vielmehr sind es jene Momente, in welchen das Akkordeon mit schweren Atemgeräuschen aufhorchen lässt oder die Obertonimprovisationen des Bläsers den Geist der Sterbenden in eine andere Welt zu begleiten scheinen. Dass afrikanische Rhythmen ihre Wirkung nicht verfehlen, muss nicht extra betont werden. Sosehr die musikalische Leistung der Sängerin und der beiden Sänger zu bewundern ist – einer von ihnen hat sich seine Fertigkeit aus Youtube-Videos angeeignet – sind es dennoch nicht ihre Einsätze, die wirklich berühren.

Vielmehr kreisen die Gedanken permanent um die Frage, ob denn in dem einen oder anderen Moment der Tod bei der Frau schon eingetreten ist. Um nach wenigen Augenblicken quälender Ungewissheit damit konfrontiert zu werden, dass das Leiden noch kein Ende gefunden hat. Es sind gerade diese Augenblicke, die diese Produktion trotz ihrer Intensität auch fragwürdig machen und sie auf einem schmalen Grat zwischen Rechtfertigung und Verdammung ansiedeln. Gleichzeitig stellen sich eine Reihe von Fragen wie jener nach der Sinnhaftigkeit und dem Mehrwert der Performance an sich.

Inwieweit muss der persönlichste Moment eines Menschen letztlich zur voyeuristischen Befriedigung eines anonymen Publikums aufgezeichnet werden? Der Begründung Platels, dass der Tod in unserer Gesellschaft nicht mehr existent sei, ist nur bedingt zuzustimmen. Denn der Tod war und ist durch die Medien heute präsenter als je zuvor. Die physische Nähe zu ihm ist und war immer schon nur einem kleinen Kreis von Menschen vorbehalten. Jenen, die bei einem Unglücksfall zufällig dabei sind oder den Angehörigen, die sich während der letzten Stunden neben den Sterbenden aufhalten. Ganz abgesehen von Pflegerinnen, Pflegern, Ärztinnen und Ärzten, die sich in Krankenhäusern und Palliativstationen heute um die Sterbenden kümmern. Ganz anders jedoch sieht es mit der gelebten Trauer aus, die zumindest in der weltlichen Gesellschaft heute verschwunden zu sein scheint.

Gerade aber diese gesellschaftlich so unterschiedlichen Praktiken wären es durchaus wert, aufgezeigt zu werden. Der unterschiedliche Umgang mit der kollektiven Trauerbewältigung hält eine ganze Reihe von Erkenntnissen bereit, über die es sich lohnt, nachzudenken. Wie verabschiedet man sich von den Verstorbenen nach deren Tod, welche kollektiven Rituale gehören dazu, welche Erinnerungsmomente bleiben in welcher Art und Weise erhalten? Welche Hilfe bietet ein gesellschaftliches Kollektiv, welche Strategien der Schmerzüberwindung?

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„Requim pour L.“ (Fotos: Chris van der Burght)
Das Verdrängen des Todes, das Platel als Ausgangspunkt seiner Produktion ansieht, gehört zum Menschsein ebenso wie die Erschütterung angesichts des tatsächlichen Erlebens und Miterlebens. Es sind ganz persönliche Entscheidungen, sich dieser Tatsache zu stellen oder auch nicht. Zumindest kann man Platel zugutehalten, dass das Publikum, das sich „Requiem pour L.“ ansieht, durch die Vorinformationen weiß, worauf es sich einlässt: Auf das beim Sterben-Zusehen einer ihm Unbekannten, vor der Kulisse einer musizierenden und tanzenden Gemeinschaft, die aus diesem Moment ein besonderes, artifizielles Ereignis macht, das nicht alltäglich ist.

Standing Ovations im Festspielhaus St. Pölten zeigten, dass Platel und Cassol mit ihrem schonungslosen Aufzeigen eines Sterbevorganges offenbar ein ganz bestimmtes Publikumsbedürfnis befriedigen konnten. Vielleicht ist das Rechtfertigung genug.

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Ohne Papiere bist du vogelfrei

Ohne Papiere bist du vogelfrei

Ohne Papiere bist du vogelfrei

 

„Totenschiff“ (Foto: Armin Bardel)

28.

November 2018

Ein Mensch ist ein Mensch, ist ein Mensch. Aber nur, wenn er Ausweispapiere hat. Im „Totenschiff“, einer „Song-Oper“ von Oskar Aichinger wurde dieses Thema sehr plakativ vor Augen geführt. Unter der Regie von Kristine Tornquist wurde im Rahmen von Wien Modern die Geschichte des Seemanns Gale nach der Roman-Vorlage von B. Traven erzählt.

Einem in Mexiko gelebt habenden Literaten, dessen eigentlicher Name Otto Feige gewesen sein dürfte. Der ehemalige deutsche Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär taucht nachweislich um 1942 in Mexiko auf, allerdings ist vieles in seiner Biographie unvollständig und rätselhaft.

Der Romanautor, von dem es auch eine Reihe von Erzählungen gibt, vertrat eine kapitalismuskritische Haltung und schrieb in ironisch-sarkastischem Duktus. Der Stoff, aus dem „Das Totenschiff“ besteht, ist zum Teil autobiografisch. Bei einem Landurlaub in Antwerpen verliert der Matrose Gale seine Papiere und damit auch, wie im Laufe der Inszenierung klar wird, jegliches Recht.

Im stimmungsvollen „Reaktor“ in der Geblergasse, einem langgestreckten historisierenden Raum aus dem 19. Jahrhundert, war ein sparsames, aber stimmiges Bühnenbild mit abstrahierten Videoeinspielungen (Ausstattung Max Kaufmann, Mirjam Mercedes Salzer) ausreichend, um Gale nicht nur durch verschiedene Länder marschieren zu lassen. Er heuerte auch bei einem höchst maroden Schiff an, um dort – ungewollterweise – als Kohlenschaufler zu landen.

B. Traven zeigt in seinem Buch auf, dass papierlos sein gleichzusetzen ist mit keinerlei Rechte mehr haben und Menschen, denen dies passiert, sich rasch in der untersten, sozialen Hierarchiekette wiederfinden. Obwohl der Roman 1926 veröffentlicht wurde, hat er traurigerweise jede Menge Aktualitätsbezüge.

sirene Totenschiff 6 ©Armin Bardel

„Totenschiff“ (Foto: Armin Bardel)

Die Kostüme (Nora Scheidl) und die Regie gaben der Inszenierung die Note eines moralisierenden Bilderbuches für Erwachsene, bei dem hin und wieder Brecht und Weill als Paten von Ferne grüßen ließen. Mit überzeichneten Figuren, begonnen von Gale selbst über Polizisten, Kapitäne, Schmuggler oder einen Konsul (Bernhard Landauer, Richard Klein, Clemens Kölbl, Horst Lamnek) war klar, dass das Gezeigte nicht als Geschehen aufgefasst werden sollte, das nur mit der Figur des unglücklichen Seemanns verknüpft ist. Vielmehr zeigten B. Traven und Tornquist in ihrer adäquaten Bühnenübersetzung Prototypen, die massenweise ähnliche Schicksale erfahren wie der Hauptprotagonist. Die Ironie, die Traven immer wieder verwendet, fand in der Bühnendarstellung der Polizisten und des Konsuls ihre Entsprechung. Mit Tanzschritten ausgestattet, zum Teil in Countertenorlage, boten diese Charaktere eine passende, augenscheinliche Persiflage ihrer Rollen.

Voll von Optimismus beginnt Gernot Heinrich in seiner Rolle als Gale, sein Schicksal trotz fehlender Papiere in die Hand zu nehmen. Sein feiner, sehr lyrisch ausgestatteter Tenor traf dabei in mehrfachen Duetten auf den geschmeidigen und zugleich kräftigen Sopran von Romana Amerling. Als „Großer Kapitän“ oder auch Schicksal, stand sie ihm auf all seinen Odyssee-Stationen immer wieder zur Seite, griff jedoch nie helfend ein.

Jury Everhartz leitete das ensemble sirene mit sichtbarem Enthusiasmus aber auch viel Gefühl für Feinheiten. Musikalisch ist die Song-Oper vielfältig angelegt. Oskar Aichinger illustriert Erinnerungen an New Orleans mit dementsprechend jazzigen Klängen, verwendet eine ganze Reihe von Tanz-Rhythmen, erinnerte während der Frankreich-Reise des Hauptprotagonisten an Edith Piafs „padam“, unterstrich das Auslaufen des maroden Schiffes mit einem wilden Marsch, der sich zu einer behäbigen Polka verwandelte und verlieh dem Schicksal in luftiger Höhe immer wieder ein stimmgewaltiges, melodiöses Zwischenspiel. Johann Leutgebs kräftiger, klarer Bariton passte wunderbar zu seiner Rolle. Als Stanislawski fand er in Gale, kohlenschaufelnd unter Deck, einen Freund bis zur letzten Stunde.

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„Totenschiff“ (Fotos: Armin Bardel)

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Die süße, verführerische Melodie, die Aichinger dem Schicksal am Ende seiner Oper singen lässt, lässt, sicher nicht zufällig, an jene Sirenen-Klänge denken, welche Odysseus Mannschaft in den Tod trieben. Das Eintauchen in die kalte See, in der Gale und sein Freund Stanislawski letztlich ertrinken, geschieht in dunkles Blau getaucht, beinahe erlösend. Welch schöner, vielleicht sogar ungewollter Verweis auf das sirene-Ensemble, welches diese Oper aus der Taufe hob.

Eine intensive Produktion, die sich musikalisch weder dem Gestern noch dem Heute anbiedert und gerade deswegen außerhalb der gängigen, zeitgenössischen Opernproduktionen steht.

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