OP Art in meiner Jugendzeit – 60er hergehört!

Heute, 40 Jahre später, erinnere ich mich angesichts der Ausstellungsexponate noch sehr genau an diese unbeschwerte Zeit. Die Arbeiten haben für mich plötzlich eine altersregressive Funktion und mir wird bewusst, dass nicht nur ich, sondern auch die Vertreter dieser Kunstrichtung, inzwischen einige Jahrzehnte an Leben hinter uns haben. Die meisten der Damen und Herren, die in den 60er und 70ern die Blütezeit ihrer Kunst erlebten, sind heute zwischen 70 und 80 Jahre alt. Einige Künstler und Künstlerinnen, die in der Ausstellung durch Werke vertreten sind, leben nicht mehr. So gesehen gestaltet sich die OP Art in der Schirn als „Farewell-Schau“. Es erscheint mir wie eine späte, wenn nicht eine der letzten möglichen öffentlichen Verneigungsgesten einer ganzen, obgleich auch schon betagten Künstlergeneration gegenüber, die aber zum größten Teil das Glück hat, dies noch zu Lebzeiten zu erfahren. In den letzten Jahren war es oftmals still geworden um die OP Art und deren Vertreter. Und nun können wir erleben, dass eine schon beinahe vergessene Kunstrichtung wieder aufersteht. Kunst als zeithistorisches Phänomen muss, wie wir sattsam wissen, einfach nach ihrem ersten Höhenflug ein tiefes Tal durchschreiten um danach wieder an Akzeptanz zu gewinnen. Die Kunstgeschichte liest sich als eine stete Abfolge solcher Wellenbewegungen. Dass sich die Sinuskurven der Kunstverachtung bzw. -akzeptanz im Laufe der Jahrhunderte immer stärker verengen hängt, vor allem in unserer Zeit, wesentlich mit den Informationsmöglichkeiten zusammen. Das Tempo, in welchem Erinnern auf Vergessen folgt hat sich, zum Glück für die OP Art Generation, drastisch erhöht. Wie man gut an den Reaktionen der jungen Ausstellungsbesucher sehen kann, üben die Bilder und Objekte nach wie vor, oder besser schon wieder, einen ungetrübten Reiz auf dieses Publikum aus, was wiederum die Produzenten und Produzentinnen ungemein freuen wird. Legen diese Reaktionen doch eine lebendige Spur in die Zukunft, in welcher sich kommende Generationen, zwar verwöhnt von computergenerierten Sinnestäuschungen, in Ausstellungen wie dieser, wahrscheinlich immer noch fasziniert mit der OP Art beschäftigen werden.

Diese Ausstellung bietet speziell meiner Generation, also Menschen, die in den 60ern geboren und aufgewachsen sind, die Möglichkeit, sich analytisch- retrospektiv der Kunstströmung der eigenen Jugend zu nähern. Dies kann, historisch betrachtet, als Novum in der menschlichen Biographieretrospektive bezeichnet werden. Noch unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert lebten mindestens über zwei Generationen in einem relativ stabilen kulturellen Umfeld, von den davorliegenden Jahrhunderten ganz zu schweigen. Das 20. Jahrhundert, mit seinem kaum nachvollziehbaren Tempo der Entwicklung von neuen, technischen Errungenschaften war das erste, in welchem es schien, als kämen unsere Großeltern nicht nur aus einer anderen Generation, sondern fast schon von einem anderen Planeten. Die größten sozialen Veränderungen, die Manifestation einer bis auf den heutigen Tag nicht enden wollenden Jugendkultur und die Emanzipation, deren Folgen von den heutigen Jugendlichen wie selbstverständlich gelebt werden, ereigneten sich in unserer Jugend. Dass es zu Zeiten der OP Art erst wenige Künstlerinnen gab, denen der Durchbruch gelang, schlicht aus dem Grund, weil sich noch viel weniger Frauen als heute ihr Brot mit der Kunst verdienten, wird auch anhand der Ausstellungsliste deutlich.

Durch die rasante Weiterentwicklung der computerunterstützten Technik und nicht zuletzt der damit veränderten Sehgewohnheiten, nimmt sich ein Teil der kinetischen OP Art- Arbeiten wie Dinosaurier der PC-Spielwelt aus. Tatsächlich könne gerade jene Werke, welche das Publikum dazu animieren, durch Drücken einer einzelnen Taste die Abfolge von Lichtreizen oder anderen Aktionen auszulösen, als erste Gehversuche der elektronischen Unterhaltungslandschaft erkannt werden.

Es ist schon ein besonderes Gefühl, einen Teil meiner eigenen Vergangenheit – nämlich meine jugendlichen Bildidentifikationen – museal dargestellt zu betrachten. Jetzt weiß ich, warum Teenager mich seit geraumer Zeit mit „Sie“ ansprechen – ein Umstand, der mir anfangs Schauer über den Rücken laufen ließ.

Michaela Preiner

Remix von Georg Baselitz oder die gelungene Graphikkoketterie

So einfach und banal dies klingen mag, so schwierig muss sich wohl die tatsächliche Ausführung gestaltet haben. Dies ist schon unter dem Blickwinkel der Schwierigkeit einer Ausstellungsbesucherin – in diesem Falle ich selbst – die neue Abfolge auch in der Betrachtung dementsprechend zu berücksichtigen, erahnbar. Durch viele historische Beispiele ist man als Rezipient einfach gehirntrampelpfadig gewohnt, die großen Arbeiten als Endergebnis eines künstlerischen Prozesses anzusehen, dem vorweg die kleinen Blätter auf Papier vorangegangen sind. Obwohl die Beschreibung zur Ausstellung nichts zu wünschen übrig lässt, und das Phänomen erster und zweiter Arbeitsschritt mehrfach dargelegt wird, ertappt man sich immer wieder, den Vergleich gewohnheitsmäßig und nicht auf Baselitzsche Art durchführen zu wollen. Verblüffend, wie einem die kunsthistorische Ausbildung hier schon einmal kurzzeitig im Weg stehen kann. Mit genügend Selbstironie aber gehts ans Schmunzeln, ob der eigenen Betrachtungsunzulänglichkeit und schon ist man dort angelangt, von wo aus Baselitz losmarschiert ist. Eine große Prise Ironie spricht nämlich tatsächlich aus einem Teil der Arbeiten, speziell aus der „Die große Nacht im Eimer, Remix 2005“ betitelten, die, unverkennbar durch den Haar- und Bartwuchs sowie die eng beieinander stehenden Augen, Hitler darstellt – mit einem großen, erigierten Penis in der Hand – und – wohlgemerkt – einem – auf gut Österreichisch ausgedrückt – <span></span>richtig roten Ohrwaschl. Baselitz, am Puls seiner Zeit, spitzt in dieser Arbeit aus 2005 zu, was er schon 1962/63 lässig vorexerzierte. Worüber derzeit allerorts heftig öffentlich diskutiert wird, nämlich ob es überhaupt statthaft ist, mit Witz und Ironie die Thematik Hitler und seine Folgen zu verarbeiten, scheint den Künstler nicht zu kümmern. Oder anders herum: gerade diese Diskussion dürfte ihn dazu veranlasst haben, sich hier explizit bildend zu betätigen. Baselitz bedient sich bewusst dieses Themas in einem „Remix“, so als wollte er den Skandal, den das Bild bei seiner ersten Ausstellung hervorrief, in einem neuen, zeitgemäßen Kontext noch einmal wiederholen. Den einstigen Vorwurf der Pornographie – heute kein müdes Lächeln mehr hervorrufend – stellt er jedoch im Zusammenhang mit der historischen Persönlichkeit und deren Lächerlichmachung – ein zweites Mal in gewandelter Form zur Diskussion. <span></span>Hitler, die eigene Scham ob seiner Handlung durch sein rotes Ohr zur Schau tragend, wird vom Betrachter beim Onanieren ertappt. Lächerlicher geht es wahrscheinlich nicht mehr. Bravo, Baselitz! Auch wenn es kunstkritische Stimmen gibt, die diese Bearbeitung als bewusste modische Provokationsattetüde negativ darstellen, so sei diesen Befunden entgegengesetzt, dass es wohl nichts schwierigeres gibt, als einst gefundene, künstlerische Themen und Positionen mit neuen Inhalten und stilistischen Mitteln zu bearbeiten und den Vergleich zur eigenen Position im Kunstgeschehen nicht fürchten zu müssen. Baselitz behält Recht, ein einstiges Skandalbild mit einer neuen Bedeutung erneut in die Diskussionsschlacht zu werfen, ob dies puristischen Stilelementeklaubern gefällt oder nicht. Im Vergleich zu seiner Erstfassung aus dem Jahr 1962/63 hellt er die Farben merklich auf, setzt der ehemals dunklen Farbenskala vereinzelte, kräftige, farbige Kontrapunkte in Rot, Gelb und Grün hinzu. Aufgrund des nun deutlich erkennbaren Portraits setzt Baselitz der Erstfassung auf diese Weise weitere Erläuterungen hinzu. Allein die Spekulationen, ob der Junge auf dem Skandalbild in den 60ern bereits Hitler darstellte oder nicht, eröffnen weitere Interpretationsmöglichkeiten und stellen somit beide Bilder, wie auch die Zeitspanne zwischen ihrer Erzeugung in einen neuen Betrachtungszusammenhang. Doch nicht nur dieses eine Bild ist es wert, sich diese Schau anzusehen. Besonders sinnfällig wird die Schenkung dann, wenn die genaueren Bildanalysen zeigen, dass Baselitz auch auf seinen großen Formaten auf Leinwand ganz offenkundig Bezug auf den umgekehrten Entstehungsmodus nimmt. So sind die meisten Darstellungen von einem breiten, weißen, also unbemalten Streifen umgeben und imitieren ganz offenkundig den Rand einer Graphik auf Papier. Im Gegensatz dazu sind wiederum viele Arbeiten auf Papier bis zu deren Rändern hin – ja auch scheinbar darüber hinaus – komponiert und ausgeführt. Ein abermaliger Hinweis auf die der Werkphase zugrunde liegende Thematik des verschobenen Einsatzes von Graphik und Malerei. Einen ganz wesentlichen Anteil am Gelingen dieser tollen Schau hat die elegante und bewusste Hängung der Arbeiten. Beeindruckend kommen schon die ersten Köpfe auf dem Bild „Oberon“ (Remix) 2005 dem Besucher entgegen, wenn er oder sie die lange Rolltreppe in die Tiefe hinab fährt. Je tiefer man in den Raum eintaucht, umso mehr sieht man auch von den vier Köpfen, die nicht müde werden, den Blick vom Besucher abzulassen. Eine bewusste Provokation, der sich der Besucher und die Besucherin gar nicht entziehen kann. Die Hängung bleibt nach dem ersten Raum hinaus weiterhin stringent und nutzt jeden optischen Fluchtpunkt beim Durchschreiten der Räumlichkeiten für die Platzierung der prominenten Großformate. Auch die einheitliche, unauffällige Rahmung bis hin zu den Papierarbeiten und deren wohlgefällige, optisch austarierte Hängung trägt wesentlich zu dem Wohlfühlfaktor bei, der diese Ausstellung schließlich als mehr als gelungen einstufen lässt. Gelungen vom künstlerischen Experiment her, gelungen von der Entscheidung der Sammlung Rheingold, diese Bilder der Albertina zur Verfügung zu stellen und gelungen nicht zuletzt aufgrund der perfekten Präsentation. Sehenswert.

Infos: https://www.albertina.at/cms/front_content.php?idcatart=64

Michaela Preiner

OP-Art in der Schirn

OP-Art in der Schirn

Von der unablässigen Faszination der Augentäuschungen

OP Art Schirn Kunsthalle

OP-Art in der Schirn

Eines gleich vorweg: Die Ausstellung lebt von den gezeigten Werken und einer gelungenen Installation in einer „Black box“. Eine zeitgerechte Aufarbeitung dieses Themas könnte zwar anders aussehen, aber die Auswahl der Arbeiten erweist sich als so glücklich, dass diese jedes weitere Manko wettmacht. Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt zeigt vom 17. Februar bis 20. Mai 2007 eine Auswahl an OP-Art. Sowohl Bilder als auch kinetische Objekte dürfen ihren Reiz auf jeden Besucher ausüben, egal ob jung oder alt. Schon die überdimensionale Drehscheibe im Eingangsbereich, eine Arbeit von Marina Apollonio, besonders von Kindern und Jugendlichen kurzfristig gerne spielerisch in Besitz genommen, zeigt an, worum es in der Ausstellung geht. Die bewusste Täuschung des Auges, hervorgerufen durch oftmals mathematisch akribisch nachrecherchierte Phänomene, die von den verschiedenen Künstlern bildlich umgesetzt wurden. Namen wie Bridget Riley, Francois Morellet, Alberto Biasi oder Victor Vasarely bürgen hierbei für höchste Qualität. Es gibt aber auch Arbeiten von nicht ganz so bekannten Größen zu bewundern, die jedoch der weltbekannten Künstlerriege durchaus Stand halten.

Frühtrunk

OP-Art in der Schirn - Grüne Intervalle

Schon bei den ersten Objekten von Jesus Rafael Soto ist man verwundert über die eigene Unzulänglichkeit des Auges, scheinen doch Stäbe, die am Boden fest montiert sind, allein aufgrund ihrer Farbgebung zu schweben. Feinste Metalldrähte wiederum irritieren und lassen die Aufmerksamkeit immer wieder zwischen der bemalten Hintergrundtafel und einem objekthaft aufgezogenen Drahtvorhang hin und her springen. Diese Arbeit von Soto ist eine der wenigen, die eine Balance zwischen der Erfahrung der optischen Täuschung und jener einer lyrischen Aussage und Interpretation zulässt. Zwar sind noch andere Arbeiten, vor allem bewegte Installationen, oder durch Lichteffekte verblüffende Werke zu sehen, welche über die optischen Täuschungen hinaus auch verschiedene emotionale Bereiche ansprechen. Die wenigsten lassen jedoch einer eigenen Interpretation freien Raum. Dieses Phänomen der OP Art liegt im Ansatz dieser Kunstrichtung begründet, welche nicht Erfahrung, Emotion, Erinnerung oder assoziative Ableitungen in den Vordergrund stellt, sondern physikalische Phänomene des Sehens berücksichtigt und bewusst damit spielt.

Dass die OP Art, eine spezielle Ausformung der Konkreten Kunst, ihre philosophische Unterfütterung von der analytischen Philosophie und vom kritischen Rationalismus eines Karl Popper her ableiten kann, liegt auf der Hand, wird aber in der Ausstellung nicht extra beleuchtet. Auch der radikalkonstruktivistische Ansatz eines Paul Watzlawick, der davon ausgeht, dass wir keine objektiven Realitäten wahrnehmen können, wird in der OP Art durch die hervorgerufenen optischen Täuschungen erlebbar. So stehen auch die sinnlichen Reizerfahrungen in der Ausstellungsvermittlung an erster Stelle. Rasch stellt sich eine kindliche Freude an den unerwarteten, optischen Phänomenen ein. Eine Freude, die sich die komplette Schau hindurch aufrecht erhält und in der Inszenierung der Black box kulminiert, in welcher Lichtinstallationen gezeigt werden, die durch ihren Bewegungsablauf Staunen und Irritation hervorrufen. Das bewegte Spiegellabyrinth von Davide Boriani – seine Camera stroboscopica – weckt Erinnerungen an kindliche Jahrmarktbesuche, ist für Lichtreiz empfindliche Personen aber nicht zu empfehlen. An diesem Werk wird auch deutlich, dass Boriani sich nicht damit begnügte, eine künstlerische Position vorzuexerzieren, sondern das Publikum interaktiv mit einbezog. Ein Kunstgriff, der am Beginn einer Entwicklung steht, die Bekanntheit eher durch andere Kunstströmungen wie jene des Happenings oder in seiner zugespitztesten Form des Wiener Aktionismus erlangte.

In unmittelbarer Nachbarschaft des Labyrinthes befindet sich eine der leisesten, und doch überaus beeindruckenden Lichtinstallationen, nämlich jener von Gabriele Devecchi. Die Arbeit aus dem Ursprungsjahr 1969, in der Schirn neu adaptiert und in Szene gesetzt, arbeitet mit sich bewegenden Lichtstrahlen in einem abgedunkelten Raum. Die Abfolge der dadurch hervorgerufenen scheinbaren Raumverkleinerung und Vergrößerung besticht ungemein. Durch das Betreten des Besuchers werden zusätzliche Schattenspiele ausgelöst, die wiederum effektvoll mit dem Verhältnis der wechselnden Proportionen spielen. Gänzlich anders erscheint dagegen die Arbeit von Luis Tomasello, „Atmosphère chromoplastique“, auf der eine Unzahl von kleinen Würfeln auf eine Fläche so aufgebracht wurden, dass diese nur an einer Seitenkante an der Platte darunter befestigt sind. Der orange-fluoreszierende Farbauftrag jener Würfelflächen, die der Platte zugewandt sind, werfen ihren farbigen Schatten auf die weiße Grundfläche und erzeugen dadurch ein verwaschenes, partielles Leuchten unter den Würfeln, dem man erst durch näheres Betrachten auf die Spur kommt.

Wie schon bei anderen Ausstellungen in der Schirn wahrgenommen, gibt die groß montierte Informationswand zu Ausstellungsbeginn allein ein wenig Information zum Thema. Schade, denn Zwangsbeglückungen zu Führungen oder einem gezielten Katalogkauf sind nicht jedermanns und jederfraus Sache. Allerdings gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm zur Ausstellung, welches tiefer in die Materie eindringen lässt. Empfohlen für all jene Besucher, die im Frankfurter Raum wohnen.

Infos:
www.schirn-kunsthalle.de/index.php?do=exhibitions_detail&id=74〈=de

Lucas Cranach im Exil

Hauptthema im Schloss Johannesburg ist das Verhältnis zwischen dem Reformator Martin Luther, dem Kardinal und Fürsterzbischof Albrecht von Brandenburg, welcher seinen Hauptsitz Halle während des reformatorischen Umsturzes verlassen musste und sich auf seinem Nebenwohnsitz Aschaffenburg im „Exil“ einrichtete, sowie dem Künstler Lucas Cranach. Dieser befand sich gewissermaßen zwischen den Fronten der reformatorischen Ansichten und jenen der katholischen Kirche. Dass ihm dieser Drahtseilakt tatsächlich gelang, lässt sich auch anhand einiger Bildbeispiele in der Ausstellung wunderbar nachvollziehen. Gleich zu Beginn trifft man auf ein bekanntes Bild, nämlich das Doppelportrait von Luther und seiner Frau Catharina von Bora, welches aus Cranachs Werkstatt stammt. Die schriftliche Information, dass Luther die Morgengabe des Erzbischofs Albrecht von 20 Gulden ausschlug, seine Frau jedoch dankend annahm, zeigt bereits anekdotenhaft die Spannungen auf, die zeitlebens zwischen diesen beiden christlichen Gesinnungsantipoden herrschte. Angemerkt sei, dass Cranach selbst Trauzeuge von Luther war und ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm hatte. Auf katholischer Seite wiederum stand Cranach stand in Lohn und Brot nicht nur von Kardinal Erzbischof Albrecht, sondern er erhielt Aufträge aus dem gesamten Umkreis dessen Familie. Die kleine Tafel „Herzog Georg der Bärtige von Sachsen“ ist ein wahres Kleinod Cranachscher Portraitfertigkeit und zeigt den Bruder Albrechts, welcher nach dem Tode seiner Frau das Gelübde abgelegt hatte, seinen Bart nicht mehr abzuschneiden. Das Bruststück, formatfüllend auf die Tafel gesetzt, entfaltet seine Anziehungskraft vor einem einheitlich türkisblauen Hintergrund und besticht augenblicklich durch seine realistische Wiedergabe mit feinstem Pinselauftrag. Cranach folgt dabei Vorbildern aus der italienischen Renaissance. Schon einige Generationen vor ihm waren die italienischen Künstler Meister in der Wiedergabe des menschlichen Antlitzes ohne dieses in eine raumhafte Ordnung eingesetzt zu haben. Wie modern auch heute noch eine solche Darstellung ist, kann leicht anhand zeitgenössischer Portraitaufnahmen von guten Fotografen nachvollzogen werden. Lassen Sie uns einen kleinen Exkurs in die Geschichte der Fotografie unternehmen. Hier lässt sich eine Parallele zwischen der Entwicklung der Porträtmalerei und jener der Portaitfotografie finden, wenn man bedenkt, dass es im 19. Jahrhundert lange üblich war, die Porträtierte oder den Porträtierten in eine Innenraumszenerie zu stellen, die dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprach. Verwiesen sei hier auf Korbmöbel unter exotischen Pflanzen, illusionistisch gemalte Hintergründe jeglicher Art oder kunstvolle Vorhangdraperien. Im Verlauf der Fotografiegeschichte ging man jedoch, genau wie in der Portraitmalerei, dazu über, Personen vor einem einheitlichen Hintergrund zu porträtieren, um so dem Auge keine Möglichkeit der Ablenkung von der abgebildeten Person zu bieten. Doch dieses Bild ist bei weitem nicht das einzige, welches eine Modernität aufweist, die sich dennoch schon vor 500 Jahren manifestierte.

In der Ausstellungshalle der Jesuitenkirche, in welcher die Ausstaffierung der ehemaligen halleschen Stiftskirche zum Teil rekonstruiert wird besticht das Hauptwerk, der sogenannte Magdalenenaltar ebenfalls durch eine zeitgemäße formale Behandlung der einzelnen Tafeln. Besonders sticht hier das Bildnis der Lazarus hervor, auf dem, vom Betrachter aus gesehenen, rechten Altarflügel. Leicht überlebensgroß steht der Heilige vor seiner eigenen Totenbahre, von welcher ihm Jesus – laut der Überlieferung – befahl aufzustehen und diese mit sich zu tragen. Die einfache, aus rohen Holzbrettern zusammengefügte Trage ragt von rechts in das untere Bildstück und scheint zum Greifen nahe. Dieses ausschnitthaft naturalistisch wiedergegebene Attribut ist es, welches das Gefühl vermittelt, Zeitzeuge zu sein und dem Erweckten direkt gegenüber zu stehen. Zwar trägt dieser die in Cranachs Zeit übliche Kleidung, umso leichter wird die Identifikation seiner Zeitgenossen mit dem abgebildeten Geschehen gewesen sein. Konträr dazu die Behandlung der mittleren Tafel, in welcher die Auferstehung Jesus in einer phantastisch-surrealen Formensprache abgehandelt wird. So klar rechts Lazarus und links Magdalena mit ihrem Salbungsgefäß fassbar sind, so unübersichtlich und wirr zeigt sich für unser heutiges Auffassungsvermögen das Mittelstück. Jesus wird in einer großen, weißen Aureole im Auferstehungsgestus dargestellt, umgeben von Puttenköpfen mit Flügeln. Rechts unter ihm hilft er, Verdammten aus der Vorhölle zu entkommen, links schlafen noch die Wächter über seinem Grab. Die Darstellung von mehreren Handlungen unterschiedlicher Zeitebenen auf ein und demselben Bild ist typisch für die Entstehungszeit und war von den Menschen, im Gegensatz zu heute, viel leichter lesbar. Dasselbe Prinzip der Gleichzeitigkeit zeigt sich auch auf der Jonasszene, die dem Tryptichon unterlegt ist. Dieser wird im Bildhintergrund vom Walfisch verschlungen und im rechten, vorderen Teil wieder ans Land gespuckt. Gemein haben all diese einzelnen Bilder des Magdalenenaltares das Grund- und Kernthema der christlichen Lehre, die Auferstehung von den Toten. So als wollte der Auftraggeber dem gläubigen Volk oder vielleicht auch sich selbst eine mehrfache Versicherung dieses Geschehens anhand unterschiedlicher Vorbilder aufzeigen, und mehrfach unterfüttern. Aschaffenburg ist stolz, diesen Altar das erste Mal seit langer Zeit wieder vereint ausstellen zu können und es ist unglaublich, in welch farbenfroher Pracht er uns heute wieder erscheint.

Im dritten Ausstellungsort, dem Stift St.Peter und Alexander bestechen vergoldete Reliquienschreine wie jene des Hl. Peter und des Hl. Alexander die Besucher. Aber neben diesen Kleinodien der Goldschmiedekunst ragt ein Ausstellungsobjekt besonders heraus: Es ist dies ein Spielbrett Albrechts, das auf einer Seite mit einer Schachbretteinteilung und auf der anderen mit einer Einteilung für das Tric-Trac-Spiel ausgearbeitet ist. Das älteste Schachbrett seiner Art in Deutschland soll ursprünglich dem Hl. Ruprecht von Bingen gehört haben. Darin besteht ein Teil der Felder aus kleinen, geschnitzten Skulpturen, jedes ein Kunstwerk für sich. So tummeln sich, eingesperrt unter kleinen Glastäfelchen geschnitzte und gefasste Miniaturkentauren, Drachen, Fische und vieles mehr. Das Auge kann sich kaum satt sehen und es ist gut vorstellbar, dass sich Spielgegner des Fürsterzbischofes vom künstlerischen Geschehen auf dem Brett leicht ablenken ließen.

Der noch relativ sorglose Umgang mit Kulturgut im 19. Jahrhundert wiederum lässt sich bei genauer Betrachtung des Kaltofenaltares ausmachen, der ebenfalls mit anderen, im Stift gezeigt wird. Zwar ist dies sicher nicht die Intention der Ausstellungsmacher. Es ist aber auch immer wieder schön, abseits der gebotenen Thematik Interessantes zu finden, das plötzlich einen gänzlich anderen Betrachtungskontext bietet. Finden sich doch auf allen drei ebenfalls bemalten Tafeln auf der Rückseite in den unteren linken Ecken Aufkleber der Staatlichen Gemäldesammlung mit Inventarnummern. Was einst Museumsbeamte mit Stolz erfüllte, durch eben diese Kennzeichnung Objekte einer bestimmten Sammlung sichtbar einzuverleiben, würde heute jedem Restaurator und jeder Restauratorin den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Und dennoch eröffnen diese, aus heutiger Sicht gesehen kulturhistorischen Fauxpas interessante Rückblicke auf den Umgang der Kunst vor rund 100 Jahren. Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert, in welchem die meisten uns heute bekannten Museen entstanden oder wesentlich ausgebaut wurden. Und tausende Menschen waren europaweit damit beschäftigt, Kunstwerke zu inventarisieren und katalogisieren. Dass sich die Art und Weise, wie dies geschieht, verändert hat, ist völlig klar. Es ist aber reizvoll, anhand eines so kleinen Beispieles die Entwicklung der Kulturgeschichte, wenn auch nur in einem ganz kleinen Ausschnitt, nachvollziehen zu können.

Das letzte Highlight, die Beweinung Christi von Matthias Grünewald, um 1525 geschaffen, konnte in seinen ursprünglichen Kontext wissenschaftlich eingestellt werden. Es wurde von Albrecht für das Heilige Grab in der Stiftskirche Aschaffenburg in Auftrag gegeben. Die eigenwillige, expressive Darstellung mit dem grün-grauen Inkarnat des toten Jesus besticht gerade auch durch den Ausschnitt, den der Künstler gewählt hat. Grünewald hat hier dasselbe Prinzip wie Cranach bei der Tafel mit dem Hl. Lazarus gewählt, indem er den unteren Teil der Arme, wahrscheinlich ist Maria Magdalene gemeint, so in das Bild setzt, als würden diese von der Realität in den fiktiven Bildraum greifen. Hier ein Teil einer Figur, dort ein Teil der Totenbahre – durch das imaginäre Herausragen in den Raum gelingt die Verschränkung mit dem Hier und Jetzt des jeweiligen Betrachters. So sind diese Bilder, obwohl ein halbes Jahrtausend alt, immer noch aktuell und werden es wohl auch noch lange Zeit bleiben. Was Halle verlor, gewann Aschaffenburg und hat über die Jahrhunderte wohl wissend ob des unschätzbaren Wertes, diesen auch gehütet. Den Generationen von Kulturschätze-gehütet-habenden Aschaffenburgern sei Dank!

So bleibt noch dem Aufsichtspersonal, angesichts der großen Besucherzahl, noch zu wünschen, dass es sich seine Freundlichkeit und Unaufdringlichkeit bewahrt. Tugenden im Museumsbetrieb, welche leider oftmals vermisst werden.

Infos: www.cranach-im-exil.de/

Michaela Preiner

Haribo macht Kinder froh – und Ausstellungshallen ebenso

bis dato noch nie etwas von einem politisch korrekten Sprachgebrauch gehört, anders lässt sich diese sprachliche Diskriminierung der Volksstämme aus dem Sinti- und Romabereich nicht erklären. Angesprochen auf diesen Fauxpas, verteidigte sich ein männlicher Aufseher damit, dass die Ausstellung nicht vom Volkskundemuseum in Graz ausgerichtet sei, sondern von der Firma Haribo selbst und ergriff, nach dieser Informationsweitergabe, flink die Flucht in Richtung Ausgang. Ob dies zum Zwecke der Berichterstattung an die Museumsleitung wegen dieses Einwandes geschah, oder ob dies andere Hintergründe hatte, wurde von uns nicht weiter hinterfragt, hätten wir dem jungen Mann doch nachlaufen müssen. Allerdings sahen wir mit dieser kurzen Hintergrundinformation nun die Ausstellung aus einem anderen Blickwinkel. Was hier geboten wird ist also nichts weiter, als ein geschickter Marketinggag der Firma Haribo, der sich mit dem Mäntelchen einer museumskuratierten Schau schmückt. Immerhin ist es hier jedoch einer offensichtlich sehr fitten Marketingabteilung gelungen, dem Unternehmen Haribo, abgeleitet aus den Anfangsbuchstaben des Firmengründers und des Firmenstandortes – Hans Riegel, Bonn, dass sich Interessenten und Konsumenten ungefähr eine Stunde lang intensiv mit den Produkten der Firma auseinandersetzen. Eine Wunschvorstellung eines jeden Lebensmittelherstellers! Inmitten einer Fülle von Marketingartikeln, die über die Jahrzehnte für Haribo hergestellt wurden bis hin zu Artefakten, wie alten Vertreterköfferchen, voll bestückt mit Hariboprodukten, wurde uns deutlich, dass wir uns eigentlich selbst in einer großen, dreidimensionalen Werbenummer befanden. Nun wäre weiter auch nichts dagegen einzuwenden, hätten wir nicht Eintritt bezahlt. Es kam uns vor wie beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Österreich. Dieses kassiert auch doppelt, von seinen Zusehern und von seinen Werbepartnern. Als es uns schließlich dämmerte, dass wir uns mit unserem Entschluss, diese Ausstellung zu besuchen, selbst auf den Gummibärenleim gegangen waren, und uns ja schon mittendrin in dieser Wunderwelt des süßen, zähen Goldbärenbreies befanden, kamen wir übereinstimmend ohne weitere Worte überein, die Ausstellung bis zu deren Ende zu besuchen. Und gut so, sonst hätten wir die Videobotschaft verpaßt, dass die derzeitigen Verantwortlichen des Hauses Haribo ihren Nachfolger aus der Familie bereits gekürt haben und sich somit die Gummibären verdrückende Fangemeinde keine Sorgen um den Fortbestand des Unternehmens und um den Nachschub der mit süßen Leckereien gefüllten Plastiktüten machen muss. Dass uns zuvor noch eine Wachspuppe von Thomas Gottschalk, dem langjährigen Werbeträger der Firma Haribo, aufgrund ihrer hässlichen Ausführung regelrecht erschreckt hat, und uns die dargebotenen, filmischen Werbesequenzen aus den letzten Jahrzehnten zumindest bei dem ein oder anderen Clip an unbeschwerte Jugendtage erinnern ließen, diese emotionale Hochschaubahn berechtigte doch schlussendlich noch den bezahlten Eintritt. Denn in welcher Ausstellung liegt schließlich Gruseln und rührselige Kindheitserinnerung so knapp nebeneinander? Was uns sonst noch im Gedächtnis blieb? Dass die Beatles Goldbärchenliebhaber waren und dass die Haribotütchen an der Kasse samt und sonders nur 90 Cent kosteten. Was der Firma Haribo angesichts der prallvoll gefüllten Tüten unseres Sohnes schließlich noch zu einem weiteren Umsatz an diesem Tag verhalf.
Infos: www.volkskundemuseum-graz.at/

Michaela Preiner

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