Sommer!

Sommer!

Die Temperaturen im Juli stiegen auf ungeahnte Höhen. Wer kann, flüchtete sich ans Wasser oder verbarrikadierte sich in einer kühlen Wohnung. Viele entfliehen im Sommer der Großstadt, aber es gibt auch viele, die arbeiten müssen, oder aus anderen Gründen nicht wegfahren können oder wollen. Egal, ob Sie nun in die Sommerfrische fahren oder zuhause in Wien bleiben – wir haben uns für Sie ein ambitioniertes Sommerprogramm vorgenommen. Denn es steht uns noch ein langer August bevor.

Wir arbeiten an einem Bericht über Jon Gnarr, den ehemaligen Bürgermeister von Reykjavik. Seine Karriere vom Jugendlichen, der sich außerhalb jeder Gesellschaftsnorm fühlte, zum Punk und letztlich zum Bürgermeister ist nicht nur beachtenswert. Wir finden, von ihm können wir jede Menge lernen. Vielleicht haben Sie schon einmal davon gehört, dass man aus Blüten herrliche Gerichte zaubern kann. Eine kleine Anregung hierzu finden Sie in unserem Artikel über ein Blütendinner in Schönbrunn, kredenzt vom Sternekoch Johann Reisinger. Wirklich nachahmenswert! In diesem Zusammenhang gibt es in Kürze bei uns eine neue Rubrik – „Kulinarik“. Lassen Sie sich diesbezüglich einfach überraschen.

Ein kühler Tipp für heiße Tage in der Stadt: Besuchen Sie doch eines der vielen Museen. Gut gekühlt wird dort nicht nur die Kunst, sondern auch die Besucherinnen und Besucher. Wer gerne einen kleinen Ausflug macht, dem sei die derzeitige Ausstellung im Arnulf-Rainer-Museum ans Herz gelegt. Lüpertz und Rainer finden sich dort im Wettstreit. Einfach sehenswert! Eine Kritik darüber folgt ebenfalls im August.

Selbstverständlich berichten wir intensiv über das ImpulsTanz-Festival. Mit Rezensionen und Interviews und last but not least: Wir beginnen mit einer neuen Serie „Open-air-art“, in der wir Kunstwerke, die allen Menschen im Freien zugängig sind, ganz subjektiv vorstellen möchten. Denn political correct dürfen andere sein. Unsere Stärke liegt in unserer persönlichen Meinung, die wir hier vertreten. Wir erheben nicht den Anspruch, dass wir objektiv berichten, aber wir berichten mit viel Know-how und Hintergrundwissen. Und das ist in unserer schnelllebigen und kurzzeiligen Berichterstattungs-Zeit heute auch schon etwas. Finden wir zumindest.

In diesem Sinne: Genießen Sie den August und lassen Sie sich ab und zu von einem unserer Artikel inspirieren.

Dem Viktor tät´s gfalln!

Dem Viktor tät´s gfalln!

Am 26. März 2015, dem 110. Geburtstag von Viktor Frankl, eröffnet in der Mariannengasse 1 das Viktor Frankl Museum. Ein Ort der Begegnung, aber auch der Kontemplation an dem es Antworten zu den großen Lebensfragen des Menschen gibt.

Die schöne, alte Jugendstiltüre schließt leise. Im kleinen, aber hellen Raum wird man vom Geruch frischer Farbe sofort überwältigt. An der Wand zwei Stellagen mit Büchern von und über Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. „Ich muss mir nicht alles von mir selber gefallen lassen“ ist auf einer Postkarte, die zum Verkauf aufliegt, abgedruckt. Einer von vielen Aussprüchen des Psychotherapeuten, der nach Freud und Adler, von dem er hochkant hinausgeworfen wurde, die sogenannte Dritte Wiener Schule der Psychotherapie begründete.

Ihm zu Ehren, aber noch viel mehr, um ein breites Publikum mit seinen Ideen bekannt zu machen, wurde nun in der Mariannengasse 1 ein kleines, aber feines Museum eröffnet. Im ersten Stock, direkt neben der Wohnung des weltberühmten Therapeuten, in dem heute noch seine 90jährige Witwe wohnt. Knappe 90 Quadratmeter misst das Museum in dem man zwar auch einige persönliche Gegenstände von Frankl, wie ein Brillenetui samt Brille und einige Autographen sehen kann. Aber die Präsentation seiner Geschichte steht dabei nicht im Vordergrund. Die beiden Schwestern, Heidemarie Zürner und Johanna Schechner, gründeten bereits 2004 im Rahmen einer gemeinnützigen Bildungseinrichtung mit Schwerpunkt Öffentlichkeitsarbeit schon im selben Stockwerk das Viktor Frankl Zentrum. In diesem nehmen jährlich ungefähr 10.000 Interessierte an Workshops, Vorträgen und Seminaren teil – immerhin 4.000 davon Jugendliche. Angespornt von der Idee, Frankls Lebenswerk so vielen Menschen wie nur möglich nahe zu bringen, nutzten die beiden Damen vor einem knappen Jahr die Gunst der Stunde. Als die Wohnung leer wurde, beschlossen sie, diese für ein Museum zu adaptieren in dem vor allem eines im Vordergrund steht: Die persönliche Auseinandersetzung mit Frankls Leitsätzen und die Suche nach dem eigenen Lebenssinn. Sinn (er)leben ist das Motto des Zentrums, aber auch der neu eröffneten Location.

Helles Grün – die Farbe der Hoffnung und, ganz praktisch gedacht, auch die Farbe, die bisher für das Corporate Identity des Zentrums stand, aber auch warmes Orange, die Lieblingsfarbe von Frankl, sind in den Räumen vorherrschend. Ziehen sich als breite Streifen über die Wände oder akzentuieren Sitzgelegenheiten. Im zweiten Zimmer ist Frankls Life-Line hoch oben an den Wänden skizziert. Von seiner Geburt bis zu seinem Tod sind die wichtigsten Stationen aufgeführt. Darunter findet man schwenkbare Schautafeln, schick aus Glas und Metall. Auf deren Vorderseite sind Lebensfragen zu lesen und, schwenkt man auf die Rückseite – gibt es Antworten dazu.

Johanna Schechner, selbst Logotherapeutin, erklärt die Intention dieses neuen Ortes mit einer Einladung an alle Menschen, die sich nicht nur für Frankl selbst interessieren, sondern die sich in ihrem Leben Fragen stellen, zu deren Beantwortung man ihnen hier eine Hilfestellung anbieten kann. Viktor Frankl bezeichnete sein Werk im Gegensatz zu Siegmund Freuds Tiefenpsychologie als Höhenpsychologie. Als ein Hilfsmittel, mit dem der Mensch über sich hinauswachsen könne. Und tatsächlich muss man unweigerlich im nächsten kleinen Durchgangsraum den Kopf heben. Obwohl es am Boden so viel zu lesen gibt. Der „Boden des Schicksals“ versinnbildlicht das, was unsere Vergangenheit ausmacht. Das, woher wir kommen und was wir bisher geworden sind. Aber die Worte an der Wand zeigen, dass jeder Mensch unabhängig davon frei in seinem Sein und seinen Entscheidungen ist. Die architektonische und grafische Umsetzung oblag Clemens Dus und Kai Stania. Trotz eines sehr geringen Budgets gelang es den beiden mit viel Einfühlungsvermögen aber auch Intelligenz ein Konzept durchzuziehen, das die Neugier der Menschen erweckt und Möglichkeiten bietet, die Gedanken schweifen zu lassen.

Wie zum Beispiel auch im „Restaurant zum guten Geist“ – einem kleinen Bibliotheksraum, in dem Frankl-Ausgaben aus vieler Herren Länder zu finden sind, in die man sich vor Ort vertiefen kann. „Wir erlebten schon im Zentrum, wie sehr sich Menschen, die aus anderen Ländern kommen, über Bücher in ihrer eigenen Sprache freuen“ begründet Heidemarie Zürner das breitgefächerte sprachliche Angebot und man merkt während der Führung, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester durchführte, wie viel Herzblut sie in diese Aufgabe stecken.

Im größte Raum darf man sich dann so richtig auf Entdeckungsreise begeben. Hinter verschlossenen, weißen Kästen, die in Brusthöhe an der Wand hängen und die unterschiedlich groß sind, verbirgt sich vieles, mit dem man in Interaktion treten kann. Wie zum Beispiel jene Anordnung von bunten Holzbausteinen, die einen einmal in Gang gesetzten Leidensweg simulieren. Da braucht es ein aktives Eingreifen, um diese fortlaufende Kette des Schmerzes zu unterbrechen. Mit so einfachen, aber sehr anschaulichen Mitteln erreicht man die sinnliche Erfahrung von psychologisch-theoretischem Gedankengut.

In einem weiteren kleinen Schrein ist die Projektion einer Holzskulptur zu sehen, die einen nackten Mann zeigt, an dessen Rücken eine große Feuerzunge lodert. Es ist jene Figur, die sich Viktor Frankl bei einem Antiquitätenhändler kaufte und die in seinem Schlafzimmer stand. „Jeden Morgen und jeden Abend fiel sein Blick darauf“, erzählte seine Frau Eleonore den Ausstellungsgestaltern bei ihrem ersten Rundganges durch das neue Museum. „Dem Viktor tät´s g´fallen!“, waren ihre anerkennenden Schlussworte.

Der gemeinnützige Verein, der sowohl das Zentrum als auch das Museum betreibt, hofft, dass es viele Menschen anspricht und als Auslöser dient, die Suche nach dem eigenen Sinn des Lebens entweder zu beginnen oder Fragen darauf sogar vor Ort direkt zu erhalten.

Link: Viktor Frankl Zentrum und Viktor Frankl Museum

Es schadet nicht, den Beruf von allen Seiten kennenzulernen

Es schadet nicht, den Beruf von allen Seiten kennenzulernen

Es gibt Bühnenbildnerinnen, die bestimmte Regisseurinnen und Regisseure quasi „gebucht“ haben. Eine solche ist die aus Bayern stammende Lydia Hofmann, die – wie viele ihrer Landsfrauen – im kulturellen Bereich in Wien ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben.

Als Absolventin der Meisterklasse für Bühnenbild der Akademie für bildende Künste arbeitet sie in Wien kontinuierlich mit Anna Maria Krassnigg aber auch mit Jérôme Junod in Deutschland zusammen. Und auf die Frage, wer denn eigentlich ihre Lieblingsregisseurinnen und -regisseure seien kommen auch prompt diese beiden Namen. Was denn eigentlich ihr Lieblingsprojekt gewesen ist, möchte ich auch gerne wissen: „Eigentlich immer das Aktuelle“ kontert die junge Frau sofort. „Außer, es läuft nicht wirklich rund. Das ist mir aber erst ein einziges Mal passiert, das war in Süddeutschland. Da hat die Regisseurin noch während der Proben alles insgesamt drei Mal umgeschmissen und ich musste jeweils die neue Bühnenbildproduktion stoppen. Das war für mich ein absolutes „Nie-wieder“-Erlebnis. Aber tatsächlich war eines meiner Lieblingsprojekte meine Diplominszenierung „Gefährliche Liebschaften“ am Max-Reinhardt-Seminar. Dafür hab ich Kostüme aus Metall gemacht. Also nicht gerade schauspielerfreundlich. Aber ich bin ja ein fairer Mensch und hab zuvor alles selbst getestet. Da hatte ich zum Beispiel Flügelschrauben als Verzierungen eingebaut und musste aber darauf achten, dass die Kostüme leicht an- und auszuziehen waren. Das war wirklich eine schöne Anfangserfahrung.

Was machen Sie, wenn Sie, wie gerade erwähnt, andere Vorstellungen haben als die Regisseurin oder der Regisseur?

Normalerweise weiß man schon beim ersten Gespräch, ob man gut miteinander kann oder nicht. Wenn es gut geht, dann geht man mit seiner Vorstellung von einer bestimmten Mitte aus und tastet sich von der weiter vor. Man kann sich seine Partner aber nicht immer aussuchen und als junge Bühnenbildnerin nimmt man klarerweise erst einmal jeden Auftrag an, den man bekommt.

Wie kamen Sie zu diesem Beruf?

Meine Eltern waren beide Lehrer für Bildende Kunst und haben sich an der Akademie in München kennengelernt. Ich habe mich immer auch schon für Bildende Kunst interessiert und ging dann ganz unbedarft mit 17 in die Akademie nach München und wollte mich dort einschreiben. Da hat man mir erst einmal gesagt, dass ein Abitur vorweg eine günstige Sache wäre – was ich dann halt auch gemacht habe.

Lydia Hofmann lacht noch im Nachhinein über ihre ungestüme Unbedarftheit. Aber aus diesem Hinweis geht sehr schön ihre Zielstrebigkeit hervor, für die es eigentlich kein Wenn und Aber in Bezug auf ihre Berufswahl gab.

Ich war auch Mitglied einer Theatergruppe und habe dort auch schon Bühnenbild gemacht. Das Schöne daran ist, das man dabei auf nichts verzichten muss. Malerei, Skulptur, Theater und Literatur, alles was ich gerne mag kann ich dabei vereinen. Es ist toll, dass man Sachen live einbauen kann, bis hin zu Gerüchen und Geschmäckern und ich finde es schön, dass dabei immer eine Geschichte erzählt wird.

Gerüche und Geschmäcker baute Lydia Hofmann erst in einer der jüngsten Produktionen von Anna Maria Krassnigg ein, nämlich am Auftaktabend der Serie in der „LiteraTurnhalle“ im Salon5. Bei der Vorstellung von Büchern Wilfried Steiners unter dem Motto „Triptychon der Künste“ trat die couragierte Allrounderin nicht nur als Bühnenbildnerin auf, die dem Abend eine stimmungsvolle sphärische Ummantelung beisteuerte. Zugleich war sie auch Köchin und Servierdame in drei verschiedenen Outfits, die jeweils zum vorgestellten Buch passten. Dabei reichte sie drei Mal drei Gerichte jeweils in den Farben Schwarz-Rot und Weiß, was sich, wie schon erwähnt, auch in ihrer Garderobe widerspiegelte.

Mir gefällt dieses neue Format, in dem Literatur vorgestellt wird, sehr. Das ist keine klassische Lesung, wie man sie kennt und bei der man manches Mal ganz schön Durchhaltevermögen braucht. Vielmehr wird in einer szenischen Einbettung erzählt, gespielt und gelesen. Am zweiten Abend, an welchem die Hochstaplernovelle vorgestellt wurde, habe ich den Raum mit vielen Tischchen ausgestattet, sodass das Publikum als „Jagdvieh“ des Hochstaplers fungierte. Auch an diesem Abend hatte ich mehrere Aufgaben und trat sogar als eine der Figuren nämlich „Denise“ auf. Es schadet ja nicht, wenn man den Beruf von allen Seiten her einmal selbst kennenlernt!

Wie viele Produktionen pro Jahr schaffen Sie denn?

Also fünf bis sechs pro Jahr würde ich schaffen, es kommt aber darauf an, ob sie parallel laufen. Dann benötigt man schon eine Assistenz, das ist alleine nicht mehr machbar. In diesem Sommer habe ich ja bei den Wiener Festwochen „Die Kinder von Wien“ gemacht und gleichzeitig das „Kätchen“ in St. Gallen mit Jérôme. Wobei ich bei der Inszenierung in Wien auch für die Technik verantwortlich war und auch schon mal auf dem Dach herumgekrabbelt bin, um es zu verdunkeln.

Ihr handwerkliches Geschick und Ihr technisches Wissen, woher kommt das?

Mein Vater hatte eine große Liebe und Affinität zur Technik. Am Vormittag unterrichtete er Bildende Kunst und am Nachmittag war er Naturwissenschaftler. Er war Amateurfunker und hat im Wohnzimmer gerne gelötet. Im Garten hatte er einen 6m hohen Parabolspiegel, weswegen wir auch einmal eine Hausdurchsuchung hatten. Die Leute aus dem Dorf hatten uns angezeigt und Angst, wir wären sogenannte „Schläfer“. Bei der Hausdurchsuchung haben sie dann den Fernseher aufgeschraubt und nur Elektroschrott und die Kinder Walky-Talkies von meinem Bruder und mir mitgenommen. Das war richtig absurd. Am Ende haben wir alles wiederbekommen, inklusive einer Entschuldigung, aber vergessen habe ich diese Aktion nicht.

Sie kochen auch gerne und leidenschaftlich.

Ja, das habe ich schon mit 8 Jahren angefangen. Meine Mutter hat mir immer gezeigt wie was geht und ich habe oft mitgeholfen und als ich acht Jahre alt war, musste meine Mutter mittags nach der Arbeit immer zu meinen Großeltern, weil es ihnen gesundheitlich nicht mehr gut ging. Da habe ich begonnen, für meinen Bruder, meinen Vater und mich zu kochen. Mein erstes Gericht waren Calamari und Backkartoffeln. Die liebte ich sehr. Ist mir auch gut gelungen, nur waren die Portionen doch zu klein. Die hatte ich an meinem Kinderappetit bemessen. Ich habe mich immer gefreut, mit meinen Eltern nach München zu fahren. Darauf, dass wir uns eine Ausstellung ansahen und danach in ein Lebensmittelgeschäft gingen. Je exotischer das war, umso lieber war es. Und ich mag es noch heute mir Dinge anzusehen und zu kaufen, die ich nicht kenne. Wenn ich mit meiner Mutter beim Metzger war, habe ich immer auf Teile gezeigt, die ich noch nicht gegessen hatte und gesagt: Kenn ich nicht, will ich! So kam es schließlich dann auch einmal zu einer Hirnsuppe. Ich kenne mich in vielen unterschiedlichen Küchen aus, esse prinzipiell alles und denke mir gerne neue Sachen aus. Am liebsten habe ich es, wenn ich mir Zeit nehmen kann, um lustige Menüfolgen auszudenken, Freunde einzuladen und den Abend dann unter ein Thema zu stellen. Mit Petra Stadler habe ich vor Kurzem erst einen Gesangsabend gemacht und zu jedem ihrer Lieder einen eigenen Gang serviert. Diese Art von Kochevent macht mir richtig Spaß, denn da kann ich gleichzeitig kochen und inszenieren!

Spannung pur

Spannung pur

Mit dem Auftritt des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg unter dem Dirigat von Francois-Xavier Roth bescherte Wien Modern seinem Publikum einen äußerst spannungsreichen Abend. Und das in mehrfacher Hinsicht.

Schon vor dem Konzerthaus machte das Orchester mit einem langen Transparent auf seine prekäre Lage aufmerksam. Im Jahr 2016 soll der Zusammenschluss mit dem Radio Sinfonieorchester Stuttgart stattfinden. Zukünftiger Sitz des Orchesters wird dann Stuttgart sein, was auch mit einer drastischen Reduktion der Vorstellungen in Freiburg einhergehen wird. Mit Informationsfoldern standen einige Musikerinnen und Musiker in der Kälte, um schon vor ihrem Auftritt auf diese für sie unhaltbare Situation aufmerksam zu machen.

Am Programm standen drei Werke, die, so kann man verkürzt darstellen, von der musikalischen Idee der Spannung leben. Peter Eötvös war der Auftakt an diesem Abend vorbehalten. Sein „zeroPoints“, dessen kompositorischen Aufbau im wie immer extrem informativen Katalog des Festivals nachzulesen ist, erwies sich nicht nur als spannungsgeladen, sondern brachte auch so manch unkonventionelles Hörerlebnis mit sich. So gelang ihm mit der Gegenüberstellung von Percussionsinstrumenten, die für die hohen Tonlagen eingesetzt werden und die gelegentlich mit Geigen gekoppelt waren mit tiefen Streichern und Bläsern, die ihre volle Mächtigkeit zum Einsatz brachten nicht nur ein extrem effektvoller Einstieg. Die sich durch das Werk ziehende Verwendung eines großen Percussionsapparates gelang ihm extrem farbig und vielschichtig und stand in gewissem Sinn dem zweiten Programmpunkt des Abends zumindest korrespondierend gegenüber.

Mit einem Werk von Iannis Xenakis, einem der ganz großen Komponisten des 20. Jahrhunderts, konnte man erleben, wie andersartig sich ein abermals mächtiger Schlagwerkeinsatz gestalten kann. Mit „Alax“ für drei Ensembles wurde auch ein Kompositionsprinzip Xenakis deutlich, das er in unterschiedlichen Abwandlungen einsetzte. Darin stellt er Instrumentalblöcke gleicher Aufstellung mehrfach auf die Bühne, um ein besonderes Klangvolumen zu erreichen. Die Komposition, die sich gegen ihr Ende hin immer mehr verdichtet und deren Stimmen sich immer stärker überlagern, endet mit einer mitreißenden Rhythmik der Pauken.

Die Entscheidung, diesen beiden starken Werken ein drittes, ebensolches an die Seite zu stellen, war völlig richtig. Philippe Manourys „Sound and Fury“, das sich auf den gleichnamigen Roman von William Faulkner bezieht, stand am Ende des Abends. Auch hier waren es die auditiven Kontraste, die von Beginn an Spannung erzeugten. Ein Pizicatto in den Streichern, das gemeinsam mit dem Glockenspiel erklang, stand in scharfem Gegensatz zu kräftigen Klavier- und Bläsertönen aus den tieferen Registern. Die Komposition steht unter einem Dekonstruktionsprinzip, das bedeutet, dass der Komponist die einzelnen Teile dieses Stückes nicht in jener Reihenfolge ein die Endfassung brachte, in die sie geschrieben wurden. Das Ende gleicht einer furiosen Höllenfahrt, der noch ein überraschender kleiner Nachtakt der Streicher an den Schluss gesetzt wurde.

Roth wandte sich im Anschluss an das Konzert noch einmal zum Publikum, um auch im Saal Stimmung für das Überleben dieses Klangkörpers zu machen. Es ist zu hoffen, dass es den couragierten Musikerinnen und Musikern doch noch gelingt, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg zu erhalten – ist es doch eines jener wenigen, die sich in ganz besonderer Weise für zeitgenössische Musik eingesetzt hat und unzählige Uraufführungen zustande brachte.
Demokratie im Kulturbereich zeigt sich auch dort, wo dem Bedürfnis einer Minderheit Rechnung getragen wird und Bemühungen erfolgen, diese Bedürfnisse auch abzudecken – und sei es wie in diesem Fall zeitgenössische Musik.

Links:

SWR Orchester Freunde
Wien Modern

Schmusepatschen und Highheels

Schmusepatschen und Highheels

Spitzendeckchen aus Plastik, rote Vorhänge vor den Fenstern, kleine Geldkassetten auf den Tischen. Mehr braucht es nicht, um jenes Ambiente zu erzeugen, in dem Diana ihrem Beruf nachgeht. „Love for sale“ – der Klassiker von Cole Porter, erklingt an diesem Abend mehrfach – in der Interpretation der drei Protagonistinnen Franziska Singer, Sonja Pikart und Prisca Schweiger, begleitet von Birgit Michlmayr an den Instrumenten. Der Vergleich zu den drei Grazien aus der Antike drängt sich förmlich auf. Wenngleich jene, die derzeit am Fleischmarkt 22 zu sehen sind, die aktuellen Körpercodes des Männerwerbens perfekt beherrschen und sich nicht mehr grazil nur an den Händen halten müssen, um in verdrehten Posen die Vorzüge ihrer körperlichen Schönheit zu präsentieren.

Appetizing young love for sale – love thats fresh and still unspoiled – love thats only slightly soiled – was sich so frisch und anregend in den Lyrics des Jazzoldies anhört, ist in die Sprache des harten Prostitutionslebens übersetzt nichts anderes als der nackte, schutzlose Körper von Mädchen und Frauen, missbraucht und geschunden, besudelt und verachtet. Das Geld, das für ihre Dienste bezahlt wird, ist Dreckiges. Und was Diana davon an einem Tag übrig bleibt, an dem sie zwischen 30 und 40 Männer bedient, ist gerade einmal der Stundenlohn eines mittleren Angestellten.

In der neuen Koproduktion des Theater Drachengasse und dielaemmer „Erst war es leer ohne Herz, aber jetzt geht`s wieder“ der jungen Dramatikerin Lucy Kirkwood, wird gleich zu Beginn klar, dass Prostitution – außer für den Zuhälter – beileibe kein lohnendes Geschäft ist. Diana, die von ihrem Freund und Vater ihrer Tochter zur Prostitution gezwungen wird, erlebt an diesem Abend noch einmal alle Höhen und Tiefen ihres jungen Lebens. Angefangen von der großen Liebe bis hin zu ihrer Verhaftung, gerade in jenem Moment, als sie ein Stückchen vermeintliche Freiheit zurückerlangt, verfolgt das Publikum ihren Lebens- und Leidensweg hautnah. Die Bühne ist an diesem Abend zweigeteilt. Die meiste Zeit über agieren die jungen Schauspielerinnen an der Längsseite des Raumes, was sie ganz nahe an die ZuseherInnen bringt. Ein kluger Schachzug, der die Körperlichkeit, mit der sie ihr Geld verdienen, spürbar werden lässt. Dass aber in manchen Szenen auch die Ursprungsbühne bespielt wird, erweist sich dann doch als sportliche Publikumsherausforderung. Die Spiegel, die das Geschehen indirekt ins Blickfeld der ZuseherInnen leiten sollen, sind zu klein, um diesen Effekt durchgehend aufrechtzuerhalten. Und so bleibt einem nichts anderes übrig, als streckenweise das Risiko eines Hexenschusses einzugehen oder dem Geschehen nur akustisch zu lauschen. Was schade ist. Denn Sonja Pikart als Gefängnisfreundin zieht gerade in dieser Szene, in der sie „ins letzte Eck“ gestellt wird, alle Register ihres Könnens. Zuvor jedoch vervielfältigen sie und Prisca Schweiger Dianas Agieren im Freierzimmer flankierend direkt vor dem Publikum und machen mit der Verdreifachung der Hauptakteurin deutlich: Hier handelt es sich nicht um ein Einzelschicksal.

Franziska Singer bringt alle Facetten der jungen Beinahe-Mutter Diana, die ihr Kind im fünften Monat unter traumatisierenden Umständen verloren hat, zum Leuchten. Von kindlich naiv bis hin zu völlig abgebrüht nach ihrer erzwungenen Prostitutionszeit, verkörpert sie glaubhaft die seelische Wandlung, die nur eine Konstante kennt: Die Liebe zu ihrer Tochter, zu der sie sich mit jeder Faser ihres Herzens sehnt. Schockierend – berührend agiert sie auch in jenem Teil, in welchem sie den Geschlechtsakt mit ihrem letzten Freier nachvollzieht. Hier hat die Regisseurin Alex. Riener ein Glanzstück hingelegt. Ohne nackte Haut zeigen zu müssen, springt der Funke des Entsetzens über jene sexuelle Gewalt aufs Publikum über, die die junge Frau wohl tausendfach erleben musste. Von ihren zuvor erklärten Rechtfertigungsschleifen, dass Sex etwas sei, das sie liebe und dass sie stolz darauf sei, eine der Besten zu sein, bleibt in diesem Moment kein Fädchen mehr übrig.

Prisca Schweiger beeindruckt neben ihrer lasziven Ausstrahlung vor allem mit ihrer Stimme. In den vielen musikalischen Einlagen ist es ihr Gesang, der die Melodien so professionell trägt, dass ein Playback schade wäre. Die wichtigsten Kleidungsstücke – Schmusepatschen und Highheels markieren die jeweiligen emotionalen Befindlichkeiten wie vermeintliche häusliche Geborgenheit und sexuelle Zurschaustellung des eigenen Fleisches – ein Dazwischen – scheint es nicht zu geben. Birgit Michlmayr baut mit ihren harten Gitarrenbeats und sanften Keybord-Klängen stimmige musikalische Räume, die Schein und Sein, zur Schau gestellte Lust und menschliches Leid adäquat unterstreichen.

So plakativ das Geschehen auf den ersten Blick auch scheinen mag – so viele unterschwellige gesellschaftliche Zustandsbeschreibungen hält es zugleich parat. Wie zum Beispiel jene, als Prostituierte noch nicht am Ende jener Skala angekommen zu sein, die ein „beschissenes“ Leben markiert. Das wird dann doch noch für jenen Freier bereitgehalten, der gelähmt im Rollstuhl sitzt. Und auch jene Schwarze, die Dianas Zuhälter vor ihr zur Prostitution genötigt hat, bleibt ihrem Gefühl nach weit unter ihrer eigenen Wertigkeit. Interessant auch die Beschreibung eines der höchsten Glücksgefühle, das Diana als I-Phone-Besitzerin erleben darf. Eine scharfe Konsummetapher, die aufzeigt, dass der Besitz von zeitgeistigen Gütern als so erstrebenswert empfunden wird, dass die eigene Ausbeutung dafür in Kauf genommen wird. Dass am Ende des Elends nur noch ein Haarshampoo der Marke L´Oréal das eigene Ich mit dem markigen Spruch „Weil ich es mir wert bin“ trösten kann, ist fast schon als logische Konsequenz anzusehen.

Der breit ausgewalzte Schlussteil erklärt zwar anschaulich die Genese der Beziehung Dianas zu ihrem Zuhälterfreund und klärt vor allem auch ihre zerrüttete Psyche, steht aber im Grundmotiv der naiven Unschuld in scharfem Kontrast zu den ersten beiden Dritteln des Abends. Was in der Textfassung funktioniert, beinhaltet in der Bühnenfassung ein Absinken der bis dahin stark aufgebauten Dramatik. Die Entschuldigung bei der Garderobe einer älteren Dame ihrer Freundin gegenüber, sie in „so ein Stück“ mitgenommen zu haben, bestätigt jedoch die Brisanz und lebensnahe Aufarbeitung des Themas. Auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen: Dianas Schicksal ist eines von Hunderttausenden. Wegschauen und falsche moralische Maßstäbe anlegen, macht alles noch schlimmer.

Fazit: Hervorragende Besetzung und eine mutige Inszenierung mit kleinen Fallstricken. Sehenswert.

Links:

Webseite dielaemmer
Spielplan Theater Drachengasse
Theater Drachengasse bei European Cultural News

Ein Abend prall gefüllt mit Geschichten

Ein Abend prall gefüllt mit Geschichten

Am zweiten Festivalabend von Fifoo kam das Publikum in jeder Hinsicht voll auf seine Kosten. Prall gefüllt mit fünf getanzten Geschichten, eine wie die andere sehenswert, gestalteten sich die Produktionen nicht nur spannend, sondern auch kurzweilig.

Fifoo Tanzfestival

Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit beim Fifoo Tanzfestival in Wien (c) Wolfgang Probst für 3art3 Company

Der Studiengang Zeitgenössischer und Klassischer Tanz vom Konservatorium Wien Privatuniversität überraschte mit zwei hoch qualitativen, jedoch gänzlich unterschiedlichen Stücken. In einer SOB STORY mit dem Untertitel „You are not alone“ gelang René Friesacher, Rino Indrawan Indiono, Sayed Labib, Future Sibanda, Seraphim Schuchter und Martin Wax eine umwerfende, mit Testosteron geschwängerte Interpretation einer Choreografie von Sophia Hörmann. Die sechs jungen Männer exerzierten in einer beinahe schon martialischen Körpersprache erzwungen Gemeinsames als auch unfreiwillig Einsames bis hin zu einer kitschig-witzigen Karaoke-Version von Michael Jacksons „You are not alone“. In ihr wurde schließlich auf bizarre Art klar, dass diese zuckerlrosa Hitpille nicht wirkt und am Ende doch jeder alleine bleibt, Kommiss- und Bandengetue hin oder her. Jeder ist sich selbst der Nächste oder, wie die jungen Tänzer klar machten – des anderen Feind. Das Gefühl, dass diese Vorstellung auch drei Mal so lang hätte sein können, ohne einen Augenblick Langeweile zu evozieren, macht wohl mehr als deutlich, wie gut sie war.

Auch Lisa Buderla gelang mit ihrer Choreografie „Animo“ dasselbe Kunststück. Rino Indrawan Indiono hatte darin neben Carina Herbst und Katharina Senk seinen zweiten großen Auftritt und belegte damit, wie groß die Bandbreite seines tänzerischen Ausdrucks jetzt schon ist. In einer sehr gelungenen Soundkompilierung, in welcher der „Sommer“ von Vivaldi das Geschehen auf der Bühne zu einem emotionalen aber vor allem ästhetischen Höhepunkt trieb, verwandelten sich die drei TänzerInnen in Tiere. Deren Bewegungsmuster imitierten sie mit einer derartigen Leichtigkeit und vor allem Schönheit, dass man des Sehens nicht müde wurde. Das herrliche Farbenspiel der Kostüme in unterschiedlichen kräftigen Rottönen und eine perfekte Lichtregie taten ein Übriges, um die Darbietung als meisterhaft charakterisieren zu können. „Animo“ kann als Paradebeispiel eines gelungenen zeitgenössischen Tanzstückes bezeichnet werden, in welchem es vor allem auch auf die Synchronizität der TänzerInnen ankam. Ein Stilmittel, an dem sogar viele alteingespielte Tanzkompanien scheitern, nicht aber die drei InterpretInnen an diesem Abend. Mit dementsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet, könnte diese Choreografie sicherlich auch mit größerem Ensemble abendfüllend ein großes Publikum begeistern.

In einem Duett von Matan Levkowich aus Israel und Luan Manfredi aus Brasilien exerzierten die beiden in kräfteraubender Art und Weise, wie schwer die Kommunikation zwischen zwei Menschen ist – ja eigentlich, wie unmöglich sie sich zwischen zwei Männern gestalten kann. „Boys don´t cry“, so der Titel ihrer Produktion, lebt von einer rasanten Körpershow, die mit vielen Sprungelementen, aber vor allem auch Druck- und Zugbewegungen ausgestattet ist. Die immer wieder offerierte Hilfestellung des einen beeinflusst den anderen nur wenig. Die Bemühungen, stets jener zu sein, der in diesem Zweiergespann vorangeht, machen so manchen Versuch zunichte, sich auf einen kleinen gemeinsamen Kommunikationsnenner zu einigen. Kaum scheint Ruhe eingekehrt zu sein – und sei es durch eine Siegerpose, in welcher der Untergebene am Boden liegend den Fuß seines Unterwerfers auf der Brust verspüren muss, erfasst ein neuer Aggressionsschub die beiden Männer. Sie verausgaben sich beinahe bis zur völligen Erschöpfung und unterhalten die ZuseherInnen auch mit grotesken Sprungkaskaden, in welchen sich akrobatisches Können mit ästhetischer Sprungkraft vereint. Eine locker-lässige Choreografie, in der die turnerischen Elemente den Ton angeben und wahrscheinlich gerade deswegen diesen zwei jungen Männern auf den Leib geschrieben scheinen.

Der zweite Teil des Abends widmete sich gleich mit zwei Produktionen menschlichen Zuständen, die nur zu gerne von der Gesellschaft ignoriert werden. Das Anders-Sein, das sich meist im Wegsperren der Menschen in psychiatrischen Kliniken äußert, brachte der aus Korea stammende Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit zum Ausdruck. „ (Going below) work in progress nannte der seine Arbeit, in der er sich mit dem tragischen Phänomen der Amnesie auseinandersetzte. Das Vergessen nahm bei ihm die ungewohntesten Züge an, die man sich denken kann – ja wohl den Albtraum eines jeden Tänzers und einer jeden Tänzerin. Wie es denn wohl sein mag, wenn das Vergessen so lange fortgeschritten ist, dass der Mensch nicht mehr imstande ist, seinen Bewegungsapparat unter Kontrolle zu halten und nicht mehr weiß, wozu man seine eigenen Beine benötigt, führte der Meister der undenkbaren Bewegungen eindrucksvoll vor. Der junge Tänzer zeigte dabei unzählige Arten des Nicht-Gehen-Könnens, eine Aneinanderreihung von Bewegungsabläufen, denen nur eines gemein war: Die Verhinderung jener Bewegungen, die notwendig sind, um einen Schritt vor den anderen zu setzen. Die unglaubliche Kreativität, die Moon Suk Choi dabei an den Tag legte, war mehr als beeindruckend. Das Kippen seiner Choreografie weg von einem zappelnden und unkoordinierten Wesen, hin zu einem Menschen, der seinen Körper und seine Bewegungen kontrollieren kann, setzte er dramaturgisch gekonnt an den Schluss. Mit einem auf einem Stapel Büchern sitzenden Mann, der leise vor sich hin singt, und mit dieser Aktion auf eine der höchsten menschlichen Fähigkeiten verweist, endet sein beeindruckendes Stück versöhnlich.

Mit „gone to get milk“ der britischen Choreografin Ieva Kuniskis knüpfte das Geschehen direkt an jenes von Moon Suk Choi an. Ieva Kuniskis, Helen Aschauer und Charles Cooper Ford performten dabei drei Menschen im psychischen Ausnahmezustand. Eingebettet in einen genialen Soundtreck, der auditive Erlebnisse von Bach bis hin zu Goran Bregovic offerierte, zeigten die Drei, wie sehr ein mentales Handicap auch emotional beeinträchtigt. Nähe und Distanz – zwischen diesen Polen wogte sowohl das äußere als auch das innere Geschehen der ProtagonistInnen hin und her. Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern findet bei diesen Menschen oft dann ihr Ende, wenn die eigenen Obsessionen und Zwangshandlungen ihre Emotionen kappen und sie von einer Sekunde auf die andere das Interesse an einer innigeren Beziehung verlieren. Halt gibt ihnen nur der geregelte Tagesablauf – oder der geregelte Ablauf ihrer körperlichen Handlungen. Unkontrollierte Gebärden, zuckende Gliedmaßen, bis zur Erschöpfung sich wiederholende Bewegungen – all das gibt trotz ihrer Anstrengungen das Gefühl von Sicherheit, sind sie doch das Einzige, was im Leben dieser Menschen verlässlich ist.

Mit der zweiten Auflage von Fifoo legte das Team rund um Kanako Sako die Latte für Kommendes sehr hoch. Im Herbst soll die dritte Auflage folgen. Wir freuen uns darauf!

Links: Artikel vom ersten Abend
Fifoo TanzfestivalAm zweiten Festivalabend von Fifoo kam das Publikum in jeder Hinsicht voll auf seine Kosten. Prall gefüllt mit fünf getanzten Geschichten, eine wie die andere sehenswert, gestalteten sich die Produktionen nicht nur spannend, sondern auch kurzweilig.

Fifoo Tanzfestival

Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit beim Fifoo Tanzfestival in Wien (c) Wolfgang Probst für 3art3 Company

Der Studiengang Zeitgenössischer und Klassischer Tanz vom Konservatorium Wien Privatuniversität überraschte mit zwei hoch qualitativen, jedoch gänzlich unterschiedlichen Stücken. In einer SOB STORY mit dem Untertitel „You are not alone“ gelang René Friesacher, Rino Indrawan Indiono, Sayed Labib, Future Sibanda, Seraphim Schuchter und Martin Wax eine umwerfende, mit Testosteron geschwängerte Interpretation einer Choreografie von Sophia Hörmann. Die sechs jungen Männer exerzierten in einer beinahe schon martialischen Körpersprache erzwungen Gemeinsames als auch unfreiwillig Einsames bis hin zu einer kitschig-witzigen Karaoke-Version von Michael Jacksons „You are not alone“. In ihr wurde schließlich auf bizarre Art klar, dass diese zuckerlrosa Hitpille nicht wirkt und am Ende doch jeder alleine bleibt, Kommiss- und Bandengetue hin oder her. Jeder ist sich selbst der Nächste oder, wie die jungen Tänzer klar machten – des anderen Feind. Das Gefühl, dass diese Vorstellung auch drei Mal so lang hätte sein können, ohne einen Augenblick Langeweile zu evozieren, macht wohl mehr als deutlich, wie gut sie war.

Auch Lisa Buderla gelang mit ihrer Choreografie „Animo“ dasselbe Kunststück. Rino Indrawan Indiono hatte darin neben Carina Herbst und Katharina Senk seinen zweiten großen Auftritt und belegte damit, wie groß die Bandbreite seines tänzerischen Ausdrucks jetzt schon ist. In einer sehr gelungenen Soundkompilierung, in welcher der „Sommer“ von Vivaldi das Geschehen auf der Bühne zu einem emotionalen aber vor allem ästhetischen Höhepunkt trieb, verwandelten sich die drei TänzerInnen in Tiere. Deren Bewegungsmuster imitierten sie mit einer derartigen Leichtigkeit und vor allem Schönheit, dass man des Sehens nicht müde wurde. Das herrliche Farbenspiel der Kostüme in unterschiedlichen kräftigen Rottönen und eine perfekte Lichtregie taten ein Übriges, um die Darbietung als meisterhaft charakterisieren zu können. „Animo“ kann als Paradebeispiel eines gelungenen zeitgenössischen Tanzstückes bezeichnet werden, in welchem es vor allem auch auf die Synchronizität der TänzerInnen ankam. Ein Stilmittel, an dem sogar viele alteingespielte Tanzkompanien scheitern, nicht aber die drei InterpretInnen an diesem Abend. Mit dementsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet, könnte diese Choreografie sicherlich auch mit größerem Ensemble abendfüllend ein großes Publikum begeistern.

In einem Duett von Matan Levkowich aus Israel und Luan Manfredi aus Brasilien exerzierten die beiden in kräfteraubender Art und Weise, wie schwer die Kommunikation zwischen zwei Menschen ist – ja eigentlich, wie unmöglich sie sich zwischen zwei Männern gestalten kann. „Boys don´t cry“, so der Titel ihrer Produktion, lebt von einer rasanten Körpershow, die mit vielen Sprungelementen, aber vor allem auch Druck- und Zugbewegungen ausgestattet ist. Die immer wieder offerierte Hilfestellung des einen beeinflusst den anderen nur wenig. Die Bemühungen, stets jener zu sein, der in diesem Zweiergespann vorangeht, machen so manchen Versuch zunichte, sich auf einen kleinen gemeinsamen Kommunikationsnenner zu einigen. Kaum scheint Ruhe eingekehrt zu sein – und sei es durch eine Siegerpose, in welcher der Untergebene am Boden liegend den Fuß seines Unterwerfers auf der Brust verspüren muss, erfasst ein neuer Aggressionsschub die beiden Männer. Sie verausgaben sich beinahe bis zur völligen Erschöpfung und unterhalten die ZuseherInnen auch mit grotesken Sprungkaskaden, in welchen sich akrobatisches Können mit ästhetischer Sprungkraft vereint. Eine locker-lässige Choreografie, in der die turnerischen Elemente den Ton angeben und wahrscheinlich gerade deswegen diesen zwei jungen Männern auf den Leib geschrieben scheinen.

Der zweite Teil des Abends widmete sich gleich mit zwei Produktionen menschlichen Zuständen, die nur zu gerne von der Gesellschaft ignoriert werden. Das Anders-Sein, das sich meist im Wegsperren der Menschen in psychiatrischen Kliniken äußert, brachte der aus Korea stammende Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit zum Ausdruck. „ (Going below) work in progress nannte der seine Arbeit, in der er sich mit dem tragischen Phänomen der Amnesie auseinandersetzte. Das Vergessen nahm bei ihm die ungewohntesten Züge an, die man sich denken kann – ja wohl den Albtraum eines jeden Tänzers und einer jeden Tänzerin. Wie es denn wohl sein mag, wenn das Vergessen so lange fortgeschritten ist, dass der Mensch nicht mehr imstande ist, seinen Bewegungsapparat unter Kontrolle zu halten und nicht mehr weiß, wozu man seine eigenen Beine benötigt, führte der Meister der undenkbaren Bewegungen eindrucksvoll vor. Der junge Tänzer zeigte dabei unzählige Arten des Nicht-Gehen-Könnens, eine Aneinanderreihung von Bewegungsabläufen, denen nur eines gemein war: Die Verhinderung jener Bewegungen, die notwendig sind, um einen Schritt vor den anderen zu setzen. Die unglaubliche Kreativität, die Moon Suk Choi dabei an den Tag legte, war mehr als beeindruckend. Das Kippen seiner Choreografie weg von einem zappelnden und unkoordinierten Wesen, hin zu einem Menschen, der seinen Körper und seine Bewegungen kontrollieren kann, setzte er dramaturgisch gekonnt an den Schluss. Mit einem auf einem Stapel Büchern sitzenden Mann, der leise vor sich hin singt, und mit dieser Aktion auf eine der höchsten menschlichen Fähigkeiten verweist, endet sein beeindruckendes Stück versöhnlich.

Mit „gone to get milk“ der britischen Choreografin Ieva Kuniskis knüpfte das Geschehen direkt an jenes von Moon Suk Choi an. Ieva Kuniskis, Helen Aschauer und Charles Cooper Ford performten dabei drei Menschen im psychischen Ausnahmezustand. Eingebettet in einen genialen Soundtreck, der auditive Erlebnisse von Bach bis hin zu Goran Bregovic offerierte, zeigten die Drei, wie sehr ein mentales Handicap auch emotional beeinträchtigt. Nähe und Distanz – zwischen diesen Polen wogte sowohl das äußere als auch das innere Geschehen der ProtagonistInnen hin und her. Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern findet bei diesen Menschen oft dann ihr Ende, wenn die eigenen Obsessionen und Zwangshandlungen ihre Emotionen kappen und sie von einer Sekunde auf die andere das Interesse an einer innigeren Beziehung verlieren. Halt gibt ihnen nur der geregelte Tagesablauf – oder der geregelte Ablauf ihrer körperlichen Handlungen. Unkontrollierte Gebärden, zuckende Gliedmaßen, bis zur Erschöpfung sich wiederholende Bewegungen – all das gibt trotz ihrer Anstrengungen das Gefühl von Sicherheit, sind sie doch das Einzige, was im Leben dieser Menschen verlässlich ist.

Mit der zweiten Auflage von Fifoo legte das Team rund um Kanako Sako die Latte für Kommendes sehr hoch. Im Herbst soll die dritte Auflage folgen. Wir freuen uns darauf!

Links: Artikel zum ersten Abend
Fifoo Tanzfestival

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