Die Misconceivable ist vor Anker gegangen

Die Misconceivable ist vor Anker gegangen

Misconceivable von Erwin Wurm im 3. Bezirk in Wien (Foto: Hotel Daniel)

Die Misconceivable ist vor Anker gegangen. Auf dem Dach des DANIEL, am Landstraßer Gürtel. Und von dort – so erweckt sie den Eindruck – möchte sie sich am liebsten in die Tiefe stürzen. Dass dies aber nicht passiert, dafür haben Statiker und der Denkmalschutz gesorgt, der dem Segelboot von Erwin Wurm 4 Jahre fixen Ankerplatz in luftiger Höhe zugestanden hat. Florian Weitzer, Hausherr des gleichnamigen Hotels, das kein Hotel sein möchte, sondern sich lieber mit dem Begriff „urban stay“ schmückt, hat sich als viertes „Hotel“ unter seiner Ägide das ehemalige Verwaltungs- und Produktionsgebäude von Hoffmann-La Roche ausgesucht, ohne à priori zu wissen, dass dieses Haus denselben Architekten hat wie das Hotel Daniel am Hauptbahnhof in Graz, das ihm auch gehört. Georg Lippert plante ab 1959 für den Schweizer Pharmakonzern dieses Gebäude, das sich durch eine der frühesten „Curtainwall-Fassaden“ Österreichs auszeichnete, derentwegen es gleich nach seiner Fertigstellung von Architektinnen und Architekten aus der ganzen Welt aufgesucht wurde und mittlerweile – immerhin handelt es sich bei dem Gebäude bereits um ein denkmalgeschütztes – wieder wird.

Seit nunmehr einem halben Jahr zieht das DANIEL nun Publikum an, das bei seinem Besuch in Wien anders übernachten möchte. „Anders sein“ könnte man auch als Motto von Florian Weitzer bezeichnen, der sich bei den Überlegungen, wie denn sein neues Haus mit Kunst in Verbindung gebracht werden könnte, strikt gegen eine Behübschung in den Zimmern aussprach. „Kunst in jedem Zimmer, das kam für mich überhaupt nicht infrage“ verkündete er mit Nachdruck bei der Pressekonferenz, bei welcher die Verankerung des Wurm-Segelschiffes in luftiger Höhe präsentiert wurde. Gemeinsam mit der Art Consulting Expertin Alexandra Grubeck und dem Architekten Christian Heiss, der das DANIEL für die jetzige Bestimmung adaptierte, machte man sich auf die Suche nach einem einzigen Kunstwerk, einem Künstler oder Künstlerin, welche dem Haus einen markanten Stempel aufdrücken konnten. Und wurde bald fündig. Erwin Wurm war dem Hauseigentümer ein Begriff und an gegenseitiger Sympathie mangelte es schon nach kurzem Kennenlernen nicht. So verließ sich Weitzer auf Wurms Erfahrung und nahm dessen Vorschlag an, das Hausdach kurzerhand als Bootsanlegestelle der anderen Art zu begreifen.

Und diese Idee kann man getrost als genial bezeichnen. Vor allem dann, wenn man die Location als Bindeglied zwischen Belvedere und 21er Haus versteht, was sie ja tatsächlich ist. Von Kunst sozusagen umzingelt, steht ihr das Werk von Erwin Wurm ausgezeichnet, das der Hausherr auch als weit sichtbares Signum für eine andere urbane Herbergsidee bezeichnet. Die Arbeit „Misconceivable“, von der eine Auflage von insgesamt 3 Stück angedacht ist, wurde hier in Wien jedoch erst zum zweiten Mal verwirklicht. Ihr Zwillingsbruder ging im Skulpturenpark des Middelheim-Museums in Antwerpen vor Anker. In Wien war ein 30 Meter hoher Kran notwendig und die Mithilfe von 8 Männern, um sie sicher in ihrem jetzigen Hafen zu vertauen. Wer Lust dazu hat, kann sich Bilder der spektakulären Installierung auf dem Dach auf der Homepage der Firma „Kunsttrans“ ansehen, die sich um den Antransport des Schiffes kümmerte. Die Besonderheit – abgesehen von der luftigen Höhe, in der sich das Segelboot befindet – ist seine gekrümmte Form. Diese Organik, die Wurm wie selbstverständlich in ganz normale Gegenstände implantiert, ist zu einem seiner Markenzeichen geworden. Der „Telekinetically Bent VW Bus“, das „Fat Car“, das „Fat House“ oder der „Truck“ sind Vorgängerbeispiele die zeigen, dass der Künstler Undenkbares real werden lassen kann. Zufall oder nicht: Im benachbarten 21er Haus ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, in welcher Wurm mit einem kurzen Film vertreten ist. Und in diesem, 2008 entstandenenWerk mit dem Titel „tell“ zeigt er, wie leicht es doch geht, mit einem Pkw Hausmauern auf- und abzufahren. Da ist die Platzierung eines Segelbootes auf dem Flachdach eines denkmalgeschützten Hauses ja schier ein Kinderspiel.

Das Boot, dessen Bewegung – so hat es den Anschein – gerade in jenem Moment einfror, in welchem es sich vom Dach selbst in die Tiefe stürzen wollte, evoziert viele Fragen. Was es wiederum als „echten“ Wurm klassifiziert. Auf den ersten Blick kurios, kann es zum Lachen anregen. Bei längerer Betrachtung jedoch kann es schon passieren, dass sich Frage um Frage eröffnet, auf die es jedoch keine schlüssigen Antworten gibt. Was hat das Boot auf dem Hausdach zu tun und warum will es von dort offenbar mit aller Macht wieder herunter? Warum bewegen sich die Menschen am Boden völlig unbeeindruckt angesichts der von oben drohenden Masse? Weit und breit befindet sich kein Gewässer, warum hat sich das Segelschiff dann dieses Haus als Ankerplatz ausgesucht? Wird das Boot von Uneingeweihten als Kunstwerk identifiziert? Darf sich ein Kunstwerk überhaupt ein „Spaßmäntelchen“ umhängen?

Dass die Arbeit “Misconceivable“ als Glücksfall sowohl für Erwin Wurm als auch für Florian Weitzer angesehen werden kann ist offenkundig. Für einen Künstler gibt es nichts Besseres als die Sichtbarmachung des Werkes im öffentlichen – pardon, hier: privaten Raum. So wird es sicherlich, alleine schon durch die internationale Klientel, die Fotos und Videoaufnahmen machen wird, weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt werden. Und das wiederum schadet dem Hausbesitzer nicht, der sich auf diese Art und Weise auch vieler Seitenzugriffe und in Folge wahrscheinlich auch der einen oder anderen daraus resultierender Buchung sicher sein kann.

Eine Win-Win-Situation, wie es so schön heißt, bei der nicht einmal die Kunst zu kurz kommt. Und das ist ein Kunststück für sich.

Von Schiller bis Celan

Von Schiller bis Celan

Peter Handkes Spagat: Von Schiller bis Celan

„Ein Spagat (vom italienischen: spaccata „Grätsche“ bzw. spaccare „spalten“) ist eine Akrobatik-Übung, bei der jemand die Beine so weit spreizt, dass sie eine gerade Linie bilden. Die Übung kommt in diversen Kampfsportarten, im Fitness- und Tanzsport, im Turnen, im Yoga, sowie beim Ballett, Voltigieren, Limbo-Skating und Schautanz vor.“ Dies erfährt man im Onlinelexikon Wikipedia wenn man wissen möchte, was ein Spagat ist. Nicht eingeschlossen in die Definition ist Peter Handkes neues Theaterstück „Die schönen Tage von Aranjuez“ obwohl es sich dort als Ergänzung sehr gut machen würde.

Die schönen Tage von Aranjuez - Photo: Ruth Walz

Die schönen Tage von Aranjuez (Photo: Ruth Walz)

Ein Bühnenraum vor der tatsächlichen Bühne, die mit einem schweren, roten Samtvorhang verhangen ist. Am rechten, vorderen Bühnenrand ein hölzerner Gartenklapptisch und zwei dazugehörige Klappsessel. Gegenüber markieren bunt gestrichene Zaunbretter einen kleinen Vorgarten. Daneben eine kleine Holzkabine, mit einem Sichtschutzvorhang und am Boden eine schwere Eisenbahnschwelle. In den Raum etwas nach hinten versetzt, steht ein Theaterprospekt, gerade so hoch, dass man ihn bequem ohne Leiter bis an den oberen Rand mit einer leicht hügeligen Sommerlandschaft bemalen konnte. Es ist Sommer, und es ist Sommer in Aranjuez. Der Titel des Stückes leiht dem Einstiegsbild seine geographische Verortung – ganz entgegen den Anweisungen von Peter Handke, der seine Figuren lieber an einem vollkommen undefinierten Ort ihren Sommerdialog halten lassen möchte.

Luc Bondys Festwocheninszenierung im Akademietheater hält sich nicht an die Vorgaben des Autors und das ist gut so. Bondy markiert mit den Einstiegskostümen die Zeit von Schillers Don Carlos, jenes Stück, auf das Handke in seinem Titel Bezug nimmt. Im ersten Satz dieses Dramas erklärt Domingo dass die schönen Tage in Aranjuez nun vorbei seien. Und tatsächlich sind auch in Handkes Stück die schönen Tage Vergangenheit. Mit scharfem Kalkül hat der Autor den markanten Satz aus Schillers Stück seinem Text voran gestellt. Schließlich wird auch darin – neben allerlei politischem Gerangel – die unerfüllte Liebe eines Mannes zu einer Frau abgehandelt.

Und so finden sich Jens Harzer und Dörte Lyssewski zu Beginn in Kostümen, die nicht nur einen brachialen Fingerzeig zu Schillers Stück darstellen, sondern die beiden Menschen damit auch in ihren Rollen festschreiben, die sich im Laufe des Abends nicht verändern werden. Lyssewski trägt eine lange, schwarze Robe mit weißem Faltenkragen, ganz im Stil der spanischen Königinnen des 16. und 17. Jahrhunderts, während Harzer wie „Jack in the box“ aus der Tiefe des Bühnenbodens springt und sich clownesk in schwarzer Unterhose und halterlosen, schwarzen Strümpfen präsentiert. Die Souveränin und ihr Hofnarr, der sich zwar bei Handke immerhin zum Halbdespoten hochdient, nichts desto trotz seiner Partnerin jedoch unterlegen bleibt, verbleiben nicht lange in diesem Outfit, sondern wechseln bald in zeitgeistigere Kleider. „Sie“ hat dabei den Vorteil, ein Sommerkleid tragen zu dürfen, das nicht mehr gewechselt werden muss. Weich fließend, in hellem, warmem Gelb umschmeichelt der leichte Stoff zart ihre Gestalt. „Er“ hingegen wechselt des Öfteren Hemd und Hosen bis hin zum Schlussbild, in welchem er mit großer Geste Theaterblut auf sein weißes Hemd spritzt.

Aber nicht nur den Ort und die Zeit möchte Peter Handke nicht näher definieren. Auch die beiden Figuren erhalten von ihm nicht einmal Namen, geschweige denn Angaben zu Alter oder Aussehen. Mit „er „ und „sie“ markiert er ihre Texte, was diese zugleich als explizit für das Theater verfasst ausweisen. Im Mann-Frau-Sommerdialog oder besser gesagt in den über lange Strecken abwechselnden Monologen wird klar, dass die Beiden zuvor eine Abmachung getroffen haben, welche die Spielregeln des Dialoges festsetzten. Dies bedeutet wohl, dass ohne diese Festsetzung und den dabei abgesteckten Verhandlungsrahmen die Gefahr besteht, abzuschweifen oder auch etwaigen Fragen auszuweichen. Bis die Erkenntnis des Mannes „Man hat, was man liebt, schon von Anfang an verloren, und für allezeit, auch wenn man es nicht verloren hat“ am Ende des Stückes die Liebesunmöglichkeit, die während des Abends mehr als deutlich wird, noch einmal in diesem Satz destilliert, bietet Luc Bondy dem Publikum die Möglichkeit, in Handkes Geschlechterverständnisuniversum einzutauchen. Darin sprechen Männer und Frauen eine gänzlich andere Sprache, wenngleich in schöngeistigem, feinzüngigem und farbenprächtigem Handkecolorit. Lyssewski und Harzer hauchen dabei Handkes Sprachmelodien so viel gespieltes Leben ein, dass es dabei streckenweise schwierig wird, dem Text zu folgen, geschweige denn seine feinen Untertöne nachklingen zu lassen.

Und dennoch hat der Regisseur recht, wenn er die beiden Nicht-Liebenden abwechslungsreich in vielerlei Kostümen auftreten, Gartenmöbel zurechtrücken, Federball spielen und zu guter Letzt auch gegen den Text des anderen anspielen lässt. Dabei agiert er im Grunde genommen wie Rabbi Löw der sich entschließt, den Golem zu richtigem Leben zu erwecken. Erst durch die Fleisch gewordenen Worte, durch die Bewegungen, welche so mancher schriftlich-vagen Andeutung ihre Unbestimmtheit nehmen, hat das Publikum die Chance, Handkes Paarkonstrukt als zwei Menschen zu begreifen, die ihre Beziehungen sowohl aus dem Erlebten als auch aus dem Erdachten definieren. Es wird klar, dass der Mann der versprachlichten Introspektion seiner Partnerin, die er mit Drängen herausgefordert hat, keine Empathie entgegenbringen kann. Mehr noch, er verliert schon bald die Geduld, ihr überhaupt zuzuhören. Jens Harzer schafft das Kunststück, dass eine gewisse Eifersucht, ja sogar Feindseligkeit, die sich auf den allerersten Liebhaber bezieht und die im Text nicht ad hoc zu finden ist – blitzartig deutlich spürbar wird. Es hat fast den Anschein, als ob, ganz entgegen den Spielregeln, der Mann gar keine Antworten hören möchte, weil diese ihn dazu zwingen könnten, sein eigenes Ich in Beziehungen zu hinterfragen. So besteht die große Gefahr, dass alles, was Frau erzählt, im Grunde nicht zur Verständigung, sondern eher zum weiteren Aufriss eines Grabens dient, der, anfänglich nur leicht spürbar, zum Schluss schier unüberbrückbar erscheint. So kommentiert er ihren ersten, ganz poetisch beschriebenen Liebesakt, der in einer kleinen Hütte am Rande einer Salzgewinnungsstätte vollzogen worden war mit den barschen Worten: „Monumentalfilm in der Saline“. From here to eternity.

Kurz und knapp wischt er mit dieser schon beinahe verletzenden Aussage vom eben gedeckten Erzähltisch was sie zuvor mit Herzblut und viel Wortbedacht darauf ausgebreitet hat. In die Enge getrieben scheut er sich auch nicht, diese Missachtung noch in übersteigertem Maße auszudrücken. Gerade in jenem Erzählmoment, in welchem die Frau – wie einst Simone de Beauvoir – die Männer als „Das andere Geschlecht“ zu definieren beginn, in jenem Moment sieht sich der Mann dazu veranlasst, eine Clownerie nach der anderen zu begehen um so durch völlige Geringschätzung des Gesagten einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit dem Inhalt zu entkommen. Was vom Publikum aufgrund der wunderbaren Komödie, die Jens Harzer an dieser Stelle vollführt, schenkelklopfend leicht als Höhepunkt des Abends gewertet werden könnte, ist zugleich der Tiefpunkt der Unterhaltung der beiden Menschen. Sie sprechen nicht nur eine andere Sprache, sie sind unfähig und nicht willens, den anderen zu verstehen.

Im Gegensatz zu „ihr“, die, je länger der Abend andauert umso intensiver in ihre Gefühlsvergangenheit eintaucht, hält „er“ einen naturkundlichen Vortrag nach dem anderen. Dass Handke sich in diesen Monologen selbst verewigte, steht außer Zweifel. Seine unglaubliche Begabung, das Leise in der Natur aufs Podest zu heben und im besten Fall wunderbare Metaphern daraus zu spinnen – wie in der Beschreibung der sandigen Spatzenbäder – benützt er hier, um zu zeigen, dass das Erleben der Beiden auf völlig unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen vonstatten geht. Die wunderbare Sprache, die dabei aber verwendet wird mildert die Tragik und hebt das Geschehen bis hin zu einem sinnlich fühlbaren Prickeln, welches sich in dieser Inszenierung immer und immer wieder einstellt. Allzu genau darf „frau“ jedoch nicht hinhören, denn jene Szene, in welcher „sie“ beinahe schon larmoyant von Zeiten spricht, in welchen die Frauen sich noch ansehen ließen und sich schmückten, kann nicht synonym dafür stehen, dass sich die heutigen Frauen gerne in prä-emanzipatorische Zeiten zurückwünschten. Vielmehr könnte dieser Monolog als ureigenes Problem des Autors mit der Frauenbewegung gedeutet werden, die so unzulässig verkürzt in einem völlig falschen Scheinwerferlicht reflektiert wird.

Dass der Schluss verstörend und versöhnlich zugleich wirkt ist wiederum dem Regisseur zu verdanken. Von einem Schuss – von wem auch immer ausgelöst – herzblutüberströmt getroffen, kämpft „er“ ohne Unterlass weiter, um „sie“ doch nicht zu verlieren. Und tatsächlich hebt sich der Vorhang, der in dem Stück mehrfach atmen durfte und mit dem jenes kleine Mädchen spielte, welches der Ausgangspunkt aller fraulichen Erinnerungen war, und gibt den Blick auf ein sternenübersätes Firmament frei. Gemeinsam sitzen Frau und Mann schließlich am Gartentisch und erinnern sich an ein Gedicht in dem „einer zum anderen hinüderdunkeln will“ was aber unmöglich war, denn es herrschte „Lichtzwang“.

Mit diesem Spagat, begonnen bei Schiller, endet Handke bei Paul Celan, dessen letzter Gedichtband „Lichtzwang“ auch jenes Gedicht enthält, in dem das Hinüberdunkeln nicht glücken will. Und um den Kreis komplett zu schließen, fügt Handke noch hinzu: „Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende. Wir sind vergebens hier gewesen.“

Der Abend – eine beglückende Liaison, in der Text und Inszenierung aber auch hinreißende Schauspielkunst die große Trauer, auf der dieses Stück basiert, zu glitzerndem Sternentheaterstaub verbläst.

El rumor del incendio

El rumor del incendio

Die Sprache des Feuers – Theater aus einer anderen Welt

 El rumor del incendio - Die Sprache des Feuers (Photo: Andrea López)

El rumor del incendio - Die Sprache des Feuers (Photo: Andrea López)

Das Ensemble „La gartijas tiradas al sol“ bestehend aus Francisco Barreiro, Luisa Pardo und Gabino Rodríguez gastierte mit seiner Produktion „El rumor del incendio“ zu Deutsch „Die Sprache des Feuers“ anlässlich der Wiener Festwochen im brut im Künstlerhaus. Gegenüber, im herrschaftlichen Wiener Musikverein, versammelte sich gänzlich anderes Publikum als jene Hard-Core-Theatersüchtigen, die sich nicht abhalten ließen, von den politischen Wirrnissen Mexikos der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts beinahe erschlagen zu werden. Obwohl die Veranstaltungen der beiden Häuser an diesem Abend zeitversetzt stattfanden, konnten die beiden Publikumswelten, die unterschiedlicher nicht sein können, in der Konzertpause dennoch auf dem Musikvereinsplatz aufeinandertreffen. Klassikfanatiker auf der einen Seite und jede Menge Studenten zumindest mit dem Wunschpotential, einiges auf dieser Welt zu verändern, auf der anderen. Dass die Weltveränderung ein langer, steiniger Weg sein kann, das wurde an diesem Abend im brut auf alle Fälle klar. Und das Publikum bekam diesen steinigen Weg am eigenen Leib zu spüren. Denn was als Schauspiel-Performance propagiert worden war, verlangte über lange Strecken richtiges Sitzfleisch. Anhand der Erzählung des Lebens von Margarita Urías Hermosillo, einer Mexikanerin, die sich als junge Frau für den Kampf gegen die Regierung einsetzte, versuchten die beiden Männer und ihre Kollegin auf der Bühne ein politisches Panorama Mexikos der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auszubreiten. Nach einem beklemmenden und zu Herzen gehenden Intro, in welchem das Publikum Zeuge der Misshandlungen bei der Vernehmung von Margarita wurde, flachte das theatralische Geschehen leider ab. Der Schrecken über das dunkle Theaterblut, das sich Luisa Pardo ins Gesicht geschmiert und danach noch glaubhaft ein grauenhaftes Waterboarding überstanden hatte, hielt nur kurz an. Sie war von der Polizei unter folter einvernommen worden und kam danach für mehrere Jahre ins Gefängnis.

Anstelle einer weiteren Psychogrammbeschreibung verlagerte sich der Inhalt jedoch auf die endlose Aufzählung der – so hatte es den Anschein – beinahe monatlichen Ablöse von Widerstandskämpfern und Guerillaführern, die gegen die Regierung zu kämpfen begannen. Es nutzte wenig, dass die enzyklopädische Auflistung der beteiligten Parteien durch Spielzeugrequisiten optisch ergänzt wurde. Plastiksoldaten, Flugzeuge, künstliche Urwälder aus Miniaturbäumchen für die Belebung von Spielzeugeisenbahnwelten gedacht, wurden mittels handy-cam auf die Leinwand projiziert, um Guerillaangriffe nachzustellen, Flugzeugentführungen zu veranschaulichen oder angespültes Menschengebein an den Touristenstränden von Guerrero zu zeigen. Zu sehr wurde das optische Geschehen von der akustischen Untermalung mit Zahlen, Daten und Fakten die – zugegebenermaßen grausamer nicht sein hätten können – überlagert. Doch die Grausamkeit und die Not der Menschen wurden immer nur dann spürbar, wenn die Akteurin und die Schauspieler diese personifiziert in Einzelschicksalen auf die Bühne brachten. Und dies war unabhängig von der politischen Seite, der sie angehörten. Ob Guerillakämpfer oder entführter Industrieller – dort, wo der Mensch mit seiner Ohnmacht gegenüber dem Gegner und seinem Leid spürbar wurde, dort zündete der Funke.

Dass Pardo und Rodriguez, die nicht nur für die Inszenierung, sondern auch für den Text verantwortlich zeichneten, sich sehr wohl der Längen bewusst gewesen sein müssen, lässt über die Absicht derselben nachdenken. Tatsächlich drängten sich am Ende des Stückes zwei Ideen in den Vordergrund: Gewalt gebiert Gewalt und erzeugt, wie in Mexiko heute mehr als deutlich zu erkennen, eine dementsprechende Endlosschleife. Eine Endlosschleife in Echtzeit, gegen welche die eineinhalb Theaterstunden nicht einmal ein Augenzwinkern bedeuten. Und dass wir in Mitteleuropa schon bei unserer Geburt einen Lottosechser gezogen haben, sollte nach diesem Abend auch mehr als deutlich geworden sein. In einem Land wie Österreich zu leben, in welchem sich zwar im Moment ein Untersuchungsausschuss allerlei korruptem Verhalten annehmen muss, ist gegenüber vielen Teilen der Welt – und vor allem auch in Latein- und Südamerika – ein Geschenk, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Als Theaterkritikerin steht man vor einem Dilemma. „Die Sprache des Feuers“ – der Titel kann nicht nur im Hinblick auf die Gewaltakte in Mexiko gedeutet werden, sondern ebenso auf die intensive Liebe, die Margarita mehrfach im Leben begegnete, wird in der südamerikanischen Rezension zwangsläufig anders aufgenommen werden als bei uns. Hier die herkömmlichen Mittel einer europazentrierten Theaterkritik aufzugreifen hieße die Augen davor zu verschließen, dass dieses Stück mehr als Theater ist. Es ist ein Informationsvehikel und eine Bewältigungsstrategie, mit der die Generation nach Maragaria Urías Hermosillo versucht, sich selbst aus der Vergangenheit heraus zu verstehen und unter Umständen auch neu einzunorden.

Eine großartige Bühne für den Stummfilm

Eine großartige Bühne für den Stummfilm

Théâtre du Soleil bei den Wiener Festwochen (Foto: Michèle_Laurent)

Ein prallvoll gefüllter Sack Theater. Angefüllt bis oben hin, nein mehr noch – so angefüllt, dass er aus allen Nähten zu platzen droht. Seinen Inhalt kann man nur dann wirklich genießen, wenn man ihn Stück für Stück entleert und dabei jedes einzelne Päckchen entschnürt vor sich hinlegt und naiv bestaunt.
Es bedarf eines einfachen, bildlichen Vergleiches wie diesem, um „Les naufragés du fol espoir (aurores), das letzte Stück des Théâtre du Soleil unter der Leitung von Ariane Mnouchkine zusammenzufassen und auf den Punkt zu bringen. Der Titel „Schiffbruch mit verrückter Hoffnung – Morgenröte“ ist nicht nur in Anlehnung an ein kleines Bistro entstanden, in welchem sich Arbeitende und Intellektuelle in Paris im Jahre 1914 treffen. Vielmehr ist jedes einzelne Wort darin Programm für den Theaterabend. In komprimierter Form gibt er wieder, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Welt bewegte. Der 1. Weltkrieg klopfte an die Haustüre Europas und dessen Bewohner öffneten ihm Tür und Tor, ohne zu wissen, welche Katastrophe über sie hereinbrechen würde. Das Schiff, auf dem Menschen hoffnungsvoll in eine neue Zukunft fuhren, erlitt Schiffbruch und jene, die überlebten, waren genötigt, auf neuem Terrain mit neuen Ideen und neuer Anstrengung ein neues Leben zu beginnen.

Angesiedelt in der Halle A der Wiener Messe hat das Théâtre du Soleil, angelockt von den Wiener Festwochen, sein Bühnenuniversum aufgebaut. Die Holzcontainerwand, die als Begrenzung zum Foyer dient, macht klar, dass hier nicht mit Requisiten gespart wird. Die einsehbaren Umkleideräumlichkeiten, nur durch feine, weiße Spitzenvorhänge vom vorbeischlendernden Publikum abgetrennt, bieten nicht nur die Möglichkeit, dem Ensemble bei den Vorbereitungen sowie beim Abschminken und Umziehen zuzusehen. Vielmehr schwingt durch sie gleichzeitig die Botschaft mit: Achtung, hier beginnt das Theater. Zumindest für die Zuseherinnen und Zuseher. Für die Schauspielerinnen und Schauspieler jedoch sind diese temporären Räume ein Stück Heimat. Das in den 70er Jahren gegründete Theaterkollektiv hat keine Berührungsängste. Es beherbergt keine Rampensäue und Bühnendiven, sondern vermittelt vom ersten Augenblick an den Eindruck, dass hier Menschen an der Arbeit sind, die einen Auftrag verspüren. Ein Auftrag am Theater endet schnell mit pädagogischen Belehrungen. Und tatsächlich kommt Mnouchkines Arbeit nicht ohne dieselben aus. Aber sie schafft es zumindest, ihren Welterklärungsmodellen pralles Bühnenleben einzuhauchen, welches den erhobenen Zeigefinger gut kaschiert.

Dabei kommen ihr in dieser Produktion mehrere Umstände zu Hilfe. Erstens ein posthum entdecktes, unvollendetes Stück von Jules Verne – in welchem er eine Entdeckungsreise zu den Magellan Straße beschreibt und zweitens die Rahmenerzählungen, dazukomponiert von Hélène Cixous, die von Vernes Basis ausgehend ein kunstvolles Ganzes zaubert, das ineinander verschlungen so viele Ebenen anbietet, dass einem bei ihrer Erkundung schier schwindelig werden kann. Mnouchkines Truppe agiert dabei im immer reizvollen Spiel im Spiel. Im Konkreten wird das Publikum Zeuge einer Stummfilmproduktion, die über die Bühne geht und in der der Versuch unternommen wird, neben der Vern´schen Entdeckungsreise ans Ende der Welt eine weitere vorzuführen: Eine Entdeckungsreise in eine Zukunft, in der es Menschen gelingt, einen Staat zu errichten, der keine Geschichte hat und keine Monumente und deswegen, ganz Terra incognita, die theoretische Möglichkeit der tatsächlich gelebten Trias der Französischen Revolution bietet: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Bis dies aber soweit ist, darf man eintauchen in eine Zeit, in der bahnbrechende Entdeckungen wie die Nutzung der Elektrizität, die ersten Flugzeuge, ein langsam den Kontinent umspannendes Eisenbahnnetz, sowie die Erfindung des Kinematographen den Zauber der Epoche bestimmen. Wissend, dass sich dadurch die Welt rasant verändern wird, möchten die Menschen an all diesen Entwicklungen nicht nur teilhaben, sondern sie nun auch für ihre eigenen Zwecke nützen. Und so beschließen das Geschwisterpaar LaPallette – Jean und Gabrielle – gemeinsam mit Tommaso abseits der bereits etablierten Filmgesellschaft „Pathé“ einen, heute würde man sagen, Programmfilm zu drehen. Einen Film, in welchem das Prinzip der Gleichheit und Brüderlichkeit vorherrscht und alle Freunde und Mitarbeiter der Filmemacher zu Wort kommen dürfen. Das In-Szene-Setzen des Filmes geschieht vor dem Hintergrund von Meldungen aus der zeitgenössischen Politik. Vor allem die Bemühungen der französischen Sozialisten Jean Jaurès und Aristide Briand die sozialistische Internationale zu vereinigen und gegen den drohenden Krieg aufzutreten, verbreiten sich, genauso wie die Geschehnisse rund um die Ermordung des Österreichischen Thronfolgers, in Windeseile.

Es ist sicher kein Zufall, dass in Mnouchkines Stück ausgerechnet eine Textvorlage von Jules Verne eine große Rolle spielt. Der Schriftsteller hatte Aristide Briand als jungen Mann kennengelernt und, von ihm beeindruckt, ihm in seinem Roman „Zwei Jahre Ferien“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Allein dieser kleine Hinweis verdeutlicht, dass der Abend, beginnt man einmal, sich über die Aufführung hinaus mit deren Hintergründen zu beschäftigen, eine wahre Flut von Informationen bereithält. Informationen, die das Zeitgeschehen erhellen und die Möglichkeit bereithalten, viel tiefer in den damaligen Zeitgeist einzutauchen als es durch die herkömmlichen, nationalen historischen Überlieferungen, die die meisten von uns zum Großteil aus unserer Schulzeit rekrutieren, möglich ist.

Aber das Théâtre du Soleil wäre nicht, was es ist, käme zu all dieser Informationsflut nicht noch eine überdimensionierte Portion sinnlicher Erfahrung dazu. Und so erscheinen alle Mitwirkenden in wunderbaren, historisch einwandfreien Kostümen. Ganz dem Beginn des Stummfilms verpflichtet, sind Kleider, Mäntel, Schuhe, Westen, Hosen, Schürzen, Kappen und Hüte hauptsächlich im Grau-Weiß-Schwarz-Spektrum angesiedelt. Einzig die großen, gemalten Tableaus, die als Kulissen dienen, verbreiten ein wenig Farbe. Windmaschinen und künstlicher Schnee, der durch riesige Siebe von der Decke rieseln darf, gehören ebenso zum Illusionsapparat wie weiße Stoffbahnen, die szenenweise den gesamten Bühnenboden bedecken, um so das Eis oder zugefrorene Seen und Flüsse in der südlichen Hemisphäre darzustellen.

Zur großen Überraschung ist es nicht ein Mann, sondern Gabrielle, welche die Kameraarbeit übernimmt. Als Emanze der ersten Stunde könnte man sie bezeichnen, aber tatsächlich ist es nicht nur ihr unbändiger Wille, bei der Entstehung des Filmes eine tragende Rolle zu spielen, sondern ihre besonders ruhige Hand, die sie für diese Arbeit überhaupt erst befähigt. Diese war gefragt, um die Kurbel der Kamera so gleichmäßig wie nur möglich zu drehen, um das Geschehen bei der Projektion des Filmes nicht durch verschiedene Tempi unglaubwürdig erscheinen zu lassen. So kurbelt sich Gabrielle den gesamten Abend unermüdlich durch das Geschehen. Umrahmt von vielerlei helfenden Händen, die Wind entstehen, Rock- und Sakkoschöße flattern, aber auch falsche Möwen durch die Szenerie fliegen lassen. Das Zusehen bei all diesem geschäftigen Treiben ist vor allem eines: lustvoll. Neben dem opulenten Augenfutter rufen die musikalischen Interventionen von Jean-Jacques Lemêtre einen herrlichen Ohrenkitzel hervor. Von Mnouchkine wieder einmal mit der Musikwahl beauftragt, lässt er – ganz im Sinne von Wagners Leitmotiv-Idee – dessen Rheingold just in jenen Momenten erklingen, in welchen die Protagonisten reihenweise an den Verlockungen des Goldrausches sterben. Kapitalismuskritik anno 1914 – und dennoch ist es schier unmöglich, Parallelen zum Hier und Jetzt außer Acht zu lassen.

Am besten funktioniert diese unterschwellige Verbindung zum Heute in jener Szene, in welcher die Überlebenden des Schiffbruches sich daran machen, ihre große Idee für den neuen Staat zu formulieren. Neben der Laizität ist die Gleichheit der Geschlechter unabdingbar, die Abschaffung der Todesstrafe genauso ein Anliegen wie die Einbeziehung der indigenen Urbevölkerung in die politischen Instanzen. Nebeneinander an der Reeling aufgereiht, entwerfen die Männer und Frauen, dem Tod entkommen, eine Zukunft, in der es sich zu leben  und für die es sich auch heute wieder oder noch immer zu kämpfen lohnt. Unterlegt mit der Musik aus La Traviata von Giuseppe Verdi, schwingt viel Pathos mit, sodass eines klar ist: Hier wird von einem Traum gesprochen, von einer Welt, die wir offenbar gar nicht imstande sind, tatsächlich zu errichten. Diese Szene bietet nicht die einzige theatralische Überhöhung des Abends. Aber eingedenk der starken Gestik, die beim Stummfilm das gesprochene Wort ersetzen muss, erscheinen diese Stilmittel beinahe natürlich, zumindest aber nachvollziehbar. So prallvoll das Geschehen mit Bühenauf- und Abgängen, mit Personenwechseln und Kulissengeschiebe ist, so ist es dennoch diese eine Szene, die in der Replik gesehen als Fels in der komödiantischen Brandung fungiert und die sich ins Gedächtnis eingegraben hat.

Die Morgenröte – die ganz schamhaft als Anhängsel im Titel vorkommt, sie steht wohl für all jene Hoffnungen, welche die Menschen vor 100 Jahren genauso wie heute veranlassen immer und immer wieder von Neuem dort zu beginnen, wo ihr Bemühen schon verloren schien. Sei es im persönlichen Lebenskampf oder im kollektiven. Und dass in Frankreich zwischen 1987 und 1914 eine Zeitschrift ihren Namen trug „L´aurore“ – in welcher Emile Zola seinen bekannten Appell „Ich klage an“ im Zusammenhang mit der Affäre Dreyfus veröffentlichte und danach aus Frankreich fliehen musste – auch das erweist sich nicht als Zufall.

Le théâtre du soleil hat – das ist offenkundig – nichts an seiner Attraktivität verloren, ganz im Gegenteil: Angesichts der derzeitigen Entwicklungen in Europa, sowohl der politischen als auch der wirtschaftlichen, ist Theater wie dieses unabdingbar. Schön, dass das Wiener Publikum kurz vor Beendigung dieser Produktion noch die Gelegenheit bekam, sie ohne weite Anreise genießen zu können.

Es braucht mehr Mut zur Sprache, zum Mundaufmachen.

Es braucht mehr Mut zur Sprache, zum Mundaufmachen.

Thomas Arzt

Thomas Arzt (Foto: Schauspielhaus Wien)

Ein Interview mit dem Autor Thomas Arzt.  Aufgenommen wenige Wochen vor der Verleihung seines Preises beim „Stückemarkt“ in Heidelberg, im Mai 2012

Wie lange leben Sie schon in Wien?

Seit 8 Jahren und ich habe mich hier gleich wohlgefühlt. Ich bin am Land aufgewachsen und das Leben in der Stadt bedeutete eine große Änderung. Das Tempo ist ja ein ganz anderes, aber da mein Bruder schon zum Studieren hier lebte, hatte ich gleich sozialen Anschluss. Ich habe sofort das kulturelle Leben zu schätzen begonnen und es war so etwas wie ein „Augen auf, was es so alles gibt“. Wenn man in Schlierbach aufwächst, ist das Kulturangebot ja sehr begrenzt. Man fährt für einen Abend nach Linz und muss dann schauen, dass man mit dem letzten Zug wieder zurückkommt. In Wien plötzlich spontan entscheiden zu können ins Theater zu gehen, oder sich Tanz anzusehen, das war total inspirierend. Ich lebe jetzt im 16. Bezirk, in Ottakring und schätze es, mit welcher Offenheit die Leute in Wien leben. Es gibt auch Engstirniges und Alltagsrassismus und Leute, die man gerne in die Luft schießen würde, aber Wien ist daneben eine sehr lebendige und positive Stadt. Das „grantelnde“ Wien gehört einem Klischee an, das man gerne bedient – das macht man ja ganz charmant.

Haben Sie auch in anderen europäischen Großstädten gelebt?

Ich habe ein Semester in München studiert, da fühlte ich mich nicht wohl. Ich hatte dort keine Kontakte und war viel alleine. Nach München machte ich mit Wien eine ganz andere Erfahrung von der Stadt her. Ich kenne auch Berlin von mehrwöchigen Aufenthalten und mir gefällt es auch. Aber um dort zu leben, empfinde ich es als zu unübersichtlich und zu schnelllebig. Ich kenne viele Leute, die sagen „du musst nach Berlin“ und ich verstehe das auch. Man sitzt zum Beispiel im Grünen zwischen den Straßen, weil der Magistrat die Flächen dafür freigegeben hat. Der öffentliche Raum ist dort nicht so geordnet wie in Wien, man fühlt sich dadurch in gewissem Grad freier und unbeaufsichtigter, aber für mich ist Wien zur Heimat geworden. Deswegen habe ich auch gar nicht den Wunsch, mich in nächster Zeit woanders niederzulassen. Es ist schon so, dass ich immer mehr reise. Das bringt der Beruf mit sich. Ich bin früher selten gereist, aber es passiert jetzt erfreulicherweise, dass ich öfter eingeladen werde. Ich bin im Mai für 10 Tage in Heidelberg beim „Stückemarkt“. Das ist ein Autorenfestival, zu dem ich mit meinem neuen Stück eingeladen wurde. Das wird dort gelesen und man bekommt gleichzeitig die Möglichkeit, dort andere Theaterproduktionen anzusehen.

Welches Stück wird dort gelesen?

„Alpenvorland“ heißt es. Das wird nächste Saison im Landestheater Linz uraufgeführt. Es ist nach „Grillenparz“ das zweite große Stück, das mir sehr am Herzen liegt. In Heidelberg wird es szenisch gelesen und da werden wir dann sehen, was passiert.

Welche Sprache verwenden Sie in diesem neuen Stück? Sie benützen ja Sprache in mehreren Ausformungen, mit einer großen Vielfalt, die auch Mundart miteinschließt und man hat den Eindruck, dass vor allem Ihre eigene Heimat, in der Sie verortet sind, immer wieder in irgendeiner Form in Ihren Stücken und Texten vorkommt.

Ja das stimmt, das bekommt man nicht los, das verfolgt mich.

Verfolgen im Sinne von: Es läuft hinter Ihnen her und Sie möchten das eigentlich gar nicht?

Nein, es ist eigentlich ein ganz ambivalentes Gefühl. Ich fühle mich wohl in Österreich und ich fühle mich dieser Sprache sehr nahe. Ich habe entdeckt, dass gerade diese Sprache für mich eine große Energie ist, von der weg ich erzählen kann. Sie ist eine Reibungsfläche insofern, dass ich schon gemerkt habe, dass, wenn man von Oberösterreich nach Wien kommt und sich an der Universität zu Wort meldet, man sich dabei irgendwie mangelhaft vorkommt, weil man ein gewisses „Standarddeutsch“ nicht flüssig beherrscht. Gewisse Ausdrücke fehlen mir nach wie vor. Vor allem in der gesprochenen Sprache. Da ist das Schreiben für mich eine Möglichkeit, mich noch klarer verständlich zu machen. Das war eher was, was ich nicht gerne so offen gezeigt habe, aber durch die Arbeit mit Theatertexten habe ich gemerkt, dass gerade da sehr viel von mir drin steckt. Ich kann damit einerseits direkter Dinge ansprechen, so wie ich sie sehe und vertrete und gleichzeitig steckt darin eine totale Poesie. Das hat natürlich auch mit Autoren zu tun, die ich immer schon geschätzt habe, die ich gerne lese. Artmann und Jandl zum Beispiel oder Friedrich Achleitner. Sobald man Mundart aufschreibt, wird sie zur Kunstsprache und das macht es spannend. Im aktuellen Stück „Alpenvorland“ ist das auch stark spürbar. Die Figuren sprechen in einer Grammatik, die eigentlich vom Dialekt herkommt und nähern sich – je nach Figurenbiografie – an ein „Standarddeutsch“ an und das reibt sich. Und dann gibt es Chöre, die die Tradition der Heimat widerspiegeln. Die sind wieder an Volkslieder angelehnt, weniger explizit wie ich das bei den „Schubertchören“ oder bei „Grillenparz“ gemacht habe, aber es ist ein Versuch, mit dem Sprachfundus, der da ist, umzugehen. Dabei schaue ich aber auch, wie ich mich davon befreien kann, im Sinne von: Ich baue mir ein ganz neues Leben auf, das nichts damit zu tun hat, wo ich herkomme. Das betrifft jetzt auch genau die Figuren im „Alpenvorland“, die jetzt um die 30 sind, die gerade dabei sind zu heiraten, ein Grundstück zu kaufen, ein Haus zu bauen und feststellen, dass viel von dem, wie sie ihr Leben führen, von ihrer Erziehung und von der Geschichte des Landes herrührt, aus dem sie kommen und das sie geprägt hat. Irgendwann sagt man: Das will ich eigentlich nicht. Und in diesem Zwiespalt der Figuren bewegt sich auch meine Sprache und ich verarbeite in diesem Stück auch Dinge, die mich betreffen. Vom Land in die Stadt zu ziehen, zum Beispiel oder sich zu überlegen, welche Werte habe ich eigentlich, kann ich das in der Stadt realisieren? Und dann auch wieder Anschauungen über Familie oder Beziehungen, die dann doch wieder von Stimmen herkommen, die man glaubte, abgeschüttelt zu haben. Das ist gerade das Thema, das mich interessiert und reizt und das hat auch mit der Sprache zu tun.

Sie bezeichnen den Dialekt, den Sie in Ihren Stücken verwenden, als Kunstsprache?

Ja, doch. Dabei wird ja in einer komprimierten Weise die Sprache beim Schreiben notiert. Ich weiß selbst oft nicht, welche Vokale ich benutze und muss mich aber entscheiden, wie man das notiert. Wie z.B.: Ist der Konsonant ein weicher oder ein harter, ist es ein W oder ein B, ist dieses S schon ein eigenes Wort, dieses Dranhängsel von „hat´s“? Das sind lauter Entscheidungen, die man beim Schriftlichen trifft, die aber das Ganze wegrücken von dem, was der Mund und die Zunge machen. Rein vom Handwerklichen gesehen, ist es etwas Künstliches. Mir war das nie klar, aber ich habe bei alten Texten, in denen es begonnen hat, gemerkt, dass diese eine gewisse Nostalgie bekommen durch die sie eigentlich an Kraft verlieren. Ich habe einmal mit einem Stück ganz im Dialekt zu schreiben begonnen. Dort habe ich die Sprache genauso eingesetzt, wie ich im Alltag spreche und hatte das Gefühl, dass das für mich nicht funktioniert. Erst durch einen Schritt, der das wiederum verfremdet, entsteht ein Freiraum, mit dem ich dann arbeiten kann. Ich hüte mich davor, Alltagssprache 1:1 abzubilden. Ich habe das Gefühl, dass Radio und Film das viel schärfer abbilden können als Theater. Die Form der Alltagssprache ist viel zu frei. Ich brauche eine klare Form.

Eine Begrenzung, Eingrenzung, ein Raster, ein Korsett?

Es muss sich an etwas reiben. Ich verliere auch oft die Lust daran. Es lässt sich vielleicht schwer nachvollziehen, aber ein Dialog, der am Papier steht, ist für mich nicht beliebig. Ich muss ihn anschauen und das Gefühl haben, dass er jetzt seine Form gefunden hat, genau für das, was ich jetzt erzählen möchte. Ich stecke gerade wieder in so etwas drin und bin unzufrieden, weil ich nicht weiß, wie ich das aufs Papier setze. Und wenn ich das gelöst habe, dann lösen sich für mich auch andere Dinge, dann kann ich sehr schnell frei weiter schreiben. Aber manches Mal gibt es eben dieses Formproblem.

Sie arbeiten ja im Moment viel mit dem Schauspielhaus Wien zusammen. Inwieweit sind die Themen hier vorgegeben oder inwieweit haben Sie hier einen Freiraum, in dem Sie schreiben können?

Es gibt ganz pragmatisch gesprochen beides. „Grillenparz“ ist ein Stück, das ich geschrieben habe. Mit der Idee bin ich gekommen, da habe ich sehr viel Unterstützung bekommen. Es war der erste lange Text von mir, der zu einem Stück geworden ist. Wir haben uns dafür zu Textbesprechungen getroffen und haben laut gelesen und geschaut, wie das Gegenüber das versteht. Dabei findet man heraus, wie die Gedanken, die man in den Text hineinschreibt, beim anderen überhaupt ankommen. Dieses Thema, dieses Stück kam von mir. Schubert wiederum war ein ganz klares Projekt vom Schauspielhaus. Da gab es Andockpunkte, bei denen ich gleich gesagt habe, das interessiert mich, da versuche ich mich reinzudenken, das reizt mich, aber die Rahmenbedingungen waren schon stark abgesteckt.

Sie haben für den Zyklus „Schubert, eine Winterwanderung“ eigene „Lieder“ getextet, die sofort die Originaltexte der Schuberlieder evozierten, aber dennoch ganz eigenständig waren. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich bin ja mit diesen Liedern aufgewachsen, von denen man meist die erste Zeile kennt und damit meint, das ganze Lied zu kennen. Wenn man dann den Text aber nachliest, dann merkt man erst, welche Lücken man da wirklich hat. Ich habe mir die Texte zu den Liedern nie gemerkt. Man fühlt sich den Schubertliedern immer so nahe, oder besser eigentlich der Tradition, die man mit den Schubertliedern verbindet. Für mich war das eben eine Variation und eine Herausforderung zugleich, ob es möglich ist, die Musikalität der Lieder in den Text schreiben zu können. Ich habe eine große Nähe zu Schubert gespürt – ob der Traurigkeit, die in den Liedern steckt. Und ich habe versucht, den Schmerz einfließen zu lassen, der, wie ich glaube, in den Dialekttexten leicht zu spüren ist. Ich habe immer Lust, mit dieser Art von Sprache umzugehen. Die Motivation kommt aus dem Begreifen des Textes als Musik. Das geht in der Lyrik formal am explizitesten. Auf der einen Seite ist es ein Freischreiben von Schubert und gleichzeitig ein Versuch, ihm in dieser Form ganz nahe zu sein.

Die Musikalität ist nicht nur bei den Schubert-Texten zu spüren. Oft kann man einen gewissen Rhythmus oder auch ein Rhythmusgefühl wahrnehmen, wenn man Ihre Texte liest, die Lust, einen Rhythmus mit einem Text auszudrücken. Spielen Sie ein Instrument oder singen Sie?

Ich habe mich immer geweigert, ein Instrument zu lernen. Ich war, seit ich 13 Jahre alt war, Chorsänger. Ich habe immer heimlich Klavier gespielt. Wir hatten zuhause ein Klavier stehen. Meine Schwester spielt irrsinnig viele Instrumente, aber ich habe immer nur gespielt, wenn keiner da war. Ich wollte nie in den Unterricht gehen, aber ich habe immer gerne gespielt. Ich improvisiere auch heute noch gerne frei – das klingt vielleicht ganz grässlich, aber es ist für mich eine Art Vehikel.

Ein Vehikel wofür?

Einerseits um den Kopf abzustellen und – das hat jetzt vielleicht etwas Romantisches – den Augenblick auszukosten. Ich habe das selbst eigentlich noch nie genau hinterfragt, aber ich habe das Gefühl, das hat etwas mit dem „Tastengreifen“ zu tun. So wie die Finger auf der Tastatur liegen, von denen ich nicht immer weiß, was sie schreiben und ich im Nachhinein oft schauen muss, ob das, was ich da geschrieben habe überhaupt passt, weil ich so nahe an dem bin, was ich schreibe – so ist das mit den Fingern auch beim Klavierspielen. Ich muss nach so einem Schreibprozess dann wieder vom Sessel weg und mir durchlesen, was ich gemacht habe. Und kann dann erst durch die Distanz das aufbauen, was ich eigentlich will. Ich würde gerne einmal ein Libretto für eine Oper schreiben und weiß eigentlich gar nicht, warum das so ist. Ich habe auch eine Ahnung, welches Thema ich bearbeiten würde. Es würde in einem verwilderten Irrgarten spielen, in dem sich Skulpturen befinden, die das Ideal der Schönheit abbilden. Und es würde sich um Narziss drehen, der aufgrund seiner Schönheit seine Lebendigkeit verloren hat und nicht mehr schön sein will.

Warum ist das Thema Schönheit für sie interessant?

Bei dieser Idee geht es mir um die Abbildung. Ich setze mich gerne mit Fotografie und Film auseinander. Und um den Versuch, Wirklichkeit festzuhalten, und auch um das Aufhalten des Verfalls, indem man eine Skulptur schafft, die einen perfekten Moment symbolisiert. Aber auch damit kann man die Zeit nicht aufhalten.

Kommt bei Ihnen die Motivation zu schreiben aus einer Notwendigkeit heraus oder steht die Reflexion über ein Thema an erster Stelle und der Prozess des Schreibens kommt erst danach?

Der Anlass ist meist ein sehr dringlicher, weil ich über etwas nachdenken muss, dann im Kopf eine Blockade habe und dann darüber schreiben muss. Mir ist es aber oft nicht bewusst, worum es dabei eigentlich geht. Es passiert mir oft, dass, wenn ich Nächte nicht schlafen kann, dass ich mich am nächsten Tag vor den Computer setze und wie ein Wilder losschreibe und dann innerhalb weniger Stunden viel da steht. Dann bin ich zwar total körperlich fertig, aber ich habe dann das erlösende Gefühl, dass Sachen einmal ausgesprochen sind und ich jetzt anfangen kann zu sortieren, was das eigentlich für mich bedeutet. Schreiben ist eine Form von Gegenwartsbewältigung – nicht in allen Fällen, sonst würde ich mir um mich Sorgen machen. Bei den Kernthemen von meinen Stücken aber schon. Kernthemen docken immer an interessante Stoffe an, die ich wiederum reflexiv betrachte.

Das „Wiegenlied“ von Ihnen, das mit den Worten „Schlof siaß schena engl“ beginnt, ist ja trotz seines auf den ersten Blick vielleicht romantischen Inhalts ein unglaubliches Stück voll von Brutalität, in dem es um Kindermissbrauch bzw. Missbrauch an Frauen geht. War das für Sie dringlich, darüber zu schreiben?

Das Gedicht „Schlof siaß schena engl“, das aus dem Stück „Grillenparz“ stammt, war nicht als Thema an sich da, sondern darin geht es um das Verhandeln der Figuren aus dem Stück, wie Heimat angesichts von so viel vorhandener Gewalt eigentlich überhaupt möglich ist. Es gibt ja eine Sehnsucht nach Unschuld, die aber tatsächlich nie möglich ist. In dem Stück geht es um Menschen, die zusammenkommen und nicht wissen, ob sie überhaupt glücklich sein können. Sie versammeln sich an dem Hügel Grillenparz, an dem ich ja aufgewachsen bin, und da war es für mich eine Notwendigkeit, das zu schreiben, ganz gleich, was damit dann passiert, ob es zum Beispiel überhaupt wer liest. Bis zu einem gewissen Grad zumindest, denn danach kommt der Selbstschutz, der mir sagt: Nur für dich so dazusitzen und zu schreiben, das macht dich unglücklich. Insofern muss ich dann schon danach noch einmal aus der Distanz schauen, was ich da eigentlich erzähle und in welcher Weise kann ich mich damit heute auch wirklich verständlich machen. Vielleicht würde ich für mich manche Dinge ganz anders schreiben, was aber dann niemandem anderen etwas bringen würde, und da habe ich dann schon den Anspruch, dass ich jemandem anderen etwas erzähle, dass die Texte nicht für sich stehen. Ich möchte, dass sie zumindest im Privaten etwas bewirken. Dass derjenige, der im Zuschauerraum sitzt, hinausgeht und aus den Texten etwas mitnimmt. Ob Theater gesellschaftlich etwas bewirkt, das weiß ich nicht. Manches Mal denke ich mir „das bringt überhaupt nichts“, aber ich bin ein Idealist. Insofern arbeite ich dennoch und schaue, ob etwas passiert und ob man es als Forum nutzen kann. Theater ist ein sehr exklusives Forum, Sprache auf der Bühne hat etwas sehr Präsentes und Direktes. Ganz anders als ein gedruckter Text. Ich stehe da aber noch ganz am Anfang. Ob ich einmal resignierend sagen werde „eigentlich schreibt man eh nur für sich“, das weiß ich nicht.
Um noch einmal zur Frage zurückzukommen. Ich schreibe ja parallel an mehreren Stücken, zwei sind optimal für mich, bei Dreien fange ich mich schon an, zu verheddern. Es gibt für mich ganz dringende Themen, die in Ansätzen da sind. Das sind manches Mal drei, vier die nichts miteinander zu tun haben. Dann kommt aber ein konkreter Vorschlag von einem Theater und dann habe ich das Gefühl: Jetzt kann ich das alles erzählen. Dann muss ich nur die Konsequenz entwickeln und mir auch sagen: Die Zeit für dieses oder jenes Thema wird kommen. Denn sonst würde ich mit den drei Themen an einem Stück weiterschreiben und an dem Punkt kommen, wo ich sage, das ist jetzt schwächer geworden, als ich es wollte. Und dann kann ich an diesem Punkt nicht fertig schreiben. Dann verwerfe ich es wieder und steige bei einem Thema wieder ein.

Wie ist es für Sie, wenn eines Ihrer Stücke im Schauspielhaus Wien oder auch woanders auf die Bühne kommt und Sie sehen, was damit geschieht? Ist das ein Stück weit eine „Kindesweglegung“ oder kommt für Sie noch einmal etwas zu Ihrem Text hinzu, vielleicht etwas Positives? Oder gibt es da auch Reibungsmomente?

Meistens ist das ein sehr positives Erlebnis, weil ich das Gefühl habe, dass die Leute gezwungen sind, sich mit dem auseinanderzusetzen, was ich geschrieben habe. Und sie haben sich Gedanken gemacht, warum sie es so machen, wie sie es machen. Manches Mal fühle ich mich nicht verstanden, oder ich habe das Gefühl, dass nicht genug Zeit war, mich zu fragen oder sich selbst Gedanken darüber zu machen. Dann wird etwas gespielt oder der Raum so gemacht, dass ich das Gefühl habe, dass das jetzt eigentlich verliert – eigentlich hätte ich da gerne etwas anderes gehabt. Ich habe ja ehrlich gesagt diesbezüglich noch nicht so viele Erfahrungen. „Grillenparz“ wurde inszeniert und „Schubert“, und ich habe für die Serie „Kreisky, wer sonst?“ 2 Abende geschrieben – das sind meine Erfahrungen, die überwiegend positiv waren. Aber es gibt durchaus Punkte, bei denen ich das Gefühl habe, dass es eine Tendenz von neuerem Theater gibt, die meinen Texten nicht unbedingt zuträglich ist.

Welche Tendenz meinen Sie?

Einen Regiezugriff, der versucht, ganz andere Dinge anzureißen, obwohl der Text das gar nicht will.

Waren Sie überrascht, dass sie so schnell auf Ihre Arbeit so ein starkes Echo bekamen?

Ja.

War das für Sie Belastung oder nur Glück?

Nein, das war keine Belastung. Es ist ein gutes Gefühl und ein Ansporn. Ich vermute schon, dass ich eine Außenreferenz brauche, denn sonst würde es dabei bleiben, dass ich die Texte nur für mich rausschreibe. Vielleicht würde ich sogar aufhören.

Was würden Sie dann machen?

Das weiß ich nicht. Aber ich hatte ja nie vor, das so zu machen. Geschrieben habe ich schon lange. Ich habe Theaterwissenschaft studiert und 2008 erzählten mir Studenten, dass das Schauspielhaus eine neue Intendanz hat und sie zeigten mir das Programmheft. Und ich fand darin die Ausschreibung des Autorenförderprogrammes „Stück für Stück“. Ich habe kurz darüber nachgedacht, etwas hinzuschicken und meine Freundin sagte zu mir: „Suder nicht herum, sondern schick was hin!“ Dass das aufgegangen ist, darüber bin ich heute noch erstaunt und sehr froh drüber, weil ich weiß, dass sehr viele liebe Kollegen von mir total hart arbeiten und es ein großes Geschenk ist, dass es bei mir so schnell gegangen ist. Alleine deswegen arbeite ich einfach total hart.

Fühlen Sie sich dadurch auch stärker verpflichtet, da Sie jetzt ja auch wahrgenommen werden?

Das ist ein Gedanke, den mag ich nicht so. Klar ist es so, dass Leute etwas erwarten und sich fragen: Was schreibt er jetzt? Es gibt ja viele junge Autoren, die etwas schreiben und dann auch plötzlich wieder aus der Wahrnehmung verschwinden. Ich bin da nicht blauäugig und versuche, einen eigenständigen Weg einzuschlagen. Schreiben ist etwas Lebenslanges, Langfristiges und man braucht Sitzfleisch und Geduld, und wenn es einmal nicht klappt, dann braucht einen das nicht kümmern. Es ist aber für mich doch eine Verpflichtung, weil ich hoffe, dass sich die Gesellschaft vielleicht doch verändern lässt, und ich will da meinen Beitrag zu einer Welt, die in vielen Dingen nicht so läuft, wie ich es gerne hätte, zur Veränderung einbringen.

Was ist das Wichtigste, was Sie verändern wollten. Was läuft in Ihren Augen ganz falsch?

Es braucht mehr Mut, dass man nachdenkt und dass man nach dem Denken auch Handlungen setzt. Man soll sich nicht einreden lassen, dass Strukturen, die gegeben sind, nicht veränderbar sind. Und es braucht mehr Mut zur Sprache, zum Mundaufmachen.

Haben Sie das in der Schule schon gemacht?

Nein, ich bin im Schreiben viel mutiger als im Handeln und das ist ein Dilemma von mir. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen umso intensiver, um das zu kompensieren. Oder dadurch auch einen Mut zum Handeln zu gewinnen. Ich war unauffällig und schüchtern, wahrscheinlich in vielen Dingen jetzt auch noch. Es ist eine totale Chance, so eine exklusive Aufmerksamkeit zu bekommen, bei der ich plötzlich auch das Gefühl habe, da hört dir wirklich wer zu. Deswegen schreibe ich jetzt.

Das Interview führte Michaela Preiner

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Bentlyfahren im TAG (Foto: Stephan Musil)

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Zupf, zupf, schrt, schrt, schrt – ping. Hauchfeine Töne, hervorgebracht auf mit Decken verhüllten Percussioninstrumenten oder das leise, rhythmische Rasseln von Bierkapseln in einem kleinen Sack – das Platzen von Luftpolsterfoliennoppen und das metallern-exakte Klappern einer alten Schreibmaschine. All diese Töne und noch viele mehr unterlegen den Text von „Bentley fahren“, dem neuen Stück von Bruno Pellandini, das am 21. Mai im TAG uraufgeführt wurde. In kleiner, aber feiner Besetzung.
Johanna Orsini-Rosenberg als Ernestine Poschenreiter, durch ihres Ehemannes Gnaden einst der Geld-Society angehörig, findet sich nach dessen plötzlichen Tod in Schulden schwimmend wieder. Das Bühnenbild zeigt nichts vom einst noblen Villenhaushalt, sondern vielmehr von seinen Auflösungserscheinungen. Was blieb, vom einstigen Überkonsum, sind gerade noch ein großer Haufen Plastiksackerln, ein kleiner Tisch, auf dem eine fast leere Ginflasche steht, drei Stühle und eine alte Schreibmaschine. Das Personal wurde nolens volens entlassen, nur einer weigert sich zu gehen. Paul Skrepek als Gärtner bleibt an Ernestines Seite. Nicht sosehr aus Empathie und Hilfsbereitschaft, vielmehr mangels anderer Alternativen.
Zum Glück versteht er sich prächtig aufs Kochen, Schreiben, Einkaufen und Reparieren. Famoserweise braucht er auf der Bühne dazu nicht viel mehr als einige billige Requisiten wie leere Plastiksäcke, einen Stück Duschschlauch, kleine Spieldosen – made in China, Bierkapseln und Briefpapier. Damit zaubert er ein Geräuschuniversum, welches das gesprochene Wort seiner Bühnenkollegin differenziert akustisch illustriert. Während Orsini-Rosenberg bei der Premiere noch so manche Textklippe nicht ganz gefahrlos umschiffte, bot ihr Skrepek einen soliden phonetischen Anker. Mehr noch – ein Klangfarbenkorsett, an dem sie sich nicht nur festhalten konnte, sondern das Pellandinis Text mit einer zusätzlichen sinnlichen Ebene ausstattete. Einer Ebene, die beim reinen Lesen fehlen könnte.

Die unterhaltsame Geschichte vom finanziellen Ruin und – wider Erwarten – unverdienten, aber umso erhoffteren abermaligen wirtschaftlichen Aufstieg erhält gerade durch die rhythmische Ergänzung von Paul Skrepek einen ganz besonderen Esprit. Während sich Ernestine Poschenreiter mehr oder weniger geistreich über ihr Schicksal beklagt und sogar in Erwägung zieht, sich nach Jahrzehnten des Müßigganges wieder in die Tiefen eines normalen Arbeitsalltages hinabzubeugen, klingelt, trommelt, zupft, schneidet und trötet ihr Gärtner, dass es eine wahre Freude ist. Arbeiten will eben gelernt sein, Musikmachen offensichtlich auch.

Wie gr0ß der Standesunterschied der beiden ist, verdeutlicht die Empörung Ernestines, als ihr Gärtner mit einem Hofer-Sack vom Einkauf zurückkommt. Dort hat er die letzten 20 Euro in Lebensmittel investiert, unwissend, dass dies in den Augen seiner Chefin ein großer Fehler war. Flugs wird ihm von ihr eine Rechnung aufgemacht, nach welcher sich im Jahr alleine durch die Gratis-Sackerln beim Meinl am Graben 200 Euro einsparen ließen. Na dann! Wenn der Gärtner zu Wort kommt, dann begleitet sich Skrepek selbst an der zweihalsigen Gitarre. Seine musikalischen Ergüsse, die zwischen Austro-Popverschnitten, Wienerliedern und Nestroy-Couplés angesiedelt sind , erfordern keinen elaborierten Musikgeschmack, machen aber Spaß.

Der Plot, der einem modernen Märchen gleichkommt, in welchem nicht ist, was nicht sein darf, erhält durch einen Briefverkehr zwischen der Nicht-Mehr-Millionärin und einem unbekannten Doch-Nicht-Russen namens Stolpitzky durch die geschliffenen Sätze von Ernestine einen Hauch Intellektualität. Darin entblättert sie sich von Brief zu Brief, bis schließlich nichts mehr bleibt als der vulgäre Ruf nach dem vermeintlich brieftaschenprallen Retter.

Wie sich die drohende Armut schließlich im letzten Moment doch noch verkrümelt, sei nicht verraten. Dass aber Spaß an diesem Theaterabend ganz vorne auf der Rampe steht schon. Was darüber hinaus bleibt, ist kein sozialkritisch-bitterer Nachgeschmack, sondern das Klingeln und Klimpern, das Scheppern und Krachen, das Winseln und Flöten eines Klang gewordenen Textes, der noch lange nachhallt.

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