Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen

Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen

Ein alteingesessenes Wiener Schreibwarengeschäft im 3. Bezirk erfreut die Passanten vor allem durch eine lange Front an Schaufenstern, in welchen vom Radiergummi bis zu Tarotkarten allerhand Nützliches und weniger Nützliches bestaunt werden kann. Eigentlich müsste dieses Geschäft in jedem Wien-Führer zu finden sein, denn es gibt wohl kaum einen anderen Platz auf der Welt, an welchem man noch Plastik-Handarbeitskoffer aus den 60er Jahren traut vereint neben Hello-Kitty Schultaschen, teure Füllfedern neben Billigkugelschreibern und auch noch Durchschlagpapier! findet. Besonders sympathisch macht dieses Geschäft, dass ihre Betreiberinnen wohl selbst um ihre vermeintliche Rückständigkeit wissen, denn unlängst fand sich sinngemäß folgender kleiner Schriftzug neben einem Tintenfässchen und einer Schreibfeder im Fenster: Findet einmal der Weltuntergang statt, sei froh, wenn Du in Wien bist! Dort kommt alles erst 20 Jahre später! So viel zum Thema Weltuntergang mit einer kräftigen Portion Augenzwinkern.

UNTER GANG

UNTER GANG ART © Thomas Jelinek

Am 30. März war im Wiener Tanzquartier „UNTER GANG ART“, eine Diskursperformance und Installation des Welttheaters zu sehen, eine Vorstellung, deren Titel sperriger nicht gewählt werden hätte können. Aber eine gewisse Sperrigkeit ist dem Weltuntergang wohl wahrlich nicht abzusprechen und so hätte man ob des Titels und Programms an sich schon gewarnt sein sollen.

MOMAD LABfactory / KKuK präsentiert von Thomas Jelinek versuchte zwar stellenweise das gleiche Augenzwinkern wie die Damen aus dem Papierfachgeschäft, aber man muss hier leider festhalten, dass das Gleiche noch lange nicht dasselbe ist. Begleitet wurde diese „Vorstellung“ von einer Reihe von Parallelaktionen unter der künstlerischen Leitung von Aldo Giannotti, die hier mangels selbst Erlebtem nicht zur Sprache kommen.

Zu Beginn des Abends erinnerte Doris Uhlich mit einem Striptease zu Falcos Lied „Titanic“, dass Feiern und Untergehen ein zwar ungleiches, nichtsdestotrotz jedoch immer wieder zu findendes Paar bilden. Wahrscheinlich sehr zur Freude des Gros der männlichen Besucher, entledigte sie sich ihrer roten Reizwäsche, um nach getaner Arbeit schließlich im Publikum Platz zu nehmen.

Nach dieser fulminanten Eröffnung sank der künstlerische Anteil des Abends dramatisch. Bis auf eine kleine Vorleseübung, bei welcher kurze Statements meist historischer Berühmtheiten zum Untergangsthema von kleinen an der Wand befestigten Zetteln abgelesen wurden, war nun jener Teil überlastig, der sich Diskursperformance übertitelte. Allerdings gab es wenig Diskurs – denn dazu gehören mindestens 2 Meinungen und auch keine weitere Performance – außer diese wäre in der letzten halben Stunde noch präsentiert worden, welche die Autorin dieses Artikels nicht mehr verfolgte. Brav, wie nach einem Drehbuch einer Kreativklasse in einem Gymnasium, durften sich live Expertinnen und Experten zu Wort melden, die manches Mal schlüssiger, manches Mal weniger schlüssig über den trüben Zustand dieser Welt Auskunft erteilten. Allerdings war die Regie streng bemüht, keinerlei Kohärenz walten zu lassen, sondern es sollte mit dem kruden Themenmix wohl aufgezeigt werden, dass es offenbar kein Fleckchen auf dieser Welt gibt, das nicht zum Untergang verdammt ist. Ob nun die Wasserknappheit in Teilen der Welt, das Ende des Kapitalismus, ob die Ausbeutung der Umwelt oder der produzierenden Menschen in den Billiglohnländern – wie in den Nachrichten kam Schlag auf Schlag ein Missstand nach dem anderen zur Sprache, ohne je tatsächlich auch nur ein klein wenig in der Tiefe beleuchtet zu werden.

Ein „den ganzen Abend hindurch offenes Mikrofon“, wie es vom Moderator, dessen exakter Kurzhaarschnitt bewunderungswürdig war, erklärt wurde, kam tatsächlich mehrfach zum Einsatz. Leute aus dem Publikum, aber auch solche, die sich vom künstlerischen Team her dazu bemüßigt sahen, leisteten Wortspenden. Dass es dabei von männlicher Seite aus sogar zu kleinen Machtspielchen mit lautstarken gegenseitigen Beschimpfungen kam, wirkte belustigend und auflockernd, wenn vielleicht teils auch gar nicht gewollt. Auf die Frage einer Zuseherin, was es mit den Blumenzwiebeln auf sich habe, die auf den kleinen Sofatischchen verteilt waren, um die das Publikum saß, kam die lapidare Antwort, dass es sich hierbei auch um ein Kunstprojekt handle. Dank diesem werden nun wahrscheinlich im Garten meiner Begleiterin dieses Abends im nächsten Frühling Blümchen aus dem Boden sprießen.

Was an männlichem Gehabe lächerlich bis peinlich wirkte, wurde durch weibliche Intelligenz wettgemacht. Die prägnantesten Aussagen kamen von Julieta Rudich, die zumindest durch ein an die Wand projiziertes Foto anwesend war. Als Videojournalistin des ORF und als Korrespondentin der „El Pais“ viel in Südamerika unterwegs, zeigte sie eine neue Sicht auf die Krise auf. In dieser wurde deutlich, dass es viele Länder gibt, in denen sich die Bevölkerung einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren kann, wenn sie hört und sieht, dass Europa derzeit in großen finanziellen Schwierigkeiten steckt. Was für Europa eine Krise bedeutet ist unter Umständen für viele andere Länder eine Chance, war von ihr zu erfahren, was zugleich auch den bis dahin durchgängig larmoyanten Ton überdeckte. Der Abend hätte viel mehr von Ideen wie der Letztgenannten vertragen, dann wäre er sicherlich nicht in jener Phase stecken geblieben, in der man den Eindruck hatte, dass zwar schon alles gesagt worden war, aber leider noch nicht von allen.

Manches Mal tut es gut, nach einem Vorstellungsabend länger über dessen Wirkung nachzudenken.

In diesem Fall gab es jedoch auch nach einigen Tagen noch keine weitere Erkenntnis außer jener, tatsächlich einem Abgesang beigewohnt zu haben. Nämlich einem, der die künstlerische Kreativität betrifft. Und das tut weh.

Africa meets contemporary dance

Africa meets contemporary dance

Solid gold und Jolie im Tanzquartier

Jolie im Tanzquartier Wien

Jolie im Tanzquartier Wien - Foto: © Laurent Paillier, Ula Sickle, Vincent Pinckaers

Wer würde in Zeiten wie diesen nicht davon träumen, dicke Goldbarren sein Eigen zu nennen!
Ula Sickle, die canadisch/belgische Choreografin, die mit Dinozor und Jolie Ngemi ins Tanzquartier eingeladen war, verwendete die Bezeichnung „solid gold“ jedoch für die Produktion des aus dem Kongo stammenden jungen Tänzers, der damit das erste Mal in Österreich auftrat. Die Assoziationen, die dem Aufritt seinen Titel gaben, sind leicht erklärt. Gold, weltweit eines der meist gesuchten Edelmetalle, zählt zu den Bodenschätzen des Heimatlandes von Dinozor (Patrick Mbungu), der 1987 in Kinshasa geboren wurde. Pures Gold scheint im übertragenen Sinn dem jungen Tänzer aber auch durch seine Adern zu fließen. Beeinflusst vom traditionellen, kongolesischen Tanz ebenso wie vom Rap startete er seine Karriere, die ihn nach vielen Workshops auch auf internationale Bühnen brachte. Mit der Produktion „more more more…future“ von Faustin Linyekula uraufgeführt 2009 in Brüssel und seitdem erfolgreich weltweit tourend, ist er in ein Projekt eingebunden, dass nicht nur medial große Aufmerksamkeit erregte.

Jolie Ngemi, ebenfalls aus Kinshasa stammend und 2 Jahre jünger als Dinozor, wählte für ihren Auftritt schlicht ihren eigenen Namen als Motto. Ihre tänzerische Ausbildung erhielt sie in Kinshasa, Goma und Kigali und trat in dem Stück „Mists“ von Thomas Steyaert 2010 auf. Außerdem unterstützte sie mit ihrer Performance Konzerte des Rappers Lexus sowie Lokua Kanza.

In den Auftritten von Dinozor und Jolie Ngemi sind starke Parallelen vorhanden. Beide geben ihrer Performance einen geschlossenen Rahmen, eröffnen und beenden diese mit denselben Bewegungsmustern. Darüber hinaus jedoch ist es ihr globaler Zugang zum Tanz, der sich in ihren Choreografien wiederfindet. Dinozor, der über weite Strecken mit seinem tänzerischen Talent, sowie seiner Kraft, Ausdauer und Akrobatik beeindruckt, vereint nicht nur traditionellen afrikanischen Tanz mit internationalem zeitgenössischem, sondern integriert auch noch Schrittfolgen aus Hollywood- und Broadwayproduktionen wie einst von Fred Astair in sein Programm. Ein ständiger Wechsel zwischen den Genres und ganz zum Schluss noch eine kleine Persiflage an eine eingeübte Choreografie – in welcher er das Programm in wenigen Minuten noch einmal Revue passieren ließ – zeigen, dass Dinozor angekommen ist im Hier und Jetzt des internationalen Tanzes. Besonders hervorzuheben dabei ist die akustische Untermalung, für die Yann Leguay, genauso wie im Stück von Jolie Ngemi, verantwortlich zeichnet. Er benutzt die eigenen Körpergeräusche der Tänzer, um sie elektronisch zu verstärken, umzuwandeln, in Loops wieder und wieder laufen zu lassen und mischt dabei noch live den Sound zum Bühnengeschehen. Dadurch erreicht er, dass sich die Bewegungen ohne festgelegte musikalische Zuordnung zu Assoziationsketten fügen, die anders sein können, als würde man afrikanische Rhythmen oder Broadwaymusik, Rap oder andere fix konnotierte Musik verwenden. Und dennoch spielt die menschliche Wahrnehmung diesem Konzept einen Streich. Sobald Dinozor eindeutig zuzuordnende Schrittfolgen ausführt, weist einem die Erinnerung sofort das jeweilige Genre der Ursprungsmusik zu, zu welcher normalerweise getanzt wird.

Ein wenig anders ist dies beim Auftritt von Jolie Ngemi. Sie erscheint wegen einiger gefärbter bunter Haarsträhnen, die sich so herrlich von ihren schwarzen Haaren abheben, als schwarzer Paradiesvogel und lässt keinen Zweifel daran, dass sich ihre Tanzmotivation zu einem großen Teil aus der Tradition ihres Heimatlandes speist. Dazu deklamiert sie selbst kurze rhythmische Textpassagen, die, wie sie danach im Publikumsgespräch erklärte, eigentlich Aufforderungen an das Publikum sind, mitzutanzen oder dem Geschehen mit allen Sinnen zu folgen. Ein in Kinshasa übliches Ritual, das von Animateuren gepflegt wird, die vor Auftritten und Konzerten das Publikum einstimmen und den Saal „einheizen“. Auch sie wird von Yann Leguay kräftig akustisch unterstützt, nur bildet ihre Stimme einen wesentlich stärkeren Teppich, der ihren Tanz trägt, als dies bei Dinozor der Fall ist. Immer wieder wechselt sie in ihrer Choreografie zwischen Bewegungen, die wie in Zeitlupe erscheinen, um dann wieder in ein normales Tempo zu kippen. Dadurch erreicht sie, auch sekundiert durch eine Lichtregie mit starken Reizwechseln, eine sehr lyrische Aussage. Ihre Notation erweckt den Eindruck, als ob sie sich an die Tänze ihrer Heimat erinnern würde, als ob sie mit ihrem eigenen Körper etwas weiter tragen möchte, das sie nicht wirklich festhalten kann.

Ein Tanzabend, der auch Dank des anschließenden moderierten Künstlergespräches Gelegenheit bot, weit über unsere Grenzen hinauszublicken.

Solid Gold from ula sickle on Vimeo.

June 9th & 10th, 2011 Kaaitheater studios, Brussels (BE)

Created with and performed by Dinozord, a contemporary dancer from Kinshasa, Solid Gold traces the roots of Hip Hop, from traditional African dance to forms of entertainment dance from Broadway and Hollywood to MTV. As the solo moves from one hit dance style to the next, and from one epoch to another, the rhythms of each dance are amplified. Gradually the dancers steps, movement and breath becomes a musical score on which he in turn dances.

Première: March 4th – 7th, 2010 @ Tangente Laboratoire de la danse Contemporain, Montreal (CA), April 15th, 2010 @ KVS, Brussels (BE) / July 15th & 16th, 2010 @ Centre Culturel Francais, Kinshasa (DRC), February 12th & 13th @ Side Step Festival Zodiak, Helsinki (FI), June 9th & 10th, 2011 Kaaistudios, Brussels (BE)

Jolie from ula sickle on Vimeo.

June 9th & 10th, 2011 – Kaaitheater Studios, Brussels

Jolie, a solo created with and for Congolese dancer Jolie Ngemi, explores the idea of beauty in Congolese music and dance, where, as art critic Archille Mbembe has written, clashing contradictions, ugliness and the noise of everyday life in the Congo is compressed and transformed. The solo explores dance in its most popular form, sampled from Congolese music videos and night clubs. The music for the performance is generated by the voice of the performer herself, through a live interaction with French composer Yann Leguay.

Première: 5th & 6th May, 2011 – Rencontres chorégraphiques internationales de Seine-Saint-Denis, June 9th & 10th, 2011 – Kaaitheater Studios, Brussels w/ Solid GoldSolid gold und Jolie im Tanzquartier

Jolie im Tanzquartier Wien

Jolie im Tanzquartier Wien - Foto: © Laurent Paillier, Ula Sickle, Vincent Pinckaers

Wer würde in Zeiten wie diesen nicht davon träumen, dicke Goldbarren sein Eigen zu nennen!
Ula Sickle, die canadisch/belgische Choreografin, die mit Dinozor und Jolie Ngemi ins Tanzquartier eingeladen war, verwendete die Bezeichnung „solid gold“ jedoch für die Produktion des aus dem Kongo stammenden jungen Tänzers, der damit das erste Mal in Österreich auftrat. Die Assoziationen, die dem Aufritt seinen Titel gaben, sind leicht erklärt. Gold, weltweit eines der meist gesuchten Edelmetalle, zählt zu den Bodenschätzen des Heimatlandes von Dinozor (Patrick Mbungu), der 1987 in Kinshasa geboren wurde. Pures Gold scheint im übertragenen Sinn dem jungen Tänzer aber auch durch seine Adern zu fließen. Beeinflusst vom traditionellen, kongolesischen Tanz ebenso wie vom Rap startete er seine Karriere, die ihn nach vielen Workshops auch auf internationale Bühnen brachte. Mit der Produktion „more more more…future“ von Faustin Linyekula uraufgeführt 2009 in Brüssel und seitdem erfolgreich weltweit tourend, ist er in ein Projekt eingebunden, dass nicht nur medial große Aufmerksamkeit erregte.

Jolie Ngemi, ebenfalls aus Kinshasa stammend und 2 Jahre jünger als Dinozor, wählte für ihren Auftritt schlicht ihren eigenen Namen als Motto. Ihre tänzerische Ausbildung erhielt sie in Kinshasa, Goma und Kigali und trat in dem Stück „Mists“ von Thomas Steyaert 2010 auf. Außerdem unterstützte sie mit ihrer Performance Konzerte des Rappers Lexus sowie Lokua Kanza.

In den Auftritten von Dinozor und Jolie Ngemi sind starke Parallelen vorhanden. Beide geben ihrer Performance einen geschlossenen Rahmen, eröffnen und beenden diese mit denselben Bewegungsmustern. Darüber hinaus jedoch ist es ihr globaler Zugang zum Tanz, der sich in ihren Choreografien wiederfindet. Dinozor, der über weite Strecken mit seinem tänzerischen Talent, sowie seiner Kraft, Ausdauer und Akrobatik beeindruckt, vereint nicht nur traditionellen afrikanischen Tanz mit internationalem zeitgenössischem, sondern integriert auch noch Schrittfolgen aus Hollywood- und Broadwayproduktionen wie einst von Fred Astair in sein Programm. Ein ständiger Wechsel zwischen den Genres und ganz zum Schluss noch eine kleine Persiflage an eine eingeübte Choreografie – in welcher er das Programm in wenigen Minuten noch einmal Revue passieren ließ – zeigen, dass Dinozor angekommen ist im Hier und Jetzt des internationalen Tanzes. Besonders hervorzuheben dabei ist die akustische Untermalung, für die Yann Leguay, genauso wie im Stück von Jolie Ngemi, verantwortlich zeichnet. Er benutzt die eigenen Körpergeräusche der Tänzer, um sie elektronisch zu verstärken, umzuwandeln, in Loops wieder und wieder laufen zu lassen und mischt dabei noch live den Sound zum Bühnengeschehen. Dadurch erreicht er, dass sich die Bewegungen ohne festgelegte musikalische Zuordnung zu Assoziationsketten fügen, die anders sein können, als würde man afrikanische Rhythmen oder Broadwaymusik, Rap oder andere fix konnotierte Musik verwenden. Und dennoch spielt die menschliche Wahrnehmung diesem Konzept einen Streich. Sobald Dinozor eindeutig zuzuordnende Schrittfolgen ausführt, weist einem die Erinnerung sofort das jeweilige Genre der Ursprungsmusik zu, zu welcher normalerweise getanzt wird.

Ein wenig anders ist dies beim Auftritt von Jolie Ngemi. Sie erscheint wegen einiger gefärbter bunter Haarsträhnen, die sich so herrlich von ihren schwarzen Haaren abheben, als schwarzer Paradiesvogel und lässt keinen Zweifel daran, dass sich ihre Tanzmotivation zu einem großen Teil aus der Tradition ihres Heimatlandes speist. Dazu deklamiert sie selbst kurze rhythmische Textpassagen, die, wie sie danach im Publikumsgespräch erklärte, eigentlich Aufforderungen an das Publikum sind, mitzutanzen oder dem Geschehen mit allen Sinnen zu folgen. Ein in Kinshasa übliches Ritual, das von Animateuren gepflegt wird, die vor Auftritten und Konzerten das Publikum einstimmen und den Saal „einheizen“. Auch sie wird von Yann Leguay kräftig akustisch unterstützt, nur bildet ihre Stimme einen wesentlich stärkeren Teppich, der ihren Tanz trägt, als dies bei Dinozor der Fall ist. Immer wieder wechselt sie in ihrer Choreografie zwischen Bewegungen, die wie in Zeitlupe erscheinen, um dann wieder in ein normales Tempo zu kippen. Dadurch erreicht sie, auch sekundiert durch eine Lichtregie mit starken Reizwechseln, eine sehr lyrische Aussage. Ihre Notation erweckt den Eindruck, als ob sie sich an die Tänze ihrer Heimat erinnern würde, als ob sie mit ihrem eigenen Körper etwas weiter tragen möchte, das sie nicht wirklich festhalten kann.

Ein Tanzabend, der auch Dank des anschließenden moderierten Künstlergespräches Gelegenheit bot, weit über unsere Grenzen hinauszublicken.

Solid Gold from ula sickle on Vimeo.

June 9th & 10th, 2011 Kaaitheater studios, Brussels (BE)

Created with and performed by Dinozord, a contemporary dancer from Kinshasa, Solid Gold traces the roots of Hip Hop, from traditional African dance to forms of entertainment dance from Broadway and Hollywood to MTV. As the solo moves from one hit dance style to the next, and from one epoch to another, the rhythms of each dance are amplified. Gradually the dancers steps, movement and breath becomes a musical score on which he in turn dances.

Première: March 4th – 7th, 2010 @ Tangente Laboratoire de la danse Contemporain, Montreal (CA), April 15th, 2010 @ KVS, Brussels (BE) / July 15th & 16th, 2010 @ Centre Culturel Francais, Kinshasa (DRC), February 12th & 13th @ Side Step Festival Zodiak, Helsinki (FI), June 9th & 10th, 2011 Kaaistudios, Brussels (BE)

Jolie from ula sickle on Vimeo.

June 9th & 10th, 2011 – Kaaitheater Studios, Brussels

Jolie, a solo created with and for Congolese dancer Jolie Ngemi, explores the idea of beauty in Congolese music and dance, where, as art critic Archille Mbembe has written, clashing contradictions, ugliness and the noise of everyday life in the Congo is compressed and transformed. The solo explores dance in its most popular form, sampled from Congolese music videos and night clubs. The music for the performance is generated by the voice of the performer herself, through a live interaction with French composer Yann Leguay.

Première: 5th & 6th May, 2011 – Rencontres chorégraphiques internationales de Seine-Saint-Denis, June 9th & 10th, 2011 – Kaaitheater Studios, Brussels w/ Solid Gold

Wann gilt ein Experiment als legitim

Wann gilt ein Experiment als legitim

Im Schauspielhaus in Wien wird derzeit die Produktion „Wenn Kinder Steine ins Wasser werfen“ nach einem Text von Xaver Bayer in der Regie von Christine Gaigg gezeigt.

Thiemo Strutzenberger, Veronika Zott, Eva Maria Schaller, Anna Prokopova, Petr Ochvat (Foto: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus )

Die Umsetzung der Choreographin mit Tänzerinnen von 2nd nature (Veronika Zott, Eva-Maria Schaller, Anna Propoková, Petr Ochvat) in Zusammenarbeit mit dem Tanzquartier und dem Schauspielhaus kann als Experiment angesehen werden, das der Frage nachgeht, inwieweit ein Kunstwerk – hier im konkreten Fall der Text von Bayer – legitim durch eine andere Kunstform ergänzt oder uminterpretiert werden darf.

Das Besondere an der Arbeit ist Gaiggs Idee, der Sprache Bayers eine zweite künstlerische Ebene hinzuzufügen. Dies wird durch eine Choreographie mit einem Tänzer und vier Tänzerinnen erreicht, die das gesprochene Wort aber weder unterstützt noch konterkariert. Vielmehr agieren die Tänzerinnen bis auf kurze Ausnahmen wie in einer Parallelwelt, die ungeachtet vom sprachlichen Geschehen wie zufällig auf der Bühne stattfindet.

Bayers Text – die Gedanken eines Mannes, die allerlei Assoziationen und Erinnerungen einschließen – ist formal aus einem Endlossatz gebaut. Gaigg lässt diesen jedoch abwechselnd von Nicola Kirsch und Thiemo Strutzenberger deklamieren und bleibt dadurch nicht in der geschlechtlichen Determination. Die Gedanken reihen sich nahtlos aneinander, während der Protagonist bzw. die Protagonistin in einem Transitraum auf einen Weiterflug wartet. Einem Ort also, der überall auf der Welt sein könnte, Andachtskapellen der großen Weltreligionen sein Eigen nennt und Fast-food-Ketten beherbergt, so dass die tatsächliche Verortung keine Rolle spielt. Die ruhige, stetig sich weiterentwickelnde Sprachmelodie hat zwar den Vorteil, dass man theoretisch dem Gedankengang ohne weitere Ablenkung von Szenenwechseln folgen könnte. Dies gelingt aber bei dieser Aufführung keineswegs. Viel zu stark sind die Eindrücke, die durch die Tanzenden hervorgerufen werden. Ihre Kopulationsbewegungen, die zu Beginn der Aufführung jeder für sich vollziehen, werden nur unterbrochen durch Bewegungsmuster, wie man sie von Affenherden in Gefangenschaft kennt. Da wird nach einander gegrapscht, da verfolgen sie sich in aberwitzigem Tempo gegenseitig, aber nach rastlosen Aktionen wird auch traulich zusammengekuschelt. Eva-Maria Lauterbach sorgte für tarnfarbige Kostüme, die zwar tierische Assoziationen , aber dennoch keine genaue Festlegung zulassen. Die tänzerische Leistung – die auf weite Strecken in der Ausführung von Mikrobewegungen besteht – ist explizit hier anzuführen. Die Choreographie beherbergt aber mehr noch als tänzerische Elemente, verlangt sie doch von den Agierenden sich fast eineinhalb Stunden lang in tierische Wesen zu verwandeln, deren Bewegungsmuster zu imitieren und niemals dabei aus der Rolle zu fallen. Diese Rollenverwandlung, die man eigentlich den Schauspielenden auf einer Bühne zuschreibt, wird hier ausschließlich von den Tanzenden übernommen, denn Strutzenberger und Kirsch schlüpfen in keine „Rollen“, sondern agieren lediglich deklamierend.

Die Bühne – die an ihrer Rückseite auch Zuschauerreihen beherbergt – wird durch eine offene Plexiglasarchitektur strukturiert, unter welcher sich das Tiervolk geschickt von einer Bühnenseite auf die andere bewegen kann. Das Publikum mutiert dabei unbemerkt von Theatergängern zu gaffenden Zoobesuchern, die ohne Unterlass das Geschehen beobachten. Für diese Ausstattung sowie das Licht, das einmal das Geschehen von Strutzenberger und Kirsch und dann wieder jenes der tierischen Menschenherde hervorhebt, zeichnet Philipp Harnoncourt verantwortlich. Gemeinsam mit dem diffusen Klanggeschehen von Florian Bogner verschmilzt mit Fortdauer des Abends die Szenerie beinahe zu einer Einheit. Vor allem in jenem Moment, in welchem sich Nicola Kirsch daran macht, sich einst wie Gregor Samsa von einem Menschen in ein Tier zu verwandeln, und zur balgenden Schar zu gesellen. Ihr Verschwinden von der Bühne sowie jenes ihres Partners, dessen Stimme noch eine Weile über Lautsprecher zu hören ist, geschieht unmerklich und fokussiert die Aufmerksamkeit schließlich rein auf die äffische Schar.

Die Inszenierung des Stückes wirft – im Gegensatz zum kunstvollen Text, der gelesen wahrscheinlich noch um ein Stück interessanter wird – einige Fragen auf. Inwieweit macht die Verfremdung eines Textes durch ein zweites Parallelgeschehen Sinn? Inwieweit verfremdet dieses die ursprüngliche Aussage? Wer der Beteiligten – Autor und Choreographin – gibt hier dem oder der anderen freiwillig den Vorrang oder vielleicht auch unfreiwillig? Hat Gaigg hier einfach die Gelegenheit beim Schopf gepackt, eine Choreografie auf die Bühne zu stellen ohne Respekt vor den Aussagen des Textes oder ist es gerade ihr Gegenentwurf, der diesen erst spannend macht?

Diese Fragen führen einen unweigerlich dazu, die Aufführung ganz im Sinne ein Eco´schen offenen Kunstwerks anzusehen. Einem Kunstwerk also, bei welchem die Rezipientinnen sich ihre eigene, subjektive Meinung zum Geschehn bilden. Gaigg geht hier aber noch einen Schritt weiter. Wie aus einem Interview mit der Dramaturgin Constanze Cargl deutlich wird, attestiert sie Bayers Text eine Triebferne, der sie ihren Gegenentwurf entgegensetzen wollte. Sie schuf somit zur These eine Antithese und macht damit aber auch deutlich, wie sie selbst den Text interpretiert. Aus dieser These und Antithese ist es schließlich jeder und jedem Einzelnen überlassen, eine subjektive Synthese zu ziehen. Auf den Punkt gebracht bleibt die Suche nach der subjektiven Interpretation des alten Konfliktes zwischen der Ratio und dem animalischen Ursprung des menschlichen Seins, der häufig in die „Errungenschaften“ der Zivilisation mündet.

Man könnte Bayers Text auch ganz anders als Gaigg, nämlich überhaupt nicht triebfern lesen bzw. interpretieren. Schließlich erfährt man darin, dass er sich erst unlängst von einer Frau getrennt hat, und wird auch Zeuge einer kurzen, mehr als hilflosen telefonischen Kontaktaufnahme. Der Schmerz dieser Trennung könnte somit als unbewusste Triebfeder seiner Unrast und seiner hyperaktiven Gedankenströme gelesen werden, die er ganz im Sinne der Freud´schen Sublimierung erzeugt.

Gaiggs Experiment ist als legitim anzusehen, da sie nichts anderes tut, als ihre subjektive Leseart bzw. die daraus resultierende kreative Umsetzung dem Publikum vorzuführen. Ein Akt, der nicht als Gewaltakt am Text selbst angesehen werden muss, sondern vielmehr als eine mögliche Form der Auseinandersetzung mit Bayers Text.

Weitere Termine:
Fr, 30. März 2012
Sa, 31. März 2012
Di, 03. April 2012
Mi, 04. April 2012
Do, 26. April 2012
Fr, 27. April 2012
Im Schauspielhaus in Wien wird derzeit die Produktion „Wenn Kinder Steine ins Wasser werfen“ nach einem Text von Xavier Bayer in der Regie von Christine Gaigg gezeigt.

Thiemo Strutzenberger, Veronika Zott, Eva Maria Schaller, Anna Prokopova, Petr Ochvat (Foto: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus )

Die Umsetzung der Choreographin mit Tänzerinnen von 2nd nature (Veronika Zott, Eva-Maria Schaller, Anna Propoková, Petr Ochvat) in Zusammenarbeit mit dem Tanzquartier und dem Schauspielhaus kann als Experiment angesehen werden, das der Frage nachgeht, inwieweit ein Kunstwerk – hier im konkreten Fall der Text von Bayer – legitim durch eine andere Kunstform ergänzt oder uminterpretiert werden darf.

Das Besondere an der Arbeit ist Gaiggs Idee, der Sprache Bayers eine zweite künstlerische Ebene hinzuzufügen. Dies wird durch eine Choreographie mit einem Tänzer und vier Tänzerinnen erreicht, die das gesprochene Wort aber weder unterstützt noch konterkariert. Vielmehr agieren die Tänzerinnen bis auf kurze Ausnahmen wie in einer Parallelwelt, die ungeachtet vom sprachlichen Geschehen wie zufällig auf der Bühne stattfindet.

Bayers Text – die Gedanken eines Mannes, die allerlei Assoziationen und Erinnerungen einschließen – ist formal aus einem Endlossatz gebaut. Gaigg lässt diesen jedoch abwechselnd von Nicola Kirsch und Thiemo Strutzenberger deklamieren und bleibt dadurch nicht in der geschlechtlichen Determination. Die Gedanken reihen sich nahtlos aneinander, während der Protagonist bzw. die Protagonistin in einem Transitraum auf einen Weiterflug wartet. Einem Ort also, der überall auf der Welt sein könnte, Andachtskapellen der großen Weltreligionen sein Eigen nennt und Fast-food-Ketten beherbergt, so dass die tatsächliche Verortung keine Rolle spielt. Die ruhige, stetig sich weiterentwickelnde Sprachmelodie hat zwar den Vorteil, dass man theoretisch dem Gedankengang ohne weitere Ablenkung von Szenenwechseln folgen könnte. Dies gelingt aber bei dieser Aufführung keineswegs. Viel zu stark sind die Eindrücke, die durch die Tanzenden hervorgerufen werden. Ihre Kopulationsbewegungen, die zu Beginn der Aufführung jeder für sich vollziehen, werden nur unterbrochen durch Bewegungsmuster, wie man sie von Affenherden in Gefangenschaft kennt. Da wird nach einander gegrapscht, da verfolgen sie sich in aberwitzigem Tempo gegenseitig, aber nach rastlosen Aktionen wird auch traulich zusammengekuschelt. Eva-Maria Lauterbach sorgte für tarnfarbige Kostüme, die zwar tierische Assoziationen , aber dennoch keine genaue Festlegung zulassen. Die tänzerische Leistung – die auf weite Strecken in der Ausführung von Mikrobewegungen besteht – ist explizit hier anzuführen. Die Choreographie beherbergt aber mehr noch als tänzerische Elemente, verlangt sie doch von den Agierenden sich fast eineinhalb Stunden lang in tierische Wesen zu verwandeln, deren Bewegungsmuster zu imitieren und niemals dabei aus der Rolle zu fallen. Diese Rollenverwandlung, die man eigentlich den Schauspielenden auf einer Bühne zuschreibt, wird hier ausschließlich von den Tanzenden übernommen, denn Strutzenberger und Kirsch schlüpfen in keine „Rollen“, sondern agieren lediglich deklamierend.

Die Bühne – die an ihrer Rückseite auch Zuschauerreihen beherbergt – wird durch eine offene Plexiglasarchitektur strukturiert, unter welcher sich das Tiervolk geschickt von einer Bühnenseite auf die andere bewegen kann. Das Publikum mutiert dabei unbemerkt von Theatergängern zu gaffenden Zoobesuchern, die ohne Unterlass das Geschehen beobachten. Für diese Ausstattung sowie das Licht, das einmal das Geschehen von Strutzenberger und Kirsch und dann wieder jenes der tierischen Menschenherde hervorhebt, zeichnet Philipp Harnoncourt verantwortlich. Gemeinsam mit dem diffusen Klanggeschehen von Florian Bogner verschmilzt mit Fortdauer des Abends die Szenerie beinahe zu einer Einheit. Vor allem in jenem Moment, in welchem sich Nicola Kirsch daran macht, sich einst wie Gregor Samsa von einem Menschen in ein Tier zu verwandeln, und zur balgenden Schar zu gesellen. Ihr Verschwinden von der Bühne sowie jenes ihres Partners, dessen Stimme noch eine Weile über Lautsprecher zu hören ist, geschieht unmerklich und fokussiert die Aufmerksamkeit schließlich rein auf die äffische Schar.

Die Inszenierung des Stückes wirft – im Gegensatz zum kunstvollen Text, der gelesen wahrscheinlich noch um ein Stück interessanter wird – einige Fragen auf. Inwieweit macht die Verfremdung eines Textes durch ein zweites Parallelgeschehen Sinn? Inwieweit verfremdet dieses die ursprüngliche Aussage? Wer der Beteiligten – Autor und Choreographin – gibt hier dem oder der anderen freiwillig den Vorrang oder vielleicht auch unfreiwillig? Hat Gaigg hier einfach die Gelegenheit beim Schopf gepackt, eine Choreografie auf die Bühne zu stellen ohne Respekt vor den Aussagen des Textes oder ist es gerade ihr Gegenentwurf, der diesen erst spannend macht?

Diese Fragen führen einen unweigerlich dazu, die Aufführung ganz im Sinne ein Eco´schen offenen Kunstwerks anzusehen. Einem Kunstwerk also, bei welchem die Rezipientinnen sich ihre eigene, subjektive Meinung zum Geschehn bilden. Gaigg geht hier aber noch einen Schritt weiter. Wie aus einem Interview mit der Dramaturgin Constanze Cargl deutlich wird, attestiert sie Bayers Text eine Triebferne, der sie ihren Gegenentwurf entgegensetzen wollte. Sie schuf somit zur These eine Antithese und macht damit aber auch deutlich, wie sie selbst den Text interpretiert. Aus dieser These und Antithese ist es schließlich jeder und jedem Einzelnen überlassen, eine subjektive Synthese zu ziehen. Auf den Punkt gebracht bleibt die Suche nach der subjektiven Interpretation des alten Konfliktes zwischen der Ratio und dem animalischen Ursprung des menschlichen Seins, der häufig in die „Errungenschaften“ der Zivilisation mündet.

Man könnte Bayers Text auch ganz anders als Gaigg, nämlich überhaupt nicht triebfern lesen bzw. interpretieren. Schließlich erfährt man darin, dass er sich erst unlängst von einer Frau getrennt hat, und wird auch Zeuge einer kurzen, mehr als hilflosen telefonischen Kontaktaufnahme. Der Schmerz dieser Trennung könnte somit als unbewusste Triebfeder seiner Unrast und seiner hyperaktiven Gedankenströme gelesen werden, die er ganz im Sinne der Freud´schen Sublimierung erzeugt.

Gaiggs Experiment ist als legitim anzusehen, da sie nichts anderes tut, als ihre subjektive Leseart bzw. die daraus resultierende kreative Umsetzung dem Publikum vorzuführen. Ein Akt, der nicht als Gewaltakt am Text selbst angesehen werden muss, sondern vielmehr als eine mögliche Form der Auseinandersetzung mit Bayers Text.

Ein Königreich für einen guten Pressesprecher

Ein Königreich für einen guten Pressesprecher

Gernot Plass` Hamlet-Neuinszenierung am TAG

Hamlet sein c Anna Stoecher 4730

Hamlet sein - Foto: © Anna Stoecher

Die Neuinszenierung von Hamlet im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) hat es in sich. Nicht nur, dass Shakespeare zur großen Überraschung auch mit der neuen Sprache von Gernot Plass Shakespeare bleibt. Als ob darin nicht ohnehin schon Stoff genug zum Nachdenken vorhanden sei, setzt Plass mit weiteren Bedeutungsebenen dem Stück wahrlich seine eigene Krone auf – mit vielen, vielen darin funkelnden Edelsteinen. Mit dem Seziermesser scheint er über den Urtext gegangen zu sein, wobei ihm das Kunststück gelungen ist, den Duktus des Gottvaters des Dramas und der Komödie trotz neuem Sprachgewand 100prozentig getroffen zu haben. Und so jagt nicht nur ein Bonmot, eine blitzgescheite Idee, ein Spaß und eine tiefe Wahrheit die andere. Schlag auf Schlag, so dass man sicher sein kann erst bei einem zweiten oder gar dritten Theaterbesuch all seine geistreichen Finessen voll erfassen zu können, reichert der Autor und auch für die Inszenierung Verantwortliche das Geschehen mit zeitgeistigen Ideen an, ohne jedoch dabei die Grundkonstruktion des Dramas je aus dem Auge zu verlieren. Auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen aus derselben Denke und bilden somit ein rundes Ganzes, das mit zum Erfolg der Inszenierung beiträgt. Schwarz und Weiß, Grau und Rot bestimmen sowohl die räumliche Determination als auch die Kleidung und lassen Raum genug, jede Szenerie durch unterschiedliche Ausleuchtung selbst neu zu interpretieren.

Der Autor lässt seinen Hamlet als Student der Philosophie auftreten. Ausgerechnet in Freiburg steht seine Alma Mater, weswegen er wohl sein Denken auf Husserl und Heidegger ausrichtet. Darin übt er sich auch kräftig zu Hause, wobei er zwangsläufig damit seine Familie und Freunde intellektuell ins Abseits stellt. Da bedarf es nur mehr des Griffes zu einem Buch und eine kleine exaltierte Körperpose, schon glauben alle, er sei dem Wahnsinn verfallen. Wenn sich in seinen Gedankenströmen das Licht lichtet erfreut sich jeder gebildete Mensch an der Verballhornung von Heideggers Nichts, das sich nichtet. Doch obwohl er wie nebenbei auch Nietzsche und Sartre aus dem Ärmel beutelt und offenbar auch profunde Kenntnisse des griechischen Dramas aufweist, kann er sich dem Schicksal, das auf alle wie ein Tsunami zurollt, nicht entziehen. Bildung und Intelligenz schaden nicht – aber sie helfen ihm auch nicht, das finale Gemetzel hintanzuhalten. So verwundert es schließlich nicht, dass ihm sein früher Tod selbst allzu früh und ohne Erlösung kommt. Mit dem Ausruf „Ich war so kurz davor das alles zu kapieren“ verweist er auf die Hoffnung eines Erkenntniszuwachses, den er gerne länger ausgekostet hätte. Als ewig Denkender und ewig Suchender beherrscht ihn auch noch in der letzen Minute sein Wissensdrang stärker als Gefühle zu seinen Mitsterbenden. In existenzialistisches Schwarz gekleidet, blass im Gesicht, mimt Gottfried Neuner glaubwürdig seinen verkopften Antihelden.Ganz Kopf- und wenig Bauchmensch ist seine Handlungstriebfeder eine gänzlich andere als jene seines größten Widersachers.

Claudius, sein Onkel und Stiefvater agiert hingegen als machtbesessener und potenter hinterlistiger Mörder, der im Laufe des Dramas seinen Gewissensbissen nicht entkommt. Ganz im Gegensatz zu Hamlet denkt er nicht über das Nicht-Sein nach, sondern reflektiert vielmehr über die Außenwirkung seiner Taten und würde ein Königreich für einen guten Pressesprecher geben, um sein Image halbwegs rein poliert zu bekommen. In der Doppelrolle von Hamlets Vater und Claudius brilliert der hünenhafte Horst Heiss, an seiner Seite apart Michaela Kaspar mit blutrotem Lippenstift – der von Beginn an ganz subtil vom schaurigen Ende kündet. Hin- und her gerissen zwischen Eros und Mutterliebe ist sie froh über jede Einflüsterung, die ihr Handeln bestimmt. Wie jene von Polonius – komödiantisch mehr als astrein von Georg Schubert dargestellt – in welcher sie ihren Sohn zur Rede stellen will und zur Räson bringen, an seiner Rhetorik jedoch völlig schutzlos zerbrechen muss.

Maya Henselek in der Doppelrolle der Ophelia und des Horatio, hat in beiden Fällen die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Einerseits als verletze Liebende, die, wie es die Königin nach ihrem Tod ausdrückt, zumindest als Wasserleiche noch ein schönes Bild gibt. Und schon wieder darf es beim gebildeten Publikum in den Synapsen klicken und John Everett Millais mit seinem Gemälde der im Bach treibenden Toten unweigerlich durch die Gehirnwindungen sausen. Und andererseits als einziger Freund Hamlets, der ihm einzig intellektuell das Wasser reichen kann. Zwar muss er sich mit einer Assistentenstelle zufriedengeben – in welcher er sich der Phänomenologie Husserls verschrieben hat – und somit eine inferiore Denkposition gegenüber Hamlet einnimmt, betrachtet man die Entwicklung der Philosophie als linear ansteigend. Dennoch ist er es, der Hamlet bei all seinem Denken und Handeln treu bis zum Ende zur Seite steht. Henselek zeigt in den beiden Rollen ihre grandiose Wandelbarkeit nicht zuletzt durch eine clevere Kostümwahl unterstützt.

Jens Claßen und Julian Loidl, als mit wenig Geist ausgestattete Güldensterns und Rosenkranz zu sehen, dürfen auch als Mitglieder jener Theatertruppe agieren, die ganz unwissentlich Hamlet dabei unterstützt, das Verbrechen an seinem Vater aufzudecken. Aber nicht nur diese Szene stellt – wie heute so gerne in modernen Inszenierungen – das Theater selbst auf den philosophisch-soziologischen Prüfstand. Auch der Hinweis auf Max Reinhardt und Fritz Kortner – im Zusammenhang mit Hamlets Vergänglichkeitsbetrachtungen – konterkariert wie mit feinen Nadelstichen die Metahandlung und holt sie zurück auf jene Bretter, die manchmal nicht die Welt, sondern eben nur eine Kulturnation bedeuten.

Wem es in dieser Kritik zu sehr heideggerte und husserlte, shakespearlte und plasste, der oder dem sei gesagt, einfach unvoreingenommen in eine Vorstellung gehen, alles hier Gelesene vergessen und einfach nur genießen. Einen Theaterabend der Sonderklasse.

Gernot Plass` Hamlet-Neuinszenierung am TAG

Hamlet sein c Anna Stoecher 4730

Hamlet sein - Foto: © Anna Stoecher

Die Neuinszenierung von Hamlet im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) in der Währingerstraße hat es in sich. Nicht nur, dass Shakespeare zur großen Überraschung auch mit der neuen Sprache von Gernot Plass Shakespeare bleibt. Als ob darin nicht ohnehin schon Stoff genug zum Nachdenken vorhanden sei, setzt Plass mit weiteren Bedeutungsebenen dem Stück wahrlich seine eigene Krone auf – mit vielen, vielen darin funkelnden Edelsteinen. Mit dem Seziermesser scheint er über den Urtext gegangen zu sein, wobei ihm das Kunststück gelungen ist, den Duktus des Gottvaters des Dramas und der Komödie trotz neuem Sprachgewand 100prozentig getroffen zu haben. Und so jagt nicht nur ein Bonmot, eine blitzgescheite Idee, ein Spaß und eine tiefe Wahrheit die andere. Schlag auf Schlag, so dass man sicher sein kann erst bei einem zweiten oder gar dritten Theaterbesuch all seine geistreichen Finessen voll erfassen zu können, reichert der Autor und auch für die Inszenierung Verantwortliche das Geschehen mit zeitgeistigen Ideen an, ohne jedoch dabei die Grundkonstruktion des Dramas je aus dem Auge zu verlieren. Auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen aus derselben Denke und bilden somit ein rundes Ganzes, das mit zum Erfolg der Inszenierung beiträgt. Schwarz und Weiß, Grau und Rot bestimmen sowohl die räumliche Determination als auch die Kleidung und lassen Raum genug, jede Szenerie durch unterschiedliche Ausleuchtung selbst neu zu interpretieren.

Der Autor lässt seinen Hamlet als Student der Philosophie auftreten. Ausgerechnet in Freiburg steht seine Alma Mater, weswegen er wohl sein Denken auf Husserl und Heidegger ausrichtet. Darin übt er sich auch kräftig zu Hause, wobei er zwangsläufig damit seine Familie und Freunde intellektuell ins Abseits stellt. Da bedarf es nur mehr des Griffes zu einem Buch und eine kleine exaltierte Körperpose, schon glauben alle, er sei dem Wahnsinn verfallen. Wenn sich in seinen Gedankenströmen das Licht lichtet erfreut sich jeder gebildete Mensch an der Verballhornung von Heideggers Nichts, das sich nichtet. Doch obwohl er wie nebenbei auch Nietzsche und Sartre aus dem Ärmel beutelt und offenbar auch profunde Kenntnisse des griechischen Dramas aufweist, kann er sich dem Schicksal, das auf alle wie ein Tsunami zurollt, nicht entziehen. Bildung und Intelligenz schaden nicht – aber sie helfen ihm auch nicht, das finale Gemetzel hintanzuhalten. So verwundert es schließlich nicht, dass ihm sein früher Tod selbst allzu früh und ohne Erlösung kommt. Mit dem Ausruf „Ich war so kurz davor das alles zu kapieren“ verweist er auf die Hoffnung eines Erkenntniszuwachses, den er gerne länger ausgekostet hätte. Als ewig Denkender und ewig Suchender beherrscht ihn auch noch in der letzen Minute sein Wissensdrang stärker als Gefühle zu seinen Mitsterbenden. In existenzialistisches Schwarz gekleidet, blass im Gesicht, mimt Gottfried Neuner glaubwürdig seinen verkopften Antihelden.Ganz Kopf- und wenig Bauchmensch ist seine Handlungstriebfeder eine gänzlich andere als jene seines größten Widersachers.

Claudius, sein Onkel und Stiefvater agiert hingegen als machtbesessener und potenter hinterlistiger Mörder, der im Laufe des Dramas seinen Gewissensbissen nicht entkommt. Ganz im Gegensatz zu Hamlet denkt er nicht über das Nicht-Sein nach, sondern reflektiert vielmehr über die Außenwirkung seiner Taten und würde ein Königreich für einen guten Pressesprecher geben, um sein Image halbwegs rein poliert zu bekommen. In der Doppelrolle von Hamlets Vater und Claudius brilliert der hünenhafte Horst Heiss, an seiner Seite apart Michaela Kaspar mit blutrotem Lippenstift – der von Beginn an ganz subtil vom schaurigen Ende kündet. Hin- und her gerissen zwischen Eros und Mutterliebe ist sie froh über jede Einflüsterung, die ihr Handeln bestimmt. Wie jene von Polonius – komödiantisch mehr als astrein von Georg Schubert dargestellt – in welcher sie ihren Sohn zur Rede stellen will und zur Räson bringen, an seiner Rhetorik jedoch völlig schutzlos zerbrechen muss.

Maya Henselek in der Doppelrolle der Ophelia und des Horatio, hat in beiden Fällen die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Einerseits als verletze Liebende, die, wie es die Königin nach ihrem Tod ausdrückt, zumindest als Wasserleiche noch ein schönes Bild gibt. Und schon wieder darf es beim gebildeten Publikum in den Synapsen klicken und John Everett Millais mit seinem Gemälde der im Bach treibenden Toten unweigerlich durch die Gehirnwindungen sausen. Und andererseits als einziger Freund Hamlets, der ihm einzig intellektuell das Wasser reichen kann. Zwar muss er sich mit einer Assistentenstelle zufriedengeben – in welcher er sich der Phänomenologie Husserls verschrieben hat – und somit eine inferiore Denkposition gegenüber Hamlet einnimmt, betrachtet man die Entwicklung der Philosophie als linear ansteigend. Dennoch ist er es, der Hamlet bei all seinem Denken und Handeln treu bis zum Ende zur Seite steht. Henselek zeigt in den beiden Rollen ihre grandiose Wandelbarkeit nicht zuletzt durch eine clevere Kostümwahl unterstützt.

Jens Claßen und Julian Loidl, als mit wenig Geist ausgestattete Güldensterns und Rosenkranz zu sehen, dürfen auch als Mitglieder jener Theatertruppe agieren, die ganz unwissentlich Hamlet dabei unterstützt, das Verbrechen an seinem Vater aufzudecken. Aber nicht nur diese Szene stellt – wie heute so gerne in modernen Inszenierungen – das Theater selbst auf den philosophisch-soziologischen Prüfstand. Auch der Hinweis auf Max Reinhard und Fritz Kortner – im Zusammenhang mit Hamlets Vergänglichkeitsbetrachtungen – konterkariert wie mit feinen Nadelstichen die Metahandlung und holt sie zurück auf jene Bretter, die manchmal nicht die Welt, sondern eben nur eine Kulturnation bedeuten.

Wem es in dieser Kritik zu sehr heideggerte und husserlte, shakespearlte und plasste, der oder dem sei gesagt, einfach unvoreingenommen in eine Vorstellung gehen, alles hier Gelesene vergessen und einfach nur genießen. Einen Theaterabend der Sonderklasse.

Alle bekommen alles!

Alle bekommen alles!

PeterLichts „Der Geizige“ im Schauspielhaus Wien

Das Bühnenbild – ein kleinbürgerliches Interieur der 1950er Jahre, versteckt hinter einer großen Bretterwand, dreht sich um seine eigene Achse. Darin – jeder an seinem Platz – sitzen oder stehen sie: Elli, Harpi,Vali, Cleanti sowie Onkeltante Jakob und singen ein fröhliches Trällerliedchen. „Jeder kriegt was er will, jeder behält sein ganzes Geld“ schallt es aus den fünf Kehlen in den Zuschauerraum so überzeugend, dass es schwer wird, sich gegen jene Gefühle zu stemmen, die diesem Happy-end nur allzu gern zustimmen würden.

Johannes Zeiler, Vincent Glander, Veronika Glatzner, Max Mayer, Katja Jung Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Doch bis es soweit ist müssen erst einmal banale Dialoge und tiefgründige Monologe, absurde Handlungen und halsbrecherische Bühnenaktionen durchlebt werden.  Peter Licht, der – beinahe könnte man sagen – Co-Autor des Stückes – hat ganze Arbeit geleistet. Jean-Baptiste Poquelin, besser unter seinem Künstlernamen Molière bekannt, lieferte dem jungen Autor mit seinem Stück „Der Geizige“ die Vorlage und Peter Licht konnte wohl nichts viel Besseres passieren. Spezialisiert auf Kapitalismuskritik nimmt er Molières Idee eines geizigen Mannes, der das Lebensglück seiner Umgebung mit seiner Untugend gefährdet, als Ausgangsbasis für ein Geschehen, in dem eines am Ende klar wird: Geld schadet allen. Geld schadet den Besitzenden wie den Habenichtsen. Es erweckt unstillbare Gelüste, die geradezu in den Konsumwahn mit all seiner Destruktivität münden. Es führt aber auch direkt in psychopathogene Zustände, wie jene von „Papa Harpagon“, der sich am Ende selbst in den Tresor mit seinem Geld einsperrt.

Im Gegensatz zu Molière stehen bei Licht aber nicht die zwischenmenschlichen Verwirrungen hauptsächlich zur Debatte und Auflösung. Vielmehr geht es ihm darum, zwei gänzlich unterschiedliche Sichtweisen auf das Geld darzustellen. Sein Geiziger – dargestellt von Johannes Zeiler – mutiert zum Öko-Philosophen, der das Geld mit Zeit gleichsetzt und dessen Reinheit über alles stellt. Sobald es in der Produktion von Gütern Verwendung findet hält er es für beschmutzt und in den Dreck gezogen, besudelt mit all den Schrecklichkeiten, die kapitalistische Ausbeutung nun einmal so mit sich zu bringen scheint. Seine Kinder, Elli „urnaiv“ in rotem Petticoatkostüm mit weißen Punkten und Cleanti im braven Buben-Kniehosenoutfit, haben hingegen einen ganz anderen Bezug zum Geld. Cleanti (Vincent Glander) hat Pläne, Pläne, Pläne, für deren Verwirklichung er sich beim gut vernetzten Vali (Max Mayer) stets profunde Hilfe erwartet. Dass sein Vater ihn finanziell austrocknet, ist ihm kein Anreiz, ohne dessen Hilfe einmal aktiv zu werden. Viel lieber fantasiert er davon, doch einmal Erbe zu sein von all dem Kapital, das jetzt brach liegt und keinem nützt. Selbst Onkeltante Jakob, von Katja Jung als dralle Haushälterin gemimt, leidet präkariatsmäßig unter der finanziellen Nicht-Zuwendung. Muss sie doch ihren abgebrochenen Absatz ihrer Pumps mit einem Klebeband befestigen, weil sie sich den Schuster nicht leisten kann.

Der Regisseur  Bastian Kraft taucht Peter Lichts Text  in neongrelle Farben, zumindest dann, wenn all jene am Zug sind die versuchen, Harpi sein Geld abzuluchsen. Keiner von ihnen ist mit hoher Intelligenz gesegnet – die Spitze oder besser, den Tiefpunkt geistiger Windstille markiert Elli (Veronika Glatzner) in ihrem Monolog, in welchem sie jeglicher Intelligenz abschwört und ihr Nicht-Wissen als etwas Heiliges in den Raum stellt, das erst in Zukunft dementsprechend gewürdigt werden wird. Leere gegen Produktion, Dummheit gegen Wissen, Trägheit gegen Aktivität – unsere überbevölkerte Welt könnte rein vom ökologischen Standpunkt aus betrachtet tatsächlich mehr davon vertragen.

Nur wenn Harpi selbst philosophiert beruhigt sich das Farbspektakel. Keine bunt projizierte Einrichtung auf die weiße Wand lenkt ab, kein grelles Kostüm konterkariert seine Ernsthaftigkeit. Vielmehr steht, während er sinniert, alles um ihn herum still. Friert ein in Alltagsposen und hebt seine Gestalt so von jenem unsinnigen Geschehen ab, das er mit seinem Geld nicht unterstützen möchte. Johannes Zeiler hat, als geiziger alter Mann mit gepudertem Gesicht, Glatze und schwerem Pelzmantel, lange Textpassagen zu meistern und folgt Lichts Kunstgriff,  von einer geholperten, infantilen Ausdrucksweise zu Beginn des Geschehens sich einer mehr als alltagstauglichen, ja schon wissenschaftlich philosophisch angehauchten Sprache am Ende zu bedienen.  Dass in der ersten Reihe Parkett mittig der Souffleur seinen Dienst versieht, ist sicherlich nicht nur in Reminiszenz an die barocke Aufführungspraxis zu verstehen. Harpi möchte „keine Spuren hinterlassen“, keine DNA auf unverrotteten Plastikbechern, beschwört jedoch seine Geldmanie, indem er zugibt, solange nicht davon zu lassen, bis der Zinseszins abgelöst wird. Eine Beschwörung und Pointierung auf jene kapitalistische Idee, die schon im alten Testament als unheilig angesehen und unter Strafe gestellt worden war. Aber es hat den Anschein, dass jene Ideen sich in der Menschheitsgeschichte am längsten halten, von denen man weiß, dass sie mehr Schaden als Nutzen bringen.

Die pragmatische Wirtschafterin – die „in diesem Haushalt die Orga macht“ – ist jene, die sich am allerwenigsten in das finanzielle Gebaren einklinkt. Zu sehr ist sie mit ihren Tätigkeiten beschäftigt und setzt alles daran, alles in Schuss zu halten – wenngleich auch in einem „land of puberté“, in dem sich nach ihrer Meinung nach alle in einer Dauerpubertät befinden. Ihr einfaches Gemüt beschäftigt sich nicht mit Nachhaltigkeit und Finanztransaktionen, vielmehr stellt sie sich beständig die Frage, wer ihr denn beim nächsten Tischdecken behilflich sein wird.  Dass Vali – Molières Valère – der einzige ist, der Harpagon versucht Paroli zu bieten, nutzt ihm am Ende nichts. Seine konvulsivische Schimpftirade prallt an Harpis psychotherapeutisch geschulter Rhetorik ab und richtet sich schließlich sogar gegen sich selbst. Zerbrochen bleibt er, der im Leben trotz seiner geistigen Fähigkeiten nie Zugang zum Geld hatte, am Boden liegen und eröffnet mit diesem beunruhigenden Bild den allgemeinen Exitus – bis sich – siehe Textbeginn – doch alle wieder besinnen ein fröhliches Liedchen anzustimmen.

PeterLichts „Geiziger“ ist mehr als nur eine vergängliche, vergnügliche Abendunterhaltung. Seine Interpretation strotzt nur so von Wortwitz, Wortgewandtheit und Tiefsinnigkeiten, ohne sie jemals pathetische geschwängert aufs Publikum zu ergießen.

Durch Dagmar Balds clevere Kostümauswahl – eine freudig-krude Mischung aus vielen Epochen, von barocken Anklängen bis hin zu den Beatlesoutfits der 60er Jahre, sowie die intelligente musikalische Untermalung, die sich an die Kostüme zeittechnisch anlehnt – machen den Abend zu einem auch optisch stimmigen Ereignis.

Der arme Schlucker ist tot

Der arme Schlucker ist tot

Der arme Schlucker ist tot! Es lebe das Genie Schubert!

Johanna Rehm, Sebastian Zeleny - Foto:(c) Schauspielhaus

Im kleinen Raum des Schauspielhaus´schen Nebenhauses liegen Partezettel auf. „Schubert ist tot“ ist dort schwarz umrahmt auf einer offenbar aktuellen Falter-Ausgabe zu lesen. Als sich die kleine Bühne öffnet, jene „Guckkastenbühne“, die für alle Schubertabende als Ausgangspunkt und Einstimmung für die folgende Stunde diente, werden die vielen kleinen, brennenden Kerzen sichtbar, die in Gedenken an Schuberts Tod aufgestellt sind. Gestern erst ist er gestorben, und wir werden Zeugen der Einladung zur Trauerfeier, die sein Vater uns vorliest. So machen wir uns zum letzten Mal auf die Reise, um Schuberts Leben – oder heute wohl Schuberts Tod – nah zu sein und landen nach 10minütigem Marsch in der Lichtentaler Kirche, jenem Ort, der Schubert eine musikalische Heimat war.

In der letzten Folge der 5teiligen Serie Schubert – eine Winterwanderung, konzentriert sich der Regisseur Paul-Georg Dittrich nicht ausschließlich auf Schuberts letzte, von Krankheit gezeichnete Jahre. Vielmehr legt er seinen Fokus auf die Beziehung Schuberts zu seiner großen, unerfüllten Liebe Therese Grob und seinem großen Vorbild Ludwig van Beethoven. Der von ihm und Thomas Arzt gemeinsam gestaltete Text hält sich dabei ganz und gar nicht an historische belegte Aussagen, sondern versucht Schubert als einen Menschen nachvollziehbar zu machen der innig lieben konnte, der seiner Kunst verfallen war und der das Unglück hatte zu einer Zeit gelebt zu haben, in der ein finanziell gesichertes Dasein als Komponist in Österreich nur sehr schwer möglich war.

Der Schauplatz der Handlung übte vor allem im zweiten Teil der Aufführung – auf der Orgelempore selbst – einen wundersamen Zauber aus. Hier dirigierte Schubert unter anderen seine allererste Messe. In bitterer Kälte, eingemummelt in bereitgelegte Decken, wirkte der Raum in ganz spezieller Art und Weise. Kein Konzertsaal kann diese Emotionen und Assoziationen wecken, keine noch so brillante Tonwiedergabe so tief berühren wie dieser authentische Ort. Lisa Rombachs klare und helle Stimme, begleitet von Fiona Pollak an der Orgel, ergänzte das Geschehen mit wohl ausgesuchten Liedern wie der Danksagung an die Kunst, die Schuberts imaginären Dialog mit Beethoven abschloss. Subtil wurde darin über die Rolle der Kunst im eigenen Leben nachgedacht und gipfelte in der Ansage: „Man will doch seine Vollendung. Wenn schon nicht im Leben, dann in der Kunst!“

Eines lag Paul-Georg Dittrich sicher fern: Eine Verkitschung des historischen Geschehens. Und tatsächlich erreichte er durch Überzeichnung sowohl in den Dialogen, als auch in der Auswahl der dementsprechenden Requisiten, dass sich streckenweise sogar Humor breitmachte. So darf Schubert (abermals durch Sebastian Zeleny zum Leben erweckt) zu Beginn der Vorstellung verwirrt aus seinem schwarzen Sarg steigen, um die Anwesenden bei seiner Trauerfeier zu zählen. Beethoven wiederum (Hannes Pendls Lockenpracht und die dunkelrote Halsschleife genügen, um optische Parallelen stringent herzustellen) zieht sich weiße Engelsflügelchen an, um zu verdeutlichen, dass er das Gespräch mit Schubert aus dem Jenseits führt. Gerade dieser unprätentiöse, ja beinahe schon despektierliche Umgang mit dem so oft gepflegten, verlogenen Geniekult ist es, welcher den Komponisten von seinem Mythos trennt, den Menschen in den Vordergrund stellt und ins Hier und Heute psychologisch nachvollziehbar transferiert.

Noch einmal zeigt der Autor Thomas Arzt, dass er in den Texten rund um Schubert mehr anbietet als eine reine historische Rückschau, verbrämt mit seiner ihm eigenen Sprachmelodie. Seine kurze Abhandlung über den von Foucault eingeführten Begriff der Heterotopie macht klar, dass es ihm auch darum geht, die Texte über Schubert als Ausgangspunkt für Gedankenspiele und Ideen zu nehmen, die nicht nur in unsere Gegenwart reichen, sondern darüber hinaus auch in die Zukunft verweisen. „Träume sind Heterotopien, sind die Nahrung auf dem Ziel und ein Vorrat auf Hoffnung.“ Viel schöner kann die Klammer zwischen Schuberts Zeit und unserer wohl kaum gesetzt werden.
Schubert – Eine Winterwanderung in 5 Folgen con da capo ist eine Theaterserie, die durchgehend versucht, einen unverkrampften Zugang zu dem Komponisten zu finden. Sie ist aber noch viel mehr. Wer will, lässt sich nur auf die angebotenen Emotionen ein. Wer möchte, genießt die immer gelungene Verschränkung von Text und Musik. Wer Lust hat, nimmt jene philosophischen Angebote mit nach Hause, die ein Denken über Schuberts Zeit hinaus anregen. Wollte man über alle fünf Abende eine Grundklammer setzen, dann müsste dies wohl Hippokrates Feststellung sein: Ars longa, vita brevis. Eine andere Versöhnung zwischen Schuberts Leistung und seiner Lebenstragik ist wohl kaum möglich. Die sich durch alle Vorstellungen ziehende Generalbass-Idee, für jeden Abend einen Ort zu wählen, der das Publikum emotional näher an Schubert trägt, geht überall auf. Auch dort, wo es sich nicht um „authentische“ Orte handelt.

Fazit: Nicht nur sehens- und hörens- sondern vor allem nachdenkenswert!

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