Charme ist eine elektrische Spannung

Gito und Morris, zwei alternde Freunde, haben sich in ein Haus am Strand zurückgezogen, um gemeinsam ihre letzten Jahre zu verbringen. Gescheiterte Liebschaften und Ehen haben sie hinter sich. Das Einzige, was ihnen geblieben ist, ist ihre Freundschaft. Im Stück „Begin the Beguine“, derzeit im Akademietheater zu sehen, spielen Falk Rockstroh und Oliver Stokowski dieses Männerpaar, dessen Freundschaft mit der Zeit auf eine harte Probe gestellt wird. Jan Lauwers, „Artist in Residence“ am Burgtheater seit 2009 und Mitbegründer der Needcompany, hat dieses Stück, das Letzte von John Cassavetes, aus der Versenkung gehoben und beschert damit Wien eine Uraufführung. In der Übersetzung von Andreas Marber bleiben dennoch vereinzelt englische Sätze und Dialoge stehen, die meist von Inge Van Bruystegem oder Sung-Im Her interpretiert werden.


Die beiden Frauen, Mitglieder der Needcompany, brillieren auch nicht so sehr durch ihren sprachlichen Ausdruck, sondern vielmehr durch die Verlebendigung der insgesamt jeweils vier unterschiedlichen Charaktere, die sie darzustellen haben. Zwar unterscheiden sich diese charakterlich und emotional voneinander, haben aber alle denselben Beruf. Sie sind Prostituierte, die von Gito und Morris über deren Zuhälter telefonisch nacheinander ins Haus gerufen werden. Die beiden Männer wollen es sich, angekommen an ihrer letzten Lebensstation, noch einmal gutgehen lassen. Morris, der Romantische der beiden, möchte sich der Illusion hingeben, geliebt zu werden. Gito hingegen verabscheut diesen Gedanken. Er braucht keine gespielte Zuneigung, hasst aber vulgäre Frauen. So beginnt eine Art Reigen, in dessen Verlauf die Männer viermal je zwei Nutten „ordern“, so wie man Pizza beim Lieferservice bestellt. Mal mit dem Hinweis, dass „Liebe dabei sein muss“, mal mit der Bitte, möglichst junge Mädchen zu schicken. Mal mit der Idee von älteren, reiferen Frauen, mit denen man auch was reden kann. Zuerst ist es Gitos Depression, seine Lustlosigkeit und Unfähigkeit zu genießen, die dem Treiben, das als Entspannung und Lustgewinn geplant war, keine lustvolle Komponente entlocken kann. Und dennoch sind sich die Freunde rasch einig, nach ihrer ersten Erfahrung noch einmal zwei Frauen kommen zu lassen. „Was sollten wir sonst machen?“, stellt Gito fest, nachdem Morris ihn nach seinem Einverständnis dafür gefragt hat. So reiht sich eine Nacht mit bezahlten Frauen an die nächste, ein Dialog zwischen Morris und Gito ergibt den nächsten – ohne dass sie tatsächlich empathisch aufeinander eingehen.

Morris, der romantische Typ, schwärmt von einer Liebe oder zumindest von Nutten, die so tun, als würden sie ihn lieben. Ihm gefällt es, von Frauen angehimmelt zu werden und charakterisiert seinen Charme als eine Art elektrische Spannung. Er träumt von einem Regenbogen – eine Metapher für ein schönes, gelungenes Leben in Frieden – und verteidigt diesen vehement, als ihn sein Freund null und nichtig reden möchte. Gito hingegen hat keine Ziele und Träume mehr. Das Zusammenleben in dem Apartment entwickelt sich wie jenes eines alten Ehepaares, das sich nichts mehr zu sagen hat und ständig aneinander vorbei redet. Jan Lauwers, der auch die Bühne gestaltete, versetzt das Geschehen in jene Zeit, in der das Stück geschrieben wurde. Möbel im Stil der 80er Jahre, ein alter Kühlschrank, Flaschen, Whiskeygläser – mehr braucht es nicht, um die Trostlosigkeit der Umgebung anzureißen. Auf eine große Leinwand werden mittels Live-Kamera jene Szenen übertragen, die im Schlafzimmer spielen. Ganz im Stile Cassavetes wird die Kamera dabei in langen Close-ups direkt auf die Gesichter gehalten. Dieser Sex, der hinter der Bühne theatralisch nicht-zelebriert wird ist – zumindest für die Frauen – alles andere als spaßig. Dass sich die Männer danach auch nicht wirklich gut fühlen, verwundert nicht weiter.

Das Geschehen schaukelt sich allmählich hoch und gipfelt in einer Nacktszene von Sung-Im Her. In dieser spielt sie – abermals ohne viel Text, dennoch die Männer an die Wand. Betrunken verfällt sie dabei in einen Zustand, in dem sie sich wie ein Baby benimmt und auch so spricht und verkörpert dabei gleichzeitig die pure Lebenslust. Sung-Im Her gelingt dabei das Kunststück, nicht ihre Nacktheit in den Fokus zu rücken. Es ist ihre unbändige Energie und ihre ansteckende Lebensfreude, die scheinbar ungefiltert ins Publikum schwappt, das ihr dafür ungemeine Sympathien entgegenbringt. Je mehr sich Gito zu amüsieren beginnt, umso stärker verschlechtert sich die Laune seines Freundes. Die bis dahin eingeübten Muster fangen an aufzubrechen.

Die Garderobe der Mädchen befindet sich sichtbar im hinteren Bühnenteil, so dass man die Kostümwechsel ständig beobachten kann. Ab und zu gibt Morris hörbare Anweisungen an die Licht- und Tonregie und bricht auch damit das Muster des hermetischen Theaterspiels. Die Konversation der beiden Freunde, in der es auf langen Strecken um die Erkenntnis geht, am Lebensende nicht das gefunden zu haben, wonach man immer suchte, oder es sogar aus eigenem Verfehlen verloren zu haben, ist eine zeitlose. Ein wenig verwunderlich, dass der Regisseur das Geschehen explizit in die Zeit von Cassavetes zurückversetzt. Dieser hat das Stück zwar zwei seiner Freunde – Peter Falk und Ben Gazzara – auf den Leib geschrieben. Mit Rockstroh und Stokowski hat Lauwers jedoch zwei Schauspieler an der Seite, die genauso gut im Hier und Heute die tragik-komische Geschichte mit Präsenz versehen hätten können.

So tragen sie – zumindest am Beginn des Abends, Smokings mit anachronistischen, rüschenbesetzten, weißen Hemden. Genauso wie ihre realen Vorbilder, die mit Cassavetes auf einem Foto im Hintergrund zu sehen sind. Deren befreiendes Lachen steht in krassem Gegensatz zum Geschehen auf der Bühne – obwohl an diesem Abend viel gelacht werden darf. Dennoch ist es mehr als ein schwarzer Schimmer, der zwischen den teilweise witzigen und ironischen oft aber auch destruktiven Dialogen durchschimmert. Der Schluss, in welchem Morris schließlich gegen seinen Willen von einer Nutte ins Bett getragen wird macht klar, dass Happy Ends nur auf den Leinwänden von Hollywoodproduktionen funktionieren. Im richtigen Leben bleibt der Kampf um die Liebe und die Verteidigung des eigenen Ichs bis zum Schluss aufrecht. Das große Plus des Abends ist seine Besetzung, die den beiden Schauspielern zwei Frauen an die Seite stellt, die keine klassische Schauspielausbildung haben. Sung-Im Her ist Tänzerin und Van Bruystegem steht auch bei mehreren Modelagenturen unter Vertrag. In dieser Kombination trägt jede und jeder zu einer Idealbesetzung bei. Interessant wäre eine Umfrage bei männlichem um weiblichem Publikum, was die Akzeptanz dieses Stückes generell betrifft. Der Umstand, dass sich – zumindest im Selbstverständnis der meisten deutschsprachigen Frauen – seit den späten 80er Jahren ein großer Wandel vollzogen hat, schiebt so manche Aussage der beiden Männer in ein diskussionswürdiges Licht. So gesehen hat Lauwers gut daran getan, die 80er wieder aufleben zu lassen. Ermöglicht er damit zumindest die Illusion, dass das Geschehen heute in dieser Art nicht mehr so ablaufen würde. Das ist jedoch die Meinung einer privilegierten Frau, möglich, dass es diesbezüglich nur ein paar Straßen weiter schon wieder ganz andere Denkmuster gibt. Dennoch bleibt die Frage nach dem Rollenverständnis, das hier transportiert wird – und damit nach der grundsätzlichen Berechtigung des Stückes im Hier und Heute an und für sich.

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