Vom Palatin direkt ins Fernsehstudio

Im Theater an der Wien hatte Claudio Monteverdis letzte Oper „L´incoronazione di Poppea“ Premiere. Claus Guth, der die Regie verantwortet und Jean-Christophe Spinosi, der musikalische Leiter, verfrachteten die Geschichte um die Geliebte und spätere Frau Neros in unsere Zeit. Nicht nur, was die Regie betrifft, sondern auch moderne Umdeutungen und Einschübe musikalischer Natur wurden dabei verwendet. Ein Umstand, der das Publikum in zwei Lager teilte.

L´incoronazione di Poppea“ gilt als Schlüsselwerk für die Entwicklung der Oper schlechthin. Monteverdi legte damit nicht nur eine Reihe von unterschiedlichen Charakteren abseits der bis dahin üblichen mythologischen Stoffe fest, sondern schrieb die Oper erstmals nicht für einen Hof, sondern für das 1638 eröffnete Theater San Giovanni e Paolo in Venedig. Der Regisseur, der auch die beiden anderen erhaltenen Opern Monteverdis in Wien bereits inszenierte, setzt auf eine drastische Bildsprache und ein Ende, das er wohl als logische Konsequenz der Handlung eines höchst umstrittenen Charakters ansieht.

Poppea (Alex Penda), die junge Geliebte des allmächtigen Kaisers von Rom, schafft es im Libretto von Giovanni Francesco Busenello Seneca, Neros Lehrer, zu eliminieren. Der Philosoph (Franz-Josef Selig), der die Vernunft vor jede Emotion stellt und die stoische Lebensweise als glücksbringend verkündete, ist ihr auf dem Weg nach ganz oben schlicht und einfach im Weg. Nerone (Valer Sabadus) lässt sich von ihr überreden und Seneca eine Botschaft zukommen, die ihm den Selbstmord befiehlt. Dies ist nicht den historischen Tatsachen geschuldet, vielmehr verwendeten Busenello und Monteverdi ihre Fantasie, um die Dramaturgie in der Handlung zuzuspitzen. Die zweite Widersacherin, Neros Frau Ottavia (Jennifer Larmore), stiftet Ottone (Christophe Dumaux), den ursprünglichen Geliebten von Poppea, an, diese zu töten. Amore, der in Wettstreit mit Virtù, der Tapferkeit und Fortuna, der Glückgöttin getreten ist, verhindert den gedungenen Mord und ist auch dafür verantwortlich, dass das herrschaftliche Liebespaar schließlich heiraten und Poppea zur Kaiserin gekrönt werden kann. Mit dieser Szene endet Monteverdis Oper, nicht jedoch die Fassung von Guth.

In dieser verweigert Nerone seiner Angetrauten den alles besiegelnden Kuss und tötet nach der allerletzten Liebesarie, die zu den schönsten der Operngeschichte überhaupt gehört, zuerst sie und dann sich selbst mit einer Pistole. Schon in einer Szene zuvor wird deutlich, dass Nerone unter Gewissensbissen leidet und Poppea als Drahtzieherin seiner Schuld ansieht. Während Poppea sich siegessicher auf der schwarzen Bonzenlimousine mit dem Nummernschild „1001 Roma“ räkelt, erklimmt ihr Geliebter das Auto, nicht ohne sich zuvor mit einem Griff seiner Pistole im Hosenbund versichert zu haben. Dass es überhaupt soweit kommt, ist dem Umstand geschuldet, dass Guth die Beziehung der Beiden als zu großen Teilen geschlechtlich bedingte Attraktion darstellt. Schwarze Satinbettwäsche und ein schwarzes Negligé, später überlange Lederstiefel und ein Ledermantel sowie rote, lange Haare machen die machthungrige Poppea zu einer Femme fatale. Es ist keine Seelenverwandtschaft, die Nerone an diese Frau bindet, vielmehr ist es die sexuelle Anziehungskraft, der er nicht widerstehen kann.

In einem Nebenstrang der Geschichte finden auch Valetto, Ottavias Page (Emelie Renard) und Damigella (Gaia Petrone) zueinander. Ein junges Paar, das in dieser Inszenierung Liebe noch als etwas Neues wahrnimmt, dem man mit Leib und Seele verfallen kann. Wunderbar, Renards Interpretation des Jungverliebten und aufmüpfigen Jugendlichen, der sich nicht scheut, Seneca seine eigene Meinung über dessen Philosophie und sein Naheverhältnis zu Nero zu sagen. Das Superman-T-Shirt, das unter der schwarzen Latzhose zu sehen ist, macht klar, welche Vorbilder der noch nicht Erwachsene hat. Renards Stimme gibt Hoffnung für kommende, große Partien, wenn ihr nicht allzu schnell allzu viel zugemutet wird. Und auch Gaia Petrone ist ihrem Bestürmer ein wunderbarer stimmlicher Gegenpart.

Nutrice, Ottavias Amme und Poppeas Amme Arnalta, die beiden Buffone-Figuren des Stückes, werden grandios von Marcel Beekman und José Manuel Zapata gesungen und interpretiert. Der Spaß kommt dabei nicht nur durch die männliche Verstellung unter den Frauenkleidern zum Ausdruck. Die beiden Tenöre sind herausragende Sänger und zugleich auch wunderbare Komödianten. Christian Schmidt, in Wien längst längst kein Unbekannter mehr, unterstützt sie mit seinen Kostümen und einem extrem plakativen Bühnenbild.

Ein TV-Studio, in dem Talk- und Quizformate aufgenommen werden, ist sowohl von seiner bespielten Schauseite und dank der Drehbühne auch von seiner Rückseite im Einsatz. Schein und Sein, die in diesem Business so knapp nebeneinanderliegen und auch für so manche Charaktere des Stückes essenziell sind, werden so direkt veranschaulicht. Es verstärkt zusätzlich das reizvolle Spiel im Spiel, und macht das Publikum szenenweise zu Adabeis bei einer Fernsehaufzeichnung. Szenen, in denen sich ein nahender Tod ankündigt, werden mit großflächig plakatierten Wolkenfotografien markiert und Seneca setzt sich in eine Badewanne in einem großzügigen Raum, der an einen Wellnessbereich erinnert, um sich dort die Pulsadern aufzuschneiden.

Die Inszenierung wartet gleich mit drei Countertenören auf, die allesamt richtig besetzt sind. Christophe Dumaux, der von Poppea betrogene Geliebte, hat ein warmes und geschmeidiges Timbre, das seine Wehklagen perfekt zum Ausdruck bringt. Jake Arditti, der Mitglied des jungen Ensembles des Theater an der Wien ist, klingt wesentlich jünger und heller, was zum fast schon diabolischen Amore sehr gut passt. Valer Sabadus intoniert seinen Nerone mit Kraft und Brillanz, besonders in den schwierigen Kolorturarien. Herausragend Franz-Josef Selig, dessen weicher und sicherer Bass Seneca jene Würde verleiht, die ihn von allen anderen in dem Spiel unterscheidet. Vielbejubelt auch Jennifer Larmore als Ottavia. Alex Penda hat mit den letzten beiden Arien der Poppea Glück, denn sie ist gerade im hohen Register sattelfest und ausdrucksstark, hat aber wenig Stütze bei den tiefen Passagen. Beeindruckend auch Sabina Puértolas als überschwänglich liebende Drusilla, die jegliche Warnsignale in den Wind schießt und durch ihre Liebesverblendung beinahe ein tödliches Opfer zu zahlen hat.

Das Ensemble Matheus meistert die Gratwanderung zwischen vorbildlicher historischer Aufführungspraxis und neuen Klangelementen vorbildlich. Der Dirigent Jean-Christophe Spinosi musste vom Publikum für die Idee, die szenischen Übergänge mit elektronischen Klangverfremdungen auszustatten, (Christina Bauer) auch Buhrufe einstecken. Zu Unrecht, denn der musikalisch-dramaturgische Aufbau, zu Beginn noch kaum hörbar, gipfelte aber am Ende in einer extremen Zunahme der fremden Klänge. So wurde sowohl die innere Zerrüttung des Kaisers als auch der Ausbruch seiner todbringenden Gewalt auch musikalisch angekündigt. Frech und ohne Skrupel vor dem historischen Material fügte Spinosi an einer Stelle auch zeitgeistige Rhythmen ein, mit denen die Ausgelassenheit von Nerone und seinen Freunden unterstrichen wurde. Wie der Regisseur sieht auch der musikalische Leiter Oper als eine Gattung an, die sich beständig in Transition befindet und auf die jeweiligen zeitgenössischen Anforderungen angepasst werden sollte.

Diskussionswürdig ist Guths Ende. Monteverdi und Busenello entlassen den Herrscher und seine Frau trotz aller fragwürdiger ethischer Handlungen am Ende siegreich aus der Geschichte. Guth, der sich dem Regietheater verschrieben hat, wählt aber einen Schluss, der sich besser in unsere heutige ethische Debatte einfügen lässt. Zwar bleibt offen, ob Nerone seine Frau und sich aus Wahn oder Kalkül tötet. Allein der Umstand, dass er dies tut, zeichnet seine bis dahin ausgeführten Taten aber als verwerflich aus.

Eine opulente Aufführung, sowohl für das Auge als auch für das Ohr mit einer zum Teil großartigen Besetzung. Dass Oper nach wie vor für Diskussionsstoff sorgt, spricht nicht gegen, sondern für dieses künstlerische Medium.

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