Ein Stück Hoffnung in der Apokalypse

Ein Stück Hoffnung in der Apokalypse

Michaela Preiner

Foto: ( )

2.

März 2019

In „Da-nach“ wird nüchtern dem triebhaften Menschsein eine zweite, ganz andere Seite gegenübergestellt, die in den derzeitigen Dystopiediskursen meist gar nicht vorkommt: Nämlich jene der Empathie, des gemeinsamen Tuns und Helfenwollens.

Ein Stück Hoffnung in der Apokalypse

Ein Stück Hoffnung in der Apokalypse

von | 2. März 2019 | Tanz

Michaela Preiner

„Da-nach“ (Foto: Anna Stöcher)

2.

März 2019

Gleich vorweg: „Da-nach“ ist eine kleine, aber umwerfende Produktion, die derzeit noch bis 6. März im Semperdepot in Wien zu sehen ist und: Man sollte sie sich nicht entgehen lassen, denn: So eine österreichische Tanzproduktion, die derart stimmig, gescheit, in sich schlüssig, mit einer tollen Choreografie und einem genialen Sound versehen ist, muss erst einmal gesucht werden.

Das Lob braucht Erklärung: Die Choreografin Saskia Hölbling hat mit ihrer Gruppe Dans.Kias in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Wolfgang Mitterer ein Stück auf die Bühne gebracht, welches das Publikum in den ersten Sekunden gewaltig erschreckt.

Sirenen, Gedonner wie von Explosionen und einstürzenden Bauten, herumlaufende Menschen, die sich auf einen Haufen Industriemüll retten. Es muss erst einmal durchgeschnauft werden, bis man den Schock verdaut hat. Das Szenario ist klar. Jan Jakubal und Ardan Hussain haben sich mit Leonie Wahl auf eine Art kleines Floß gerettet, das von einem bedrohlichen Meer umspült wird.

Was nicht zu sehen ist, und im eigenen Kopf zu einem Ganzen zusammengesetzt werden muss, steuert Mitterer mit einem spannenden Sound- und Klanggeschehen bei. Neben kurzen Einspielungen von realistisch wirkenden Geräuschen wie dem eingangs beschriebenen Einsturz- und Sirenengetöse oder einem Knistern und Knirschen, sind es Klangkompressionen mit hallenden Tönen und kurzen Akkordabfolgen, die sich mit leichteren, beinahe schwebenden Klangflächen kontinuierlich abwechseln. Im Laufe des Geschehens nimmt die Lautstärke zu und übertönt auch die Meeresbrandung, die immer wieder hörbar ist. Mitterers Komposition hat viel von einer minimalisierten, aber keinesfalls abstrakten Filmmusik und unterstützt damit das Szenario sinnlich und in großem Maße emotional.

In diesem kämpfen die beiden Männer, kurz nachdem sie verstanden haben, dass sie abseits jeglicher Zivilisation auf der schwimmenden Insel gefangen sind, zu Beginn um Leonie Wahl, der einzigen Frau. Gefragt wird sie nicht, vielmehr scheint das Recht des Stärkeren zu gelten. Diese weiß sich jedoch gegen die Annäherungsversuche immer wieder geschickt zu wehren und würde auch nicht davor zurückscheuen, in großer Bedrängung die Männer über Bord zu werfen. Erst als Anna Hein aus den todbringenden Fluten ebenfalls auf die Insel gerettet wird, entsteht eine andere Dynamik.

Der Kreativität von Gudrun Lenk-Wane ist es zu verdanken, dass die Arte-povera-Requisiten nicht auf eine billige Produktion verweisen, sondern passend und immer wieder Staunen auslösend zum Einsatz kommen. Plastiksäcke und -seile, eine schwarze Plastikwanne, in der ein Mensch alleine sitzend, mit ausgestreckten Beinen, Platz findet, um dann doch von allen gleichzeitig gekapert zu werden, eine Leiter, ein Gartenstuhl und mit Metallrohren und Holzgittern verbundene, blaue Plastikfässer – viel mehr braucht es nicht, um dem Ensemble einen höchst unwirtlichen Zufluchtsort anzubieten. Auf diesem wird geklettert, gesprungen, werden unzählige Hebefiguren absolviert. Zwischen diesem schlängeln sich die Tanzenden durch, verstecken sich, versuchen sich vergeblich liegend auszustrecken, um etwas auszurasten. Von diesem rutschen sie auch immer wieder ab und treiben – wie in einer packenden Szene von Hein gezeigt – beinahe ins offene Gewässer.

Die Unsäglichkeit der Situation ändert sich erst, als die vier Überlebenden einen weiteren zu sich auf ihre schwimmende Insel holen. Oskar Mitterer, 9-jähriger Volksschüler, wird mittels gemeinsamer Anstrengungen aus der zweiten Publikumsreihe mit „ins Boot geholt“. Schlagartig verändert sich der Umgang der Erwachsenen untereinander. Die Rivalität ist wie weggeblasen, der Beschützer- und Überlebensmodus scheint aktiviert. Nach wenigen Augenblicken erscheint mit kurzen, tiefen Streicherklängen ein Miniaturmotiv. Der Komponist greift dafür tief in die Hollywood-Musik-Kiste und baut dieses Motiv noch weitere Male beständig, zugleich aber auch subtil aus, sodass das Gefühl hochkommt, dass das Happyend nahe sein muss.

Und tatsächlich wendet sich das Blatt zum Guten und lässt alle Fünf, nun stehend in der kleinen, schwarzen Plastikwanne, auf ein Land zusteuern, von dem nur sicher ist, dass es erst einmal Rettung bedeutet. Dieses Bild, ein Stück Hoffnung, das die Apokalypse hinter sich lässt, ist nicht nur stark. Seine Statik und Einfachheit ist, in Kombination mit dem Sound, einfach emotional überwältigend.

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„Da-nach“ (Fotos: Anna Stöcher)
Das Großartige an dieser Produktion ist, dass sie ein Gesamtkunstwerk darstellt. Und zwar keines, das sich diesen Terminus protzend an die Marketingfahnen hängt. Bühne, Choreografie und Musik, aber auch die Dramaturgie der Geschichte an sich überzeugen ohne jegliche Abstriche. Sie ist hochaktuell, zugleich aber auch von archaischer Wucht. In „Da-nach“ wird nüchtern dem triebhaften Menschsein eine zweite, ganz andere Seite gegenübergestellt, die in den derzeitigen Dystopiediskursen meist gar nicht vorkommt: Nämlich jene der Empathie, des gemeinsamen Tuns und Helfenwollens – was schließlich auch zum Überleben der Spezies Mensch in diesem speziellen Kontext beiträgt.

Es mag wohl auch diese so erlösende Aussicht auf eine allerorten düster prognostizierte Zukunft sein, die dieses Stück zeitgenössischen Tanz so überaus beeindruckend erscheinen lässt. Chapeau, chapeau und: Danke dafür!

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