Olle rennen nua i bin fia nix

Sie polkern, jodeln, grooven, swingen. Sie unterhalten mit humorig-kitschigen Liebesliedern, Countrysongs und sogar mit einem Tango. Und sie spielen Theater. In der „Stubenoper“ „Der varreckte Hof“ von Georg Ringswandel wird den Schauspielerinnen und Schauspielern im Kosmos Theater viel abverlangt.

Prelog und Kacinari (c) Bettina Frenzel

Prelog und Kacinari (c) Bettina Frenzel

Ein geniales Duo sorgt live für den passenden Sound

Das Duo Catch-Pop String-Strong ist dabei nicht nur an seinen Instrumenten, dem Cello und der Bratsche tätig. Rina Kacinari und Jelena Poprzan agieren zugleich auch als die beiden aus Ex-Jugoslawien stammenden Pflegerinnen Svetlana und Ivanka. Sie wurden von Günther (Thomas Richter) auf den Hof geholt, um sich um seine Schwiegermutter, eine alte Bäuerin, zu kümmern. Linde Prelog charakterisiert die langsam senil Werdende so, dass man meint, man hätte die alte Weichsenriederin direkt vom steirischen Hof nahe der Teichalm nach Wien auf die Bühne geholt. Mit unglaublichem Witz und noch unglaublicherer Sprachsicherheit navigiert sie das Geschehen rund um die Geschicke des Hofes, auf dem es trotz ihrer erwachsenen Kinder noch keine Nachkommen gibt. Zutiefst im Oststeirischen Sprachacker grabend, schimpft und jammert sie vor sich hin und zeigt mit ihrem Schmäh, ihrer Bauernschläue und ihren bodenständigen Wertvorstellungen den Wahnsinn der übertechnisierten, gnadenlosen Arbeitswelt auf. Bedrohlich saust dabei in der ein- oder anderen Szene ihr Stecken über den Kopf ihrer nichtsnutzigen Nachkommen. Die Regie von Dora Schneider setzt auf Brachial-Realistisches.

Bissige Gesellschaftskritik verpackt in deftigem Humor

„Olle rennen nua i bin fia nix“, sagt sie an einer Stelle und markiert damit die turbo-kapitalistische Auffassung, dass alte Menschen im Produktionszyklus eigentlich nur hinderlich sind. Ringswandel schafft es mit wenigen Worten, komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen. Günther, der sich als Saubermann im weißen Outfit präsentiert, gefertigt aus Wolle und Leinen irgendwo in einem Almtal, entpuppt sich bald als Fremdgänger und Doppelmoralist. Seine Aussage: „Ich sag immer: Friede vor Wahrheit“, erntet beim Publikum lautes Gelächter. Seiner Frau Gerlinde verwehrt er ein Kind mit dem Hinweis, dass die Erde ohnehin schon überbevölkert sei. Sein Sabatikal will er auch auf Kosten der anderen durchdrücken, schließlich muss er sich ja „gesetzlich verpflichtet“ von seinem Burnout erholen. Zeit für die Betreuung der Alten bleibt da selbstverständlich nicht.

Gerlinde (Emese Fáy), mit ihrem Alltag gänzlich überfordert, muss als Handarbeitslehrerin täglich die globalen Verwerfungen in ihren Klassen abfangen, wohingegen ihr Bruder Rupert von einen Tag auf den anderen aus seinem Job als Manager einer IT-Firma gekündigt wird (Peter Bocek). „Ziag da die Stiefö aun und geh in Stoll ausmisten“, ist der pragmatische Kommentar der Altbäuerin, der bei Rupert aber nicht auf Widerhall stößt. Vielmehr möchte er das Land parzellieren, verkaufen und darauf Eigentumswohnungen errichten. Um dann so rasch wie möglich in Urlaub fahren zu können.

Neue Slogans, neues Glück

Ringswandel zeigt mit viel schwarzem Humor die Verwerfungen unserer westlichen Gesellschaft. Verwerfungen, die vor allem in ländlichen Regionen zu spüren sind, die nicht vom Tourismus leben können. Wunderbar jene Szene, in der die geborene Kreuzenpointner, verehelichte Schnapper und berufliche Weichsenriederin ihrer Vielleicht-Schwiegertochter Svetlana erklärt, wie man heutzutage sein Land auf Neuhochdeutsch vermarkten kann. Neue Slogans könnten ja vielleicht neues Glück bringen. Vom Genusskompetenzzentrum über das Angebot von spirituellen Wanderungen bis hin zu Orientierunsausritten bietet die Regierung mittlerweile Programme an, um die darniederliegende Landwirtschaft neu anzukurbeln. Was Svetlana gefallen würde – einen Hof zu übernehmen, den man bewirtschaften kann – gefällt ihrem Gspusi Rupert noch lange nicht.

Ein extra Exkurs über die prekären Arbeitsbedingungen von Hilskräften

Der Autor schafft es auch, die prekären Arbeitsbedingungen von weiblichen Hilfskräften aus dem Osten zu thematisieren und lässt das Ende seiner „Stubenoper“ offen. Ob geheiratet wird, der Hof übernommen, ob Gerlinde die Fehltritte ihrem Günther verzeiht darf sich das Publikum selbst zusammenreimen. Im letzten Lied, das in einer grün beleuchteten Nachtdämmerung intoniert wird, spiegelt er nur das Gefühl und die Stimmung wieder, die das Land im wenig besiedelten Gebiet nachts verbreiten kann.

Die Stube für die Stubenoper – rote Holzmöbel mit buntem Blümchenstreumuster darauf – stammt von Claudia Vallant. Mit ihrem Schürzenkleid, ihren groben Schuhen und Socken passt nur die Bäuerin selbst in die Umgebung und markiert damit eine untergehende Welt, die sich trotz aller ersehnter Veränderung so nicht mehr halten kann.

Ein musikalisch-witzig-tiefsinniger Abend, der in Wien nur noch bis Samstag zu sehen ist. Der Weichsenriederhof ist in der Siebensterngasse auch ohne Wanderausrüstung zu erreichen!

Weitere Infos auf der Homepage des Kosmos Theater.

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