Dem Leben auf der Spur

Dem Leben auf der Spur

Michaela Preiner

Foto: ( )

13.

August 2016

Dana Michel präsentierte ihren grandiosen "Mercurial George" beim ImpulsTanz Festival.

Wie erzählt man über die Unbillen des Lebens? Wie fasst man Dekaden zusammen? Wie versinnbildlicht man das Alter? Und wie eine existenzialistische Lebenssicht? Auf einer Bühne, beinahe ohne Worte?

Dana Michel setzt sich mit dem Auf und Ab eines Lebens auseinander

All diese Fragen wurden bei der Performance „Mercurial George“ von Dana Michel beantwortet. Jener jungen, kanadischen Tänzerin, die anlässlich einer Research Residency von ImpulsTanz dieses Thema für sich entdeckte und erarbeitete. Nach ihrer hoch gelobten Inszenierung „The yellow towel“ hatte sich für die Künstlerin, wie sie selbst betonte, eine neue Türe in ihrer Arbeitsweise aufgemacht. „Ich musste nur noch genauer hinsehen, mich mit Dingen aus meinem eigenen Leben auseinandersetzen, was nicht ganz einfach ist“, erklärte sie anlässlich der Kurzpräsentation ihrer neuen Arbeit.

Von einer Lebensstation zur nächsten

Das Odeon war dafür eine ideale Location. Die große Bühne, die zu Beginn und über lange Strecken in ein Dunkel getaucht war, bot ihr dafür genügend Spielraum. Auf ihr performte sie Szenen, die jeweils ganze Lebensperioden charakterisierten. Wie die Kindheit und Jugend zu Beginn, in der Dana Michel ungelenk mit einem Mikrofon hantierte, Unverständlichkeiten vor sich her brabbelte und mit einigen Objekten, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe befanden, ungeschickt bis aggressiv hantierte. Die Deutung der einzelnen Passagen eröffnete sich erst in der Rückschau der Performance. So wie man ein Leben erst an seinem Ende angekommen in seiner Gesamtheit bewerten kann. Bis dies aber so weit war, ließ Michel viele Assoziationstüren geöffnet.

Ihre bezwingende Art, mit der sie in ihre Rollen eintaucht, beeindruckte vom ersten Augenblick an. Verletzlich und stark zugleich durchwanderte sie Stadien des beruflichen Alltagslebens, die anfänglich scheinbar rätselhafte, später dann humorige aber auch zutiefst traurige Elemente preisgaben. Die jugendliche Idee, als DJ zu arbeiten, wurde von ihr mit einer wunderbaren Kostümüberhöhung unterstützt. Dass ihre weiße Zottelpelzjacke am Rücken eine große Nummer 1 aufwies – welch herrlich ironischer Verweis auf jugendliche Selbstüberschätzung. Was von diesem Job blieb, war nicht viel mehr als ein Sack mit Toastbroten. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Also auf zur nächsten Station.

Die große Stärke von Dana Michel, die ihre berufliche Karriere als Leistungssportlerin begann, ist ihre absolute und bedingungslose Hingabe in ihre Rollen. Denn an diesem Abend waren es gleich mehrere. Selbst wenn man die dargestellte Person nur als eine einzige interpretieren möchte, so musste sich diese in ihrem Lebensstrom immer wieder häuten und wie ein Chamäleon an neue Situationen anpassen. Der schillernden DJ-Persönlichkeit folgte eine Introspektion, in der sich Michel mit einem kleinen, elektronischen Musikgerät unter einer weißen Plastikplane auseinandersetzte. Der dort vorexerzierte Sound wurde schließlich zum bestimmenden auditiven Charakteristikum des Abends.

Dana Michel - Merurical George (c) Camille McOuat

Dana Michel – Merurical George (c) Camille McOuat

Ein Milchwarenverkäufer wird zum Star

Grandios gestaltete sie ihren weiteren beruflichen Aufgabenbereich, in dem sie einen Milchwarenverkäufer vorführte. „Milkshakes, shakes, milk, butter“, mit einem sehr persönlichen Rap-Style verschwand sie hinter einem hohen Pult in einem hohen, schwarzen Ein-Mann-Zelt. Dort ging sie, unterstützt durch eine gelungene Lichtinszenierung, völlig in ihrer Verkaufstätigkeit auf.  Mit einem furiosen Händeballett, mit übergestreiften, weißen Handschuhen, fand diese schließlich ihren Höhepunkt, der abrupt, ja brutal abgebrochen wurde. Wie schwer der nächste Jobwechsel vonstatten ging, illustrierte sie durch eine umständliche und langsame, sowie kräfteraubende Erklimmung eines weißen Tisches, auf dem die nächsten Utensilien zur nächsten Berufsausübung erst nach und nach von ihr freigelegt wurden. Ein Spielzeugeinkaufswagen, Schüsseln, Trinkbecher, ein Mehlsieb und ein hellgrüner Teig. Genug, um damit so lange zu hantieren, sich vom Boden auf den Tisch hochzuarbeiten, bis dafür keine Energie mehr vorhanden war. Kopfüber kippte ihr „Mercurial George“ in den Teig. Time out. Sound out.

Ein zu Beginn leises, später lautes Brandungsgeräusch begleitete in den Schlussmomenten einen alten, hüftkranken Mann mit einer leeren Plastiktüte bei seinen Runden um die Bühne. Dana Michel verschmolz in ihrer letzten Rolle so sehr mit diesem Charakter, dass ein empathieloses Zusehen unmöglich wurde. Die hellen Turnschuhe, mehrere Nummern zu groß, der mühsame, stakstende Gang, der leere Sack, die sinnlosen Runden, wieder und wieder, der stiere Blick, in sich gekehrt, all das stellte einen Menschen in den Mittelpunkt des Geschehens, dem man im real live in den Bettelzonen der Großstädte begegnet. Was bleibt, am Ende des Lebens? Was, wenn die Träume geträumt, die Arbeit getan ist? Was, wenn man einsam und allein seine letzten Lebensmarathons laufen muss?

Die pure Existenz ist schwer zu ertragen

„Mercurial George“ ist ein herausforderndes Stück. Eines, bei dem das Publikum sich in Geduld üben muss, bis alle dramaturgischen Puzzleteile sinnhaft in der Reflexion zueinanderfinden. Es ist aber zugleich auch ein Masterpiece, eine unglaubliche Rollenherausforderung, der sich Dana Michel selbst stellte. Die Sinnlosigkeit, das von Anbeginn an Sich-Verweigern, sich gegen die angebotenen, normierten Lebensangebote aufzulehnen, bezahlt ihr Charakter nicht nur mit einem Leben, das finanziell kaum zu stemmen ist, sondern auch mit einer finalen Einsamkeit. Dass dieses Schicksal in der Erzählung von Michel an einigen Lebensstationen „mercurial“ – vom Schicksal launenhaft auch erzwungen wurde, macht die Moral von der Geschichte nicht leichter. Sartre reloaded wäre vielleicht ein zweiter möglicher Titel dieser berührenden Arbeit. Das ImpulsTanz Team hat diese junge Performerin völlig zu Recht bislang unterstützt. Sie wird auch in Zukunft hoffentlich noch oft in Wien zu sehen sein.

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