Die Revolution fraß ihre Kinder

Die Revolution fraß ihre Kinder

von | 20. September 2021 | Theater

Elisabeth Ritonja

Dantons-Tod (Foto: Andrea Klem)

20.

September 2021

„Dantons Tod. Narren, Schurken, Engel“ – hatte in den Kasematten in Wiener Neustadt Premiere. Die „wortwiege“ bespielt den revitalisierten Renaissance-Bau bereits zum zweiten Mal mit ihrem Festival „Bloody Crown“.
Das Festivalmotto ist Programm, sucht doch die künstlerische Leiterin, Anna Maria Krassnigg, die Stücke passgenau für die Orte aus, an denen sie aufgeführt werden. Der Verteidigungsbau unweit des Bahnhofes trägt den Flair von „the rise and fall of power“ in sich und ist bestens geeignet, mit Themen bespielt zu werden, die sich mit Macht beschäftigen.

Georg Büchners Revolutionsdrama wird in einer Fassung der Theatermacherin gespielt, die gemeinsam mit Jérôme Junod auch für die Regie verantwortlich zeichnet. Charakteristisch ist die radikale Reduzierung auf die wichtigsten Figuren: Danton, sein Gegenspieler Robespierre, dessen unbarmherziger Adjutant Saint-Juste sowie Camille Desmoulins – Dantons getreuer Freund.

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Dantons Tod – (Foto: Andrea Klem)
Die ausschließlich weibliche Besetzung hat das Kunststück zu meistern, neben diesen Wahnsinns-Charakteren auch in Frauenrollen zu schlüpfen. Die Wandlung dazu geschieht meist nur innerhalb von wenigen Augenblicken.

Einzig Isabella Wolf bleibt ausschließlich in der Rolle des unnahbaren, behandschuhten Robespierre, der die Fäden in einem elitär anmutenden Club hinter seinen Turntables zieht. Unnahbar, emotionslos und unbestechlich wie er zu sein scheint, sind für ihn Menschen nur dann nicht der Guillotine zu übergeben, wenn sie nicht nur pro-republikanisch, sondern vor allem auch lasterlos sind. Mit einer kurzen verbalen Entgleisung seiner volltrunkenen Stimme beim Befehl, Danton aus dem Kerker zum Schafott zu bringen, entlarvt das Regieduo dieses Ideal als unhaltbar. Wolfs Robespierre wirkt mondän vergeistigt und weicht keinen Millimeter von seinem vermeintlich geraden Weg auf dem langen Catwalk durch die Röhre des Spielraumes ab. Nicht fassbar, beinahe geschlechtslos, aber von einer alles überragenden Gestalt (Schuhe und ein hoher Zylinder helfen dabei kräftig), gibt Wolf diesem Geschichtstitan eine erinnerungswürdige Erscheinung.

Durch die Rollenkonzentration wird in der Inszenierung tatsächlich verstärkt das Augenmerk auf jene Frauen gelenkt, welche die Revolutionsmänner begleiteten. Nina C. Gabriel verkörpert nicht nur einen desillusionierten Danton, der seine Männlichkeit auch im Bordell ausleben muss und dessen brillanter Geist und seine Gewissensbisse ihn am Ende seines Lebens gehörig zusetzen. Ihr häufiger Rollentausch zwischen seiner Frau Julie und Danton ist mehr als beeindruckend. Die Zartheit von Julie steht in grellem Kontrast zu ihrem Mann, der sich stimmgewaltig gegen seine Verurteilung vor dem Wohlfahrtsausschuss zur Wehr setzt. Ein Highlight in ihrer Performance ist auch jene Szene, in welcher Danton Robespierre philosophisch den Gottesbeweis zunichtemacht. Jeder Satz ein Treffer, der trotz höchster Komplexität das Publikum packt und mitreißt.

Petra Staduan steht in der Rolle des Camille Desmoulins an der Seite Dantons. Ein Freund und Mitstreiter, der in seinen letzten Nachtstunden im Kerker einen wilden Traum durchleben muss und damit genauso emotional wird wie dessen junge Frau Lucile. Die nächtliche Suche nach ihrem Mann, ihre geistige Umnachtung und ihr aberwitziger Entschluss, sich durch pro-Königs-Rufe ebenso auf die Guillotine zu bringen, gehören zu den eindrucksvollsten Momenten des Stückes.

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Dantons Tod (Fotos: Ludwig Drahosch)
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Dantons Tod – (Fotos: Andrea Klem)
Gänzlich konträr verhält sich Judith Richter, ausgestattet mit Frauenpower pur, die sie vor allem für die Darstellung der Hure auch braucht. Unabhängig und verletzlich zugleich, voller Ideale, dass die eigene Lebenslust nicht gegen die Natur stehen kann und ausgestattet mit einem philosophischen Monolog der Sonderklasse, indem sie das Lemmingtum der Masse gut beschreibt, wird klar, warum sie für Danton eine so große Anziehungskraft besaß. Starke Charaktere lieben ein ebensolches Gegenüber – in dieser Regie wird dies auch klar und deutlich erkennbar. Saint-Just, den Judith Richter ebenfalls spielt, versteckt seine Unbarmherzigkeit hinter einer verspiegelten Pilotenbrille und stellt mit seiner Kaltschnäuzigkeit den unbeugsamen Robespierre noch in den Schatten.

Ein Sounddesign, in dem unheilvolles, wenn doch entferntes Dröhnen genauso vorkommt, wie eine Abfolge romantischer Klavierakkorde, (Christian Mair), Kostüme, die in ihrem tiefen Schwarz einen scharfen Kontrast zum Bühnenraum bieten, der in Weiß getaucht wird (Bühne Andreas Lungenschmid, Licht Lukas Kaltenbäck und Kostüme Antoaneta Stereva) fügen sich zu einem ästhetischen, zeitgenössischen Ganzen und wirken dennoch zeitlos.

„Die Revolution frisst ihre Kinder“, sagt Danton an einer Stelle. Ja, sie fraß sie alle – auch Robespierre und Saint -Just, wenngleich Büchner dieses gerechtigkeitsausgleichende Ende nicht mehr thematisierte.

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Dantons Tod – (Foto: Andrea Klem)

Dantons Tod. Narren, Schurken, Engel‘, dessen Pro- und Epilog im Himmel spielen, ist alles andere als ein alter Zopf. Es stellt die immer aktuellen Fragen nach Idealen, Menschlichkeit, nach Macht und Rivalität und ist dennoch imstande, starke Emotionen auszulösen. Ein ‚must-see‘ in den Kasematten in Wiener Neustadt.

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