Mit Highspeed von der Reality-Show ins Grab

Mit Highspeed von der Reality-Show ins Grab

Michaela Preiner

Foto: ( )

8.

Mai 2022

Das TAG wartet mit einer modifizierten Version von „Glaube, Liebe Hoffnung“ von Ödön von Horváth und Lukas Kristl auf. 100 Minuten vergehen wie im Flug.

Ödön von Horváth schrieb in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts unter Mitwirkung des Gerichtsreporters Lukas Kristl „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Ein Stück über eine junge Frau, die in ihrem Leben vom Pech verfolgt war. Der Regisseur Georg Schmiedleitner verfrachtet das Drama in unsere Zeit.

Neben einigen Textstreichungen fügt er auch aktuelle, situative Beschreibungen hinzu, die darauf aufmerksam machen, mit welchen widersinnigen Schwierigkeiten heute jene zu kämpfen haben, die an der Einkommensleiter ganz unten angekommen sind. Er lässt die Hauptperson, Elisabeth, an einer Reality-Show teilnehmen, bei der es letztlich um nicht weniger als ums Überleben geht. Zu Beginn sprechen im Gegenlicht dunkle, anonymisierte Personen – die eine Gruppe von Langzeitarbeitslosen bilden – kurze Monologe. Sie erzählen über ihre Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit und dem Arbeitsamt.

Lisa Schrammel schält sich alsbald aus der Gruppe heraus und switcht als Elisabeth in den Originaltext des Stückes. Dass der inhaltliche Transfer in die Gegenwart gut gelingt, ganz abgesehen von Schmiedleitners Textadaptionen, liegt auf der Hand. Auch wir erleben heute – wie zur Entstehungszeit des Dramas – eine weltpolitisch höchst unruhige Zeit und bekommen gerade zu spüren, wie sich eine höhere Inflation auf unsere persönlichen Finanzen auswirkt. Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns täglich, genauso wie die Drohung eines globalen Ausuferns des Konfliktes.

Jens Claßen kommentiert als Showmaster die einzelnen Szenen, die jeweils als „Aufstieg in die nächste Runde“ akklamiert werden. Er ist es auch, der Elisabeth immer wieder fragt, ob sie weitermachen oder aufgeben will. Er ist es aber auch, der sie beständig zu einem Showdown hintreibt, von dem er sehr genau weiß, was er bedeutet. Über der Szenerie prangt der ehemalige Showtitel „Dalli, Dalli“ von Hans Rosenthal. Allerdings hat sich das D und das S so zur Seite geneigt, dass nur mehr ALL als zusammenhängend zu lesen ist. Ob als „alle“ oder auch „das All“ gelesen, diese oder andere Interpretationen bleiben dem Publikum überlassen. (Ausstattung Stefan Brandtmayr)

Lisa Schrammel erinnert in der roten Perücke mit stimmlich perfekten Schnulzen-Interpretationen (Musik Matthias Jakisic) an Katja Ebstein – die in denselben Jahren wie Rosenthal ihre TV-Auftritte hatte. Georg Schubert verkörpert jenen Leichenpräparator, der Elisabeth anklagt und ins Gefängnis bringt. Dabei mimt er einen ruppigen Typen mit einem weichen Herz, der sich jedoch um sein Geld betrogen fühlt und dadurch emotional völlig außer Rand und Band gerät. Man wundert sich, dass die junge Frau ob seiner wüsten Beschimpfungen und Brüllereien nicht zusammenbricht.

Michaela Kaspar schlüpft, wie auch alle anderen, bis auf Lisa Schrammel, in mehrere Rollen. Als Frau Prantl, einer Geschäftsfrau, die Elisabeth zu einem Wandergewerbeschein verhilft, bildet sie eine unheilige Allianz mit Petra Strasser in der Rolle der Frau Amtsgerichtsrat. Ausstaffiert mit einem Pelzhut und einer Pelzjacke, fettet sie das eheliche Einkommen durch ihre Verkaufstätigkeit für Frau Prantls Miederwarengeschäft auf, wenngleich sie tunlichst bedacht ist, dass niemand erfährt, dass sie dies um des Geldes willen tut.

Andreas Gaida verkörpert jenen jungen Schupo, der sich von Elisabeth, die er zu seiner Braut erkoren hat, sofort abwendet, als er erfährt, dass ihre Vergangenheit seine berufliche Zukunft gefährden könnte. Dass er schließlich, nach dem Suizid von Elisabeth, sich selbst als jemanden bezeichnet, der im Leben kein Glück hat, zeigt, wie selbstverliebt und egozentrisch der Mann ist.

Die Inszenierung wartet mit Überraschungsmomenten auf, wie jenem, in welchem das Ensemble als Polizisten mit rhythmischen Lauten und Stampfen einen infernalischen Marsch imitiert und sich dadurch ein in mehrerer Hinsicht bedrohliches Szenario entwickelt. Oder aber auch einer Aufzählung der Frau Amtsgerichtsrat, in welcher sie Elisabeth gefühlt 100 Alltags-Sparvarianten vorschlägt, damit diese besser mit ihrem Geld auskommen kann.

Neben der Stoff-Aktualisierung zeichnet eine sehr gelungene Charakterführung den Abend aus. Der Zusammenbruch Elisabeths, die nie „den Kopf hängen lassen“ wollte, wird genauso verständlich, wie ihre brutale Auslieferung durch den Präparator. Die Bekannten, die ihn wegen seines „guten Herzens“ auslachen, geben jenen Anstoß, sich als Herr über seine Emotionen zu beweisen, der Elisabeth ins Gefängnis bringt. Auch der Wunsch, geschäftlich als Frau erfolgreich zu sein, wie Frau Prantl es versucht, ist nachvollziehbar – ihre menschenverachtenden Praktiken als Chefin leider bis heute oft unverändert anzutreffen.

Trotz des hohen Spieltempos und immer wieder auch humoriger Einsprengesel, die einem aber meist im Hals stecken bleiben, transportiert „Glaube, Liebe, Hoffnung“ im Theater an der Gumpendorfer Straße mit hoher Präzision Horváths schonungslosen Blick auf unsere Gesellschaft. Es zeigt die Menschen mit all ihren Widersprüchlichkeiten und tiefen seelischen Abgründen. Zum Teil sind sie sogar gewillt zu helfen, aber letztlich scheitern sie jedoch am eigenen Unvermögen, an ihrem Egoismus, aber auch an sozialen Umständen gnadenlos.

 

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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