Lasst uns feiern – morgen geht die Welt unter!

„Die Welt ruft an, ich geh nicht ran, mir ist zu bang“, diesen einfachen Reim setzt Bernhard Studlar kurz vor das Ende des Stückes „Der grüne Kakadu“. Müsste man den Abend in einem Satz beschreiben, er wäre diese Kurzzusammenfassung.

Das Original stammt von Arthur Schnitzler. Es ist eine Arbeit aus dem Jahr 1898 und wüsste man nicht, dass es aus seiner Feder stammt, man würde es genauso Marivaux oder Molière zuordnen können. Studlar fügte Schnitzlers Worten eigene hinzu und ergänzte die historische Komödie um Sein und Schein von Leben und Theater vor dem Hintergrund der Erstürmung der Bastille mit zeitgeistigen Aussagen. Zu sehen ist es derzeit im Schauspielhaus in Wien.

Der grüne Kakadu (c) Lupi Spuma

Kara Schröder in Der grüne Kakadu (c) Lupi Spuma

Lucia Bihler setzte das Spiel in Szene. Die Mischung des historischen Bezugs zum Heute bringt sie dabei nicht mit dem Holzhammer, sondern eher mit feiner Klinge zum Ausdruck. Nicht zuletzt wegen der schrillen Kostüme von Josa Marx. Er gestaltete auch das Bühnenbild und verhängte dafür nicht nur die Bühne selbst, sondern auch den kompletten Zuschauerraum mit weißer Baufolie. Dadurch erzeugt er einen einheitlichen Raum, der ein gemeinsames Erleben im Pariser Nachtclub der Wirtin Prospère suggeriert.

Die Figuren treten zum Teil in Latex gehüllt auf, wie Kara Schröder als Barbesitzerin Prospère und ihr Sänger, der bei einer Darbietung an einer langen Schaukel über die Köpfe des Publikums hinwegschwebt. Auch Flipotte (Sophia Löffler), die hysterische Mimin, die gerne im Schreiton mit ihrer Arbeitgeberin verkehrt, trägt ein Latex-Bustier und wird von einem geflügelten Penis auf ihrem Kopf bekrönt. Der Adel (Vera von Gunten, Simon Bauer und Jesse Inman) kommt in schwarzen Leder-Motorradanzügen mit Barockperücken und Spitzenfächern auf die Bühne. Henri (Steffen Link) – der von allen vergötterte Mime – hat seinen großen Auftritt in grellgelbem Reifrock, mit viel Plastik um Brust und Kopf und schiebt dabei seine soeben Angetraute im durchsichtigen Plastikkoffer vor sich her. Schrill auch der Einfall, die Comissäre als schwarz-weiß-gefleckte Behördenbluthunde Schrecken im Etablissement verbreiten zu lassen. Sie haben davon gehört, dass in der Bar Orgien gefeiert werden sollen und wollen sich nun selbst ein Bild davon machen.

Der dekadente Pariser Adel ergötzt sich an den schaurigen Vorführungen von Prospères Schauspieltruppe gerne, wohl wissend, dass der Umgang mit den Menschen dort weit unter seinem Stand, unter seiner Würde ist. Aber der Nervenkitzel steht für ihn über der Forderung des „Noblesse oblige“. Dabei weiß niemand so genau, ob die erzählten Geschichten nun wahr oder gelogen sind. Eine subtile Sounduntermalung suggeriert Mord und Totschlag außerhalb des „Grünen Kakadus“, wie das Lokal heißt. Nicolas Fehr lässt bei seinen Einzelauftritten als androgyner Barsänger mit dunkel geschminkten Augen auf Plateau-Schuhen stehend, erkennen, dass jeder seiner Schritte ein Wagnis ist. Seine intonierten Songs bilden Inseln im ansonsten humorigen Geschehen mit Kaskaden an schnellen Wortgefechten.

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Sophia Löffler und Vera von Gunten in „Der grüne Kakadu“ (c) Lupi Spuma

Klamauk ist eine der tragenden Säulen dieser Produktion. Prospère labt ihre Gäste durch einen Griff auf die Schankhebeln, die an ihrem Busen angebracht sind. Der Philosoph Grasset kommt gleich mit einer Entourage barbusig auf die Bühne. Vassilissa Reznikoff überzeugt stimmgewaltig nicht nur in dieser, sondern auch in weiteren Rollen auf der ganzen Linie. Jesse Inman bringt das Publikum mit seiner Interpretation des leichtgläubigen und dummen Adeligen Albin in schöner Regelmäßigkeit zum Lachen. Daneben aber schleicht sich dennoch ein Gefühl des Unbehagens ein. Zu sehr wird verdrängt, was nicht zu verdrängen ist, zu sehr dringt das Draußen, wenn auch zumindest bis knapp vor Schluss, nur in Worten in den geschützten Raum.

„Wir haben viel zu lange an Werten festgehalten von denen wir längst ahnten, dass ihre Zeit vergangen“ – wie ein Mantra wiederholt Prospère diese Einsicht gegen Ende hin und inkludiert dabei sichtlich das Publikum. Obwohl die Regisseurin Studlars Ergänzungen von Kara Schröder in Domina-Manier meist unemotional deklamieren lässt, gehen diese, vielleicht gerade auch deshalb, unter die Haut. Das Ende sei hier nicht vorweggenommen, steht aber für eine aktuelle Gesamtbefindlichkeit, bei der die Ungewissheit die einzige Konstante zu sein scheint.

Ein Abend, in dem sich das Theater von seiner buntesten Seite zeigen darf. Dennoch ist der schwarze Subtext unüberhörbar.

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