Der Tod dankt ab

Es ist kalt an diesem Abend. Am Kaserneneingang, der geöffnet ist, steht ein junger Soldat, die Hände an seinem umgehängten Gewehr und begrüßt die Menschen, die das Gelände betreten. Dunkel ist es schon und doch kann man die großen, flachen Gebäude wahrnehmen, die sich rechts und links des weitläufigen Exerzierplatzes erstrecken. Für die Soldatinnen und Soldaten, die hier Dienst tun, und die höheren Chargen mag dieses Surrounding alltäglich sein. Für die Opernbesucherinnen und -besucher, die in dieser Nacht in die Sporthalle der Maria Theresien Kaserne in Wien strömen ganz und gar nicht. Im Wissen, dass man den „Kaiser von Atlantis“ sehen wird, eine Kurzoper von Viktor Ullmann, die dieser 1943 im Lager Theresienstadt schrieb, kommen gerade bei diesem kurzen Fußmarsch über das Kasernengelände besondere Gefühle auf. Die schrecklichen Erlebnisse all jener Menschen, die während der Nazizeit in Konzentrationslager deportiert wurden, erhalten plötzlich eine selbst gefühlte Komponente – obwohl an diesem Ort und an diesem Abend niemand bedroht wird. Auch wenn diese Emotion hauptsächlich von einer unbestimmten Sentimentalität gespeist wird, ist sie doch real und bewirkt, dass die Gedanken einer wahren Flut von Impressionen ausgeliefert werden, die man nicht verdrängen kann. Markus Kupferblums Inszenierung beginnt weit vor dem ersten gespielten Ton.

Die Inszenierung der Oper hat der Theatermacher aus New York nach Wien geholt. Dort wurde sie 2012 von der Modern Opera produziert. Der Aufführungsort in Wien hat mit dieser Oper, die Kupferblum als eines der zentralen sogenannten „entarteten Werke“ bezeichnet, Premiere, wurde doch die Sporthalle noch nie für eine kulturelle öffentliche Veranstaltung genutzt. Die Kaserne selbst, deren Baubeginn noch unter der Dollfußära stand, beherbergte unter den Nazis das SS-Panzergrenadier-Regiment „Der Führer“. Ein geschichtsträchtiger Ort also, dem es schon längst anstand, durch eine Veranstaltung wie dieser Opernaufführung auf sich aufmerksam zu machen.

„Der Kaiser von Atlantis“ oder in seinem Untertitel “Der Tod dankt ab“ sollte in Theresienstadt mit einer Besetzung von dortigen Inhaftierten zur Aufführung gelangen, wozu es allerdings nie kam. Obwohl Ullmann mit seinem Librettisten Peter Kien die Oper mehrfach überarbeitete, waren die Anspielungen auf das Hitler-Regime zu deutlich. Die Beteiligten wurden kurz nach Fertigstellung der letzten Fassung in andere Lager wie Auschwitz deportiert, wo sie – bis auf wenige Überlebende – den Tod fanden. Jenen mächtigen Gesellen, den Ullmann und Klien in ihrem Werk eine Erlöserfunktion zudachten. In ihrer Oper ist er nicht der, der gefürchtet werden muss, sondern der, der die Menschen von ihrem Leid erlöst. Die Grausamkeit hingegen wird vom „Kaiser von Overall“ personifiziert – eine direkte Anspielung auf Hitler, die – und das macht die Zeitlosigkeit dieses Werkes aus – auf alle menschenverachtenden Diktatoren übertragen werden kann. Besetzt ist diese Rolle in Wien mit dem herausragenden, furios-grandiosen Vince Vincent, der nicht nur stimmlich brilliert, sondern vor allem schauspielerisch mit seinen todbringenden, funkelnden Augen alle Facetten eines grausamen Machtmenschen zeigt. Dass er die absolute Idealbesetzung für diese Rolle ist, kann auch daran erkannt werden, dass er nicht nur in dieser Produktion den Kaiser singt. Sein Gegenspieler, der Tod, wird von Joseph Beutel gesungen, dessen klarer und verständlicher Bassbariton in dieser Interpretation weniger Furcht als Mitleid evoziert. Die Inszenierung lebt einerseits von den großartigen stimmlichen Leistungen aller – wobei Gan-ya Ben-gur Akselrod als junges Mädchen „Bubikopf“ besonders hervorgehoben werden muss. Zu Recht gewann sie in diesem Jahr den Hilde Zadek Wettbewerb. Das Theater an der Wien beherbergt mit dieser jungen Sängerin seit Kurzem einen wahren Schatz in seinem Ensemble. Andererseits ist es die Regie, gekoppelt mit äußerst klugen, effektvollen und Augenfutter bietenden Kostümen (Angela Huff), die beeindruckt. Ohne aufwändige Bühneninstallationen, nur mit wenigen Requisiten wie einem übergroßem Stuhl für den Kaiser, dessen Beine in der Luft baumeln müssen, wenn er darauf sitzt, einem Rahmen, aus dem Elspeth Davis als willfähriges Sprachrohr des Kaisers die Menschheit mit seinen Direktiven versorgt und einem überdimensionierten Goldprunkrahmen, der in der letzten Szene die Sängerinnen und Sänger hervorhebt, braucht es kaum mehr um das Spiel über Macht und Tod plausibel erklärbar zu machen.

Trotz seiner immanenten Tragik oder vielleicht gerade wegen ihr gelang Ullmann eine herausragende Musikinterpretation. Selbst Schüler von Schönberg, der das Werk nicht sonderlich schätzte, griff er dabei tief in den Fundus der Musikgeschichte um Zitate von Haydn, Richard Strauss, Mahler, Dvorak oder Reichardt aufs Feinste in seine eigene musikalische Sprache einzubauen. Eigentlich ist die Stunde zu kurz, um von diesem musikalischen Genuss genug zu bekommen, was vor allem auch an der herausragenden Interpretation des Klangforum Wien liegt, das von Rossen Gergov geleitet wird. Die feine Untermalung der Todes-Arien mit dem Cembalo unterstreicht seinen Hinweis, dass seine Arbeit in den historischen Kriegen nicht mit jener zu vergleichen ist, in der Maschinen das Kriegshandwerk dominieren. Die besondere musikalische Sprache, in welcher sich der Kaiser ausdrückt, kann am besten durch das Attribut „erhaben“ gekennzeichnet werden. Die Liebesbekundungen von Bubikopf und dem Soldaten (James Baumgardner mit schlankem Tenor) und die gemeinsame Schlussarie wiederum sind in hörbarer tonaler Schönheit verfasst, die dennoch keinen letztgültigen Trost spenden können. Zu sehr verweist der Kaiser in seinen letzten Äußerungen auf die Ewigkeit der kommenden Kriege. Kelvin Chan als vermeintlich unbeteiligter Lautsprecher, der jedoch unter dem Despoten plötzlich selbst in Bedrängnis gerät und Brian Downen als Harlekin, der das pralle lustvolle Leben nicht mehr lebenswert findet – vervollkommnen ebenso aufs Perfekteste das bemerkenswerte Ensemble.

Die Kälte, die im Laufe des Abends spürbar wurde, war nicht als sinnliche Publikumserfahrung eingebaut, sondern der schweren Heizbarkeit der Halle geschuldet. Rudolf Gelbard, einer der letzten Überlebenden von Theresienstadt, machte am Premierenabend in seiner Einführung deutlich, dass es die Aufgabe der Überlebenden sei, die Verbrechen, unter denen sie gelitten haben, nicht vergessen zu lassen. Das ist aber nur die eine Seite, unter der die Produktion „Der Kaiser von Atlantis“ heute betrachtet werden kann. Die andere ist die unausgesprochene Mahnung an unsere Generationen achtsam zu sein, sowie das Sichtbarmachen von Machtmechanismen die auch heute wieder wie eh und je funktionieren, um Menschen auszugrenzen und ihnen für den eigenen vermeintlichen Vorteil Leid zuzufügen. Bedenkt man die starken nationalistischen Strömungen, die derzeit weltweit wieder großen Zulauf finden, kann man ob der Weitsicht von Ullmann und Kien erschrecken. Sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges doch erst 68 Jahre vergangen. Eine Zeit, in der offenbar viele vergessen haben, dass Hass und Terror nur dasselbe gebiert – ein friedliches Miteinander politisch heute aber anders aussehen müsste.

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