Die Gräfin in Reichenau

Sie trägt ein bodenlanges, cremefarbiges Kleid mit einem körperbetonten Schößchenoberteil, das ihre schlanke Figur hervorragend betont und weiß gekonnt mit einem Degen umzugehen. Wie ein Wirbelwind durchmisst sie permanent den Raum zwischen den gegenüberliegend angeordneten Sitzreihen. Ständig in Bewegung, kaum einmal zwei Minuten an einem Ort verharrend, verkörpert sie ein Energiebündel, getrieben von ihren eigenen Ideen und Gedanken, die niemals zu ruhen scheinen.

Lisa Wildman spielt die Gräfin Dotzky im Thalhof Reichenau (Foto: Fritz Novopacky)

Lisa Wildmann spielt die Gräfin Dotzky im Thalhof Reichenau (Foto: Fritz Novopacky)

Es bleiben nur kurze Momente, um ab und zu den Blick nach außen schweifen zu lassen – in eine wunderschöne Landschaft, die sich wie ein Trichter in das leicht darunter liegende Tal öffnet. Die vereinzelten Wolken ziehen an diesem Sonntagvormittag rasch über den Himmel, die Temperatur ist kühl. Im großen Raum, dessen Mitte von einem grünen Kachelofen akzentuiert wird, frösteln die meisten Menschen ein wenig. Sie haben sich eingefunden, um im Thalhof in Reichenau an der Rax „Die Waffen nieder“ von Bertha von Suttner anzusehen.

Nikolaus Büchel, Schauspieler und Regisseur hat Bertha von Suttners Erfolgsroman dramatisiert und ihn Lisa Wildmann quasi auf den Leib geschrieben. Sie scheint die einzige an diesem Vormittag zu sein, die von der frischen Temperatur keine Notiz nimmt und das verwundert nicht, denn, wie schon skizziert, ist sie ständig in Bewegung und erzählt dem Publikum in großen Zügen ihr Leben. Ihr Leben – das ist jenes, das Bertha von Suttner in Romanform goss und damit völlig unerwartet einen Volltreffer landete. Heute würde man Bestseller dazu sagen. Innerhalb weniger Monate verkaufte sich die Geschichte der Gräfin Althaus, verheiratete Dotzky, verheiratete Tilling mehrere Hunderttausend Mal und wurde anschließend in viele Sprachen übersetzt. 1889 gelang von Suttner dieser literarische Erfolg, mit dem sie ihre Einstellung zu Friedensbemühungen einer größeren Öffentlichkeit zu Gehör brachte. 2014, im Gedenkjahr an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges aber auch zur 100. Wiederkehr des Todesjahres Bertha von Suttners gibt es mehrere Produktionen, die sich des Romans oder dem Leben der Autorin selbst wieder annehmen. Zuletzt war es Maxi Blaha in der Rolle von Bertha von Suttner, die im Parlament in Wien das Leben der Friedensaktivistin auf die Bühne brachte.

Der Erfolg des Buches „Die Waffen nieder“ begründete sich einerseits auf jenen fortschrittlichen, darin formulierten Ideen, die den Krieg nicht als ein von Gott gegebenes Ereignis darstellten, dem man schicksalshaft ohnehin nicht entrinnen kann. Vielmehr ließ Bertha von Suttner ihre Hauptfigur Martha darin in beinahe ketzerische Gedanken verfallen, welche sich nicht damit zufrieden geben, vorgefertigte Meinungen ohne kritisches Hinterfragen zu akzeptieren. Es ist aber auch die weibliche Sicht auf das Leben innerhalb der adeligen Gesellschaft in Wien zu Ende des 19. Jahrhunderts, die in dem Roman so sehr berührt. Martha, geborene Gräfin von Althaus, erlebt wie viele Frauen ihrer Generation und ihres Standes eine unbeschwerte Jugend, eine frühe Heirat mit einem beim Militär verpflichteten Grafen, die Geburt ihres ersten Sohnes aber alsbald auch den Tod ihres jungen Mannes am Schlachtfeld. Dieser Augenblick markiert Marthas Eintritt ins Erwachsenenleben, was in der Inszenierung in Reichenau mit einem Kostümwechsel offenkundig wird. Gräfin Dotzky öffnet dafür einen Knopf nach dem anderen, wendet ihr Kleid und trägt von diesem Moment an die Farbe Dunkelviolett. Lisa Wildmann überzeugt in der Rolleninterpretation nicht nur in jenen Sequenzen, in welchen sie in die Person der junge Martha schlüpft. Es ist die psychologische Entwicklung vom ungestümen Wildfang zur reflektierten Persönlichkeit, die sich nicht scheut, ihren Widerwillen gegen jeden Krieg laut zu artikulieren und dagegen aufzutreten, die rundum überzeugt.

Dabei sind es nur wenige Requisiten, die sie benötigt, um zu veranschaulichen, wie absurd, schrecklich und mörderisch die Kriege im 19. Jahrhundert waren, in welche die Soldaten immer wieder und wieder für Kaiser und Vaterland ziehen mussten. Zwei Handvoll bunter Zinnsoldaten sind es, die sie mehrfach mit ihrem Kleidersaum zu Fall bringt und damit das massenhafte Sterben markiert, das die Schlachtfelder in Europa mit Blut tränkte. Ein Turnbock, der ihr Reitpferd markiert und immer wieder ihr schlanker Degen, mit dem sie so manchem aus dem Publikum bedrohlich nahe kommt, eine Landkarte Europas des 19. Jahrhunderts und dazugehörig einige Dart-Pfeile, die sie darauf wirft. All das genügt, um mit ihr gemeinsam in jene Zeit einzutauchen, in der Frieden nur eine Frage von Jahrzehnten war mit der Gewissheit, jederzeit nur innerhalb weniger Wochen durch erneute kriegerische Auseinandersetzungen beendet zu werden.

Schon nach kurzer Zeit unterliegt man dem Gefühl, Gast zu sein in Gräfin Tillings lichtdurchflutetem Salon, der sich nach drei Seiten mit seinen vielen Fenstern in die Landschaft hin öffnet. Man wäre nicht wirklich überrascht, würde man Arthur Schnitzler im Vorbeigehen erkennen, jenen Autor, der wie kein zweiter dem Thalhof seinen literarischen Stempel aufdrückte. Wildmann nutzt dieses Surrounding gekonnt und spielt auch immer wieder mit den Gefühlen der Gastfreundschaft. Sie setzt sich zwischen ihr Publikum, schreitet hinter die letzten Stuhlreihen, um damit Bewegung bei den Zuseherinnen und Zuseher auszulösen und sie lässt sich dramatisch auf den Boden fallen, als sie die Todesnachricht ihres Gatten Graf von Dotzky liest. Scheinbar mühelos spielt sie ihr textgewaltiges Solo, das ihren Kampf für den Frieden genauso verdeutlicht wie ihre Rolle als Mutter, in der ihr bewusst wird, wie sehr ihre Erziehung ihre Kinder beeinflusst – hin zum kriegerischen, heldenhaften Tun oder auch zum friedfertigen Kampf gegen das unsinnige Blutvergießen.

Nikolaus Büchels Dramatisierung hält sich über weite Strecken ziemlich strikt an Suttners Textvorlage, wartet jedoch mit den allerletzten Zeilen mit einer großen Überraschung auf. Immer wieder lässt er die Stimmen der Gesprächspartnerinnen und – partner der Gräfin vom Band einspielen, wobei es immer nur die Stimme von Wildmann selbst ist, die zu hören ist. Eine geschickte dramaturgische Idee, in der zwar die verschiedenen Personen lebendig werden, allerdings klar bleibt, dass Wildmann diese nur in ihrem eigenen Erzählfluss zu Wort kommen lässt.

Die Romanvorlage wird in Büchels Fassung in ihrem zweiten Teil stark gekürzt. Sie beschränkt sich auf die Skizzierung der Todesumstände ihres zweiten Mannes, der im Deutsch-Französischen Krieg standrechtlich erschossen wurde und auf jene Aussagen, in denen die Gräfin explizit den Wahnwitz der Habsburger Außenpolitik anprangert und beinahe schon resignierend ihren eigenen Kampf gegen jede Art von Kriegstreiberei verdeutlicht. Immer wieder beklagt sie, dass ihre politischen Ideen deswegen nicht wahrgenommen werden, weil sie eine Frau ist und verweist damit auf das Fehlen nicht nur der politischen Gleichberechtigung. Diese hat Bertha von Suttner nicht mehr miterleben dürfen, kam sie doch erst bei Ausrufung der Republik am 12. November 1918 durch das ihm zugrunde liegende Gesetzt der Staats- und Regierungsform in dem auch das Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts festgesetzt worden war. Die letzten eindringlichen Worte mit denen das Publikum schließlich in den klaren Sonntagmittag entlassen wurde kamen jedoch nicht von Lisa Wildmann, sondern von einer zarten Kinderstimme: „Die Waffen hoch! Das Schwert ist Mannes eigen. Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen. Doch freilich Männer gibt`s in diesen Tagen, die sollten lieber Unterröcke tragen!“ Tief getroffen von dieser Aussage stürmt Wildmann aus dem Saal ins Freie und macht damit deutlich, wie sehr sie diese Worte missbilligt. Sie stammen aus der Feder des Historikers und Schriftstellers Felix Dahn, der zwei Jahre vor Suttner starb. Politisch engagierte sich Dahn als Mitglied des Alldeutschen Verbandes, der zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus gehört. Mit diesen zwei kleinen aber umso bedeutungsvolleren Sätzen, in den Mund eine Knaben gelegt, eröffnet Büchel den Ausblick in jene Zeit, die nicht nur den Ersten sondern auch den Zweiten Weltkrieg mit sich brachte. Kriege, von denen Suttner sich auch in ihren kühnsten Gedanken keine Vorstellungen machen konnte. Und – wie man heute im aktuellen Ukraine-Konflikt sehen kann – sind es Worte, die noch dazu leider nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Beim anschließenden „Frühstück im Grünen“, das in dieser Saison im Thalhof erstmals zelebriert wird und auf großen Zuspruch seitens des Publikums stößt, hatte man nicht nur die Gelegenheit, sich an verschiedenen kulinarischen Köstlichkeiten zu laben. Vielmehr bot es auch die Möglichkeit, sich über das soeben Gesehene auszutauschen und an Büchel und Wildmann auch noch die ein oder andere Frage zu stellen. Am 7. 8. und 9. Juni wird Dr. Martina Winkelhofer im Anschluss an die Vorstellung aus ihrem neuen Buch „Wie unsere Familien im 1. Weltkrieg litten“ vorlesen und so die Thematik zusätzlich auf der Basis von persönlichen Erinnerungen und Briefen beleuchten.

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