Von der Bühne ins Museum

Im Vestibül des Burgtheaters inszenierte Christina Tscharyiski „Die Hamletmaschine“ von Heiner Müller. Ein kurzer Text, der vom Autor selbst einmal mit der Verquickung des originalen Shakespeare-Stoffes in einer 8-stündigen Inszenierungen auf die Bühne gebracht wurde. Ein Text auch, der sowohl für die Regie als auch das Publikum eine Herausforderung darstellt.

Ignaz Kirchner brilliert nun in der Hauptrolle, die er sich mit dem jungen Christoph Radakovits teilt. Tscharyiski gelingt damit ein Schachzug. Mit der Textteilung auf zwei Personen schafft sie die Möglichkeit, sowohl den Weltverdruss des alten Hamlet zu zeigen, zugleich aber auch jene Unverbrauchtheit, die er als junger und idealistischer Schauspieler in sich trug. Gleich zu Beginn erinnert das Setting an „Alte Meister“ von Thomas Bernhard, sitzt doch Kirchner auf einem kleinen Schemel vor einer grünen Museumswand auf der jedoch kein Bild zu sehen ist, sondern nur ein Loch.

Müller, der sein Stück noch zu DDR-Zeiten schrieb und sich damit schärfstens gegen jede Art von totalitärem Regime aussprach, schuf in seiner Hamletmaschine ein Zwitterwesen, das aus der literarischen Rolle des Prinzen von Dänemark herausspringt und den Schauspieler dahinter zu Wort kommen lässt. In einigen Passagen wird dieses Spiel so undurchsichtig, dass man nicht genau weiß, wer denn nun tatsächlich in sein Innenleben blicken lässt. Shakespeares Hamlet oder Müllers Hamlet-Darsteller.

Die Inszenierung im Vestibül ist eine durchaus gelungene Interpretation des sperrigen Textes, in dem jede Menge politische und literarische Querverweise eingebaut sind. Kirchner veranschaulicht darin den Ekel und den Lebensverdruss des alten Mannes mit großer Uneitelkeit, aber er übernimmt auch die Inzestszene mit Marie-Luise Stockinger, die eine psychologische Aufarbeitung Hamlets mit seiner Mutter darstellt. Von der Besetzung her wohl ein Hinweis, dass die Vergangenheitsbewältigung oft erst im Alter vonstatten geht. Die beständige Stafettenübergabe von Kirchner zu Radakovits und wieder retour erscheint logisch. An verschiedenen Stellen entsteht der Eindruck, als würde der Alte auf die Naivität und Energie seiner Jugend mit Wut zurückblicken.

Radakovits tritt in unterschiedlichen Kostümen auf, vom zeitgenössischen, gestylten Outfit eines Hipsters bis hin zu einem roten Hamlet-Wams darf er die unterschiedlichen Bedeutungs- und Zeitebenen damit auch optisch ausdrücken, während Kirchner beständig in seinem schwarzen Anzug bleibt.

Marie-Luise Stockinger, vom Max Reinhardt Seminar frisch ins Burgtheater übernommen, hat zwei surreale Auftritte zu Beginn. Dabei erscheint einmal ihr Unterleib mit gespreizten Beinen als Personifizierung von Hamlets Mutter, dann wieder springt ihr Hinterteil im rosaroten Kleidchen Ophelias förmlich aus einem kleinen Türchen jener Wand, die von Beginn an als Museumswand erkennbar ist. Eine Erklärungstafel und ein kleines Absperrseil davor machen dies klar. Tscharyiski reagiert damit auf einen Nebensatz von Müller, in dem er die Anweisung gibt, dass Hamlet so schauen solle, als wäre er in einem Museum. Die Objekte auf den beiden Podien links und rechts der grünen Wand verwandeln sich im Laufe der Vorstellung zu wichtigen Requisiten. Der Stierkopf, mit dem sich Ophelia eine Zeitlang slapstickhaft abmühen muss, kann gut als Verweis auf den antiken Mythos der Entführung Europas von Zeus in Stiergestalt interpretiert werden. Jenem Europa, das Müller gleich im ersten Satz als ein in den Ruinen befindliches heraufbeschwört. Es ist die einzige Szene, in der Stockinger zur hilflosen Witzfigur degradiert wird. In jener Passage, in der sie verschiedene Suizidformen aufzählt, wird sie zu einer Stellvertreterin alle jener Frauen auf dieser Welt, die sich das Leben genommen haben. Und das ohne Pathos, aber eindrucksvoll.

Die Regisseurin verleiht den Figuren trotz aller Abstraktion, die sie vom Text her auch mit sich tragen, zutiefst Menschliches. Der alte Hamlet/Schauspieler mutiert zum lüsternen Bock und Mutterschänder, Ophelia, die in der letzten Szene das Grauen von Elektra anschneidet, lässt tief in geschundene Frauenseelen blicken und der junge Hamlet liegt im letzten Bild todesgleich unter einem Stierpräparat, aus dessen Nüstern Blut tropft. Fleisch, Blut, Lust, Mord, Verzweiflung, Tscharyiski packt in die 75 Minuten Aufführungsdauer alles, was großes Emotionstheater ausmacht.

Dabei lässt ihre Regie Anordnungen von Heiner Müller links liegen wie zum Beispiel in jenem Teil, der mit Scherzo übertitelt ist. Eine kluge Entscheidung, durch die die Frauenpassagen dichter und aussagekräftiger werden und sich die einzelnen Szenen inhaltlich enger aneinanderschmiegen.

Was ist aber nun das Museale? Diese Frage bleibt offen. Ist es der Abgesang auf ein Europa, in dem das menschliche Elend nicht ausgerottet, sondern gerade wieder dabei ist, zuzunehmen? Mit der Entscheidung, Ignaz Kirchner mit seinem Text über die Armut ins Publikum gehen zu lassen und das Licht dabei einzuschalten, schafft die Regisseurin nicht nur eine intime Nähe zu den Zusehenden, sondern auch tagespolitische Bezüge. Das Schlussbild, in dem Stockinger in einem Glaskasten eingesperrt ist und dort wie ein naturwissenschaftliches Präparat wirkt, verstärkt die Gesamtaussage des Abends. Das darin vorgenommene Anprangern von Ungerechtigkeit, von Machtausübung seitens des männlichen Geschlechts, wirkt stärker als jede noch so theatralische Zur-Schau-Stellung von Hamlets Nöten oder jenen eines alten Mannes, dessen Lebensüberdruss nur mehr in einer Suada über die Ekelhaftigkeit der Menschheit ausgedrückt werden kann. Wie es einst auch Reger, Bernhards Hauptfigur in „Alte Meister“ gekonnt vorexerzierte.

Eine tolle Regieleistung, die sich einerseits durch Respekt gegenüber dem Text andererseits aber auch durch Mut zur Eigeninterpretation auszeichnet.

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