Zögern und Zaudern und ein Hauch von Liebe

Evgeny Titov präsentierte im Max Reinhardt Seminar seine Diplomarbeit „Die Heirat“ von Nikolai Gogol. Damit widmete er sich nach „Elektra“, dem „Missverständnis“ von Camus und dem „Schlangennest“ von Copi erstmals einem russischen Schriftsteller.

Die Geschichte, absurd und wunderlich zugleich, scheint nicht nur wie aus einer anderen Zeit, sondern für uns auch aus einer anderen Welt gefallen. Denn darin suchen vier Männer und eine Frau unter höchst abstrusen Umständen den richtigen Partner fürs Leben.

Eigentlich könnte sich Agafja (Mercy Dorcas Otieno) den Zukünftigen aussuchen, denn es steht 1:4 für sie. Ihr Pech ist nur, dass sie von der Männerwelt nicht sonderlich attraktiv gehalten wird. Alle Beteiligten nehmen für ihre Suche die Hilfe der Kupplerin Fjokla (Pauline Fusban) in Anspruch. Titov lässt sein Ensemble an einem Ort spielen, der wie der Vorhof zur Hölle erscheint (Bühnenbild Nathalie Lutz). Rote Wände, die an grob behauene Felsen erinnern und kahle Neonleuchten lassen keine Wohlfühlstimmung aufkommen.

Nach und nach betreten die vier Brautwerber die Bühne. Dazu müssen sie über eine kleine Öffnung an der rechten Bühnenseite eine Leiter herabsteigen. Stefan Gorski als verschrobener Beamter Podkolessin und sein Freund Kotschkarjow in einer Priestersoutane (Andrei Viorel Tacu) eröffnen den Reigen der Freaks. Der eine mit Riesenbrille, viel zu großer Hose und mächtigen, aber auf Hochglanz polierten Schuhen, der andere mit schwarz geschminkten Augen, bieten zu Beginn einen wunderbaren Slapstick-Auftritt. Verängstigt sitzen sie im ihnen ungewohnten Lasterpfuhl und beginnen erst in Wallung zu geraten, als ihre Widersacher auftreten. Yannick Schöbi verkörpert den glatzköpfigen Rührei, dessen größter Lebensverdienst sein Beruf – Zwangsvollstrecker – zu sein scheint. Anutschkin (René Peckl) erscheint als Zwitterwesen in Rock und Hochsteckfigur und ist gewillt, die Braut nur dann zu nehmen, wenn sie französisch spricht. Shewarkin (Lennart Lemster) hingegen träumt noch immer vom südlichen Sizilien und hat dabei ständig seine Finger nestelnd am Hosenschlitz.

Liliane Zillner und Josephine Bloéb sind die beiden Handlangerinnen der Kupplerin und treten dabei auch einmal als Schwanensee-Verschnitt-Ballerinas auf, welche die Männer in einer mähnenschwingenden Choreografie gehörig verschrecken.

Titov arbeitet die Figuren höchst überzeichnet heraus und legt den Finger auf jedermanns und jederfraus Seelenwunde. Er tut dies ganz ähnlich, wie sein berühmter Kollege Kirill Serebrennikow dies im Gogol-Stück „Tote Seelen“ bei den diesjährigen Wiener Festwochen zeigte. Wobei die Überspitzung der Charaktere bei Gogol schon angelegt ist. Ähnlich wie bei Kafka sind seine Figuren Getriebene ihrer eigenen Unzulänglichkeiten. Titov verwendet noch zusätzlich das Stilmittel sprechender Kostüme für die Monika von Zallinger verantwortlich zeichnet. Zu groß, zu schäbig, zu lächerlich sind sie, als dass ihre Träger und Trägerinnen mit Ausnahme der Kupplerdamen darin eine gute Figur machen könnten.

Die Angst Agafjas, sitzen zu bleiben, nimmt mit jedem Schritt mehr zu, den sie Richtung Fjokla macht, bevor sie ihr eine hübsche Summe Geld hinlegt. Dass die kauzigen Freier für eine Braut zahlen müssen, wundert weiter nicht. Der Exhibitionismus von Shewarkin, die Geziert- und Affektiertheit von Anutschkin, die Derbheit von Rührei und die Zögerlichkeit und Verschrobenheit von Podkolessin lassen es nicht zu, jemals eine Frau ohne professionelle Verkupplung zu finden.

Um dem schrillen Klamauk noch eins draufzusetzen, verwendet Titov Musik, die sich genauso in den Vordergrund drängt wie die einzelnen Figuren selbst. Die ersten Takte der Bläser des 1. Klavierkonzerts von Tschaikowsky eröffnen den Abend. Wenn schon russisch dann richtig. Das Intro von „Wonderful life“ von Black darf in einer Endlosschleife das Warten der Herren auf die heiratswillige Dame untermalen. Die Freunde Podkolessin und Kotschkarjow schlagen im Takt ebenfalls zu Tschaikowsky-Klängen ihre Hände gegeneinander und ein schmissiges russisches Volkslied beendet das Geschehen, während sich Agafja dazu alleine im Kreis dreht. Ihr Bräutigam ist ihr abhandengekommen, Titov hat ihn kurzerhand aus der Bühne ins Publikum gesetzt. Sie hätte zwar schon Männer erlebt, die sich aus dem Staub gemacht hätten, aber keiner wäre noch vom Erdboden so verschwunden wie Shewarkin macht die Kupplerin der sitzengelassenen Agafja noch zum Vorwurf. Schön, wie Titov hier das Publikum zu Mitwissern macht.

Das soziale Elend, das hinter ihrer Geschäftemacherei steht, wird in der Inszenierung durch die Modellierung der Figuren aber ebenfalls grell beleuchtet. Allen voran agiert hier Mercy Dorcas Otieno mit ihrer facettenreichen psychologischen Darstellung der verachteten, alleinstehenden Frau. Die schönste Szene des Abends gelingt ihr mit ihrem Fast-Ehemann Stefan Gorski. In einem Moment des Mutes und der Verzauberung tanzen beide ohne Musik einige Schritte in die Glückseligkeit. Die Verlangsamung des Geschehens, die Titov hier einsetzt, wirkt absolut magisch. Aber mit Brutalität wird auch nicht gegeizt. Agafja muss sich an einer Stelle vom Priester anspucken lassen, der mit aller Gewalt das soziale Gefüge zwischen Mann und Frau ins Lot bringen möchte. Und Fjokla, in grellem orangen Kleid, wird vom rasenden Shewarkin, der sich ums ein Geld betrogen fühlt, nicht nur zusammengeschlagen, sondern er hinterlässt auch die Spuren seiner Notdurft auf ihrem verletzten, am Boden liegenden Körper. Momente wie diese sind so etwas wie das Markenzeichen von Titov, der keine Angst vor Körperflüssigkeiten jeglicher Art hat. Sein Ensemble ist diesbezüglich immer besonders gefordert.

Die grelle, ins Surreale abrutschende Geschichte verweist mit ihrem unromantischen Ende auf nichts anderes als die Grausamkeit des Lebens und das Unvermögen der Menschen, aus ihrer eigenen Haut zu schlüpfen. Hoffnung und Angst liegen so knapp beisammen, dass sie in wenigen Augenblicken ihre Positionen wechseln können. Wo es zur Sache geht, geht es bei Titov rücksichtslos und schonungslos zur Sache. Beschönigt wird bei ihm nichts. Zugleich bietet das aber den Schauspielerinnen und Schauspielern die Möglichkeit, sich ganz verausgaben zu können. Wie dies Lennart Lemster als blonder, rein triebgesteuerter Lustmolch furios an diesem Abend exemplarisch vorexerziert.

Ein greller, humorvoller, aber auch sozialkritischer Abend mit Momenten der Innigkeit, in denen zumindest ein Hauch von Liebe spürbar wird. „Danke für die fünf Minuten“, sind die letzten Worte von Agafja, die in der kurzen Zeit ihres Tanzes mit Podkolessin zumindest einmal erfahren hat, wie sich Liebe anfühlt.

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