Im Doppel schlicht genial

„die unverheiratete“ von Ewald Palmetshofer unter der Regie von Robert Borgmann am Akademietheater – ein Theaterereignis

Der Vorhang hebt und senkt und hebt und senkt sich. Die Bühne ist übersät mit Erdhaufen, die an Grabhügel erinnern. Die nackten Wände des Bühnenraums mit ihren elektrischen Einrichtungen werden zeitweise durch einen tiefroten Vorhang verdeckt. Auch dieser hebt und senkt sich viele Male. Der Regisseur Robert Borgmann, zugleich auch für das Bühnenbild verantwortlich, macht klar: Hier wird Theater gespielt, aber hier wird auch Erinnerungsarbeit geleistet. Die Aufarbeitung eines realen Falles, der sich eine Woche vor Ende des Zweiten Weltkrieges in Oberösterreich ereignete. Ewald Palmetshofer nahm diesen in seinem neuen Stück „die unverheiratete“ zum Anlass, um daraus ein über zweistündiges Drama zu verfassen.

Dabei gelingt dem Autor das Kunststück, die Geschichte eines jungen Deserteurs mit dem antiken Elektra-Stoff kunstvoll zu verschränken. Borgmann liefert ihm dabei einprägsame Bilder, welche den sperrigen und kantigen Jambenrhythmus des Textes entschärfen. Diese artifizielle Sprache verwendet Palmetshofer in diesem Stück, da er in den Gerichtsprotokollen der 40er Jahre auf ein spezielles Diktum aufmerksam wurde. Die Verhöre und Aussagen von Zeugen sind dort nicht in direkter, sondern indirekter Rede wiedergegeben, was einen besonderen Duktus hervorruft. Gekoppelt mit der Idee, auch das historische Sprachmuster der Elektra miteinfließen zu lassen, entstand ein Sprachteppich, in dem umgangssprachliche Zitate mit einer rhythmisch kunstvollen, literarischen Handschrift verwoben werden.

Ein Stück für sieben Frauen – und abwesende Männer

Vier Frauen (Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Sylvie Rohrer und Petra Morzé) die er „4 Schwestern (die Hundsmäuligen)“ nennt, übernehmen dabei die Rolle des Erzählers, oder – möchte man sie theaterhistorisch betrachten – jene des antiken, griechischen Chores. Sie sind es auch, die anhand verschiedener Charaktere wie dem Richter, dem Volk oder dem Gefängnisdirektor die Handlung beständig vorantreiben. Drei weitere – Stefanie Reinsperger (die Junge), Christiane von Poelnitz (die Mittlere) und Elisabeth Orth (die Alte) verkörpern drei Generationen einer Familie, deren Verstrickungen, Schuld, Hass und Liebe eine höchst ungesunde Mischung ergeben. Keine von ihnen war je lang mit einem Mann zusammen und so war es der Jungen auch nie möglich, das Zusammenleben mit einem männlichen Partner auch nur ansatzweise zu erlernen. Die Mittlere trägt einen tiefen Hass gegen ihre Mutter in sich. Schon ganz zu Beginn lässt Borgmann das Ende – die Ermordung der Alten durch ihre Tochter – vorausahnen. Wie wild hackt von Poelnitz noch völlig unmotiviert mit einer Axt auf einen hölzernen Küchentisch ein. Ein Akt, den sie am Schluss des Abends an ihrer eigenen Mutter vollziehen wird.

Es sind nur wenige Sätze, die das Unverhältnis der beiden älteren Frauen erklärbar machen. Der Hinweis der Alten, dass sie neben ihrer Mutter und nicht neben ihrem Mann begraben werden möchte, trifft ihre Tochter zutiefst. Ihr Vater, der früh verstarb, wird von dieser angesichts ihres problematischen Verhältnisses zu ihrer Mutter fast zu einem Heiligen hochstilisiert. Umso schlimmer, ja wie ein Verrat muss ihr daher die Aussage ihrer greisen Mutter vorkommen. Die Enkelin wiederum erfreut sich eines promiskuitiven Charakters. Dabei scheut sie sich nicht, ihre wechselnden Partner mit heimlich aufgenommenen Handyfotos vor den Kopf zu stoßen. Das Verhältnis zu ihrer Großmutter ist ein weitgehend unbelastetes. Bis zu jenem Tag, an dem sie deren schriftliche Aufzeichnungen entdeckt, die über die ihr angelastete Denunziation des jungen Dienstverweigerers nur vage Auskunft gibt. Die Männer sind in Palmetshofers Stück nicht nur Abwesende, sondern auf weite Strecken auch Frauenvernichter. Elisabeth Orth spielt grandios eine Alte, deren Schuld sich aus dem Text nicht hundertprozentig ableiten lässt. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass das über sie gehaltene, männlich dominierte Tribunal ein dem Volkswillen folgendes Urteil sprach. Die daraus resultierende Haft und die Erinnerungen daran werden auf große Strecken von Stefanie Reinsperger – ihrer Enkelin – dargestellt. Diese wird am Ende des Stückes von einem ihrer Liebhaber grün und blau geprügelt. Dort, wo die Männer imText vorkommen, sind sie entweder körperliche Krüppel – wie der Mann der Alten, oder psychische, wie der Richter, der Gefängnisdirektor oder der Liebhaber.

Der Ariadnefaden bleibt unentwirrbar

Die Kernfamilie bietet keiner der drei Frauen ausreichend Liebe und Zuneigung. Diese erfährt die Alte ausgerechnet im Gefängnis. Ihre vier „Mitschwestern“ und ein über alles geliebter „Anstaltsengel“ sind es, die sie erfahren lassen, was Fürsorge, Zusammenhalt und Liebe eigentlich bedeutet. Der unerwartete Auftritt der Mittleren als Elektra stellt einen sprachlichen Höhepunkt dar. Wird doch genau zu diesem Zeitpunkt in der Verschränkung des antiken Textes mit jenem von Palmetshofer nicht nur der historische Verweis deutlich. Vielmehr erklärt sich auch schlagartig der allgemeine Sprachduktus. Der finale Tötungsakt durch die Axt bleibt angedeutet, aber verständlich. Zuvor spann Orth sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum noch einen unentwirrbaren Ariadnefaden. Verwob mit dieser Geste ihr Lebensdrama mit jenem des Publikums. „Hilf mir bitte, ich finde den Anfang nicht mehr“ sind eine ihrer letzten Worte. Der Tod ereilt sie inmitten ihres unentwirrbaren Lebenslabyrinthes.

Die aufwändige Lichtregie (Peter Bandl) taucht abwechselnd die Bühne und den Zuschauerraum in gleißendes Neonlicht. Der gigantische Käfig aus Neonröhren, die sich je nach Szene unterschiedlich zuschalten, evoziert ein Gefühl von Kälte und permanenter Überwachung. Die beeindruckenden Kostüme (Janina Brinkmann) und eine höchst spannende Soundbegleitung (webermichelson, der mit dem Regisseur schon mehrere Projekte realisierte) ergänzen das Setting perfekt. Ein großer Text, eine große Bühne – im Doppel sind Palmetshofer und Borgmann schlicht genial. Die Frauen liefern ihnen mit ihrer beeindruckenden schauspielerischen Leistung jenen Part, der „die unverheiratete“ zu einem denkwürdigen Theaterereignis formt.

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