Ein Amoklauf zum Abschied

Von Michaela Preiner

Good Morning, Boys and Girls (Foto: ©Bettina Frenzel)

17.

Oktober 2017

Im Kosmostheater – das sich auch ‚das Theater mit dem Gender’ nennt – ist derzeit eine extrem beachtenswerte Produktion zu sehen. „Good morning boys and girls“ – ein Stück von Juli Zeh – behandelt das Thema von Amokläufen an Schulen.

Ein Stück mit vielen Facetten

Gemeinsam mit der Choreografin Paola Bianchi hat sich die Hausherrin und Regisseurin Barbara Klein dieses Stoffes angenommen. „Ich wollte schon vor ein paar Jahren eine dramatisierte Fassung des Buches ‚We need to talk about Kevin’ von Lionel Shriver auf die Bühne bringen. Darin ist alles enthalten, was in unserer Gesellschaft heute auftaucht.

Die Nöte und Zwänge, der Neoliberalismus, die Schuldgefühle, all das. Der Roman wurde auch verfilmt, aber im Film kam nur ein kleiner Teil des Buches vor, das so vielschichtig ist. Die Rechte für die Bühne haben wir aufgrund der Verfilmung nicht bekommen.“, so Klein. Als Juli Zeh „von der ich so gut wie alles lese“, dann ein ganz ähnliches Thema aufgriff, war es endlich soweit. „So gut, wie das Thema in ihrem Stück aufgearbeitet ist, so gut hätte ich den Roman von Shriver nicht dramatisieren können.“

Der Inhalt: Jens, ein Schüler, intelligenter Einzelgänger, poetisch begabt, plant einen Amoklauf in seiner Schule. Minutiös. Dabei verzahnt sich das Geschehen durch das kurz hintereinander geschaltete Auftreten aller rundum Beteiligten. Das sind: Seine Eltern, ein Galeristenpaar, das mit der Erziehung ihres Sohnes leicht überfordert ist, seine Deutschlehrerin, der auffällt, dass er in seinen Aufsätzen höchst gewaltbereite Szenen imaginiert, seine Freundin Susanne, die ganz ähnlich tickt wie er und mit einem veritablen Weltschmerz ausgestattet ist und Jens selbst, der keinen Widerpart hat, an dem er seine Intelligenz und seine Vorstellung von Welt reiben kann. Alle Personen sind permanent auf der Bühne vertreten. Wenn sie nicht am Zug sind, dann agieren sie lautlos in einer auf sie ganz speziell zugeschnittenen Choreografie.

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Good Morning, Boys and Girls (Foto: ©Bettina Frenzel)

Der Körper zeigt etwas Anderes als das gesprochene Wort

Die Lehrerin nimmt dabei eine dozierende Haltung ein, der Vater ist ständig in Bewegung, während er einen historischen Amoklauf nach dem nächsten rezitiert. Die Mutter lässt ihre Arme zeitweise wie die einer Marionette vom Körper hängen – unter anderem ein Indiz dafür, dass ihr Sohn sie als solche ansieht, in vielen Stellen wirkt sie wie versteinert. „Die Sprache ist eine Dimension, aber die Körpersprache eine andere“, so die Choreografin Bianchi. Die Italienerin, die kein Deutsch spricht, hat eine bemerkenswerte Arbeitsweise mit Barbara Klein gefunden. Ihr erstes Stück „Business Class“ brachten sie vor 10 Jahren im Kosmostheater auf die Bühne. Weitere sollten folgen. Der Text wird für Bianchi ins Italienische übersetzt, aber bei den Proben wird zur allgemein besseren Verständlichkeit Englisch gesprochen. Zwar agiert auch immer jemand aus dem Team als Dolmetsch, aber im Grunde geht es Bianchi gar nicht darum, die Worte 1:1 wie durch Untertitel mit der Bewegung zu illustrieren. „Wir sprechen etwas und zugleich drückt unser Körper, sein Unterbewusstes, etwas ganz Anderes aus“ – ihr O-Ton. Dieses Phänomen wollte die Choreografin in diesem Stück sichtbar machen.

Und so stülpt sich an einer Stelle Jans Vater beschützend über seine Frau und geht an einer anderen in Boxstellung. Er deckt sein Gesicht, um ihren verbalen Angriffen Paroli bieten zu können und ihr nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Gut nachempfunden ist auch jene Szene, in welcher die beiden jungen Menschen sich näher kennenlernen. Dabei sitzen sie nebeneinander auf einem Podest, den Körper mit Hilfe ihrer abgestützten, durchgedrückten Arme ein paar Zentimeter von ihrem Gesäß abgehoben und leicht wippend.

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Good Morning, Boys and Girls (Foto: ©Bettina Frenzel)

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Live-Projektionen und ein kriegerisches Computerspiel

Für Tempo sorgt nicht nur, dass beinahe alle Beteiligten immer in Bewegung sind. Auch die Schwarz/Weiß Projektionen des Ego-Shooters ‚counter strike’ und Live-Aufnahmen sorgen dafür, dass beinahe permanent überlappende Bedeutungsebenen zu sehen sind. Für die bewegten Bilder sorgt „Amok“ – ganz in Weiß gekleidet, mit Maske vor dem Gesicht und erkennbaren, vor die Brust gespannten Bombenpackages. Die Bilder, die er mit seinem Smartphone aufnimmt, auch sie erzählen oft etwas Anderes als der Text. So wird die Aufregung von Jens in den Gesten seiner Hände und Finger sichtbar, die er nervös immer wieder aufs Neue verschränkt und wieder loslässt, während er vermeintlich ruhig von seinem Gefühlsleben erzählt.

Wer ist schuld an dem Drama, das schon von Beginn offensichtlich verhandelt wird? Das Trio Zeh, Klein und Bianchi geben darauf keine Antwort. „Obwohl alle auf der Bühne sich gegenseitig die Schuld zuweisen.“, so die Regisseurin. „Fakt ist, es ist natürlich auch unsere Gesamtsituation, unser Neoliberalismus, die Tatsache, dass wir überhaupt Eigentum besitzen und glauben, es gehört uns – ein Grundstück, ein Land, die Welt. Der Wahnsinn von Ausschließen und Einschließen und im Kleinen auch das Mobbing, das auch aus- und einschließt. Die Eltern selbst sind mit der Welt überfordert. Zwar haben sie weitest gehend die schwarze Erziehung aufgegeben, aber etwas Anderes dafür noch nicht gefunden. Wir können zwar vieles anreißen, aber dem Publikum kein Paket schnüren, dass es fertig mit nach Hause nehmen kann.“

Das Kosmostheater – ein kleines Inselreich

Für das Duo Klein und Bianchi ist es das letzte Stück, das sie im Kosmostheater gemeinsam realisierten, denn Barbara Klein geht in Ruhestand und verlässt das Haus. „Ich finde, ich habe Meins getan. Es ist gut so und jetzt können Jüngere, Andere weitermachen. Ein Haus wie dieses gibt es in der Theaterlandschaft nicht, ich glaube, das war mein spezieller Beitrag. Wir haben einen Weg gefunden, mit dem wir es geschafft haben, uns nicht zu instrumentalisieren. Wenn Publikum hier hereinkommt, das weiß, dass es das Gendertheater ist, dann erkennt es das. Wenn die Leute es nicht wissen, dann macht das nichts. Die Thematik steht ja nicht im Weg. Aber unser Tun verändert schleichend und subtil die Gesellschaft, weil wir ja nicht mit dem Holzhammer arbeiten. Das Thema selbst ist aktueller denn je, denn es wurde ja noch immer nicht aufgegriffen, wie viel Patriarchat über die Klassik, das bürgerliche Theater, die Oper vermittelt wird; das wird weder analysiert noch kritisiert. Gerade in diesem restaurativen Land Österreich wird diese tradierte Rollenstruktur immer wieder auf die Bühne gebracht. Das ist wie ein Stein, der sich nicht bewegt und an unseren Beinen hängt. Ich bin froh, dass ich dieses kleine Inselreich schaffen durfte, in dem es anders läuft. Aber diese Erkenntnis fehlt sonst sowohl in Österreich als auch in Deutschland.“

Über das Ende des Stückes „Good morning boys and girls“ soll an dieser Stelle nicht berichtet werden, denn alle, die es noch bis 28. Oktober im Kosmotheater besuchen, werden dabei eine veritable Überraschung erleben. Nur so viel sei verraten: Auch das Kern-Thema des Theaters – die Gleichberechtigung von Mann und Frau in all ihren vielseitigen Facetten – spielt eine große Rolle.

Aus dem Ensemble hervorzuheben ist niemand, denn alle Beteiligten glänzen mit einer permanenten Präsenz, mit überzeugendem Einfühlungsvermögen und ebensolcher Rollenidentifikation.

Gratulation an: Giamo Röwekamp (Jens/Cold), Sopie Resch (Susanne), Jens Ole Schmieder (Vater), Susanne Rietz (Mutter), Johanna Prosl (Frau Patt), und Pablo Leiva (Amok).

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