Ich verstehe gar nicht, wo der Staub herkommt, von dem alle sprechen.
23. November 2015
Ein Interview mit Calle Fuhr, Regieassistent und Regisseur am Volkstheater.
Michaela Preiner
Calle Fuhr (c) European Cultural News
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Calle Fuhr, neuer Regieassistent am Volkstheater, stellt am 24. November seine eigene Arbeit „Von den Beinen zu kurz“ vor. In einem Interview erzählte er nicht nur über das Stück, sondern seine ersten Eindrücke vom Wiener Publikum und seinem Begriff von Werktreue.

Das Volkstheater hat seit dieser Saison mit Anna Badora nicht nur eine neue Direktorin und ein neues Ensemble. Auch Calle Fuhr arbeitet in seiner Funktion als Regieassistent das erste Mal an diesem Haus.

Fuhr hat seine Arbeit in Wien im August aufgenommen, dennoch hatte er außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit noch kaum Gelegenheit, ein Feeling für die Stadt zu entwickeln. Auf die Unterschiede zu Berlin angesprochen, in dem er vorher lebte, sagt Fuhr: „Ich habe das Gefühl, dass hier das Theater einen ganz anderen Stellenwert hat als in Deutschland, bzw. in Berlin. Obwohl die Stadt viel größer als Wien ist, gehen doch weniger Leute ins Theater.“ Später erzählt er noch: „Wir hatten Nora³ vorher schon in Düsseldorf gespielt. Dort wurden die beiden hinzugefügten Jelinek-Texte zwar nicht abgelehnt, aber skeptisch aufgenommen. Hier mussten wir uns dafür nicht rechtfertigen, sondern die Leute fühlten sich eingeladen, sich damit auseinanderzusetzen.“

Die Gegenfrage, ob das nicht auch vielleicht damit zusammenhängen könnte, dass Jelinek eine österreichische Schriftstellerin sei, meinte Fuhr: „Das mag schon sein, aber es ist ja ein ganz eigenwilliges Konzept, Ibsen und Jelinek in einem Stück zu vereinen, das aber in Wien sehr gut aufgenommen wurde. Das macht natürlich gerade am Beginn unserer Arbeit hier Spaß.“

Die erste Welle mit den vielen, kurz hintereinander getakteten Premieren, ist gerade abgeebbt. Nun geht es daran, kontinuierlich an den gesteckten Zielen weiter zu arbeiten. Eines davon ist, das Volx-Margareten stärker in den Publikumsfokus zu rücken.

„Für uns ist das keine ausgelagerte Spielstätte, sondern vielmehr das kleine Haus des Volkstheaters. Wir möchten, dass das Publikum merkt, dass es die Schauspielerinnen und Schauspieler, die man im großen Haus aus einer Distanz von 50 Metern sieht, im Volx direkt vor seiner Nase hat. Das ist etwas so Wichtiges und Schönes in der Theaterwelt, dass wir sehr hoffen, das sich das gut etabliert.“

Eine der Hauptaufgaben als Regieassistent ist die Produktionsbetreuung. Das bedeutet, die rechte Hand für den Regisseur oder die Regisseurin zu sein und zwischen den Schauspielenden und Regieführenden zu vermitteln. Dann ist es auch die Vermittlung zwischen der Regie und dem Haus selbst, die Fuhr bewerkstelligen muss. Nach den Premieren kümmert er sich um die Abendspielleitung. Das bedeutet, er achtet darauf, dass der künstlerische Wert der Vorstellungen eingehalten wird. Das geschieht durch Gespräche und Kritik nach den Vorstellungen, aber auch bei einem Treffen zum Café.

„Oft werden ja auch neue Sachen ausprobiert, dafür muss ich den Kontakt zum Regisseur oder zur Regisseurin aufnehmen oder die Schauspielerinnen und Schauspieler möchten einfach nur eine Rückmeldung wie das eine oder andere angekommen ist. Bei dieser Arbeit lernt man, wie man mit Schauspielerinnen und Schauspielern spricht. Sie kommen gerade von der Bühne, haben noch einen hohen Adrenalinspiegel, sind noch erschöpft. Mir macht das Spaß herauszufinden, wie man da kommunizieren muss, die Leute reagieren ja unterschiedlich.“

Calle Fuhr (c) European Cultural News

Calle Fuhr (c) European Cultural News

Neben diesen Aufgaben ist Calle Fuhr gerade dabei, ein eigenes Stück zu erarbeiten. Stefanie Reinsperger und Bettina Ernst spielen in „Von den Beinen zu kurz“ Mutter und Tochter. Es ist ein noch sehr junges Stück von Katja Brunner, das Fuhr sich hier vorgenommen hat.

„Vor drei, vier Jahren gab es im Zeitmagazin einen spannenden Artikel von Heike Faller. Sie hat dafür einen Pädophilen bei seiner Therapie begleitet. In Berlin wurde vor einigen Jahren ein Programm aufgezogen, das sich „Kein Täter werden“ nennt. Dort können sich Menschen melden, die pädophile Neigungen haben und sich helfen lassen möchten. Dieses Thema war für mich bis zu diesem Artikel immer nur schwarz-weiß besetzt. Aber er hat mir die Augen geöffnet, dass die Menschen, die das nicht ausleben wollen, darunter leiden. Da wurden für mich Werte auf einmal so umgedreht, dass ich das nie erwartet hätte.“

Bei seinem Umzug nach Wien ist Fuhr der Zeitungsartikel wieder in die Hände gefallen und es war rasch klar, dass er sich mit diesem Thema auseinandersetzen wollte.

„Der Text hinterfragt wer ist Opfer, wer Täter bzw. Täterin? Dabei wird nicht in schwarz-weiß eingeordnet, sondern in tausend verschiedene Richtungen differenziert.“ In der Inszenierung wird der „offensichtliche Täter“, wie Fuhr ihn nennt, ganz außen vorgelassen. Vielmehr werden die Rollen der Tochter und Mutter als Opfer, Täterin oder Unschuldige hinterfragt. Bei dem Gespräch der beiden treffen die verschiedenen Perspektiven und Verantwortungen aufeinander.

„Sie arbeiten mit sehr tollen Schauspielerinnen zusammen, wie geht es Ihnen dabei?“

O-Ton Fuhr: „Auf der einen Seite wird mir dadurch schon so vieles so leicht gemacht, dass ich mir denke: Oh Gott, du müsstest doch eigentlich viel mehr Probleme haben damit du mehr lernst! Auf der anderen Seite ist das natürlich wunderbar, denn wir haben nur zweieinhalb Wochen Zeit, einen einstündigen Abend auf die Beine zu stellen.“ Reinsperger und Ernst haben den Text intensiv schon selbst erarbeitet und machen von sich aus dem Jungregisseur Vorschläge, was ihm extrem entgegenkommt. In seinem Regieverständnis ist es ihm wichtig, kollektiv an einem Text zu arbeiten.

„Was finden Sie am Beruf eines Regisseurs so spannend?“

„Zum einen kann ich mit Menschen in einen Austausch treten. Dann bringt es das Theater zustande, Zusammenhänge zu schaffen, über die man sonst nicht spricht. Es schafft, dass sich Leute in einem inhaltlichen Rahmen öffnen können, wie sonst nirgends. Gleichzeitig glaube ich, dass ich es schaffen kann, dass sich zwei oder mehrere Menschen auf der Bühne begegnen können. Das vermisse ich in der Theaterwelt derzeit total. Bei Dušan Pařízek da sehe ich das manchmal, da denke ich mir: Da kannst du davon was lernen. Ansonsten sehe ich, dass Ideen auf der Bühne verwirklicht werden. Man versucht, Stücke zu entstauben, wobei ich gar nicht verstehe wo der Staub her kommt, von dem alle sprechen.“

„Das heißt, sie kritisieren Regietheater in dem sich ein Regisseur mit seinen eigenen Ideen verwirklichen will?“

„Ja genau, das kritisiere ich ganz klar.“

„Ist Werktreue für Sie dann ein wichtiger Punkt?“

„Es ist die Frage, was Werktreue heißt. Werktreue wird oft so verstanden, dass man die Idee des Autors verwirklichen soll. Ich weiß nicht, was die Idee des Autors ist, aber wenn ich einen Text ernst nehme, mich mit ihm auseinandersetze und diesen Text auf die Bühne bringe, so wie er ist, halte ich das für Werktreue. Dazu gehört auch, dass ich Sachen verstellen darf, Sachen streichen darf. Das heißt nicht, alles genauso zu spielen, wie es da steht. Nur wenn man z.B. Faust I und II ungestrichen auf die Bühne bringt, ist das für mich noch kein Grund, ins Theater zu gehen. Werktreue bedeutet für mich ernst zu nehmen, was da ist, die Figuren ernst zu nehmen und nicht, zu versuchen, sich in einem ironisierenden Selbstgefallen zu zeigen. Zu zeigen, wie cool man ist und wie uncool Theater eigentlich ist, das interessiert mich gar nicht! Beim Zuschauen interessiert mich: Was ist da drin, was steckt von mir da drin, was kann ich von mir da reinsetzen? Wenn ich Leute auf der Bühne sehe, die auf der Bühne etwas investieren, das interessiert mich. Ich will nicht, dass sie nur zeigen, was sie alles draufhaben, welches Timing sie haben. Fähigkeiten am Theater interessieren mich überhaupt nicht, sondern Ehrlichkeit. Das ist es, worum es gehen muss.“

„Denken Sie an das Publikum bei Ihren Regiearbeiten?“

„Ich mache nichts, um zu gefallen, aber ich mache auch nichts, um nicht zu gefallen. Ich glaube, dass sich unser ehrlicher Austausch, den wir gerade bei „Von den Beinen zu kurz“ erleben, aufs Publikum übertragen wird.“

Fuhr möchte sich jene Portion von Naivität bewahren, die es ihm ermöglicht, dass er bei der Arbeit an einem Stück als Repräsentant des Publikums gelten kann. Wenn es z.B. darum geht, das Tempo einer Inszenierung herunterzufahren, weil das Stück sonst schlichtweg nicht verstanden wird.

„Natürlich machen wir Theater für die Leute, für das Publikum, wir wollen damit ja auch etwas hinaustragen.“

„Warum soll das Publikum zu Ihrer Inszenierung in die Rote Bar des Volkstheater kommen?“

Ich glaube, dass wir einen Abend schaffen, in dem sich jeder ganz kritisch hinterfragen kann. Vor allem in seiner privaten Geschichte, in seinem Familienhintergrund. Wir reduzieren das Stück nicht auf das Thema Kindesmissbrauch, sondern wir erweitern es auf das Thema Verantwortung. Wann habe ich Verantwortung, wann bin ich schuldig. Wann muss ich reagieren, wann muss ich etwas tun. Das ist ein Thema, das sich auf jeden Bereich im Leben übertragen lässt. Wenn die Leute aus dem Theater gehen, dann können sie sich die Fragen stellen, was sie tun, was sie tun sollen oder anders machen sollen. Alle Leute, die Lust haben, sich darauf einzulassen, sind herzlich eingeladen vorbeizuschauen.“

Weitere Infos über die Aufführung auf der Homepage vom Volkstheater.

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