Oben das Private, unten das Öffentliche

Von Michaela Preiner

„Ein Körper für jetzt und heute“ (Foto: Matthias Heschl)
03.
Februar 2018
Der Brunnen könnte in jeder Stadt in Europa stehen. Seine Architektur war in den 50er Jahren modern und tatsächlich machen die Graffitis an seinen Wänden klar, dass seine besten Zeiten vorbei sind.
Das Bühnenbild (Davy van Gerven) der Produktion „Ein Körper für jetzt und heute“, die derzeit im Schauspielhaus gezeigt wird, ist beeindruckend. Auch der kleine Raum, hoch über dem Wasserbecken, der sich in einer späteren Szene öffnet, ist reizvoll. Das Private, hoch oben, gedrängt und ohne Ausstattung, nur mit Licht erfüllt, steht im Gegensatz zum öffentlichen Raum, den das Ensemble sich aber erst einmal zurückerobern muss.
Denn rings um das Brunnenbecken gibt es nur wenig Platz für die Menschen. So waten Simon Bauer, Vera von Gunten, Steffen Link und Martina Spitzer mit Gummistiefeln unter ihren Hosen und imprägnierten Kleidungsstücken durch das Nass, um miteinander oder auch aneinander vorbei zu kommunizieren. Simon Bauer verkörpert Elija, der sich in seinem Körper völlig deplatziert fühlt. Von der Außenwelt gedrängt, lässt er eine Geschlechtsumwandlung vornehmen, um danach zu bemerken, dass dies eine falsche Entscheidung war. Eigentlich möchte er weder „das Dunkle noch das Helle“, sondern irgendetwas Neues dazwischen verkörpern. Seine Cousine (Martina Spitzer) steht ihm mit Rat und Tat zur Seite und hilft ihm, so gut sie kann, meist mit Tipps, welche Experten denn für die nächsten Schritte der Geschlechtsumwandlung zu konsultieren seien. Der Autor des Dramas, Mehdi Moradpour, teilt den Text in verschiedene Ebenen. Zum einen arbeitet er mit Monologen, in welchen die Personen meist sich selbst charakterisieren oder ihre Befindlichkeiten erklären. In den Dialogen zeigt er die Reaktion von Menschen wie die Eltern von Elijas, die sich wünschten, er hätte zwei Köpfe oder Klumpfüße, wenn er nur nicht so wäre, wie er tatsächlich ist. Zum Dritten schiebt der Autor immer wieder zum Teil auch sehr poetische Textstellen ein, welche die Handlung jedoch jedes Mal beinahe zum Erliegen bringen. In der Regie von Zino Wey wird ein großer Respekt vor dem nicht leicht verständlichen Text spürbar. Das führt dazu, dass dieser sich, mit vielen, unterschiedlichen, sprachlichen Ebenen ausgestattet, bühnenschwierig erweist und dadurch keine spannende Sogwirkung entfalten kann.
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„Ein Körper für jetzt und heute“ (Foto: Matthias Heschl)
Das Grundmotiv, unterschiedlichen Körperbefindlichkeiten und Körperwünschen nachzuspüren, wird dennoch klar erkennbar. Neben Elijas musste auch Eva (Vera von Gunten) eine dramatische Körpererfahrung machen. Sie ist bei ihrer allwöchentlichen Dialyse von einer großen Maschine abhängig, die ihr Blut filtert. Fanis (Steffen Link), der sich Hals über Kopf in sie verliebt, möchte ihr eine Niere spenden. Dass auch das nicht so einfach geht, wird in einer Szene klar, in der er einer wahrhaft hochnotpeinlichen Befragung unterzogen wird, ob er sich der Tragweite seines Entschlusses denn auch bewusst sei. Nicht zu vergessen tritt auch ein junger, männlicher Prostituierter auf, der seinen Körper für schnelle Nummern in Umkleidekabinen verkauft. Die Auseinandersetzung mit extremen Körperwahrnehmungen gäbe einiges an emotionalem Unterbau her und böte auch sozialkritische Ansätze. Dennoch bleibt der Abend kühl. Einzig das Gezerre der Gesellschaft an den Individuen, die nicht so sein dürfen, wie sie sind, wird durch gedehnte Pulloverärmel und kreativ an- und ausgezogenen Jacken sichtbar und dadurch auch gut nachvollziehbar. Auch die beiden angesprochenen Liebesgeschichten, anhand derer Moradpour die Körperzwänge deutlich artikuliert, bleiben nicht friktionsfrei, emotional aber dennoch beinahe unter der Wahrnehmungsschwelle.
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„Ein Körper für jetzt und heute“ (Foto: Matthias Heschl)
Die gelungene, musikalische Unterstützung von Lukas Huber – auch sie arbeitet mit grundverschiedenen, stilistischen Mitteln. Während zu Beginn ein trockener, feiner Electroniksound eine Abhandlung über die Entstehung von Erdöl untermalt, werden später deutliche Wagner-Anleihen aus der Rheingold-Ouvertüre zitathaft verwendet. Diese treten in Zusammenhang mit den privaten Momenten auf, in welchen die Anziehungskraft der Geschlechter eine Rolle spielen. Ein Abend, der schauspielerisch vom Ensemble bestmöglich durchexerziert wird und bei dem das Bühnenbild und auch die verwendeten Medien wie Live-Kameraaufnahmen und deren Projektionen den Text beinahe überflügeln. Weitere Termine auf der Homepage des Schauspielhauses.
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